Original-Test Jaguar XJR-S 6.0 Litre
Zwölf Zylinder sind gut, mehr Hubraum ist besser

Wir tauschten 1990 den steifen Hut gegen die Sportmütze und fluteten alle zwölf Zylinder des Jaguar XJR-S 6.0 Litre. Den Original-Fahrbericht verfasste Wolfgang König.

Jaguar XJR S 6.0 11-1990
Foto: Hans-Dieter Seufert

Motorsport betreibt man bekanntlich nicht nur aus Spaß an der Freude, auch Jaguar nicht. Dabeisein ist viel, davon zu profitieren dagegen alles. Höchste Zeit deshalb für Jaguar, den Lorbeer, in den vergangenen Jahren reichlich eingeheimst, gewinnbringend umzusetzen. Exakt zu diesem Zweck gründeten die Engländer bereits 1988 das Unternehmen Jaguar Sport Ltd. in Kidlington, gewissermaßen eine Antwort auf die Motorsport GmbH von BMW. Doch zur hundertprozentigen BMW-Tochter gibt es einen gewichtigen Unterschied. Bei Jaguar Sport regiert Tom Walkinshaw. Der markige Schotte, für Jaguar der Anführer einer siegreichen Rückkehr in den Motorsport, wurde Teilhaber und Direktor zugleich.

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Jaguar XJR S 6.0 11-1990
Hans-Dieter Seufert
Unter den Zwölfzylindern ist er der größte: Sechsliter von Jaguar.

Doch die Ziele des neuen Gemeinschafts-Unternehmens liegen abseits der Rennstrecke. Im Visier ist der Mann auf der Straße. Der Hintergedanke: Wer seinen Jaguar von Jaguar Sport kauft, sollte den steifen Hut zu Hause lassen. Bei Modellen mit dem Schriftzug XJR ist fortan wieder die Sportmütze gefragt, die XJR-Palette von Jaguar Sport als sportlicher Ableger bestehender Serienmodelle. Diesen Walkinshaw-Touch können jetzt auch deutsche Jaguar-Freunde erleben, zunächst allerdings nur beim Jaguar XJ-S. Dass ausgerechnet das in Ehren ergraute Coupé den Anfang macht, ist so schändlich nicht. Ein wenig Sport kann auch im hohen Alter – der XJ-S ist immerhin seit 1975 auf dem Markt – nicht schaden, speziell beim V12, dessen Kräfte inzwischen doch erheblich nachließen. Die Umstellung auf geregelten Katalysator raubte dem einst stolzen Zwölfzylinder jede Lust an der Leistung. Gut, dass ihm Jaguar Sport wieder auf die Beine hilft. Der entsprechende XJ-S im Trainingsanzug nennt sich XJR-S 6.0 Litre, ein deutlicher Fingerzeig auf die ihm angediehenen Wiederbelebungsmaßnahmen. Im Zentrum steht die Vergrößerung des Hubraums. Eine neue, geschmiedete Stahlkurbelwelle verlängert den Kolbenhub von 70,0 auf 78,5 Millimeter, was das Hubvolumen von 5.343 ccm auf 5.993 ccm anwachsen lässt.

309 PS und 476 Nm

Unter den Zwölfzylindern dieser Welt, zumindest solchen, die für den Antrieb von Personenwagen in Frage kommen, ist der Jaguar-Motor damit der größte. Hinzu kommen flankierende Maßnahmen. Kürzere Laufbüchsen, kräftigere Pleuel, geschmiedete Aluminiumkolben mit verstärktem Kolbenbolzen und eine stärker verrippte Ölwanne tragen der höheren Belastung des Kurbeltriebs Rechnung. Ein optimiertes Verdichtungsverhältnis (11,0 statt 11,5 : 1), modifizierte Steuerzeiten und ein geänderter Luftsammler erleichtern die Leistungsfindung. Auch die neue Katalysator-Ausstattung trägt dazu bei. Je zwei Metall-Kats pro Abgasstrang kombiniert mit durchsatzfreudigeren Schalldämpfern ersetzen die restriktivere Anlage des zivilen XJ-S. Die gern zitierte Befruchtung durch den Rennsport findet ebenfalls statt. Direkt aus der Gruppe C stammt das elektronische Motormanagement-System des XJR-S. Das Produkt des Außenseiters Zytek zeichnet sich durch eine sogenannte sequentielle Einspritzung aus, die der bisherigen Vorrichtung in puncto Präzision und Zuverlässigkeit erheblich überlegen ist. Ironie am Rande: Im Rennbetrieb ist Jaguar mittlerweile auf Bosch umgestiegen.

Jaguar XJR S 6.0 11-1990
Hans-Dieter Seufert
Der kleine Unterschied: R vor dem S.

Fette Gewinne in Drehmoment und Leistung gibt es beim Walkinshaw-Jaguar für die Straße aber trotzdem. 309 PS (227 kW) bei 5.250/min und 476 Newtonmeter bei 3.000/min sollen es sein, genug, um sich vom Ausgangsprodukt (264 PS/194 kW, 377 Nm) mit Nachdruck zu distanzieren, genug aber auch, um dem XJR-S gegenüber der deutschen Konkurrenz einen komfortablen Vorsprung zu sichern. Der Zwölfzylinder von BMW, Antriebsquelle des konkurrierenden 850i, begnügt sich mit 300 PS (221 kW) und 450 Nm. Da stört es dann auch nicht, dass es mit der Leistungsausbeute, spezifisch gesehen, nicht weit her ist. Pro Liter Hubraum erzeugt dieses Mammut-Triebwerk kümmerliche 52 PS (38 kW), eine Rechnung allerdings, die der Fahrer dieses Jaguar mit einem Achselzucken beantworten dürfte. Kraft gibt es beim V12 jetzt wieder mehr als genug. Besonders im unteren und mittleren Drehzahlbereich wird satt aufgetragen, eine klassische Dampfmaschinen-Charakteristik, wie sie moderne High OutputMotoren, das letzte Quentchen Leistung auswringend, nicht bieten können. Sicher, zu hohen Drehzahlen lässt er sich nur mit Mühe verleiten, und seine Reaktionen auf Gaspedalbewegungen sind eher verhalten. Doch der Sechsliter entschädigt durch souveräne Gelassenheit – Leistung, die beruhigt, ein Jaguar-Motor also im besten Stil des Hauses. Die sportliche Note beschränkt sich auf die sonore Tonlage, das Produkt einer speziell abgestimmten Vierrohr-Auspuffanlage, und auf eindrucksvolle Werte in den Fahrleistungen. 250 km/h und 6,9 Sekunden für den Norm-Sprint von null auf Tempo 100 nennt das Werk, ausreichend für einen Platz in der ersten Reihe.

Straffere Federn und Dämpfer

Angesichts der üppigen Motorisierung tritt auch das V12-typische Getriebeproblem etwas in den Hintergrund. Es bleibt bei der veralteten, leistungszehrenden Dreigang-Automatik, eingekauft bei General Motors und XJR-gemäß modifiziert mit veränderten Schaltpunkten. Damit lässt sich jetzt leben, obgleich kein Zweifel besteht, dass auch die Sechsliter-Version des V12 von einer modernen Viergang-Automatik erheblich profitieren würde. Mit einem entsprechenden Getriebe ist indessen nicht vor Herbst des kommenden Jahres zu rechnen.

Jaguar XJR S 6.0 11-1990
Hans-Dieter Seufert
Die äußeren Accessoires, Schürzen und Flügel, entsprechen der sportlichen Mode.

Dass man bei Jaguar Sport weiß, was Jaguar-Fahrer wünschen, beweist die Abstimmung des Fahrwerks. Straffere Federn und Dämpfer, stärkere Stabilisatoren, härtere Gummilager und breitere Reifen (vorn 225/50 ZR 16, hinten 245/55 ZR 16), das einschlä­gige Instrumentarium des Fahrwerktunings, lassen in ihrer Abstimmung Finesse erkennen. Das Ergebnis: deutlich mehr Präzision und Fahrstabilität ohne schmerzliche Einbußen im Komfort-Erlebnis, gerade so wie es dem XJ-S guttut. Das gilt auch für die neu kalibrierte Servolenkung. Die daraus resultierenden höheren Lenkkräfte verbessern den Fahrbahnkontakt, ohne den Genuss am Jaguar-Fahren zu beeinträchtigen.

Jaguar XJR S 6.0 11-1990
ams
Der Fahrbericht erschien am 18. Mai 1990 in Ausgabe 11.

Bei allem Fortschritt lässt sich freilich nicht verheimlichen, dass dieser Jaguar einer vergangenen Automobil-Generation angehört. Von der Leichtfüßigkeit und perfekten Ausgewogenheit der zeitgenössischen Konkurrenten von BMW und Mercedes ist er ein gutes Stück entfernt. Seine Rolle ist das Charakterfach, das des muskulösen, etwas schwerfälligen Boliden typisch britischer Prägung und als solcher ohne Anspruch auf Perfektion. Die von Jaguar Sport gewählte sportliche Verkleidung mag da nicht recht ins Bild passen. Voluminö­se Schürzen, schwellende Schweller und der aufgesetzte Heckflügel sind die typischen Accessoires modischer Sportlichkeit, eine fragwürdige Zierde für einen alternden Star. Mehr Stilempfinden zeigt erfreulicherweise die Einrichtung des Innenraums. XJR-S-spezifisch ist hier die ausgiebigere Verwendung von besonders feinem, handvernähtem Connolly-Leder, das auch das italienische Momo-Sportlenkrad ummantelt. Auf körpergerechtere Sitze und eine Stütze für den sonst haltlosen linken Fahrerfuß – beides seit langem oben auf der XJ-S-Wunschliste – hofft man indes vergebens. Doch wie gesagt: Bei diesem Jaguar auf Perfektion zu vertrauen, hieße ihn falsch zu verstehen. Richtig versteht ihn dagegen Sport-Chef Tom Walkinshaw. Seine Empfehlung für den XJR-S: "A Jaguar, only more so." Das gilt auch für den Preis: 160.000 Mark.

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