Kevin Petersen und sein Trabant

Mann von Welt mit Trabbi

Der IT-Spezialist Kevin Petersen will mit seinem Trabant 601 L durch jedes Land der Welt reisen. Seit drei Jahren ist er unterwegs, nicht am Stück, sondern in einzelnen Etappen. Eine Zwischenbilanz.

Trabant P 601 L, Kevin Petersen Foto: Hardy Mutschler 23 Bilder

Der Plan klingt ziemlich verwegen. Man könnte das Unterfangen von Kevin Petersen durchaus als überaus ambitioniert bezeichnen: Der Mann aus dem kleinen Ort Gehrden bei Hannover will mit seinem papyrusweißen Trabant P 601 L, genannt "Roadrunner", jedes Land der Welt bereisen. Nicht am Stück, sondern in mehreren Etappen pro Jahr. Die Eiswüste Sibiriens, das australische Outback und die Passstraßen Tibets sind dabei nur einige Punkte, von denen der 23-jährige IT-Spezialist derzeit träumt.

35.000 km und 29 Länder

Durch 29 Länder ist Kevin Petersen in den vergangenen vier Jahren bereits mit seinem Trabant gefahren, hat dabei knapp 35.000 Kilometer zurückgelegt. Kreuz und quer durch Europa (quasi die Aufwärmrunde), ein erster Abstecher auf den afrikanischen Kontinent (Marokko) sowie nach Asien (Türkei). Fehlen also noch 166 Länder. Die größte Herausforderung? "Vermutlich Nordkorea", erklärt der Mann.

Aber auch die indonesische Inselwelt könnte logistisch eine eher komplizierte Angelegenheit sein, ebenso mancher Staat in Afrika oder Zentralasien. "Aber so, wie es den Ägyptern gelungen ist, Pyramiden zu bauen, wird es mir gelingen, die gesamte Welt zu bereisen", schmunzelt Petersen. Seine ganze Kraft scheint er aus einer beneidenswerten jugendlichen Begeisterung für eine große Idee zu schöpfen.

Und: Wer ihm zuhört, zweifelt nach einer Weile keinesfalls am Durchhaltewillen des jungen Hannoveraners. Ruhig, fast schon bescheiden, erklärt der Trabant-Fan seine Vision, zeigt sich bestens informiert über seine jeweiligen Reiseziele, kennt die genauen Routen, seine geplanten Etappen in- und auswendig. Hier redet kein Schwätzer, sondern einer, der offensichtlich ganz genau weiß, was er tut. Und der diese Nummer wahrhaftig durchziehen will. Allein. Ohne nennenswerte Sponsoren, ohne zusätzliches Service-Team, ohne Netz und doppelten Boden.

Zu viel unnützes Zeug in modernen Autos

Aber warum ausgerechtet ein Trabant, wenn es für eine solche Weltreise doch garantiert geeignetere Fahrzeuge gibt? Petersen lacht, er hat diese Frage schon ziemlich oft gehört und muss nicht lange nach einer Antwort suchen. Sein Trabant befinde sich bereits seit 1993 in Familienbesitz, und nach bestandener Führerscheinprüfung im Jahr 2008 hätte er seine ersten Fahrten damit unternommen.

"Mir gefällt das Auto ganz einfach", erklärt Petersen, der modernen Fahrzeugen nichts abgewinnen kann. Zu viel unnützes Zeug und zu viel Elektronik. Der Reise-Fan hält nicht einmal eine Tankanzeige in einem Auto für zwingend erforderlich: "Mir genügt ein Reserveschalter, so wie bei meinem Trabant." Und noch etwas spricht aus der Sicht von Kevin Petersen für seinen P 601, Baujahr 1982, als optimales Fernreisemobil: "Das Auto hat im Alltag immer gut funktioniert." Daher sei er sich inzwischen absolut sicher, dass der Trabi ihn auch im Ausland niemals im Stich lassen würde.

Als dementsprechend kurz entpuppt sich dann auch die Liste der mitgeführten Ersatzteile. Petersen hält neben einer überschaubaren Werkzeug-Grundausstattung nur einige Basics wie Kabelbinder, Klebeband oder Keilriemen für zwingend erforderlich. Zur Sicherheit liegen jedoch gleich mehrere Lichtmaschinenhalterungen im Kofferraum. "Diese Halterungen brechen ständig."

8.000 Kilometer in neun Tagen

Trip Nummer eins führt im Jahr 2010 von Hannover über München nach Genua und zurück. 16 Tage Resturlaub genügen, um rund 4.200 Kilometer abzuspulen, um die Grenzen des Machbaren auszuloten. Beim Auto und bei sich selbst. Er kalkuliert rund 400 bis 500 Kilometer pro Tag. Unterwegs führt er genau Buch, denkt bereits in größeren Dimensionen. Um den Überblick zu behalten, erhält ab sofort jede Etappe seiner geplanten Weltreise einen eigenen Namen: den Italien-Trip nennt Petersen GTG ("Go Trabi Go").

Noch im gleichen Jahr bricht Petersen zu seiner zweiten großen Tour auf, die er EUNA tauft: "Europa–Nordafrika". Die Route führt durch Belgien, Frankreich und Spanien bis Marokko, rund 8.000 Kilometer in nur neun Tagen. "Eigentlich wollten wir zu zweit fahren, doch dann ist mein Bekannter eine halbe Stunde vor dem Start abgesprungen", erklärt Petersen.

Egal. Er fährt allein in Richtung Süden, will es unbedingt bis Marrakesch schaffen, pusht sich und den 26 PS starken Trabant bis an Limit. Fast 1.000 Kilometer pro Tag, um die Nummer wie geplant durchzuziehen. "Das war wie ein Rausch", erinnert sich Petersen heute noch. "Ich war so mit dem Fahren beschäftigt, dass ich tagsüber sogar vergessen habe, etwas zu essen." Diese Nummer sei allerdings schon ziemlich hart gewesen.

Die Tricks des Weltreisenden

Doch er findet allmählich Gefallen an der Nonstop-Fahrerei. Pausen? Klar, aber oft nur für wenige Stunden. Oder um zu schlafen. "Gerne auch im Auto, um Zeit und Geld zu sparen", erklärt Petersen. Sein Bett sei dann der Fahrersitz, und er habe sich inzwischen daran gewöhnt, die Nächte aufrecht hinter dem Steuer in einem Schlafsack zu verbringen.

Dazu würde er aus Sicherheitsgründen stets einen Lkw-Rastplatz aufsuchen und das Auto dabei so parken, dass er im Notfall sofort starten könne: "Der Schlafsack ist unten natürlich offen, damit meine Füße jederzeit an die Pedale kommen." Aber er fühlt sich wohl auf der Straße, das ständige in Bewegung sein entwickelt sich zur Leidenschaft. Lange Strecken wie nach Sibirien oder durch Alaska verlieren plötzlich ihren Schrecken.

2011 folgt abermals ein Trip ans Mittelmeer, diesmal nach Monaco, Petersens ganz persönliche "Rallye Monte Carlo" RMC). Rund 4.000 Kilometer in acht Tagen inklusive eines vorab geplanten Motortauschs in der Werkstatt seines Onkels in Bayern: "Aber das war nur vorsorglich, weil der alte Motor bereits 108.000 Kilometer weit gelaufen war." Das neue Triebwerk hatte Petersen im Kofferraum mitgeführt. Bei seinen Reisen will er möglichst wenig dem Zufall überlassen.

Die folgende Etappe durch die Schweiz zählt bis heute zu Petersens schönsten Fahrerlebnissen. Dass der Trabant auf den Passstraßen bergauf als rollendes Hindernis schon mal böse Blicke auf sich zieht, nimmt er gelassen. Denn ansonsten kommt sein Auto gut an. "Besonders im Ausland schauen die Leute neugierig", erklärt Petersen. Nur in Monaco hätte man ihn einmal recht unfreundlich darauf hingewiesen, dass sein kleiner Zweitakter doch ziemlich stinken würde.

Europakarte von 1982 weist den Weg

Im Sommer des gleichen Jahres zieht es Kevin Petersen in Richtung Westen. Amsterdam, Brüssel, Luxemburg, Le Havre, Calais. Sechs Tage für 3.887 Kilometer. Der Name der Etappe: "Le pont de Normandie". Um sich zurechtzufinden, vertraut der Trabant-Pilot wie bei allen bisherigen Reisen ausschließlich auf eine bereits mehrmals geklebte Europakarte von 1982, dem Geburtsjahr seines Autos.

Moderne Navigationsgeräte kommen für ihn absolut nicht infrage, ihm genügt eine grobe Übersicht über die wichtigsten Fernstraßen. "Großstädte wie Paris oder Wien sind doch ohnehin leicht zu finden", erklärt Petersen. Und da er nie ein bestimmtes Hotel oder sonstige Adressen suchen müsse, reiche ihm eine Übersichtskarte.

Im Frühsommer 2012 treibt Kevin Petersen seinen Trabant erstmals in Richtung Osten. Von Hannover über Bratislava, Belgrad und PriStina bis Istanbul und über Bukarest, Warschau und Berlin zurück ins heimatliche Niedersachsen. 13 Tage ist Petersen unterwegs, legt dabei rund 7.500 Kilometer zurück. Einziger Rückschlag: eine defekte Lichtmaschine. Das passende Ersatzteil? Diesmal wohl eher zufällig an Bord.

Eis auf der Scheibe. Von innen

Bei seiner nächsten Tour im Dezember 2012 durch Nordeuropa bis hoch zum Nordkap lässt das Glück den Reiseprofi jedoch erstmals im Stich. Petersen übersieht auf der Suche nach einem Parkplatz im Schnee eine hohe Kante, der Querlenker vorne rechts ist verbogen, der Trabant fahruntüchtig. Es vergehen vier Tage, bis aus Deutschland ein Ersatzteil eintrifft. Vier Tage, die Petersen im Schneetreiben und bei Temperaturen von bis zu minus 12 Grad in einem dicken Expeditionsschlafsack tapfer im Auto aushält.

Um nicht zu erfrieren, dient eine Petroleumlampe im Fußraum als Heizquelle. Trotzdem bildet sich allmählich eine dünne Eisschicht auf den Scheiben. Von innen. "Zum Glück habe ich in der Nähe ein Haus entdeckt, wo ich mich zwischendurch aufwärmen und auch mal duschen konnte", erklärt der junge Mann.

Kälterekord in Skandinavien

Wenige Tage später erreicht Petersen doch noch das Nordkap, fährt mit dicken Handschuhen an den Händen über Finnland und Schweden zurück, erlebt bei minus 20 Grad seinen bisherigen Kälterekord.

Dem Trabant scheinen diese Temperaturen allerdings kaum etwas auszumachen, dabei verfügt er als Kälte-Sonderausrüstung neben den Winterreifen und Ketten einzig über eine zusätzliche Batterie im Kofferraum. Nur die Heizung des Autos kommt angesichts dieser Temperaturen endgültig an ihre Grenzen. "Ich konnte nur noch mit Mühe ein kleines Guckloch in der Scheibe freihalten, sonst war alles zugefroren", erinnert sich Kevin Petersen.

Komplettrestaurierung in 2013

2013 gönnt der Mann aus Niedersachsen sich und seinem Auto eine Reisepause. Der Trabant wird bis auf die letzte Schraube zerlegt, erhält eine Komplettrestaurierung. Statistisch gesehen traten bei dem Auto in den vergangenen vier Jahren 16 Pannen auf (im Schnitt alle 2.000 Kilometer), deren Behebung länger als eine Stunde dauerte.

Das Logbuch verzeichnet weiter einen Werkstattbesuch, zwei kleinere Unfälle, zweimal Hilfestellung durch den ADAC sowie einen durchschnittlichen Benzinverbrauch von zehn Litern pro 100 Kilometer. Kevin Petersen ist ein akribischer Mensch, will wissen, woran er bei dem Trabant ist, bevor die wirklich langen Etappen anstehen.

In der Zwischenzeit dient ein zweiter Trabant als Alltagsfahrzeug, ein P 601 K, also die Kombiversion des Ost-Klassikers. Eigentlich das vernünftigere Reisefahrzeug, findet selbst Petersen und denkt dabei an die Liegefläche, die sich ganz offensichtlich besser zum Schlafen eignen würde als ein Fahrersitz. Doch ein Wechsel der Pferde kommt für ihn nicht infrage: "Ich habe die Nummer mit meinem Roadrunner angefangen, also bringe ich das Projekt auch mit diesem Auto zu Ende."

Einmal nach Sibirien und zurück

Im Sommer 2014 will Kevin Petersen mit seinem Auto seine bisher längste Etappe in Angriff nehmen. Einmal Novosibirsk und zurück. Auf dem Weg dorthin wird er durch Warschau, Moskau und das kasachische Astana fahren, zurück durch das Baltikum. Ein Trip von rund 14.000 Kilometern.

Der Trabant steht inzwischen reisefertig in der Garage, glänzt mit einem neuen Ex tra: Ein 230-Volt-Spannungsregler sorgt nun dafür, dass Kamera und Handy sich während der Fahrt aufladen lassen. Um für die großen versorgungslosen Distanzen gerüstet zu sein, plant Petersen einzig die Mitnahme von zusätzlichen 25 Litern Benzin, untergebracht im Kofferaum sowie auf dem Dachgepäckträger. 40 Tage Urlaub sind bereits eingeplant. Aber Petersen vermutet, dass er ein paar Tage eher zurück sein wird.

Wer Kevin Petersen bei seinen Abenteuern folgen will: www.globetrabi.de.