40 Jahre "Le Mans“

Leben mit Gott in Frankreich

Für einen Sommer lang veranstaltete der größte Star seiner Zeit in Le Mans das größte Rennspektakel, das die Welt je gesehen hatte, und mitten drin war ein kleiner Schwabe, der ausgezogen war, um die Welt zu sehen.

Steve McQueen, Otto Heeß Foto: Archiv 19 Bilder

Otto musste nicht zahlen, Otto hatte eine Freikarte. Es lag nicht daran, dass er den Kinobesitzer kannte. Schon als kleiner Junge durfte er im Vorführraum den riesigen Projektor bestaunen und sogar beim Wechseln der Filmrollen helfen. Als im Herbst 1971 der Film "Le Mans" im Universum in Backnang anlief, musste Otto nicht zahlen, um Steve McQueen zu sehen, sondern weil er ihn kannte - weil er dabei gewesen war.

Riesenaufwand für den 7,5 Millionen-Film

Im Sommer 1970 erfüllte sich Steve McQueen einen Jugendtraum. Er wollte nicht weniger als den echtesten Auto-Rennfilm drehen, den die Welt je gesehen hatte, und das beim berühmtesten Rennen der Welt. McQueen engagierte 41 Rennfahrer, von Jo Siffert bis Derek Bell, und mietete 20 Rennautos, darunter das komplette Ferrari-Werksteam und die Gulf-Porsche des Briten John Wyer. Es ist, als ob Johnny Depp beschlösse, einen Film über Fußball zu drehen und dazu Real Madrid und den FC Barcelona anheuern würde.

Im Rennen fuhren zwei Prototypen mit Kameras mit. McQueen wäre selbst angetreten, schließlich hatte er im Porsche 908 mit Peter Revson um ein Haar das Zwölf-Stunden-Rennen in Sebring gewonnen. Aber ein Einsatz des größten Filmstars seiner Zeit war der Produktionsfirma zu riskant. Siebeneinhalb Millionen Dollar waren zum Ende der Sechziger viel Geld, ein Zehntel davon sollte in die Taschen des Schauspielers wandern.

McQueens eigene Firma Solar- Productions mietete eine große Halle am Ortsrand von Arnage, der deutsche Produktionsleiter Hubert Fröhlich ließ zwischen Tertre Rouge und dem Circuit de Bugatti eine Barackensiedlung aufbauen, inklusive eines Hospitality-Zeltes, in dem ein Sternekoch aus Zürich die Crew versorgte. Was man nun noch brauchte, waren Mechaniker, um die Autos zu warten und zu transportieren.

Schon unter Herbert Linge Rennmechaniker

Otto Heeß war schon als junger Kerl ein gefragter Mann. Die Kfz-Lehre hatte er als Jahrgangsbester abgeschlossen, danach war sein erster Arbeitsplatz eine Werkbank in der Rennabteilung von Porsche. Unter Herbert Linge arbeitete Heeß an den Zwölfzylindern für die Porsche vom Typ 917. Mit dabei waren zwei Kollegen aus England, die sich für das Rennteam von John Wyer an den Rennprototypen schulen ließen. Englisch wollte Heeß schon immer mal lernen. Er bewarb sich schnurstracks in Slough und musste prompt bei Entwicklungschef Helmut Bott antreten: "Jetzt gehen Sie da mal hin, und wenn es Ihnen nicht mehr gefällt, dann kommen Sie zurück", sagte Porsches Techniklegende.

Die englische Industriestadt, der Linksverkehr, das Essen, das Wetter und das kleine Pensionszimmer waren nicht sonderlich einladend, aber der 23-Jährige blieb auch nicht lange auf der feuchtkalten Insel. Teamchef John Horseman schickte ihn schon nach fünf Monaten nach Frankreich. "Die drehen da einen Film. Du bleibst für drei Wochen da." Als die eigentlichen Dreharbeiten im Juni begannen, hatte die Crew schon 60 Kilometer Film vom Rennen zusammen.

Heeß trat morgens in der Garage an und fuhr, eskortiert von zwei Polizeimotorrädern, mit den Kollegen zum Drehort. Die Arbeitszeiten waren moderat. "Vor neun ging es nie los", erinnert sich Heeß. Die Arbeit bestand während des Tages meist aus Herumsitzen. Die Kameraleute brauchten mindestens eine halbe Stunde, um die nächste Einstellung vorzubereiten. Wenn der Regisseur dann: "Gentlemen, start your engines" rief, kippten die Mechaniker schnell Sprit in die Rennautos.

Die Schrauber und die Porsche 917 waren völlig unterfordert

Zu reparieren gab es nichts, Heeß durfte die Autos nicht einmal putzen, denn die Fliegen auf der Schnauze mussten ja auch in der nächsten Szene zu sehen sein. "Die hatten sogar einen Spezialisten, der die Autos eingedreckt hat", sagt Heeß. Langeweile hatten die Fahrer, die großenteils nur für ein paar Tage zum Drehen kamen. Wenn er nicht gerade den Regisseur in den Wahnsinn trieb, weil er - anders als im Drehbuch vorgesehen - wieder einmal unerlaubt überholte, versenkte sich Masten Gregory in Schachlehrbücher und überraschte seine Kollegen mit sizilianischer Verteidigung.

Jo Siffert holte gern einen Fußball raus, McQueen und Derek Bell düsten mit Cross-Maschinen durch die Gegend. Die Mechaniker hatten zwar wenig zu tun, aber selten Langeweile. Schließlich karrte das Filmteam regelmäßig mindestens drei Busse mit Komparsen an, darunter zahlreiche junge Mädchen. Je länger die Dreharbeiten dauerten, desto mehr Fotomodelle aus Paris lungerten am Set. "Wenn ich abends den Porsche zurück zur Garage fuhr, hatte ich meist ein hübsches Mädchen auf dem Notsitz", sagt Heeß. Dass der Zeitrahmen und die Kosten aus dem Ruder liefen, bekam Heeß nur mit, als Rennmanager Andrew Ferguson bei Wyer anrief, ob Heeß noch ein paar Monate bleiben könne. Der konnte gut mit dem Produktionsleiter, der ihm täglich die Ablaufpläne für die Mechaniker in die Hand drückte. Für einen Großteil der Beteiligten gestaltete sich der Sommer wie ein gigantisches Ferienlager.

Wilde Zeit mit vielen Mädels und schönen Schlössern

Das Wetter war nahezu immer schön, McQueen lief meist mit blankem Oberkörper durch die Gegend, man hatte diverse Schlösser angemietet, in denen es ebenfalls von Mädchen wimmelte. Hinter dem Filmstar saß ständig eine andere Schönheit auf dem Moped. Erst als seine Frau Neile mit Sohn Chad anreiste, hielt er sich ein wenig zurück. "Wir haben es schon doll getrieben" gesteht auch Otto Heeß. In dem halben Jahr an der Sarthe war er allenfalls ein Wochenende in Schwaben. McQueen und Siffert machten sich einen Spaß daraus, mit Rennautos durch das Filmdorf zu brettern bis das Hospitality-Zelt halb eingerissen war, und auch die Mechaniker hatten ihren Spaß. 

Einer bekam Ärger, weil er den Golfplatz von Mulsanne umgepflügt hatte, ein kleiner Franzose mit dem Spitznamen Asterix verbrachte einen Abend auf der Wache, weil er mit seinem Date im Rennauto ordentlich Lärm in der Innenstadt gemacht hatte. Die Dame seines Herzens fand das wenig erbaulich.

Alle aus der Film-Crew waren Stars in Le Mans

Otto Heeß war cleverer: Er ließ zuweilen auch die Flics im Porsche 917 mitfahren, um die diplomatischen Beziehungen zu verbessern. Die Schrauber tauschten zuweilen die Autos, denn es wollte jeder mal Ferrari 512 oder Corvette fahren. Ein bisschen heikel wurde es, als einer der teuren Prototypen abends nicht heil in der Garage ankam. "Von da an sollten nur noch die Fahrer mit den Autos fahren", sagt Heeß, aber das dauerte nicht lange, denn die Profis hatten keine Lust auf Verbindungsetappen. Otto Heeß brauchte keinen Porsche 917, um abends die Damen zu beeindrucken, er war neben McQueen und Regisseur John Sturgess einer der wenigen, der selbst einen Porsche zur Verfügung hatten.

Er durfte den 911 fahren, den John Wyer für Festlandsbesuche in Le Havre stehen hatte. Zum Tanken ging Heeß zu Sponsor Gulf, die kostenlos nachfüllten. Zu allem Überfluss gab es 100 Francs Spesen am Tag, dabei gingen für das Hotel nur 25 Francs drauf. Heeß muss grinsen: "Ich habe gelebt wie Gott in Frankreich." Abends ging es auf ein paar Schnecken oder Froschschenkel ins Restaurant, dann in die Bars und Discos.

In Le Mans wussten alle von der Hollywood- Truppe - wer dabei war, war ein Star, selbst die Mechaniker. Heeß sah schneidig aus, manche Mädchen hielten ihn für einen der Fahrer. Nur einer der Barbesitzer hielt ihn für einen Filou. Weil Heeß und ein Kollege ihm zwei Bardamen abspenstig gemacht hatten, stand der Verlassene plötzlich mit einer Pistole vor ihm und drohte mit Erschießung. Es gab ein bisschen Tumult, und so musste auch Heeß einmal bei Hubert Fröhlich zum Rapport antreten. Steve McQueen hätte über den Vorfall nur gegrinst.

Der Mime war vermutlich der größte Kindskopf von allen, seine Schauspielkollegin Elga Anderson rückblickend: "Er war ein komplizierter Mensch, der verzweifelt versuchte, erwachsen zu werden." Ernsthaft und professionell war der Filmstar vor allem, wenn er mit den Rennstars zusammen war. "Es war ihm wichtig, dass er von ihnen respektiert wurde", erinnert sich einer der Produzenten. Und McQueen respektierte alle, die aus dem Rennsport zum Filmteam stießen. "Er war immer höflich und nett, auch zu den Mechanikern. Er gab jedem die Hand. Wir saßen oft zusammen und haben ein Bier getrunken", schwärmt sein schwäbischer Mechaniker.

Den Film findet Heeß "ein bisschen langweilig"

Diese Nähe zum absoluten Superstar war nicht selbstverständlich. Alle britischen Schauspieler- Kollegen bekamen schon bei der ersten Besprechung zu hören, dass sie sich dem Amerikaner allenfalls "bis auf 20 Fuß" nähern dürften. Derlei Allüren konnte sich McQueen erlauben. "In diesen Jahren war er Gott", sagt rückblickend einer seiner Assistenten. Als sich im November das Ende näherte, schrieb Gott dem kleinen Mechaniker ein Autogramm: "Alles Gute, Steve". Dabei wäre es der Schauspieler gewesen, der gute Wünsche gebraucht hätte. 1979 wurde bei McQueen Krebs diagnostiziert. Ein Jahr später war er tot.

"Das hat mich damals wirklich betroffen gemacht", sagt Heeß. Der Film war kein Flop, er spielte 22 Millionen Dollar ein, und im Universum in Backnang wurde die Spielzeit zwei Mal verlängert. Doch gemessen am Werberummel und am getriebenen Aufwand war er nicht nur für die Filmkritiker eine Enttäuschung. Auch Otto Heeß meint: "All die Monate für zwei Stunden." Er hat ihn allenfalls drei Mal gesehen und findet ihn ein bisschen langweilig.

Nach England ging Otto Heeß nur kurz zurück, an die Porsche-Werkbank nie mehr. Nach Meisterschule und bestandenem Kfz-Betriebswirt verdiente er in der Autobranche als Vertriebsmanager viele Jahrzehnte gutes Geld, gründete eine Familie. Heute ist Heeß in Rente. "Le Mans" hat keinen Rennfan aus ihm gemacht und auch keinen Kinogänger, aber das macht nichts. Wenn er an diesen turbulenten Sommer in Frankreich zurückblickt, "war es die schönste Zeit meines Lebens."