Zwei auf Einkaufs-Tour

28 Youngtimer im Kauf-Check

Kollege Michael Orth will einen Youngtimer. Der Volvo V 70-Fahrer verfügt über kleines Geld und großes Misstrauen. Alf Cremers, risikobereiter Spontankäufer, erklärt ihm die Welt der Kiesplätze. Motto: Billig muss nicht schlecht sein!

Einkaufs-Tour, Michael Orth, Alf Cremers Foto: Frank Herzog 59 Bilder

Wir gehen auf Jagd. Zwei Tage ziehen wir, mein Kollege Michael Orth und ich durch finstere Industriegebiete, besuchen Autohändler aus sieben Nationen, legen uns ins Kiesbett zu tropfenden Ölwannen und durchgerosteten Schwellern. Wir machen uns die Hände in verölten Motorräumen schmutzig, verhandeln in verrauchten Containern und interpretieren phantasievoll die Soziodemografie von Kraftfahrzeugbriefen.

Billiger Rolls-Royce muss draußen bleiben

Gleich zu Beginn verirren wir uns jedoch in einen hübsch dekorierten Schauraum, plaudern nett mit Händler Josef Hillmaier, trinken Wasser und Kaffee. Um uns herum lauter Kostbarkeiten - Porsche, De Tomaso, Ferrari, ein Fiat 1600 S Cabrio mit Osca-Motor. Der Rolls-Royce Silver Spirit, den wir Probe fahren wollen, ist zu billig für die Halle, er muss draußen bleiben.

Trotz der aufgerufenen 16.000 Euro passt er ins typische Youngtimer-Beuteschema. Viel Auto für wenig Geld, Luxus und Leistung im Überfluss. Michael muss auf unserer Tour das ganze Spektrum kennenlernen, deshalb der goldene Silver Spirit als Motivation für den Anfang. Der einst eine Viertelmillion Mark teure goldene Gleiter scheint mir mal wieder auf den Leib geschneidert, Michael wirkt noch ein wenig überfordert von der Situation, bald Rolls-Royce fahren zu müssen. Tief tauche ich in die Connolly-Polster zum dankbaren Probesitzen und Durchatmen ein.

Hillmaier heißt uns vertrauensvoll die Maschine klarzumachen. Will heißen, Rote Nummern dran, Haube auf, Ölstände prüfen. Ein Schlückchen ATF gehört noch in die Vorratsdose der Servolenkung - los geht es. Nie war Fahren müheloser, nie war simples Lenken von solch majestätischer Würde.

Tempo 100 sind gefühlte 30

Emily vorn dran, der "Spirit of Ectasy" versetzt mich in selbige, die Straße wird zu einer endlosen Motorhaube in Honeygold. Rolls-Royce Fahren hat etwas Meditatives, leise flüstert der Wagen vorwärts, Tempo 100 sind gefühlte 30, der Silver Spirit als Bewusstseins erweiternde Droge. "Das ist doch nicht nur Auto Fahren, was wir hier machen, oder? Das ist doch etwas Überirdisches", frage ich entgeistert - Michael schaut mich skeptisch an, als wäre mein Ice Tea in der massiv ledernen Mittelkonsole ein Drogenmix.

Als er dann förmlich mit Gewalt übernimmt, stellt er nach ein paar Kilometern lapidar fest: "Die Karre hat nicht wirklich Qualm, wo bleiben die nicht angegebenen 241 PS? Aber ich muss zugeben, es hat schon was, wenn man ein Auto wie eine Villa baut."
Wenig später baden wir komplett geerdet in der 1.000-Euro-Fundgrube ohne TÜV, gekauft wie gesehen. Michael hält mich ohnehin für schmerzfrei und beim Billigauto so risikobereit wie einen Tanker-Kapitän in der Meerenge. Orth ist eher der vorsichtige Typ mit leicht perfektionistischem Ansatz. "Du kannst für kleines Geld nicht alles haben", werfe ich ihm einmal in einem hitzigen Disput vor. "Youngtimer sind lässig, tolerant, sie verzeihen viel, sie sind keine Concours-Objekte, aber auch keine Ruinen!"

Tachostände von mehr als 200.000 lieben lernen

Sein überbehüteter Volvo V 70 hat ihn dazu erzogen, er war beim Kauf ein gutes Auto mit wenig Kilometern zu fairem Preis, enttäuschte aber durch viele kleine und manchmal teure Reparaturen. Michael sucht jetzt mit schmalem Budget einen echten Youngtimer, gerne auch aus den Achtzigern. Ich soll ihm helfen, die Scheu vor Tachoständen über 200.000, die Abneigung gegen aufgescheuerte Sitzwangen, Risse im Furnier, angelaufene Frontscheiben und partiellen Rostbefall zu überwinden.

Denn vieles lässt sich machen, mit kleinen Mitteln, etwas Eigenleistung oder den Diensten eines Aufbereiters. Oft helfen auf Ebay ersteigerte Original-Alu-Räder, das Entfernen vergilbter Aufkleber, der Tausch der abgebrochenen Antenne oder das Abziehen fieser Schonbezüge, um ein Billigauto mit Potenzial wieder in einen würdevollen Zustand zu versetzen. Ebay ist gerade für Rückrüstung, Originalität und Optimierung von Youngtimern eine tolle Wundertüte.

Mir ist der Gesamteindruck wichtig - Zustand, Motorversion, Farbe, Ausstattung, Kilometerleistung. Der Funke muss überspringen, zwei drei Attribute, die den Reiz ausmachen, man muss sie nur entdecken. Nicht alle Parameter können stimmen, dann sind wir bei 5.000 Euro, es gilt abzuwägen. Michael meint: "Die Leidensfähigkeit muss umso größer sein, je kleiner das Budget ist." Er wundert sich, wie ich hämatiteloxierte Zierleisten oder grenzwertige Fehlfaben wie Bornit oder Beryll schön finden kann. Er glaubt, dass ich mindestens zwei Flaschen zimmerwarme Cola Light täglich zu mir nehme, um mir die graue Kiesplatzwelt rosenholz-metallic zu trinken.

Schräger Japaner lieber als W126-Mercedes

Er versteht nicht, wie ich in jedem Letzte-Reihe-Bahndamm-Wagen, dort wo Kies in Schotter übergeht, noch etwas Positives entdecken kann, solange nur ein Stern, ein Propeller oder die Vier Ringe drauf sind. Michael steht weniger auf Mercedes und BMW. 124er, 201er, 5er, aber auch 7er und alte S-Klassen sind für ihn langweilige Allerweltskisten mit dem spießigen Mief der Bürgerlichkeit. "Mir ist so ein fieser, schräger Japaner, der eben nicht an jeder Straßenecke parkt, lieber, als diese Premium-Massenware aus den Achtzigern, die zäh jeder Abwrackprämie trotzt und die Kiesplätze exzessiv bevölkert."

Aber da muss er jetzt durch, der pingelige Orth. Ich soll im schließlich die Youngtimer-Welt erklären, und die leuchtet vor allem wegen der vielen Sterne.
Neu-Ulm, Industriestraße, Nieselregen, der von den Autos runtertropft. Hier im Schatten der ehemaligen Mercedes-Niederlassung gedeiht ein ganzes Arsenal türkischarabischer Kiesplatzhändler.

Studienobjekt W124

Unser erstes Studienobjekt ist geradezu zwanghaft ein Mercedes W 124, besser gesagt gleich drei, die alle Modellzyklen zeigen. Ich gefalle mir dabei, sie vor Michael zu dozieren. Nur ein Auto aus der Reihe lohnt die Rettung vor der Verschiffung nach Cotonou, ein Erstserien-230 E in glänzendem Rauchsilber, mit schwarzen Stoffpolstern, ein paar netten Extras wie Automatik, Colorglas, Schiebedach und Kopfstützen im Fond.

990 Euro ruft Händler Alesha dafür auf, 155.000 km, TÜV bis Oktober. Michael findet ihn grottig, tendiert zum späten weißen E 220 mit Plakettengrill nebenan. Okay, die fehlenden Radkappen, Loch statt Stern in der Kühlerattrappe und der rechte rostige Kotflügel turnen den Youngtimer-Novizen ab. Bei einem Freak wie mir läuft hingegen schon das Optimierungsprogramm. Der Stern kostet 21 Euro, vier Radkappen habe ich noch rumliegen, und einen guten rauchsilbernen Kotflügel kriege ich für maximal 80 Euro. Dazu eine Wäsche "Volles Programm" - wo ist das Problem?

Orth schimpft mich nach meinem Vortrag einen "hemmungslos optimistischen Phantasten". Gegenüber bei Autohandel Kalas machen wir inmitten von Spätneunziger-Massenware eine wundersame Entdeckung. In spurbreiter Präsenz steht ein Dodge Army Truck neben seinem Container und bewacht das Gelände mit grimmiger Miene. Zuerst dachte ich, es ist ein M 880, doch sein etwas freundlicheres Chromgesicht outet ihn als Nachfolgetyp W 250. "Den schnappen wir uns für eine Probefahrt!" Michael und ich grinsen uns an, als wäre die fette Beute in Mattschwarz und fleckigem Nato-Oliv schon zum Abschuss freigegeben.

Blubbernder 5,9-Liter-V8

Händler Ali Kalas begrüßt uns überaus freundlich, als ob er spürt, dass da zwei Begeisterte kommen, die den ungewöhnlichen Dodge zu würdigen wissen. Kalas verkauft den Wagen im Kundenauftrag, 5900 Euro soll der martialische W 250 kosten, später wird er uns "Fünftausend, hier und jetzt!" nachrufen. Ehe er es sich anders überlegen kann, haben wir bereits die Rote Nummer dran und das spartanische Führerhaus geentert.

Sofort nach dem Schlüsseldreh blubbert der 5,9-Liter-V8 los, jetzt das breite Ding noch durch die vielen Allerweltsautos auf Kalas vollem Platz zirkeln und dann ab in die Freiheit! Was erst mal zur nächsten Tankstelle bedeutet. Selten hatte ich so viel Spaß mit einem Youngtimer, auch Michael, der Radikal-Pazifist, der aber gern mal im Fidel-Castro-Look provoziert, schlägt sich auf die Schenkel.

Endlich mal keine Nörgelei über den Zustand des Pick-ups, der im Bereich des kantigen Werkstatt-Heckaufbaus wie neu wirkt, vorne aber "used" wirkt. "Vernachlässigt", könnte man auch sagen, wobei in dem Wort "lässig" steckt, und das sagt alles. 173 Nm bei nur 4000/min schüttelt sich der antiquierte Grauguss-V8 aus dem Ärmel. Die Dreistufen-Lenkradautomatik "Torqueflite" sortiert die 380 Nm bei 1.600/min schon mal grob vor. Lustig wirkt der lange Schalthebel für das Reduktionsgetriebe nebenan.

Drinnen ist alles freudlos und abwaschbar, keine Spur von Gemütlichkeit. Ein Manöver ist schließlich kein Sonntagsausflug. Instrumente und Lenkrad sind krass unterdimensioniert, sie stammen aus einem Chrysler Horizon. Das Kunstleder rauchergebissgelb, ein Riss im Vinyl sieht aus, als hätte ihn ein Chirurg fachmännisch genäht. Lang lässt uns der bassig grummelnde Dodge nicht los. Hypothesen über seinen Verbrauch führen am Ende gar zu philosophischen Betrachtungen samt Imperativ: "Das Leben ist zu kurz, um langweilige Autos zu fahren oder lebe Deinen Traum!

Bürgermeister-Blues und Schnäppchen-Parade

Der rustikale Dodge bleibt selbst dann noch erfülltes Tagesgespräch, als wir längst wieder auf knirschendem Kies wieder lange Reihen biederer Mercedes- und BMW-Youngtimer abschreiten, die Michael zu bissigen Tiraden-Fetzen wie diesen animieren: "Diese allumfassende Gräulichkeit ist unerträglich" oder " Ich kann diesen Bürgermeister-Blues nicht mehr ertragen, abgewixte Lenkräder, altbackenes Velours, abgebrochene Antennen, rostbraun vernarbte Räder mit uralten Winterreifen."

Selbst der souveräne 500 SE in Größe XXL-140 mit den kultigen Peilstäben in den hinteren Kotflügeln und Vollausstattung findet keine Gnade. Der ignorante Orth kann den moribunden Pathos nicht verstehen, die ich in dem sterbenden Schwan sehe. "Von seinem Unkrautbeet neben einem limettengrünen Wellblechcontainer scheint er doch symbolisch meine Hand zur Rettung zu ergreifen. 1.900 Euro, begreif es doch Michael, nur 1.900 Euro! Neu hat das 326-PS-Dickschiff mal 116.200 Mark gekostet!

Der weiße Ford Escort XR 3i drüben rettet die Stimmung, Michael springt sofort drauf an. In diesem Moment gebe ich es auf, ihn weiter mit Mercedes- und BMW-Normalo-Schüsseln missionieren zu wollen. Unter 100.000 gelaufen, 2. Hand. "Technisch läuft gut", verspricht das Preisschild. Michael findet den sportlichen Escort mit seinen immerhin 105 PS ebenso individuell wie juvenil. Leider sind die Radläufe hinten bröselig. Nur 490 Euro sind jedenfalls eine Offenbarung für das niedliche Auto, das unbeschwert wie ein Kleinkraftrad wirkt.

Ehrliche G-Klasse

Dafür gelingt es uns, zwei Stunden später Bernd Schubbert von Automobile-München davon zu überzeugen, dass sein 94er Mercedes 300 GD mal wieder dringend Auslauf braucht. Gerade dieser lange Kasten fasziniert mich, er ist Nutriametallic, eine ebenso edle wie seltene Farbe, die so verführerisch wirkt wie die neueste Goldwell Coloration bei Senta Berger. Außerdem ist er ein ausgewachsener Station mit 2,85 m Radstand, er hat eine paar nette Extras, war früher mal tierisch teuer, geschätzte 87.000 Euro. Vor allem aber treibt ihn der unzerstörbare Dreiliter-Sechsszylinder-Saugdiesel mit stoischer Unaufhaltsamkeit voran. Michael moniert die 422.000 km Laufleistung.

"Ach, was sagt das schon aus, beschwichtige ich, guck dir mal an wie gepflegt der Wage ist innen wie außen, dazu alle Kundendienste und kürzlich erst ein neues AT -Getriebe. Dieser Station hat bestimmt nie Gelände gesehen." Auch wir toben uns nur auf der Straße aus, lassen den hinteren Schalthebel fürs Verteilergetriebe in Ruhe. Der erste Gang ist sehr kurz übersetzt, schnell in den zweiten, und die heftige 2,2 Tonnen schwere Fuhre nimmt gemächlich an Fahrt auf. "Unter 10.000 Euro sind gerade bei G-Modellen viele Blender unterwegs, der hier wirkt ehrlich.

Michael sieht man den Spaß am Lenkrad an, er genießt das einmalige Fahrgefühl. "Mein Youngtimer müsste maximal anders sein als mein Alltagsauto", sinniert er, "erst dann macht es Sinn. Also kein 5er, kein 124er, erst recht nicht der von dir so besungene 190er vorhin für 990 Euro. Du sammelst die Kisten, ich will nur einen. So ein Ding wie den wuseligen Stadt-Japaner mit Frotteeanzug, du weißt schon, den Mazda 323 für 850 Euro, den hätte ich sofort gekauft, wenn der Motor nicht so geölt hätte. Der steckt so voll in den Achtzigern, dass einem die Augen tränen."

Corvette im Rat-Look

"Maximal anders, genau!", überlege ich. "Lass uns doch beim Schubbert noch die Corvette ausfassen, ich bin noch nie Corvette gefahren. Außerdem finde ich den Rat-Car-Look cool." Der Low-Tech-V8 mit 245 PS und 448 Newtonmeter begeistert schon auf den ersten Kilometern mit brabbelndem Sound. Sein zupackendes Wesen wird nach Erreichen der nötigen Öltemperatur nur allzu deutlich offenbar. Michael bemängelt das schlechte Finish und das verwohnte Cockpit, zeigt sich aber von der Durchsetzungskraft des Antriebs begeistert. Den Batman-Folien-Look findet er peinlich: "Vorstadt-Strizzi-Kram von gestern".

"Lass uns zum Ostbahnhof zurückfahren", schlage ich vor. Den BMW 540i nochmal angucken, mit Schlüssel und so. Der ist auch maximal anders als dein Volvo V 70. 286 PS für 1.950 Euro, ein V8 wie die Corvette, mehr Leistung und dazu noch viel billiger." Michael nickt kraftlos. "Wie du dir die Schüsseln immer schön redest, macht mich echt fertig."