Pontiac Bonneville SSE im Fahrbericht

Glorreicher Name, glanzloses Image

Der Pontiac Bonneville SSE wurde zwischen 1988 und 1991 auch in Deutschland angeboten. Heute zählt er inzwischen zu den großen US-Raritäten. Hier sind gleich drei Pontiac Bonneville SSE für eine gemeinsame Ausfahrt versammelt. Wie geht das?

Pontiac Bonneville SSE Foto: Rossen Gargolov 20 Bilder

Der Besitz eines seltenen und völlig unbekannten Automobils mag ausgeprägten Individualisten viel Freude bereiten – wären da nicht der Mangel an Fachliteratur und diese Einsamkeit. Während die Besitzer eines Porsche 911 oder Mercedes-Benz SL ganze Wände mit wohlmeinenden Büchern und Bildbänden füllen können, reicht es bei meinem Pontiac Bonneville SSE von 1991 lediglich zu einigen Prospekten, drei Fahrberichten und einem Markenbuch.

Viel schlimmer noch: Seit 1993, als ich den Pontiac Bonneville SSE erwarb, gab es kein einziges Benzingespräch mit anderen SSE-Besitzern. Ich lebte und fuhr mit meinem weißen Pontiac Bonneville SSE so einsam wie ein alter Wolf in den Rocky Mountains, bis mich ein nettes Ehepaar aus der Schweiz aus der selbst gewählten Isolation befreite: Manuela und Rolf Hofer aus Biberist bei Solothurn, die beide ebenfalls je einen weißen 91er Pontiac Bonneville SSE besitzen. Und diesen Sommer war es endlich so weit: Ich traf die beiden in Solothurn zu einer gemeinsamen Ausfahrt – Wahnsinn!

Mister Merkwürdig – orgiastisch ausgestattete Rentner-Traumautos

Während ich auf der Rheintalautobahn in Richtung Basel unterwegs bin, überlege ich mir, wann und wo ich zum letzten Mal einem Pontiac Bonneville SSE begegnet bin. Es war wohl in Brüssel oder in Wien und lag mindestens fünf Jahre zurück. Das war früher mal anders. Anfang der 90er Jahre fuhren vor allem reiche Rentner die großen Pontiac Bonneville SSE. Denen machte es nichts aus, dass der V6-Motor nur 167 PS leistete. Die orgiastisch ausgestatteten Fünfmeter-Schiffe standen damals wie viele andere GM-Modelle bei großen Opel-Händlern zum Verkauf und wirkten durch ihre völlig chromfreie, sportive Aufmachung modern und europäisch.

Richtig schön ist ein Pontiac Bonneville SSE trotzdem nicht. Die lang gezogene flache Schnauze, die niedrige Gürtellinie mit Sollbruchstelle über dem Hinterrad und das hemmungslose Nebeneinander von runden (Front und Heck) sowie eckigen Formen (Dachaufbau mit Fenster) machen den Pontiac Bonneville SSE zu einem Mister Merkwürdig. Zur Ehrenrettung der Designer muss man wissen, dass ihnen der Radstand sowie Dachaufbau mitsamt Türen vorgegeben wurden. Diesen teilte der 1987 eingeführte Pontiac Bonneville mit den beiden Schwestermodellen Buick Le Sabre und Oldsmobile 88, die über die gleiche Bodengruppe und Frontantriebstechnik mit quer gestelltem 3,8-Liter-V6 verfügten. Eine rundum bespoilerte Sportversion mit Alu-Felgen im Aero-Stil hatte nur Pontiac im Programm – den Pontiac Bonneville SSE.

Fahren wie im Business-Jet – mit Kompass und virtueller Landebahn

Dass der gemütliche, von Buick stammende Stoßstangen-V6 immerhin 1,6 Tonnen bewegen muss, machten die Pontiac-Ingenieure mit einer direkter übersetzten Lenkung, einer kürzeren Achsuntersetzung und einer alles Bisherige in den Schatten stellenden Komfortausstattung im Pontiac Bonneville SSE wieder wett. Besonders bei Nachtfahrten, wenn innen rund 100 Leuchtdioden glühen und sogar die Bedientasten im Lenkrad für Klimaanlage und Soundsystem (acht Lautsprecher mit Bass-Booster) sowie die sechs Regler des Equalizers rötlich glimmen, kommt man sich im Pontiac Bonneville SSE vor wie im Cockpit eines Business-Jets. Nicht weniger als vier grünlich schimmernde LCD-Monitore einschließlich eines Kompasses mit virtueller Landebahn erwecken den Eindruck, auch im Blindflug unterwegs sein zu können.

Ankunft beim Wirtshaus zu Grabachern in Selzach, dem Stammlokal des US-Car-Club Friday Night Cruisers. Und da stehen die beiden Pontiac Bonneville SSE bereits auf dem Parkplatz. Einer der beiden Pontiac Bonneville SSE hat sogar die optional erhältlichen Alu-Felgen im Speichendesign, die original goldfarben lackiert sind. Ansonsten gleichen sich die drei weißen Riesen wie ein Ei dem anderen. Verschollene Verwandte, endlich vereint. Momente, die zu feuchten Augen führen. Ich verdanke diese Begegnung Rolf Hofer, der mit seiner Frau Manuela Mitglied bei den Friday Night Cruisers ist. Ihn und seinen Ford Mustang Mach 1 lernte ich während einer Fotoproduktion für Motor Klassik kennen. Damals erwähnte er, dass man als Familienauto einen Pontiac Bonneville SSE fahre, einen weißen. Inzwischen sind es sogar zwei geworden – und damit stand der Plan für diese Story fest.

Smart oder Pontiac Bonneville SSE?

Den ersten Pontiac Bonneville SSE kaufte Ehefrau Manuela vor fünf Jahren als Ersatz für einen ungeliebten VW Passat Syncro mit Fünfzylinder-Motor, ein „Montagsauto, das im Regen nicht gefahren ist“, wie sie berichtet. Ein Ami kam zunächst nicht in Frage: „Der bleibt im Winter stecken.“ Für den großen Pontiac, der auf dem Hof einer Lackiererei stand, entschied sich die damals sechsjährige Tochter Jessica. „Jessy saß hinten rein, hat sich angegurtet und fühlte sich in dem großen Auto sofort wohl“, erzählt Manuela. Dank seines Frontantriebs war der bequeme Bonneville SSE auch wintertauglich – für 5.000 Franken gehörte er den Hofers. Vor zwei Jahren wechselte Rolf die Arbeitsstelle – ein zweites Auto musste her.

„Ich habe mich zuerst für einen Smart interessiert“, gesteht der Medizinaltechniker, hat sich dann aus Kostengründen doch für einen Pontiac Bonneville SSE entschieden. Im Internet fand er ein in Basel abgestelltes Exemplar mit Ölverlust am Getriebe. Die Reparatur würde den Zeitwert übersteigen, der Wagen war deshalb stillgelegt und ohne TÜV-Prüfzeichen. Er kostete 2.000 Franken. Rolf holte den Pontiac zu sich nach Hause, zog die Schrauben am Getriebegehäuse nach und brachte ihn problemlos durch den TÜV, der in der Schweiz MFK (Motorfahrzeugkontrolle) heißt. Sein Pontiac Bonneville SSE hat jetzt gut 160.000 Kilometer auf dem Zähler, der von Manuela sogar 210.000. Beide liefen bis auf Kleinigkeiten problemlos und kennen trotz regelmäßigem Winterbetrieb noch keine gravierenden Rostprobleme.

Trotz Sportfahrwerk sehr komfortabel

Wir fahren. Und wir erzählen. Endlos. Endlich – nach 16 Jahren. Dass der Pontiac Bonneville SSE trotz Sportfahrwerk eigentlich sehr komfortabel federn würde und für einen Ami eine sehr direkte Lenkung hätte. Dass Manuelas Variante mit braunen Ledersitzen und Teppichen sehr gut zu ihr passen würde. Dass man auf das Schiebedach, wie ich eines habe, besser verzichten sollte, weil es ab 130 km/h ziemlich rauscht. Dass es kein Problem sei, im Bonneville SSE mit dem Verbrauch unter zehn Liter zu kommen. Dass noch immer alle Komfort-Features einschließlich der dreifachen Lordosenstützen in den Vordersitzen klaglos funktionierten. Und dass es die elektrische Luftpumpe im Motorraum für den Niveau-Ausgleich der Pontiac Bonneville SSE-Hinterachse nicht einmal bei Cadillac gegeben hätte – auch nicht den Luftanschluss im Kofferraum, zum Aufpumpen der Reifen oder eines Schwimmtiers.

Unterwegs fallen wir in unseren Pontiac Bonneville SSE auf wie drei nackte Weiße in einem Township. Passanten in der nächtlichen Innenstadt von Solothurn fragen uns, was wir hier eigentlich treiben: „Machen Sie Werbung für ein neues Auto?“ Weiß, das weiß man nämlich, ist die derzeit vorherrschende Farbe für schicke Neuwagen. Und ich denke mir: Eigentlich ist es ganz gut, wenn man ein seltenes, völlig unbekanntes Auto wie den Bonneville fährt. Es altert nicht, wird nie unmodern – genau wie sein Fahrer.