Ferrari 250 Testa Rossa im Fahrbericht

Scagliettis Meisterwerk

Ein rennroter Ferrari 250 Testa Rossa war die siegreichste Verführung, mit der die Italiener 1958 die Sportwagen-Piloten lockte. Die spektakuläre Linienführung und der Dreiliter-Motor machen ihn zum Traumwagen. Motor Klassik erliegt den 300 PS im V12-Kraftprotz schon beim Blind Date.

Ferrari 250 Testa Rossa Foto: Dino Eisele 14 Bilder

Gewisse Kurven wirken mindestens doppelt so begehrenswert, wenn sie rot sind. Das gilt nicht etwa nur für schicke Damen wie Kelly LeBrock, die Gene Wilder 1984 in der Hollywood-Komödie "Woman in Red" zu Boden knuddelte. Das gilt auch für klassische Spider in ihrer sündigsten Form, zum Beispiel den Ferrari 250 Testa Rossa.

Dieser Testa Rossa hat einen Garagenbrand überlebt

Seine einst bei Scaglietti handgeschlagenen Aluminium-Kotflügel bilden eine wilde Sinuskurve der Verheißung zwischen den Wendepunkten Vollgas und Bremsen, und damit ist der Ferrari 250 Testa Rossa ein halbes Jahrhundert lang zum Anbeißen verführerisch geblieben. Woran mal wieder deutlich wird, dass technische Kurven von klassischen Rennwagen eben doch mehr Langzeitqualitäten besitzen als die biologischen.

Vor mir steht die Chassisnummer 0720, der erste im Januar 1958 für den Kundensport gefertigte Ferrari 250 Testa Rossa, den der amerikanische Ferrari-Importeur Luigi Chinetti für den Herrenfahrer Jim Johnston aus Cincinnati/ Ohio in Maranello orderte. 0720 hat im Lauf seines bewegten Lebens außer diversen Rennunfällen auch einen vernichtenden Garagenbrand überlebt, weshalb der Wagen eine neue Karosserie trägt und keine Furcht mehr kennt. In solche Autos steigen Testa-Rossa-Novizen besonders gerne ein. Ein Testa Rossa ist aber im Grunde seines Space- Frame sehr kompakt: Nur eine Handbreit länger als vier Meter, der Radstand beträgt 2,35, das Spurmaß liegt bei 1,30. Das Türchen gibt den Einstieg in den Ferrari 250 Testa Rossa frei, und wer jetzt sagt, nur Warmduscher betreten einen Testa Rossa durch die Tür, der soll sich mal die Bilder vom 12-Stunden-Rennen in Sebring 1958 anschauen.

Ein angesäuerter Mike Hawthorn flankt da von rechts in den linksgelenkten Werks-TR, tritt dabei eine Riesenbeule in den rechten hinteren Alu-Kotflügel und zerfetzt dann die Beifahrer-Persenning. Von Autos mit einem achtstelligen Versicherungswert lässt sich der Fahrer heute besser normal ansaugen. Überraschend erweist sich der Ferrari 250 Testa Rossa als geräumig. Platz ist genug da, auch für Piloten jenseits der Gardemaße, und selbst die Pedale stehen so weit frei, dass man beim Auskuppeln nur auskuppelt und nicht noch gleichzeitig bremst. Angenehm.

Moment der Andacht - der Ferrari-V12 erwacht

Der Zündschlüssel des Ferrari 250 Testa Rossawill zwei Rasten gedreht sein, dann brennen alle Kontrollleuchten. Und jetzt? "Drück den Schlüssel rein", ruft Ervin, "und dann lass ihn erst ein bisschen warm werden." Ervin Hajdu von Italauto aus dem schwäbischen Köngen pflegt den TR professionell und hat ihn auf die Neue Messe Stuttgart gebracht - zur Probefahrt. Also den Schlüssel in das Schloss hineindrücken. Der Anlasser wimmert, doch bevor es hysterisch wird, hat er schon wieder Pause. Mit dem Räuspern eines Drachens nach dem Winterschlaf erwacht der Dreiliter-V12 im Ferrari 250 Testa Rossa zum Leben. Sechs Weber-Doppelvergaser vom Typ 38 DCN 3 versorgen die zwölf Brennräume mit Sprit, der allerdings 100 Oktan haben sollte.

Der Testa-Rossa-Prospekt von 1958 verspricht 300 PS bei 7.200/min nur im Verbund mit dem hochoktanigen Saft, Tribut an die Verdichtung von 9,8:1. Im 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1958 richtete Klingelwasser unter den Borgo-Kolben der zehn gestarteten Ferrari 250 Testa Rossa ein Massaker an. Sieben fielen aus, nur drei kamen durch. Einer jedoch auf dem ersten Platz, gefahren von Phil Hill und Olivier Gendebien.

Zurück zur Neuen Messe. Als Erstes fliegt das bislang sorgsam konservierte Urteil über Rennwagen der 50er Jahre - eng, unbequem, Opfer verlangend aus Blut, Schweiß und Tränen - in hohem Bogen auf die Schrotthalde unzutreffender Allgemeinplätze. Der Ferrari 250 Testa Rossa ist ein zum Auto gewordener Traum aus vorbildlicher Bedienbarkeit, wunderbar passender Ergonomie und einem seidenweich packenden Motor. Der V12 brüllt nach dreimaligem Freihusten aus voller Lunge, reagiert dann aber höchst akkurat und sensibel auf den Gasfuß.

Mit der längsten Übersetzung bis zu 270 km/h schnell

Die Zweischeiben-Kupplung trennt so weich, dass im ersten Moment der Verdacht auf eine defekte Betätigung aufkommt. Die geringe Kraftanstrengung ist aber serienmäßig. Die Überraschung ist das Getriebe des Ferrari 250 Testa Rossa. Im gewohnten H-Schema hält die Kulisse vier Vorwärtsgänge bereit, der mechanisch verriegelte Rückwärtsgang liegt hinten rechts. Nichts erinnert an die Unarten noch kalter Ferrari-Getriebe späterer Generationen, sich gerne lang gegen den ersten Gang zu sträuben. Zack, ist er drin, einkuppeln, und mit 1.500 Umdrehungen schnürt der rote Ferrari 250 Testa Rossa ab - sprungbereit und fertig für die Jagd.

Auf die muss beim Probegalopp jedoch noch verzichtet werden. Neben dem Messegelände verläuft die hier auf 120 km/h begrenzte A 8, und die Geschäftsführung der Messe Stuttgart hat darum gebeten, auch im Saal dieses Limit nicht zu überschreiten. Selbst mit der kürzesten von sechs lieferbaren Hinterachs-Varianten wäre das spielend möglich: Die für Bergrennen gedachte 7: 34-Achse macht den Ferrari 250 Testa Rossa immer noch 198 km/h schnell, während die Avus-Übersetzung mit 9:32 glatte 270 verspricht.

Was bleibt, ist das Genießen der leichtfüßigen Manövrierbarkeit des Ferrari 250 Testa Rossa. Der Kontakt zur Straße stellt sich spielfrei ein. Die Lenkung vermittelt präzise Rückmeldung, gepaart mit angenehmer Leichtgängigkeit. In der Diagonale der 15.000-Quadratmeter- Halle 1 rutscht vor dem Anbremsen gerade noch der vierte Gang hinein, allerdings mehr aus Gründen der Vollständigkeit als aus Drehzahl-Nöten.

Jahrhundert-Entwurf von Sergio Scaglietti

Die riesigen Alfin-Trommelbremsen der ersten Ferrari 250 Testa Rossa-Serie werden beim Kennenlernen zwischen den Messehallen nicht warm. Sie verzögern zwar gleichmäßig, verlangen aber einen Berserker am Pedal. Paul Frère, 1960 zusammen mit Gendebien im Testa Rossa Sieger in Le Mans, erinnerte sich einst: "Zum Ende der Rennen hin mussten wir immer so fest drauftreten, dass ich Angst bekam, das Pedal würde abbrechen." Mit der Ferrari 250 Testa Rossa-Legende fest vernietet ist die Geschichte seiner unglaublichen Form, in der sich Schönheit und Brutalität dergestalt verbinden, dass nicht nur Ferrari-Fans von einem Jahrhundert-Entwurf sprechen. Verantwortlich für das Blechwerk ist kein Geringerer als Sergio Scaglietti.

Der Mann aus Modena betrieb seine Karosseriebaufirma genau gegenüber des alten Domizils der Scuderia Ferrari. Dem Pebble-Beach-Juror Winston Goodfellow erzählte Scaglietti einst die Hintergründe seiner Arbeit: "Enzo Ferrari ließ damals die Chassis anliefern, machte eine Runde bei uns und deutete dann auf die Fahrgestelle - das da wird ein Coupé, das da ein Spider. Zeichnungen oder Modelle wollte Ferrari nie sehen. Mir war das auch viel zu umständlich. Wir bauten in drei Tagen eine Holzform, verbanden die Querschotts mit dünnem Rohr und hatten so die Konturen, nach denen wir sofort Bleche hämmern konnten."

"Um den Federweg desFerrari 250 Testa Rossa von 20 Zentimetern zu simulieren, stellten wir auf die Räder leere Lackbüchsen, die genauso hoch waren. Schon wussten wir, wie viel Freiraum ein Radlauf geben muss. Natürlich gab es bei so viel Handarbeit kleine Abweichungen in den Maßen. Wenn ich frühmorgens die Halle betrat, konnte ich sehen, dass die am Tag zuvor gefertigten Kotflügel bisweilen um einen Zentimeter voneinander abwichen. Aber so war das damals eben."

Die unvergleichliche Form des Ferrari 250 Testa Rossa hat dabei, unvermeidlich, Vorläufer. Die Prototypen basierten auf dem verlängerten Chassis des ebenfalls von Scaglietti karossierten 500 TRC, einem Vierzylinder-Spider. Auch der 290 MM spielte eine Rolle, und wenn man in den Ferrari-Annalen noch weiter zurückblättert, stößt man 1953 auf den Pinin-Farina-Entwurf einer Barchetta auf 375-MM-Basis.

Der Spider spielt bereits das augenfälligste Ferrari 250 Testa Rossa-Thema: Hinter dem Vorderrad fehlt das geschlossene Außenblech des vorderen Kotflügels, was dem Ferrari 250 Testa Rossa einen Hauch von Formel 1 verleiht und auf die Rennsport-Kavaliere so wirkte wie Marylin Monroe, wenn sie Bein zeigte. Nackt bis aufs Stehblech. Und den pontonförmig hervorragenden Rundungen der vorderen Kotflügel begegnen wir sogar schon 1952, auf Zeichnungen des Vignale-Designers Giorgio Alisi. Er entkleidete einen 340 Mexico zur Barchetta.

Ferrari und Scaglietti - Verkauf im Paket an Fiat

Scaglietti, der es ja mit dem Zeichnen nicht so hatte, legte stets Wert auf sein Augenmaß: "Um mich über Trends zu informieren, besuchte ich häufig Auto-Ausstellungen und Messen." Möglich, dass er dabei Elemente von Pinin Farina und Vignale mit in sein Ideen-Reservoir aufnahm. Für Ferrari fertigte Scaglietti auch Pinin-Farina-Karosserien - nach Zeichnungen.

Jahrelang leistete Scaglietti seinem älteren Nachbarn Enzo Ferrari Gesellschaft bei der täglichen Mittagsmahlzeit. Als der 1970 sein Unternehmen an Fiat verkaufte, half er dem gewerkschaftsmüden Scaglietti noch einmal: In letzter Sekunde machte er aus dem Karosseriewerk einen Firmenteil von Ferrari und verkaufte beide Unternehmen im Gebinde. Die Geschäftsführung blieb Sergio Scaglietti noch 15 Jahre.

Roter Kopf - der Motor macht den Namen

Und die Technik? Das Herzstück eines jeden Ferrari ist stets sein Motor, genau auf diesem Gebiet musste sich 1957 Entscheidendes tun. Die oberste Motorsportbehörde hatte für 1958 eine Sportwagen-Weltmeisterschaft angekündigt und gleichzeitig den Hubraum auf drei Liter beschränkt. Damit musste sich Ferrari entscheiden: Die Vierzylinder mit zwei, zweieinhalb, drei und dreieinhalb Liter Hubraum waren überaltert, der DOHC-V12 mit 4,5 Liter war zu klobig und schwer, ein neuer Motor hätte viel Geld und Zeit gekostet. Also blieb der 250-Motor. Ihn gab es bereits im 290 MM mit 73 Millimeter Bohrung und 69,5 Millimeter Hub, später mit den Maßen 75 x 58,8, danach in den klassischen Grenzen von 73 x 58,8 Millimeter.

Für 1958 noch mit Haarnadel-Ventilfedern bestückt, erhielt der Dreiliter erst ein Jahr später Schraubenfedern. Auffälligste Veränderung waren im Vergleich mit dem Serienaggregat die vier Stehbolzen pro Brennraum zum Fixieren des Kopfes. Die Serie kam mit drei aus. Apropos Zylinderkopf: Roten Schrumpflack auf den Ventildeckeln trugen einige Sport- und Rennmotoren von Ferrari schon 1954. Der rote Kopf, auf italienisch Testa Rossa, sollte auf den ersten Blick die leistungsgesteigerten Versionen markieren.

Die Testa Rossa holen drei WM-Titel

Die Werksrennwagen, 1958 etwa erkenntlich am Kürzel TR 58 statt dem Ferrari 250 Testa Rossa für den Kundensport, unterschieden sich im Fahrgestell zum Teil erheblich. Statt der gewöhnlichen hinteren Starrachse bekamen sie zum Beispiel eine DeDion-Führung oder gar Einzelradaufhängung. Bis zum Produktionsende 1961 wurden sie durch ein Fünfganggetriebe, Transaxle-Anordnung und Scheibenbremsen weiterentwickelt. Die nach Speed gierenden Spider bildeten in Gruppen eine fast sichere Bank in der Sportwagen-Weltmeisterschaft von 1958 bis 1961. Drei Mal katapultierten die 250 Testa Rossa Ferrari auf den glorreichen ersten Platz des Championats, mit spektakulären Siegen in Le Mans. Nur 1959 platzten dort die V12 reihenweise: Der 24-Stunden-Klassiker fiel an Aston Martin, und der DBR1 holte im Anschluss auch die WM.

Die Faszination der überlebenden Ferrari 250 Testa Rossa nimmt mit ihren Jahresringen zu. Und wer in unseren Tagen eine kleine Probefahrt unternimmt, der duftet mindestens noch eine Woche lang nach Rennöl, nach 100 Oktan und nach dem Staub der Hunaudières. Daraus nämlich bestand das Parfüm der Matadore vom Schlage der Gendebien, Frère, Hill, von Trips, Musso, Hawthorn, Gonzales, Fitch, Collins, Mairesse und ihrer Freunde. Es weht wie einst aus den Cockpits der rennroten Spider.