Porsche 904 Carrera GTS im Fahrbericht

Einer wie keiner - der Patina-Porsche

Dieser Porsche 904 Carrera GTS ist ein ganz besonderer. Alte Autos wissen Geschichten zu erzählen, fanden aber bisher kaum Zuhörer. Viel zu viele wurden restauriert bis zur letzten Schraube und damit einer Gehirnwäsche unterzogen. Nicht so dieser Porsche 904. Er begeistert in Originalzustand und zeigt sein Alter: 48 Jahre.

Porsche 904 Carrera GTS Foto: Frank Herzog 16 Bilder

Es ist unglaublich. Vom verwitterten Carrera GTS-Schriftzug am Heck bis hin zur Rosshaarmatte unter dem 110-Liter-Tank im Frontabteil präsentiert sich dieser Porsche 904 Carrera GTS in unberührtem Zustand.

Porsche 904 - Der erste Porsche mit Kunststoffkarosserie

Liebhaber originaler Automobile geraten ins Schwärmen, saugen die Aura in sich auf, die dieser 48 Jahre alte Porsche 904 Carrera GTS verströmt und können sich an der Patina nicht satt sehen, die den Silbermetallic-Lack der Außenhaut mit Farbnummer 6206 ebenso ziert wie die beiden kleinen, in marineblauem Dralonstoff bezogenen Sitzschalen im engen Passagierabteil.

Dabei wirkt ein Porsche 904 Carrera GTS an sich schon auf jeden Autofan wie ein hoch dosiertes Aufputschmittel. Denn der nach dem Design von Ferdinand Alexander Porsche unerhört attraktiv gestaltete Mittelmotorsportwagen löst noch heute bei Betrachtern wahre Begeisterungsstürme aus. Kenner feiern zudem den Porsche 904 als den Anfang einer neuen Ära im Hause Porsche.

Der Porsche 904 sollte Rennen gewinnen - in der GT-Klasse. Doch ab 1964 mussten von jedem Fahrzeug, das dort starten wollte, mindestens 100 Exemplare gebaut werden. Angesichts dieser Stückzahl wählten die Porsche-Konstrukteure nicht die nahe liegende Lösung eines Fahrzeugs mit Rohrrahmen und Leichtmetallhülle, weil ihnen der Aufwand zum Schweißen des Rahmens und zum Herstellen der Karosserie in Handarbeit als zu aufwendig erschien. Sie entschieden sich beim Porsche 904 Carrera GTS für eine Kunststoffkarosserie mit Stahlkasten-Rahmen in Verbundbauweise - ein Novum in der bisherigen Porsche-Geschichte.

Wenngleich das Beschreiten neuer Wege stets mit vielen Problemen behaftet ist, stimmten die Ergebnisse optimistisch. So erwies sich die in den Heinkel-Flugzeugwerken in Speyer gebaute, nur 145 Kilogramm wiegende Karosserie-/ Rahmeneinheit als deutlich verwindungssteifer als die eines 550 Spider oder eines Porsche Carrera Abarth. Auch der Plan, einen konkurrenzfähigen Rennwagen auf die Räder zu stellen, gelang souverän. Nur fünf Monate nach der Vorstellung des Porsche 904 Carrera GTS gewann ein Wagen dieses Typs im April 1964 die Targa Florio. Viele Siege folgten.

Referenzauto in authentischem Zustand

Unser Porsche 904 Carrera GTS mit der Chassisnummer 904-050 hat damals vermutlich keine Rennluft geschnuppert. Er wurde am 7. April 1964 ausgeliefert - mit einer Webasto-Standheizung, die hoffentlich länger hielt als jene im Vorserienauto von Richard von Frankenberg, der auf einem Ausflug zum Skifahren nach Kitzbühel schon nach 200 Kilometern wegen eines Heizungsdefekts frieren musste.

Der Erstbesitzer von 904-050 hieß Jim Hall, wohnte in Texas und war Gründer der Rennwagenmarke Chaparral. Sein Partner Hap Sharp startete zwar 1964 mit einem 904 in Sebring, doch das Rennen fand im März statt und damit vor der Auslieferung unseres Porsche 904 Carrera GTS. Hall soll sich aber intensiv mit der Aerodynamik des Wagens befasst und dabei neben einem relativ guten cW-Wert einen hohen Auftrieb an der Vorderachse festgestellt haben. Das klingt glaubhaft, zumal bereits Herbert Linge bei Versuchsfahrten ein Ausfedern an der Vorderachse von 45 Millimeter bei 220 km/h bemerkt hatte.

Nach kurzer Zeit gab Hall den Porsche 904 Carrera GTS an einen gewissen Burdette Martin weiter, der für die ACCUS (Automobile Competition Committee of the United States) tätig war. 1969 erwarb dann der Porsche-Enthusiast Leonard Turner den Wagen, der ihn sporadisch fuhr und um 1980 bei zwei Rennen einsetzte. Umbauten oder größere Reparaturen blieben dem Auto erspart, und so ergraute es in der Obhut Turners in Ehren, sprich: im Originalzustand. Genau solche Fahrzeuge wecken die Begeisterung von Mario Linke von der Firma Methusalem in Köln, der sie als " Referenzautos"  sieht. " Mich fasziniert daran die Authentizität. Nichts ist verfälscht durch eine Restaurierung, sondern man kann nachempfinden, wie der Wagen damals das Werk verlassen hat", erklärt Linke.

Er hat den Porsche 904 Carrera GTS an den im historischen Motorsport sehr aktiven Daniel Maier vermittelt, in dessen Familie mit großer Leidenschaft historische Automobile gefahren und gesammelt werden. Klar, dass Maier auch den 904 bewegt, aber nicht in harten Rennen, " sondern mit Rücksicht und viel Respekt vor der Originalität bei passenden Veranstaltungen".

Porsche 904 Carrera GTS als ehrenvoll gealtertes Gesamtkunstwerk

Der Testtag von Methusalem auf der Porsche Einfahr- und Prüfstrecke in Leipzig bietet eine solche Gelegenheit. Nach einigen Runden kommt Daniel Maier zurück an die Box, öffnet den Wagenschlag und bietet dem Motor Klassiker den Fahrerplatz im Porsche 904 Carrera GTS an. Der registriert sofort einen leicht erhöhten Pulsschlag, aber wer könnte bei einer solchen Einladung gelassen bleiben? Zunächst gilt es, die hohe Schwellerpartie zu überwinden, die teilweise deutliche Spuren der Vergangenheit aufweist.

An einigen Stellen ist der Lackaufbau weggeplatzt, der damals aus einem Aktivgrund, Nitrofüller, und Nitrolack bestand, manchmal wurde auch etwas Kunstharzspachtel verarbeitet. Dort, wo das von der BASF stammende Kunstharz Palatal P6 gesprungen ist, lässt sich sogar ein Stückchen des Glasfasergewebes er- kennen, das Bestandteil der etwa zwei Millimeter dicken Kunststoffhülle ist. Doch die kleinen Schäden am Porsche 904 Carrera GTS sind belanglos und nur ein weiteres Mosaiksteinchen eines über vier Jahrzehnte alten Gesamtkunstwerks.

Die ins Dach reichenden kleinen Türen erleichtern den Einstieg in das nur 1,06 Meter hohe Coupé, dessen spartanischer Innenraum klar auf die Bestimmung des Porsche 904 Carrera GTS als Rennfahrzeug hinweist. In solch einer Umgebung kämpften also Rennfahrer wie Herbert Linge, Edgar Barth, Rolf Stommelen, Joakim Bonnier, Antonio Pucci und unzählige andere um den Sieg.

Mit Begeisterung und einer gewissen Ergriffenheit studiert man das Cockpit. Doch die vielen Eindrücke lassen sich in der kurzen Zeit gar nicht verarbeiten, können nur im Telegrammstil abgespeichert werden. Das Gefühl, wegen der hohen Seitenschweller in dem Porsche 904 Carrera GTS in  einer Wanne zu sitzen, die nach rechts versetzten, großen Pedale, die von der texanischen Sommersonne verformte Instrumentenbrettabdeckung, die abgelesene Laufleistung von nur 16.700 Meilen oder das Les Leston- Lenkrad mit stattlichen 40 Zentimetern im Durchmesser - all das sind hastig gesammelte Momentaufnahmen während der Startzeremonie. Wer nun ein markerschütterndes Aufbrüllen des mit vier Nockenwellen bestückten Königswellenmotors erwartet, sieht sich getäuscht. Denn aktuell verrichtet der Boxer-Motor im Heck der Passagiere den Dienst in seiner Zivilausführung.

Trotz Renn-Gene lässt sich der Porsche 904 auch auf der Straße genießen

Deshalb wurde dieser Porsche 904 Carrera GTS damals nicht nur mit einem heftig röhrenden Sebring-Auspuff ausgeliefert, sondern auch mit einer zusätzlichen geräuschdämpfenden Abgasanlage und Luftfiltern für die Vergaser-Batterie, die bei diesem Exemplar übrigens von Solex stammt, während bei den meisten Weber- Vergaser montiert wurden. In der kastrierten Straßenversion leistet der Zweiliter-Motor laut Prospekt 155 PS, was zwar in Anbetracht des Fahrzeug- Leergewichts von 650 Kilogramm immer noch für beachtliche Fahrleistungen sorgt. Aber noch besser, geradezu höllisch, geht die Version mit Sportauspuff, die bei 7.200/min 180 PS mobilisiert. Für jene Version ermittelte Paul Frère eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 5,5 Sekunden. Ein damaliger Opel Rekord 1500 nahm sich für diese Übung vier Mal so viel Zeit.

Als 904-050 neulich aus den USA nach Europa kam, lief er übrigens nicht. Wahrscheinlich hatte Turner ihn seit über 25 Jahren nicht mehr gefahren. " Die Kupplung war geradezu festgerostet" , erinnert sich Linke, auf den eine große Herausforderung wartete. Denn der Liebhaber des Originalen musste mit viel Feingefühl und unter Beibehalten möglichst vieler ursprünglicher Teile den Porsche 904 Carrera GTS fahrbereit machen.

Was er trotz der geringen Laufleistung ersetzen musste, waren beispielsweise die Pleuel- und Kurbelwellenlager des Motors, die unter der langen Standzeit gelitten hatten. Auch eine Erneuerung der uralten Reifen, eine Überholung der Stoßdämpfer und der Austausch der Bremsbeläge sowie marode gewordener Fahrwerksteile gehörten natürlich zu dieser heiklen Mission. So muss man sich keine Gedanken um seine Sicherheit machen, wenn man mit der Kunststoffrakete Porsche 904 Carrera GTS über die Strecke donnert.

Der Porsche 904 lässt sich spielerisch dirigieren

Und das nicht zuletzt dank der mit 2,1 Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag sehr direkt ausgelegten ZF-Lenkung. Der Porsche 904 Carrera GTS wirkt keineswegs unkomfortabel - es erstaunt, wie gut er die Jahre überstanden hat. Von den 54 zusammengeklebten Karosserieteilen ist kaum mal ein Knistern zu vernehmen. Das Fünfganggetriebe gehört allerdings nicht zur kurz und knackig aus dem Handgelenk zu schaltenden Sorte, andererseits erfreut der willig drehende Vierzylinder- Motor, der im oberen Drehzahlbereich ordentlich an Leistung zulegt und den Plastikrenner zügig vorantreibt.

" Das Fahren mit diesem Auto ist etwas ganz Besonderes", schwärmt Daniel Maier, " mich fasziniert, wie exakt es noch reagiert und wie feinfühlig man damit umgehen kann."  Das Vergnügen, das ein Porsche 904 Carrera GTS bereitet, hat aber noch andere Gründe: " Es ist diese Leichtigkeit, man empfindet sich selbst als das schwerste Teil des Wagens", bringt es Maier auf den Punkt. Er hat seinen Porsche innig ins Herz geschlossen. Und er macht klar: " Ich will ihn in diesem Zustand über die Zeit retten." Viele werden ihm dankbar sein.