Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé im Fahrbericht

Luxus-Coupé mit Colombo-Genen

Das Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé passt zum Commendatore: Auf Zwölfzylinder schwor Enzo Ferrari schon zu Beginn seiner Karriere. Zu den stärksten und seltensten Modellen zählen die 400 Superamerica, 1962 der ultimative Coupé-Luxus. Malte Jürgens probierte das  Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé aus.

Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé Foto: Dino Eisele 14 Bilder

Die Angst muss beim Händler in der Halle bleiben. Natürlich quält kurz der brenzlige Gedanke, was wohl passiert, wenn ein böswilliges Schicksal auf der Probefahrt aus einem der wenigen noch sehr original erhaltenen  Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé ein zusammengeknülltes Origami-Puzzle macht. Doch die Vorfreude auf ein Fahrerlebnis der besonderen Art betäubt alle Bedenken.

340 PS-V12 unter der langen Motorhaube

Ein klassischer Sportwagen im Wert von 1,35 Millionen Euro wie dieses Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé verlangt in freier Wildbahn auch artgerechten Umgang. Also werden wir uns dank der 340 PS bei 7.000 Umdrehungen pro Minute des  Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé ein wenig Reifenpfeifen gönnen, die Chassisnummer 3621 SA und ich. Weit genug, um den Einstieg bequem zu gestalten, öffnet die Fahrertür. Zeitgenössische Presseberichte, in denen besonders amerikanische Kollegen die Verrenkungen monierten, derer es bedurfte, um in einen Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé hinabzutauchen, sind bei dem hier vorgestellten Exemplar nicht nachvollziehbar.

Noch völlig original präsentieren sich die Sitze im Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé. Dunkelblaues Conolly-Leder nach alter Ferrari-Manier, voluminös und hinreichend stramm gepolstert, nicht eben viel Seitenhalt versprechend, in der Länge verstellbar, nicht aber in der Rückenlehne. Kopfstützen sind noch ein ferner Traum von Ergonomie.

Ferrari alà Porsche: Das Zündschloss sitzt ganz weit links

So sitzt man in dem  Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé - einem Automobil, das 1962 in etwa so viel kostete wie vier Jaguar-E-Coupés, und genießt den Ausblick. Viel Fensterfläche wegen der schmalen Dachpfosten: Die umgebende Natur darf fast wie im Cabrio optisch zusteigen. Gewohnheitsmäßig sucht der Fahrer rechts neben der Lenksäule den Arbeitsplatz für den filigranen Zündschlüssel, doch er tastet ins Leere. Das Zündschloss sitzt im Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé ganz links außen auf dem Instrumententräger, noch weiter links als in jedem Porsche. Wie wohl sein zweiter Besitzer damit klargekommen ist?

1963 kaufte ein gewisser Barry Batagol aus Melbourne in Australien für seine Frau Cheryl das Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé vom Erstbesitzer, Ferraris Sportdirektor Ugo Colombo. Der hatte 3621 SA am 16. Juli 1962 übernommen. Down under wanderte die Lenkung im Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé nach dem Verkauf an Batagol von der linken Seite auf die rechte, von wo aus sie dann erst im Jahr 2005 wieder zurückgerüstet wurde. Nur der kleine Talbot-Außenspiegel nicht. Er fristet sein Dasein noch schüchtern auf dem Blech der Beifahrertür, und der Pilot des nun wieder originalen Linkslenker-Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupés muss sich mit dem Innenspiegel zufriedengeben.

Die Auspuffanlage stammt von Abarth

Die Startprozedur des  Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé macht vertraut mit dem Zwischenschritt der Evolution vom Anlasser-Druckschalter (Vorkrieg) zu den modernen Zündschlössern der Nachkriegszeit: Zündung einschalten, auf das Tick-Tick der Benzinpumpe lauschen, den Chokehebel etwa ein Drittel ziehen, dann den Zündschlüssel nach innen drücken - wie einen Startknopf. Nach kaum einer Kurbelwellenumdrehung brabbelt der V12 des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé lasziv aus seiner von Abarth gefertigten Auspuffanlage.

Wunderbarer Mündungsschall dringt aus vier verchromten Endrohren des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé. Die drei Weber-Doppelvergaser schlürfen dazu weitgehend ungedämpft die Ansaugluft in sich hinein, und genau diese Kombination von vorne Schlürfen und hinten Brabbeln erzeugt verzückte Vorfreude auf das große Brüllen, wenn die neun Liter Motoröl hinreichend des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé-Motors erwärmt sind und die Drehzahl nach oben wandert.

Drehmoment ab Standgas - der Superamerica ist auch entspannt zu fahren

Ein paar Sekunden Warmlaufen darf sich der Vierliter im  Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé gönnen, dann setzt er sich mit rund 2.000 Umdrehungen pro Minute unspektakulär und sehr manierlich in Bewegung. Drehmoment genug entwickelt der V12 schon im Erdgeschoss der Drehzahl-Skala. Und wenn ab und zu aus dem Fallstrom-Terzett ein kleiner Salut dazwischengefeuert wird, bedeutet das nicht mehr als ein Niesen bei dichtem Pollenflug. Den  Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé warm zu fahren, ist schon ziemlich großes Kino.

Enzo Ferrari selbst hatte für Aerodynamik bekanntermaßen ja nicht allzu viel übrig. Er hielt die Wissenschaft vom Luftwiderstand für eine seltsame Verirrung jener Ingenieure, denen es versagt blieb, je einen anständigen Rennmotor zu entwickeln: "Aerodynamik ist nur etwas für Leute, die keine Motoren bauen können." Seine Straßensportwagen und ihre Kunden dienten in erster Linie zum Finanzieren der Rennen, denen Ferraris Hauptinteresse galt. Und als es darum ging, den Superreichen zu Beginn der 60er Jahre auch einen Supersportwagen anzubieten, griff Ferrari zielsicher ins Regal mit den Rennmotoren.

Der Motor stammt vom legendären Colombo-V12 ab

Der bewährte 60-Grad-V12 von Gioacchino Colombo, mit dessen Anderthalb-Liter die Ferrari-Saga ja 1947 ihren Anfang genommen hatte, bot mehr Entwicklungspotenzial als die später gefertigten Lampredi-V12. Der Rückgriff auch auf bewährte Testa-Rossa-Renntechnik auf Basis des Colombo-Motors führte 1959 zum V12 in Vierliter-Form, Bohrung mal Hub 77 mal 71 Millimeter, installiert im  Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé-Chassis. Der Prototyp des neuen Superamerica erinnerte in der Silhouette an das erste 250 GT-Coupé von Pininfarina mit riesigem Kühler, gebaut für den Fiat-Boss Giovanni Agnelli. 1963 beschloss dann ein Aggregat der 400-V12-Familie mit einem Sieg die Ära der Frontmotor- Ferrari für das 24-Stunden-Rennen von Le Mans.

Olivier Gendebien und Phil Hill hielten den noch auf 330 LM getauften Rennwagen zwar für maßvoll verbesserungsfähig - "unharmonisch, schüttelnde Kupplung, fragiles Getriebe, miserable Bremsen und eine Straßenlage wie ein 2 CV" -, doch über den Motor sagten sie nur Gutes. Schärfere Nockenwellen und sechs Doppelvergaser statt drei stellten knapp 400 PS statt nur 340 bereit. Zeigt der 330 LM noch wie bis dahin üblich den einzelnen Zylinderinhalt als Kennzahl, weist die 400 im Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé bereits auf das Gesamtvolumen hin.

Auf Wunsch gab's einen Overdrive

Rücksturz in die Gegenwart. Die Kraftentfaltung des von Motor Klassik gefahrenen  Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé stellt Auslegung und Einstellung des Zwölfzylinders ein Reifezeugnis höchster Güte aus. Bereits aus Leerlaufdrehzahlen heraus beschleunigt der Motor das nur 1.280 Kilogramm wiegende Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé mit der lässigen Kraft eines Titanen, der zum Frühstück gerade ein "rare" gebratenes Steak, zwei Kraftriegel und drei Tassen vom isotonischen Powerdrink verdrückt hat.

So etwa muss sich ein Bungee-Springer fühlen, der eben den tiefsten Punkt seines Satzes in die Tiefe passiert hat und den jetzt eine unendliche Kraft zurück in das Blau des Himmels reißt. Dieser Schub scheint vor nichts Halt machen zu wollen, durch alle Gänge hindurch bis in die vierte Fahrstufe, die auf Wunsch der Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé-Kunden noch durch einen Overdrive verlängert werden konnte. Der Ferrari-Motor mit der Codeziffer 163 macht erlebbar, was V12-Fans unter optimalem Drehkraftverlauf verstehen: dicht getaktete Kraftimpulse, geschmeidig wie Samt und Seide.

In den 1960ern das schnellste Serienauto der Welt

Wie schnell ein Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé zu seiner Zeit wirklich war, hängt davon ab, welcher Quelle man vertraut. Die 300 km/h des Tachometers toppen die 270 auf dem Tacho des Mercedes-Benz 300 SL, wurden jedoch nicht ganz erreicht. Das amerikanische Fachmagazin "Road & Track" kam in einem Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé der Serie I zwar auf 290 km/h, fuhr jedoch im Auto des Glücksspiel-Tycoons Bill Harrah einen von Bill Rudd auf 4,5 Liter vergrößerten V12, der 420 PS abgab. Die Serienversionen des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé dürften je nach Übersetzung zwischen 270 und 280 km/h erreicht haben - was zu Beginn der Swinging Sixties locker für den Titel "Schnellstes Serienauto der Welt" genügte.

Wir nehmen Rücksicht auf das fein geflochtene Nervenkostüm von Mario Bernardi, dem dieser Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé hier gehört, und der sich gern noch eine Weile an dem schlanken Silberfisch erfreuen möchte. Für volles Rohr auf der Autobahn wäre es wahrscheinlich ratsam, erstmal neue Reifen mit entsprechender Highspeed-Qualifikation aufzuziehen, was heißt: Zenit 200. Der Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé liegt dabei erstaunlich ruhig und lässt sich sehr präzise dirigieren. Dazu mischt sich der Fahrtwind mit lindem Lispeln in die Sinfonie des Motors. Zu den Super-Attributen des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé zählt jedoch nicht nur der Motor, sondern auch seine Form. Pininfarina optimierte die Linie des Coupés mit dem gerundeten Bug und dem in einer langen Welle auslaufenden Heck bereits im Windkanal, aerodynamisch eben.

Verschiedenste Karosserie-Variationen

1960 auf dem Turiner Salon als Superfast II vorgestellt, gilt diese Studie bis heute als einer der harmonischsten und wohlproportioniertesten Entwürfe des Turiner Ateliers unter Battista Pinin Farina. Die Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé trugen daneben sehr experimentierfreudige Karosserie-Variationen. Es gab sie mit abgedeckten Scheinwerfern, mit senkrecht im Fahrtwind stehenden Streuscheiben, und es gab Klapp- sowie Doppelscheinwerfer. Die zweite Serie des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé wies ab 1962 mit 2,60 Meter einen um 18 Zentimeter verlängerten Radstand auf. Und alle Varianten von den Türgriffen bis hin zu den vielfältigen Möglichkeiten in der Gestaltung des Innenraums kondensieren in dem Eindruck, dass sich vermutlich keine zwei Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupés einst gleich sahen.

Alle Ferrari 400 Superamerica-Versionen zusammen summieren sich etwa in der vom Ferrari-Chronisten Antoine Prunet verfertigten Produktionsliste zu 25 Exemplaren der ersten Serie und 22 der zweiten. Neben den Stromlinien-Coupés waren darunter Cabriolets, Spider, eine 2+2-sitzige Variante von Scaglietti, und alles gab es entweder mit einer stählernen Haut oder einer Alu-Karosserie. Die Serie I der Zweisitzer umfasste 15 Aerodinamico-Exemplare, davon acht mit Scheinwerferabdeckungen und sieben ohne. Unter den 22 Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé der Serie II macht das Quellenstudium vier Cabriolets und insgesamt 18 Aerodinamico-Coupés aus. 14 davon trugen Scheinwerfer-Abdeckungen, "covered headlights".

Enzo Ferraris 400 SA sorgte für Verwirrung

Für eine leichte Verwirrung sorgt bisweilen Enzo Ferraris persönliches Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé, der die Chassinummer 3097 SA trug, später aber in 4031 SA umgetauft wurde und, etwa bei Prunet, plötzlich in der Serie-II-Liste auftaucht. Da sich jedoch am kurzen Radstand des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé nie etwas geändert haben soll, sind beide Chassisnummern einem einzigen Modell der Serie I zuzuordnen. Trotzdem bleibt es kompliziert: Über der Geschichte der Super-V12 liegt stellenweise Bodennebel. Wir sind jetzt schon gespannt, welche Zahlen uns dazu Freund und Leser Marcel Massini mitteilen wird. Die italienische Spürnase der Ferrari-Historie gilt als Frontmann der Quellenlage - neben Experten wie etwa Keith Bluemel, Björn Schmidt und Andreas Birner.

Zurück ins Cockpit des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé. Die Motorcharakteristik des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé macht ihn zum idealen Weggefährten auf abseits gelegenen, gering frequentierten Landstraßen. Der Schaltknüppel wächst aus dem Vierganggetriebe empor wie eine leichtmetallene Kugelblume, und ihre Ledermanschette statt einer gefrästen Kulisse wie bei den Transaxle-Modellen verrät die Einbaulage des Getriebes: vorn. Die Kupplung des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé verlangt weniger Kraft als vermutet, und die Porsche-Synchronisierung der Fahrstufen sorgt für weiche, kratzfreie Übergänge. Die Lenkung spricht präzise an, ihre Rückstellkräfte bleiben beherrschbar, und nur im Stand verlangt das Einschlagen der Vorderräder einen gut durchgebildeten Bizeps. Schnecke und Rolle erweisen sich einer Zahnstangenlenkung als nahezu ebenbürtig. Die Scheibenbremsen des Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé arbeiten zuverlässig; allein beim beherzten Verzögern vor einer mit fröhlichem Übermut angegangenen Biegung scheint die Hinterachse bisweilen ein wenig zu überbremsen.

Natürlich wäre der normalerweise untersteuernde Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé auch ein wunderbares Gerät zum Driften. Kurve, gefühlvoller Gasstoß, das Heck drängt nach außen, präzises Gegenlenken, nicht zu aufgeregt ... Doch alte Kulturfähigkeiten wie genussvolles Querfahren haben im heutigen Verkehr nichts mehr zu suchen. Driften Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, mit Ihrem Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé deshalb bitte nur auf einer Rennstrecke mit genügend Auslauf. Denn als Origami-Puzzle macht selbst ein Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico Coupé nicht einmal den halben Spaß.