Rallye Allgäu-Orient

Im Benz nach Baku

Das Abenteuer, heißt es in der Ausschreibung der Rallye Allgäu-Orient, sei kalkulierbar. Kalkulierbar sind Aktionen, denen man sich mit Vernunft nähert. Was die sechs Freunde vom Team Taxitobaku erfahren haben: Im Fall der Rallye Allgäu-Orient hilft es eher, für das Unkalkulierbare offen zu sein.

Rallye Allgäu-Orient, Zeljko, Jürgen Foto: taxitobaku.de 39 Bilder

Vernünftig betrachtet muss die Sache ein Debakel werden. Man kauft ein billiges Auto, eine Hütte um die 1.000 Euro, oder einen mindestens 20 Jahre alten Karren. Was schon mal eine Ansage ist, wenn man damit in 16 Tagen über 6.000 Kilometer zurücklegen will. Bei einer Rallye noch dazu, denn das genau will die Allgäu-Orient sein, "eine Low-Budget-Rallye für Leute, die das kalkulierbare Abenteuer suchen".


Positiv verrückt zu sein hilft bei der Allgäu-Orient-Rallye

Gut, um fair zu bleiben: Es heißt im nächsten Satz der Ausschreibung schon, dass es helfe, positiv verrückt zu sein und ein starkes Team. Anders ausgedrückt: Wenn Sie alle Tassen im Schrank haben (und so das Abenteuer kalkulieren könnten), ist die Allgäu - Orient nichts für Sie. Und wenn Ihre Mitfahrer ein bisschen schwach in Nerven gekleidet sind, dann ebenfalls nicht.

Doch selbst wenn die unerfüllbaren Voraussetzungen erfüllt sind, und Sie sagen: Super, da machen wir mit! - im Moment des Erfolgs, wenn alles, auch öffentliche türkische Toiletten, rumänische Nebenstraßen und Schwarzgebrannter in Bulgarien, überstanden ist, am Ziel in Baku wird eines warten: der Schmerz, die Trennung, ein Abschied von den treuesten aller Gefährten, sprich, von den Gefährten. Das ist die Idee: Die Autos werden am Zielort als Spende zurückgelassen. Was auch immer sie dort wert sind, kommt lokalen Hilfsprojekten zu Gute.

War es dieser schöne Gedanke, der die Freunde Florian, Fritz, Jürgen, Michael, Peter und Zeljko dazu brachte zu sagen: Super, da machen wir mit? War es das Alter? Zwischen 40 und 50 kann man sich immerhin Unvernunft erlauben, ohne gleich Dummheiten zu machen. Oder war es die Ahnung, dass es gerade das nicht Kalkulierbare sein würde, das diese Rallye für sie alle zu so einem besonderen Erlebnis machen würde, die Art von Erlebnis, die sich nur dann einstellt, wenn man nichts großartig will, und eben deshalb für alles offen ist? Ein bisschen was von alledem. So wie auch die Allgäu-Orient ein bisschen was von allem ist: Herausforderung und Abenteuer, Wahnsinn und Wohltätigkeit.

Bis zu 18 Stunden pro Tag auf Achse

Morgens früh schon schlägt die Sonne heiß durch die großen Scheiben. Oder der Regen trommelt auf die Dächer der drei 124er-T-Modelle, die das Team Taxitobaku tagsüber bewegen - und nachts ruhen lassen, Rückbank umgeklappt. Zähne putzen, ein Schluck Wasser ins Gesicht. Irgendwo ein Klo? Wohin fahren wir heute? Noch jemand Dosenwurst zum Frühstück? Mein Gott, wie siehst du denn aus? Fahren im Auto, schlafen im Auto, und fahren natürlich immer länger als schlafen. An manchen Tagen zehn, an anderen zwölf und einmal, auf der längsten Etappe, ist das Team Taxitobaku von Österreich durch Ungarn in den Nordwesten Rumäniens 18 Stunden unterwegs.

Längst ist es dunkel, der Schnitt, ohnehin selten besser als 50, geht weiter runter, 40, 30. Die auf den Dächern der Autos montierten Lampen werfen ihr Licht auf Asphaltreste, die auf der Karte als Straße verzeichnet sind. Die Schlaglöcher sind groß wie Kinderbadewannen und so tief, dass der halbe Wagen darin verschwinden würde. Meinst du wirklich, hier lang? Sag' du's mir, ich versteh' auch nicht, was auf den Schildern steht.
Am nächsten Morgen stehen im Hof eines Heims in Petresti 50, 60, 70 Kinder um die Autos. Sie bekommen Spielsachen, Fußbälle, Trikots, Straßenkreiden, Malblocks und solche Sachen, aber das bei weitem größere Geschenk ist das, was Florian, Fritz, Jürgen, Michael, Peter und Zeljko an diesem Tag von den Kindern zurückbekommen. Es ist nicht zu sehen, aber umso deutlicher zu spüren: Freude.

Dosenbier als Gastgeschenk

Und wie immer ist sie, die Freude, das perfekte Hintergrundrauschen für überraschende Erlebnisse, abenteuerliche Zwischenfälle und den guten alten Spaß, der sich jeden Tag einstellte, jeden. Beim Mondschein trinken in Sinomorec an der bulgarischen Schwarzmeerküste, wo die Gastgeber plötzlich diese Flaschen ohne Etikett auf den Tisch stellen, an unzähligen Tankstellen, wo eine der 400 als Spende mitkutschierten Dosen Stuttgarter Hofbräu aus jedem der wildfremden Lastwagenfahrer eine Begegnung macht und an den Abenden, an denen alle Teams in einem der improvisierten Fahrerlager zusammenkommen.

Zum Beispiel vor der Sultan-Ahmed-Moschee von Istanbul. Zur Abwechslung stecken die Freunde des Teams Nummer 96 nicht im eigenen Mief, sondern nach dem Besuch eines Hamams mal wieder sauber in neuen weißen Kunstfaser-Anzügen vom Basar. Wollen wir die Dinger kaufen? Was für eine Frage, 12 Euro das Stück. Die nehmen wir mit. Und nachher, im Fahrerlager, machen wir einen auf Best-Ager-Balkan-Boygroup. Die Jungs mit den drei Heckflossen-Daimlern schmeißen sicher wieder ihre mobile Disko an. Der Plan geht auf. Am Ende tanzt der ganze Platz, alle, sogar japanische Touristen machen mit, und auch ein paar angejahrte Ladies mit Kopftuch und Schleier wiegen hin und her.

Die Ölwanne reißt auf

Die drei Vierzylinder waren bis dahin klaglos gelaufen, obwohl sie mit noch weniger Pflege auskommen mussten als die, die drinsaßen und auch nicht groß auf die Härten der Rallye vorbereitet worden waren. Frische Bremsbeläge, neue Gummis am Auspuff, ein Motorcheck - Öl drin, Kühler dicht, Kerzen ok? Das war’s im Wesentlichen. Und es hätte an Zuwendung gereicht, um die drei Kombis auf Umwegen ans Ziel nach Baku, die Hauptstadt von Aserbaidschan, zu chauffieren. Wenn nicht einer dieser Umwege eine Sonderprüfung über unbefestigte Feldwege gewesen wäre. Es rummst nur kurz am Unterboden von S-TB 962, dann brennt die Ölleuchte, weil es die Wanne aufgerissen hat.

Na toll, kommt einer in der Gegend von Bogazkale mit passendem Ersatzteil vorbei? Nein, aber ein Auto, in dem an diesem Tag der Gouverneur der zentralanatolischen Provinz die Rallye begleitet. Der Gouverneur steigt aus, schüttelt Hände, lässt Bilder machen und zwei seiner Polizisten zurück: Ihr seht zu, dass der Wagen in die Werkstatt geschleppt und heute noch wieder flott gemacht wird, klar? Klar. Polizeifunk, Abschleppwagen, Werkstattmeister Ahmet mit Kittel über Anzug und Lackschuhen - es ist Sonntag - und wenig später ist die Wanne geschweißt. Dass sie dicht hält, stellt Ahmed mit einer Probefahrt sicher: 120 durch die Innenstadt. Ist schließlich ein Rallyewagen, oder nicht?

Drei W124er als Rallyeautos, Wohnwagen und Weggefährten

Nicht nur. Die drei 124er sind Rallyewagen, Wohnmobil und Weggefährten, vor allem aber immer wieder Vehikel der Völkerverständigung. Zum Beispiel in Georgien. Das Ziel ist nicht mehr weit und noch immer nicht alles an Hilfsgütern verteilt. Was machen wir? Einfach wild drauflosschenken? Nein. Wie wäre es, wenn wir eine Schule suchen und da ...? Okay, gut.

Die Suche nach einer Schule in der georgischen Provinz endet nach mehreren Irrwegen vor einem bewaffneten Uniformierten in militärischem Sperrgebiet. Bloß weg. Im nächsten Ort finden sie die Schule ebenfalls nicht. Aber die Schule findet sie, als das Team gerade beschließt, die Suche aufzugeben. Frau Kwirikaschwili ist kompakt, Mitte 50 und glaubt es kaum. Sprechen Sie deutsch? Ja, wir kommen aus Deutschland. Augen auf, Kopf schütteln: Ist nicht wahr! Ich habe noch nie mit Deutschen gesprochen. Aber Sie sprechen so gut deutsch. Ja, weil ich Deutschlehrerin bin, wissen Sie. Das Klassenzimmer ist tapeziert mit Bildern deutscher Nobelpreisträger, Postern mit deutschen Autos, ausgebleichten Ansichten deutscher Städte und mittendrin sitzen drei Dutzend Mädchen und Jungen, die von der Lehrerin dirigiert zu singen beginnen: Einigkeit und Recht und Freiheit ...

16.000 Euro Spenden gesammelt

Vielleicht ist das die Art von Erlebnis, die es am Ziel der Allgäu-Orient doch leichter macht als gedacht, sich von den Autos zu trennen. Sicher ist der Wert solcher Erfahrungen nicht zu kalkulieren. Aber genauso sicher ist, dass er weit über dem Wert liegt, auch dem ideellen, den drei alte 124er-T-Modelle nach dieser Rallye haben können. Und ohne Zweifel sind die zwei Wochen Allgäu-Orient für Florian, Fritz, Jürgen, Michael, Peter und Zeljko sogar wertvoller als die Spenden, die sie als Team Taxitobaku für das Stuttgarter Kinderhospiz und den Verein Sinnvoll Helfen gesammelt haben: 16.000 Euro.

Tipps für Teilnehmer der Rallye Allgäu-Orient

Gestartet wird in Teams zu sechs Leuten und drei Fahrzeugen, Startgebühr pro Person: 222,22 Euro. Zugelassen sind Fahrzeuge, die mindestens 20 Jahre alt oder maximal 1111,11 Euro wert sind.

Die Fahrzeuge müssen zugelassen und versichert sein. Sie verbleiben als Spende am Zielort. Ein Roadbook gibt Etappenorte vor, ansonsten gilt freie Streckenwahl, Autobahnen und Mautstraßen dürfen nicht befahren werden, Navis sind tabu.

Übernachtungen dürfen im Schnitt nicht teurer sein als 11,11 Euro, Formalitäten (Visa, Versicherungen etc.) sind von den Teilnehmern selbst zu regeln. Es gibt keine Zeitwertung. Die Rallye unterstützt Hilfsorganisationen und lokale Projekte, es geht nicht um Tempo. Dennoch wird ein Sieger ermittelt. Erster Preis ist ein Kamel.

Die Anmeldung für die Allgäu-Orient 2013 läuft unter www.allgaeu-orient.de. Mehr Infos übers Team 96 unter www.taxitobaku.de.