Winter Trial

Trial and Error

Der Winter Trial gilt als Weiße Hölle des Rallyesports. Ex-Porsche-Werksfahrer Jürgen Barth und Redakteur Dirk Johae stürzten sich erstmals in das Abenteuer - zwei Trial-Rookies auf Schlitterkurs.

Winter Trail, Volvo Amazon 122S, Seitenansicht Foto: Joost Srel / Hans Van Kampen 26 Bilder

Unser Volvo Amazon steht, aber die digitalen Ziffern meiner Stoppuhr rasen. Mein Zeigefinger irrt über die weiß eingezeichneten Straßen auf meiner Karte, unter der beleuchteten Lupe wirkt alles aberwitzig groß. "Ich weiß nicht mehr, wo wir sind", murmele ich verzweifelt. Wir stehen mitten in einer Gleichmäßigkeitsprüfung mit Schnitt 50 km/h im verschneiten tschechischen Niemandsland, und ich habe vollkommen die Orientierung verloren.

Schöne Theorie, harte Praxis

Die Ich-Perspektive steckt in der Sackgasse: „Zeig mal – wo sind wir denn?“, meldet sich Jürgen Barth vom Fahrersitz. Er lässt sich die Karte im Maßstab 1:20 000 nebst Lupe reichen. Der Le Mans-Sieger und Porsche-Rallye-Haudegen ist mit mir im Amazon in gemeinsamer Mission unterwegs: als Rookie beim Winter Trial. Die Ziffern auf der Uhr rasen weiter, 20 Sekunden sind wir bereits hinter der Zeit - Aufholen aussichtslos.

"Orientierung geht vor Zeit" hatte mir Beifahrerkollege Stephan Huber mit auf den Weg gegeben. Er kennt die Herausforderungen des Winter Trials aus vier Starts sehr genau: vier Mal Weiße Hölle. In der Theorie klingt alles so einfach. "Wir sind hier", ruft Jürgen plötzlich und deutet auf eine Kreuzung, die sich auf der Karte etwa einen Daumen breit neben der signalroten Linie befindet, mit der ich die richtige Route nach den Vorgaben des Veranstalters eingezeichnet habe: Umdrehen, zurück zur nächsten Kreuzung, und dort wieder auf den richtigen Weg zurück. Fast zwei Minuten haben wir dadurch verloren.

Zwei Minuten sind im normalen Leben so gut wie nichts, hier beim Winter Trial aber eine Ewigkeit. "Jetzt ärgere dich nicht, sondern konzentriere dich auf die Strecke", meint Jürgen wohlwollend. Am Steuer des gut 100 PS starken Volvo Amazon versucht er, die verlorene Zeit aufzuholen, bringt die zweitürige Limousine auf dem Untergrund aus Schnee und Eis zum Tanzen.

Ex-Porsche-Werksfahrer ist die Lebensversicherung

Jürgen Barth ist meine Lebensversicherung, so schnell und sicher wedelt er mit dem geliehenen Rallyewagen des Holländers Eddy van den Hoorn über die Winterpiste. Das ist wie das Anschauen eines Onboardfilms auf einem beweglichem Sitz.

Zehn Mal hat Barth die Rallye Monte-Carlo bestritten. Seine erste Rallye überhaupt fuhr er an der Seite des US-Amerikaners John Buffum 1968. Außerdem kümmerte er sich um die Rallyeeinsätze von Porsche zwischen Monaco und Mombasa, griff auch Opel bei der Vorbereitung für verschiedene Safari-Rallyes mit Kadett GT/E und Ascona 400 unter die Arme. Obendrein bestritt er auf der Rundstrecke zahlreiche Rennen in Sport-Prototypen und GT, gewann 1977 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans und an gleicher Stelle 1993 die GT-Kategorie. Aber keine Zeit, seine Fahrkunst zu genießen: "Konzentriere dich auf die Karte", ermahne ich mich selbst.

Der Winter Trial ist die Erfindung des Holländers Bart Rietbergen, eine Mischung aus Gleichmäßigkeitsrallye und Orientierungsfahrt mit Old- und Youngtimern bis 1976. Zum 13. Mal schickt Rietbergen seine Teilnehmer im Januar durch verschiedene Länder Europas: In diesem Jahr geht es vom Start im holländischen Ort Enschede über Deutschland in die Tschechische Republik, nach Polen und schließlich nach Österreich mit dem Ziel bei Salzburg.

Schnellzeichner sind gefragt

Die Hauptroute gibt es 14 Tage vor dem Start in Form einer Liste, in der Kreuzungen und Himmelsrichtungen verzeichnet sind. Diese Angaben müssen die Beifahrer bis zum Start in die Straßenkarten übertragen.

Aber die wahre Herausforderung sind die Gleichmäßigkeitsprüfungen: Dazu bekommt jedes Team eine topografische Karte sowie eine detaillierte Aufgabenstellung. Im Verlauf der Rallye erhält man dies immer später, am letzten Tag sogar erst kurz vor dem Start. Da sind Schnellzeichner gefragt, um die kürzeste Route zwischen den angegebenen Kreuzungen zu finden.

Doch die Krönung sind die beiden Nachtetappen, die an den Tagen drei und fünf direkt auf die Tagesabschnitte folgen. Zwischen zwei Gabeln Salat und einem Schluck Mineralwasser müssen rund 200 Kilometer Strecke in die Karte gezeichnet werden - dafür ist etwa eine Stunde Zeit. Immerhin läuft die erste Nachtprüfung im Grenzgebiet von Tschechien und Polen einigermaßen gut - doch an das Ergebnis nach der zweiten Etappe kommen wir nicht mehr heran. Da lagen wir auf dem 20. Platz von 38 Teams in der Trial-Wertung und waren in der Wertung des zweiten Tages sogar bestes deutsches Team.

Müde und abgekämpft ist an der Bar des Hotel Alessandria im tschechischen Hradec Kralove Frustbewältigung angesagt. "Vergiß den Ehrgeiz", rät mir Stephan Huber, der sich mit Christian Rüter im Peugeot einen Platz unter den besten Zehn erkämpft hat.

Ankommen hat Priorität

Zusammenhalt unter den Teams ist ein Merkmal des Winter Trial, eben eine Rallye im traditionellen Sinn. Ankommen, das Ziel erreichen, lautet das oberste Ziel. Dabei hilft man sich gegenseitig. Danach kommt das Abenteuer. In Stresssituationen allerdings kann es zu merkwürdigen Auslegungen dieser Hilfsbereitschaft kommen. An der Steigung einer Prüfung in Tschechien geht es nicht mehr weiter, weil die Straße von querstehenden Autos blockiert ist.

Wir montieren Schneeketten an der Hinterachse. Doch der Verschluss für die Kette des linken Rads fehlt. Die hat sich kurzerhand ein Mitbewerber geschnappt, weil er seine eigene in der Hektik nicht findet. Ich schraube den Plastikverschluss an seinem Auto ab und an unserem Auto wieder an, damit wir auf der vereisten Steigung weiterfahren können.

Stresssituationen wie diese gibt es immer wieder auf dem Winter Trial. Für Rallye-Regisseur Rietbergen gehören sie ins Drehbuch: "Es geht darum, Grenzen auszuloten." Bei der zweiten Nachtetappe, die nördlich des Gratzer Berglands in Svaty Jan beginnt und bis nach Österreich führt, treibt er es auf die Spitze. Zeitkontrolle folgt auf Zeitkontrolle. Für den Beifahrer bedeutet das: Abschnallen, in eine Dorfkneipe laufen, Stempel abholen, wieder zurück ins Auto und weiterfahren.

Müdigkeit killt Konzentration

Diese Übung vertreibt zwar die Müdigkeit. Doch mitten in der Nacht verendet auf einer schmalen Straßen in einer Prüfung unser Vierzylinder. Schon am ersten Tag war der Widerstand an der Zündspule hin, jetzt sorgt ein Wackelkontakt an der behelfsmäßig geschlossenen Kabelverbindung für Motoraussetzer. Jürgen steckt den Kopf in den Motorraum, kann aber den Fehler nicht ganz beheben. Wieder verlieren wir Zeit, schaffen sogar die Zeitkontrollen nicht mehr im maximalen 30-Minuten-Fenster - die Strafzeiten summieren sich auf mehrere Stunden.

"Das Wichtigste ist, immer die Ruhe zu bewahren", meint Pit Lindner. Er ist nicht nur der Organisator der Süd-West-Classic rund um seine Heimat Balingen, sondern auch schon in aller Herren Länder Oldtimerrallyes gefahren. Der Schwabe sagt das nicht nur so, er setzt es zusammen mit Beifahrer Guido Dose auch um. Im BMW 2002 werden sie Zweite in der Club-Wertung und erreichen das Ziel mit der inneren Ruhe tibetanischer Mönche.

So sind sie gefeit gegen allerlei Aberglauben, dem die Teilnehmer mit zunehmender Müdigkeit erliegen. Auf dem Weg nach Brünn hat Bart Rietbergen eine Zeitkontrolle in das Hotel "Cerna Kocka" gelegt - aus dem Tschechischen übersetzt heißt das "Schwarze Katze". Jürgen Barth quittiert diese Information lässig: "Ach, gestern ist schon eine schwarze Katze über den Weg gelaufen; die hat uns auch kein Unglück gebracht."

Manchem Mitstreiter klebt das Pech einfach an den Reifen: Am schlimmsten erwischt es den mehrfachen Gesamtsieger Frank Fennell und Beifahrer Frank Hussey mit seinem Volvo 142. Aber die Iren bewahren ihren Humor: Husseys Schilderung sämtlicher Pannen ist der komödiantische Höhepunkt der Siegerehrung.

Jürgen Barth schmiedet schon Pläne für 2014: "Jetzt wissen wir ja, wie es geht." Aber ein Porsche 911 sollte es sein. Die Fehler sind vergessen, die für Schnee und Eis mörderisch hohen Schnitte auch - mit meiner Lebensversicherung bin ich dabei.

Tipps für Teilnehmer des Winter Trials

Der Winter Trial ist nichts für Einsteiger: Vom Fahrer verlangt die Winterrallye einiges Fahrkönnen und Routine im Umgang mit dem Auto, vom Beifahrer solide Kenntnisse im Umgang mit Karte und Kompass. Zudem sollte er in den 14 Tagen vor dem Start ausreichend Zeit für die umfangreichen Vorbereitungen einplanen.

Dazu gehört das Übertragen des Streckenverlaufs von der Auflistung des Veranstalters auf die Karten: Geübte Beifahrer rechnen allein dafür rund 20 Stunden. Für Neulinge gibt es auf der Internetseite wertvolle Hinweise in englischer und holländischer Sprache,


Ergebnis 13. The Winter Trial über 2.626 Kilometer

Trial-Klasse

  1. Andresen/Roetgerink (N/NL) auf Porsche 911 Targa (1978)
  2. Maassen/NN (NL/NL) auf Sunbeam Avenger 1600 (1976)
  3. Meulen/Van der Werf (NL/NL) auf Porsche 911 (1971)
  4. Westland/Bout (NL/NL) auf BMW 2002 (1971)
  5. Dolk/Rorife (NL/B) auf Alfa Romeo Giulia Super (1970)
  6. Langendoen/Langendoen (NL/NL) auf Porsche 911T (1973)
  7. Rüter/Huber (D/D) auf Peugeot 404 (1969)
  8. Melse/Melse (NL/NL) auf Porsche 911 (1965)

Club-Klasse

  1. Stok/Van de Brink (NL/NL) auf Alfa Romeo Giulia (1970)
  2. Lindner/Dose (D/D) auf BMW 2002 (1969)
  3. Hessakkers/Peters (NL/NL) auf DAF 66 Marathon (1975)