Talbot Sunbeam Lotus

Das rasende Quadrat

Der Talbot Sunbeam Lotus war vor 30 Jahren mit seinen 150 PS und nur 960 Kilogramm Gewicht der heißeste Kompaktwagen seiner Zeit. Als Rallye-Auto erkämpfte das rasende Quadrat sogar den WM-Markentitel. Fahrbericht der straßenzugelassenen Sunbeam Lotus-Version.

Talbot Sunbeam Lotus Foto: Hardy Mutschler 10 Bilder

Die Marke Talbot irrt seit mehr als 107 Jahren wie ein schottisches Schlossgespenst durch die Welt der sportlichen Automobile. Zuletzt sah man es in der Gestalt eines fast quadratischen Rallye-Autos mit ebenso quadratisch dimensionierten Reifen, das 1981 gegen die starke Konkurrenz von Audi Quattro, Ford Escort RS, Opel Ascona 400 und Fiat 131 Abarth den WM-Markentitel gewann. Auch die klangvolle Namenskombination des kleinen Autos lässt die Ohren eines jeden Automobil-Enthusiasten wie die eines gut geschulten Vorstehhundes aufstellen: Talbot Sunbeam Lotus.

Talbot 1979 wieder zum Leben erweckt

Charles Chetwynd-Talbot, 20. Earl of Shrewsbury, der 1903 zunächst die importierten französischen Clément-Bayard-Automobile unter dem Namen Clément-Talbot vertrieb, wäre auf das kleine Wägelchen mit dem großen Namen Talbot Sunbeam Lotus sicher stolz gewesen. Immerhin war es 1913 ein ebenso sportlicher Talbot 4,5 Litre, der auf der Brooklands-Rennstrecke in einer Stunde Dauerfahrt etwas mehr als 100 Meilen (160 Kilometer) zurücklegte, was damals Weltrekord bedeutete. Anschließend durchlebte der Name Talbot jedoch einige Konfusionen und geriet sogar in Vergessenheit, bis man ihn 1979 wieder erweckte.

Damals musste er als Markenname für einen anglofranzösischen Kiesplatz-Fuhrpark herhalten, den ein Jahr zuvor Peugeot von Chrysler übernommen hatte. Im Angebot waren nicht ganz taufrische Automodelle, die einst unter Chrysler GB (Hillman, Humber, Sunbeam), Matra und Simca firmierten.

Dazu zählte auch der kleine, unscheinbare Chrysler Sunbeam, ein 1977 präsentierter, kantig geformter Kompaktwagen mit einer schicken Heckklappe aus Glas. Leider muss zum Beladen das Gepäck über das hohe Wagenheck gehoben werden. Zudem mangelt es dem Kofferraum an Tiefe, sodass dieser im Vergleich zur Konkurrenz mit Frontantrieb deutlich kleiner ausfiel. Die Basisversion verfügte nämlich ganz nach der archaischen Art des Hauses über Heckantrieb (schraubengefederte Starrachse) und einen 928 Kubikzentimeter großen Vierzylinder, der gerade mal 42 PS leistete und den 3,8 Meter langen Kantenwagen auf schüchterne 125 km/h beschleunigte. Damit entsprach der unscheinbare Kleine zwar seiner schottischen Herkunft in Linwood, weniger jedoch den Bedürfnissen der Kontinentaleuropäer, die sich gerade wie wild auf die modernen Frontantriebsmodelle von Fiat, Renault und Volkswagen stürzten.

Leichte Rennsemmel mit 150 PS

Ein Image-Macher aus dem Motorsport musste also her, der jeden Sunbeam-Fahrer zu einem Gegner für Hannu Mikkola, Walter Röhrl und Björn Waldegaard machte. Dem Iren und Chrysler-Sportchef Desmond O’Dell war klar, dass er mit dem vorhandenen Sunbeam-Motorensortiment, das zunächst bei 1,6 Liter Hubraum und 80 PS endete, kein Rallye- Siegerauto bestücken konnte. Auch der 1978 eingeführte Sunbeam TI 1.6, der mit Hilfe zweier Weber-Doppelvergaser 100 PS leistete, war für den Sporteinsatz zu schwach. Er fragte deshalb bei Lotus nach dem Zweiliter-Vierventiler und hatte Glück: Dort waren nach dem Produktionsende des Jensen Healey Roadsters mit Lotus-Motor Kapazitäten frei geworden, weshalb man sich rasch über den Bau eines Protoypen und einer anschließenden Kleinserie einig wurde - der Beginn des Projektes Talbot Sunbeam Lotus.

Hierzu brachte Chrysler die mit Bilstein-Fahrwerken ausgestatteten Karosserien zu Lotus in Norfolk, wo die Wagen den inzwischen auf 2,2 Liter Hubraum vergrößerten Motor und ein Fünfganggetriebe von ZF erhielten. Das Ergebnis konnte überzeugen, da 150 stramme PS nur 960 Kilogramm Masse bewegen mussten. Für die Straßenversion des 1979 auf dem Genfer Automobilsalon präsentierten Chrysler Sunbeam Lotus reduzierte Lotus die Nenndrehzahl von 6.500 auf 5.600/min. Dadurch sank die Motorleistung im Sunbeam gegenüber dem Lotus Esprit 2.2 von 162 auf 150 PS. Die Lotus-Techniker verhinderten dadurch, dass der gegenüber dem Esprit um 140 Kilogramm leichtere Sunbeam für die Beschleunigung von null auf 100 km/h dem eigenen Produkt die Krone vom Kopf riss.

Akustische Tsunami-Welle im Talbot Sunbeam Lotus

Zudem wäre die schmale Serienbereifung des Talbot Sunbeam Lotus mit 185/70er-Reifen noch mehr damit überfordert gewesen, diese enorme Motorleistung ohne viel Gewicht auf der Hinterachse in Vortrieb zu verwandeln. Das gelingt natürlich einem Talbot Sunbeam Lotus im zeittypischen Gruppe 2-Trimm der verbesserten Tourenwagen deutlich besser, in dem wir gerade dabei sind, die kleinen Landsträßchen rund um Wangen im Allgäu zu erkunden.

Die schmalen Wege passen sich wie ausgerollte, graue Läufer komplett der hügeligen Landschaft an und wirken mit ihrem Auf und Ab wie eine sanfte Achterbahn. Und darauf röhrt, trompetet und zischt ein wild gewordener Talbot Sunbeam Lotus - ein schwarzer Zauberwürfel, dessen Breitreifen das graue Band in Schienen zu verwandeln scheint. Nur selten hält der Fahrer in einem Automobil unbändige Kraft so intensiv und ungefiltert unter Kontrolle wie in dem kleinen Talbot Sunbeam Lotus. Schon im Leerlauf nach dem spontanen Motorstart fühlt man sich im Talbot Sunbeam Lotus wie Talbot-Werkspilot Guy Frequelin, der von Ari Vatanen im Ford Escort RS erst während des letzten WM-Laufs in England knapp geschlagen wurde.

Der Motor des Talbot Sunbeam Lotus ist nämlich im wahrsten Sinn des Wortes ein Brüller, weil das aggressive Ansaugröhren der beiden Dell’Orto-Doppelvergaser das zarte Auspuffbrummen bei weitem überlagert. Der Fahrer sitzt deshalb inmitten einer akustischen Tsunami-Welle, deren Höhe er mit dem rechten Fuß regulieren darf. Dabei freut er sich über ausreichend Platz für Knie und Ellenbogen, über eine relativ hohe Sitzposition mit sehr guter Sicht nach vorn auf die Straße sowie einen Großteil der quadratischen Motorhaube. Nur die drei filigranen Lenkstockhebel des Talbot Sunbeam Lotus  für Blinker, Licht und Scheibenwischer - jeder so dünn wie ein Fondue-Besteck - erschweren etwas den Umgang mit dem Rallye-Star.

Gewöhnungsbedürftige Schaltung und schwergängige Lenkung

Ebenso gewöhnungsbedürftig ist im Talbot Sunbeam Lotus der links hinten außerhalb des H-Schemas platzierte erste Gang, der jedoch so kurz untersetzt ist, dass er nur zum Anfahren benötigt wird. Und natürlich die im Stand extrem schwergängige, weil ohne Servounterstützung arbeitende Lenkung. Doch wenn der Talbot Sunbeam Lotus einmal rollt, dann rockt das Fahrerherz wie zu Deep Purples "Burn". Der Motor des Talbot Sunbeam Lotus hängt gierig am Gas und zieht ab 3.000/min bereits los wie ein von der Leine gelassener Bullterrier. Der Sound ist einfach infernalisch, hinzu kommen ab 5.000/min stramme Motorvibrationen, die über den Schalensitz Gesäß und Rücken massieren.

Das ZF-Getriebe des Talbot Sunbeam Lotus lässt sich dabei mit ehrlich-metallischem Klacks und wohl dosierten Zwischengas-Stößen butterweich schalten. Auch die Traktion macht dem kleinen Talbot Sunbeam Lotus dank Breitreifen und zwei Passagieren an Bord keine Probleme. Es geht einfach ungestüm vorwärts: Ari, wir kommen! Gemäß dem unberechenbaren Auftritt von schottischen Schlossgespenstern war jedoch nach der Rallye-Saison von 1981 der Spuk zu Ende: Das Werks-Team von Talbot löste sich auf, und die Produktion aller Sunbeam-Modelle wurde eingestellt. Das Werk in Linwood schloss für immer seine Tore, der erfolgreiche Kampf des kleinen tapferen Talbot Sunbeam Lotus gegen die etablierte Rallye-Elite war umsonst gewesen.