Mercedes-Benz 280 S (W 126)

Geheimtipp: Die Stärke des Schwachen

Die Mercedes-Benz S-Klasse startet seit drei Generationen in aller Bescheidenheit mit dem Typ 280 S – in unserem Fall mit einem Vergasermotor, der bescheidene 156 PS mobilisiert. Doch als W126 im dunklen Anzug hat selbst der Billige Macht.

Foto: Oliver Rieger 15 Bilder

Für das gleiche Geld hätte es im September 1984 einen Mercedes-Benz 380 SE gegeben. Mit seinen 62.762 Mark könnte der Erstbesitzer des Mercedes-Benz 280 S zwei Stufen höher in der Hierarchie stehen, und er bekäme die hohe Weihe des Achtzylinders gleich mit.

Seltsame Kombination an Extras für 14.500 Mark Aufpreis

Denn Status bestimmt das Leben, selbst wenn man die Mercedes-Benz S-Klasse erreicht hat, jene magische Grenze gesellschaftlicher Arriviertheit, die für Macht und Erfolg steht. Doch eine höchst seltsame Kombination zusammengewürfelter Extras, von denen nur das Antiblockiersystem, die Velourspolster und die Klimaanlage satt vierstellig zu Buche schlagen, führten zum zweifelhaften Mehrwert von 14.500 Mark gegenüber dem Listenpreis von 48.341. Doch vor uns steht nur ein Mercedes-Benz 280 S – ein schlichtes Vergasermodell, keine Alu-Räder, kein Metalliclack. Ein Aschenputtel in Dunkelblau, das sich auch noch naiv zum Schriftzug „280 S“ bekennt. Ihn ab Werk wegzulassen, hätte nichts gekostet, aber eine Illusion geschaffen.

Grau das Velours, grau der Kunststoff von Stoßfängern, Sacco-Brettern und den schmucklosen Radkappen, eine Tristesse auf hohem Niveau. Es ist der Charme des Behördenfahrzeugs, der den Kenner neugierig macht. So wie diesen Mercedes-Benz 280 S stellt man sich einen Dienstwagen des Bundeskriminalamts vor. Ein getarnter 500 SE, bei dem das „280 S“ hinten drauf Harmlosigkeit vortäuschen soll. Keine Frage, auch der Schwache hat Autorität, selbst wenn im Handschuhfach kein Blaulicht liegt.

Das Dunkelblau steht dem Mercedes-Benz 280 S gut, da wirkt er offizieller als in Weiß und ernstzunehmender als in Petrol. Die Sonderlackierung 904, immerhin 304,80 DM teuer, bildet einen schönen Kontrast zu den verchromten Scheibenrahmen und Stoßfängern, die Chefdesigner Bruno Sacco dem W 126 noch ließ, bevor er sie später auf dem Altar der Mode opferte.

Elegante Statur, traumhafte Aerodynamik und satte Verarbeitung

Keine Frage, auch als schlichter Mercedes-Benz 280 S sieht der W 126 einfach gut aus, hat schöne Proportionen. Die leicht gepfeilte Frontpartie, der gestreckte Körper, reichlich Radstand und die raffiniert geneigte C-Säule bestimmen seine attraktive Statur. Sein Vorgänger trieb es mit üppiger Stoßstangenzier und wuchtigen Heckleuchten allzu barock. Der W126 hingegen kultiviert mit Gewichtsersparnis, traumhafter Aerodynamik und den verbrauchsoptimierten Motoren maßvollen Luxus, auch wenn es auf Kosten des wuchtigen Geldschrank-Charakters geht. Den servieren uns verwohnte und durchgerostete 116er selbst nach 35 Jahren noch überzeugend.

Der Türenklang ist auch beim Mercedes-Benz 280 S des W126 imposant wie eh und je. Satt wie ein Schuss fällt die Fahrertür ins Schloss. Dunkelblau passt gut zum Interieur in Velours Grau, auch bei dieser Kombination besticht wieder der Kontrast. Doch vom Fahrersitz aus irritiert der Viergang- Gummiknüppel, der aus der gleichen tumben Tülle wächst wie beim 200 D. Wie elegant wirkt dagegen der schlanke Wählhebel für die Automatik in mattschwarzer Zickzackkulisse.

Schon diese Optik ist ein Grund, eine Sechszylinder-S-Klasse nur mit Automatik zu ordern. Selbst einen Drehzahlmesser sucht man beim Mercedes-Benz 280 S vergebens, eine simple Zeituhr, groß wie in einem Taxi, hält die Stelle stoisch besetzt. Dabei ist sein Motor, der schon aus dem Strichacht bekannte Doppelnockenwellen-M 110, ein drehfreudiger Draufgänger, dem ein wenig Kontrolle über den optimalen Drehzahlbereich auch in Sachen Spritkonsum gewiss nicht schadet. Die primitive Economy-Anzeige im Mercedes-Benz 280 S kann das nicht leisten. Willig und spontan nimmt der Motor nach dem Start Gas an. Zügig setzt sich der schwere Mercedes-Benz 280 S in Bewegung, die Schaltung ist sehr leichtgängig und sogar recht exakt. Man kann damit leben, wünschen tut man sie sich nicht.

Der M110 des W126: ein Alfa-Motor von Mercedes

Selbst bei höherem Tempo bleibt der Doppelnockenwellen-Sechszylinder im Mercedes-Benz 280 S trotz seines mechanisch aufwendigen Ventiltriebs erstaunlich leise. Von außen klingt er wie ein 250, typisch Mercedes eben, aber von echtem Sound keine Spur. Erst ab Tempo 140 im Vierten offenbart er jenen sportlich kernigen Klang, der ihm aufgrund seiner Bilderbuchkonstruktion zusteht. Es ist ein Alfa-Motor von Mercedes. Sieben Kurbelwellenlager und zwölf Gegengewichte sorgen für einen schwingungsarmen Lauf, die ausgeklügelte Kopfarbeit der Konstrukteure um Dr. Kurt Obländer garantiert stets eine sehr gute Füllung der Brennräume.

Die Sparsamkeit des optischen Leckerbissens – wie das Monument einer technikverliebten Ära steht er aufrecht im Motorraum – bleibt jedoch eher relativ. Hohes Tempo kostet im Mercedes-Benz 280 S Zuschlag. Er gibt sich zwar deutlich genügsamer als seine behäbigen Vorgänger aus dem W 108, braucht aber mit dem einstellempfindlichen Solex 4 A1-Doppelregistervergaser zwischen 12 und 14 Liter auf 100 Kilometer. Selbst im zivilen Mercedes-Benz 280 S tritt die ausgesprochene Drehfreude des M 110 zu Tage. Er will fleißig geschaltet werden, bulliger Antritt von unten ist nicht seine Stärke.

Keine Frage, der M 110 ist ein edler Motor in einem noblen Wagen, wenn auch die Beziehung mit einem dieser souveränen, sich die Kraft locker aus dem Saugrohr schüttelnden Achtzylinder, eine harmonischere ist. Dem wohltuenden Fahrgefühl schadet dieser Verzicht im Mercedes-Benz 280 S unter Tempo 140 nicht. Er fährt sich erstaunlich agil und behände.

S-Klasse fahren ist ein Wellness-Programm

Die Handlichkeit des Mercedes-Benz 280 S ist für ein so großes Auto überraschend, mit dem scharfen Wendekreis schlägt er Haken um Mittelklasse-Fronttriebler. Trotz langer Federwege und weicher Kennung lässt sich das bestens gedämpfte Auto auch ohne die Zauberkünste der Raumlenkerachse schnell um die Kurven zirkeln, aber der Abrollkomfort bleibt die Domäne des Mercedes-Benz 280 S.

Überhaupt geht es bei einer S-Klasse vor allem um Wellness unterwegs. Der Mercedes-Benz 280 S-Fahrer sitzt bequem auf flauschigem Velours, vor sich hat er ein vertrautes Lenkrad und bestens ablesbare Instrumente. Eben die behagliche Mercedes-Bedienlandschaft, deren einziges Geheimnis – Achtung Schaltgetriebefahrer – eine fußbetätigte Handbremse ist. Sie erkauft sich Funktionalität nicht mit stilistischer Kälte, sondern unterstützt sie mit jenem Hauch hölzernen Wohlfühlaromas, das so vertraut wirkt.

Im Fond verwöhnt dieser Mercedes-Benz 280 S seine Passagiere erst recht. Es gibt blaue Gardinen zum Zuziehen, Kopfstützen zum Neigen, eine Mittelarmlehne zum Ausziehen und Gepäcknetze, die „Vogue“ und „Park Avenue“ knitterfrei aufnehmen. Lautsprecher in der Hutablage übertragen sanfte Musik. All das geht notfalls auch mit einem Mercedes-Benz 280 S. Ein Geheimtipp also? Vielleicht. Denn schon in den 70er Jahren hielt sich unter Insidern das Gerücht, dass die M 110-Vergasermotoren in der Leistung weit nach oben streuen.