Datsun Cherry 100 A (E10)

Schräger Mini aus Fernost

Der Datsun Cherry 100 A ist ein erstaunlich modern konstruierter Kleinwagen. In Japan genießt die Kirsche Kultstatus, deshalb hat Datsun seien pfiffigen Kleinwagen Cherry getauft. Chery heisst er in den USA. Weil die Amerikaner Autos mit Namen schätzen, nennt Nissan im Olympia-Jahr 1972 den Datsun 100 A nach dem beliebten Steinobst.

Datsun Cherry 100 A (E10), Baujahr 1975 Foto: Hardy Mutschler 27 Bilder

Es genießt in Japan kultische Verehrung - ob als Blüte, Frucht oder wertvolles Holz für Möbel, die ewig halten. Die Winterspiele fanden damals in Sapporo statt. Vor allem Hanami, das Kirschblütenfest im Mai, zeugt vom Jahrtausende alten Kult um das kugelrunde, drei Zentimeter große Fruchtbarkeitssymbol. Die weiße, unschuldige Kirschblüte gilt für die Japaner als Wahrzeichen für Aufbruch und Vergänglichkeit, zudem spiegelt sie die weibliche Schönheit wider.

Wilder Stilmix auf 3,6 Meter Länge

Schön im klassischen Sinn ist der Datsun Cherry, wie er bald statt der spröden Formel 100 A genannt wird, nicht gerade. Dafür wirkt er zu skurril, was vor allem an wenig geschmackssicher gestalteten Details wie Leuchten und Schriftzügen liegt. Die Proportionen des Viertürer-Datsun Cherry jedenfalls sind für einen 3,60 Meter kurzen Kleinwagen gut gelungen, er wirkt nicht verhärmt oder gar schmalspurig. Es steckt sogar ein mutiger Schuss Alfasud in seiner Linienführung, vor allem die markant geformte C-Säule verleiht dem Profil des Datsun Cherry einen gewissen Pfiff.

Die für kleine Autos so wichtige Evolutionsstufe der großen Heckklappe ist noch nicht vorgesehen, dafür gibt es ja den Datsun Cherry Kombi. Sogar ein superschräg gestyltes Coupé, eine seltsam geformte japanische Zierkirsche namens Datsun Cherry 120 A, krönt die kleine Modellreihe. Unser Fotomodell Tamara, anders als der Datsun Cherry eine unumstritten strahlende Schönheit, hat sich spontan in den kleinen roten Japaner verliebt und wird mit ihm einen Tag auf den Spuren der Kirsche verbringen.

Zur Einstimmung ins rituelle Datsun Cherry-Reisen trägt sie ein Halstuch mit Kirsch-Muster und nippt ab und zu an einer großen Flasche Cherry Coke. Von Stuttgart aus geht es zunächst in den Schwarzwald und dann in den Ortenaukreis, die Gegend zwischen Rastatt, Baden-Baden und Offenburg. Hier im warmen Klima des Oberrheingrabens reifen die Kirschen besonders schnell.

Vierzylinder begeistert durch lebhaftes Temperament

Schnarrend setzt sich der Datsun Cherry auf seinen knuffigen Zwölfzöllern in Bewegung, störrisch wie ein Terrier, der von einem fremden Frauchen ausgeführt wird. Tamara fühlt sich schon nach wenigen Einfahrkilometern wohl im Datsun Cherry. Die Sitzposition ist entspannt, sie hockt nicht so zusammengefaltet hinter dem Lenkrad wie sonst in der Wagenklasse üblich. Das Instrumentenbrett wirkt aufgeräumt, aber beileibe nicht ärmlich. Die kontrastreichen Uhren glänzen in zeitloser Smiths-Optik. Lustig findet sie die überdimensionalen Zugschalter für Licht, Scheibenwischer, Choke und Warnblinkanlage. My first Sony lässt grüßen - Radiohören entfällt aber leider, die Original-Einbaublende ist noch drin, der Musikgenuss würde durch das kernige Motorgeräusch des Datsun Cherry deutlich getrübt.

Lebhaftes Temperament und einen heiser schreienden Sound gibt es beim Datsun Cherry eben nur im Doppelpack. "Fünf Gänge würde ich mir wünschen. Und vor allem einen Drehzahlmesser, dann könnte ich den Kleinen noch beherzter jubeln lassen", wird Tamara schließlich am Ende der Reise resümieren, während sie unter die Kofferraumluke des Datsun Cherry kriecht, um die kleinen Flechtkörbe voller Kirschen in ihren Golf II umzuladen. Fette Beute eines unternehmungslustigen Tages.

Cherry mit Einzelradaufhängung, Quermotor und Frontantrieb

Der rote Datsun Cherry stammt von 1975 und begleitete das Datsun-Debüt auf dem deutschen Markt. Im Kanon der technisch einfach gestrickten Datsun-Dutzendware spielte der Datsun Cherry neben dem rassigen Sportwagen Fairlady 240 Z und der barocken Sechszylinder-Luxuslimousine 240 K-GT die Sonderrolle eines technisch ambitionierten Wagens mit Frontantrieb, Quermotor und einer aufwendigen hinteren Einzelradaufhängung, die der Idealform einer Schräglenkerachse schon recht nahe kommt.

Konzeptionell eifert der Datsun Cherry dem Mini nach, ohne freilich eine Kopie zu sein, weil er fast alles besser kann – außer besser aussehen. Er fühlt sich in Lenkung und Schaltung britisch-handfest an, sogar das Getriebesingen in den unteren Gängen erinnert an das typische Fahrgeräusch alter englischer Autos. Auch die gesunde Härte des Datsun Cherry-Fahrwerks zeigt Commonwealth-Charakter, die sophistische Konstruktion zahlt sich im Fahrkomfort nicht aus. Trotz guter Anlagen fehlt es dem Datsun Cherry allerdings an der Feinabstimmung von Federung und Dämpfung, neben gefälligem Design bleibt dies lange die Erbsünde japanischer Autos.

Während die Lenkung des Datsun Cherry bei schneller Kurvenfahrt hohe Rückstellkräfte aufweist und beim Gasgeben mit eingeschlagenen Rädern an den Armen zerrt, zeigt die kurzwegige, knackige Schaltung jene Präzision, die von einem MGB her bekannt ist. Niemals würde man sie in einem Quermotor-Fronttriebler erwarten. Schließlich beweist uns der Mini seit Jahrzehnten das Gegenteil. Offenbar wird an diesem Feinschliff die japanische Perfektion wieder spürbar.

Kräftiger Datsun Cherry-Motor will gedreht werden

Ebenso wie bei dem enorm drehfreudigen, ultrakurzhubigen Einliter-Vierzylinder, dem die schlichte OHV-Konstruktion mit nur drei Kurbelwellenlagern beim Fahren niemals anzumerken ist. In der Grundkonzeption entspricht das kettengetriebene Motörchen des Datsun Cherry dem BMC-A-Treibsatz, gibt sich aber bedeutend leistungsfähiger. Gefühlte 60 statt realer 45 PS scheinen unter dem Gaspedal zu herrschen, auto motor und sport ermittelte seinerzeit für den 100 A eine Höchstdrehzahl von 6.600/min.

Wer sich davor nicht fürchtet, bringt es im Datsun Cherry bergab bis auf Tacho 160. Aber auch ohne solche Kraftakte bleibt der Datsun Cherry 100 A ein liebenswert-skurriler Kleinwagen, ein Exil-Engländer aus Japan und obendrein einer der letzten Überlebenden hierzulande. Und wehe es sagt einer, er sei hässlich. Dann bekommt er es mit mir zu tun.