Youngtimer-Autofriedhof

Vergessene Helden des Alltags

Lost Places nennt die Generation Golf aufgelassene Areale von morbider Melancholie. Irgendwo welkt seit Jahrzehnten eine verlorene Armada begehrenswerter Youngtimer dahin. S-Klasse, 7er-BMW, Opel Senator, bunte Zombies aus Blech.

Autofriedhof Rust, Oberklasse Foto: Frank Herzog 25 Bilder

Café Milano hat schon bessere Zeiten gesehen. Schönes Grundstück, Tiroler Balkon, Fassade mit Muschelkalk verziert. Früher saßen die Gäste im Sommer unter großen Sonnenschirmen. Kaffee und Kuchen für die Besucher des wohlbekannten oberbayerischen Kurorts. Draußen nur Kännchen.

Gewaltlose Zerstörung von 60 Autos

Heute stillt Café Milano nicht mehr die Italien-Sehnsucht reiferer Semester. Heute ist dieses verwilderte Areal ein bemoostes, artenreiches Blech-Biotop, eine ungewollte Versuchsanstalt des Verfalls, ein Mahnmal der Vergänglichkeit. Hier läuft seit Jahrzehnten das skurrile Experiment, wie viel Zeit es braucht, um knapp 60 Autos gewaltlos zu zerstören - einfach nur durch Regen, Schnee und Sonne, jahrein, jahraus.

Ernst H., der Besitzer des Café Milano, begann irgendwann Autos auf seinem Grundstück zu bunkern, TÜV-fällige, reparaturbedürftige, solche, die ohne Katalysator plötzlich wertlos waren. Sein Mercedes-Anteil ist hoch: Mittelklasse 123er und S-Klasse 116er gibt es in allen Farben, in Orientrot bis Chinablau. Auch 3er-BMW der ersten Baureihe E21 bringen es auf eine hohe Population, der selbst Teilediebstahl und Vandalismus nicht viel anhaben konnten.

Rettung schwierig

Manchmal fällt der Blick auf Raritäten wie Opel Senator, Ford Capri 2.3 S oder Audi 200 5E, wenn die Sonne in einer Chromleiste oder einem Außenspiegel aufblitzt. Lack und Glas glänzen schon lange nicht mehr - ikonengold, topasbraun und magnetitblau sind ausgeblichen und von einem olivfarbenen Moosschleier überzogen.

Kaputte Fensterscheiben ließen Wasser in die Polster sickern, grelles Sonnenlicht bleichte sie aus. Lederlenkräder schimmern grünlich. Die Autos bleiben anonym, kein DIN-Nummernschild und kein seit Ewigkeiten abgelaufener TÜV-Stempel verrät ihre Herkunft.

Es sind keine Sleeping Beauties, eher vergessene Helden des Alltags. Drüben im kristallgrünen 81er Ford Taunus liegt noch ein verquollener Jahreskalender von 1993, am Ascona B prangt noch ein schemenhaft erkennbarer Esso-Tiger. Machen wir uns nichts vor, Velours und Karossen sind rettungslos hinüber. Motor, Getriebe und Achsen könnte man noch brauchen. Aber lasst sie in Ruhe, die Totgeweihten. Bis sie eines Tages für ein Bauprojekt in bester Lage weichen müssen.

Vor neun Jahren fuhr ich den Taunus, zur Probe. Ernst H. und ich wurden uns nicht einig. So blieb er stehen, bis heute. Wenigstens einen hätte ich retten können.