Bugatti 252 Fahrbericht

Der letzte seiner Art

Der Typ 252 ist der letzte Bugatti, der noch in den alten Werkshallen in Molsheim gebaut wurde. Eine Fahrt in dem schlanken Prototyp von 1958 stimmt nachdenklich.

Bugatti 252, Frontansicht Foto: Hans-Dieter Seufert 29 Bilder

Träume und die Frage „Was wäre, wenn?“ gehören zur Historie des Automobils wie der pferdelose Wagen selbst. Was wäre, wenn Jean Bugatti, der älteste Sohn des Patrons und Schöpfer des wunderbaren Typs 57, nicht 1939 tödlich verunglückt wäre? Was wäre, wenn Ettore Bugatti selbst nicht 1947 im Alter von nur 65 Jahren verstorben wäre? Und was wäre, wenn Roland Bugatti, der 13 Jahre jüngere Bruder Jeans, den Typ 252 doch noch zur Serienreife entwickelt hätte?

Gute Frage. Fakt ist, dass es Rolando César Mario Carlo Bugatti nach dem Tod des Vaters und Firmengründers nicht gelang, die berühmte Fahrzeugmanufaktur aus dem elsässischen Molsheim wieder zu alter Blüte zu führen. Es war allerdings auch eine Herkules-Aufgabe: Bei Ettore Bugattis Tod zählte Roland gerade 25 Jahre; er sah sich mit einer Vielzahl von Ideen und Projekten, aber auch knappen Finanzmitteln und Ressourcen konfrontiert – und mit einer Automobilwelt, die nach neuen Konzepten verlangte und in der für Luxuswagen alter Schule wie den Typ 57 kein Platz mehr war.

Im Juli 1963 kam das Aus für Bugatti

Als Konsequenz wurde Bugatti 1963 von dem französischen Luft- und Raumfahrtkonzern Hispano-Suiza, der bis 1937 selbst Automobile gebaut hatte, übernommen. Mangels neuer Modelle war die Produktion in Molsheim ohnehin schon 1956 eingestellt worden, seither hielt man sich mit Reparaturen älterer Kundenfahrzeuge sowie mit Auftragsarbeiten über Wasser.

Direkt nach der Schließung im Juli 1963 sicherten sich die Brüder Fritz und Hans Schlumpf aus dem nahen Mulhouse sämtliche noch im Werk befindlichen Autos, Prototypen, Teile und Spezialwerkzeuge und gliederten alles in ihre Sammlung ein – woraus nach der Firmenpleite der beiden Strickwarenhersteller und vielen Querelen eines der größten Automobilmuseen der Welt wurde: die Cité de l'Automobile. Und die Menschen, die heute dort arbeiten, legen im Umgang mit den automobilen Zeitzeugen eine ebensolche Leidenschaft an den Tag wie einst die Mitarbeiter von Ettore Bugatti.

Mit schöner Regelmäßigkeit versetzen sie dabei ein Museumsfahrzeug nach dem anderen in fahrbereiten Zustand, um es anschließend dem Publikum auf der neu eingerichteten Demonstrationsstrecke neben dem Museum live und in Farbe vorzuführen. Bei der Arbeit gehen sie sehr behutsam vor, um die Patina nicht zu zerstören.

Patina erhalten und behutsam restaurieren

Dabei hat sich das Team um den 29 Jahre jungen, aber äußerst kompetenten Technikchef Brice Chalançon kürzlich auch des Typs 252 angenommen, des letzten Bugatti, der in den alten Werkshallen konstruiert und gebaut wurde: ein schlanker Zweisitzer mit einem 1,5-Liter-Reihenvierzylinder, der auf Schlüsseldreh sofort anspringt und nun im Innenhof des Museums langsam auf Temperatur kommt.

Bei dem vollständig aus Leichtmetall gefertigten Motor mit zwei obenliegenden Nockenwellen und Tassenstößeln handelt es sich im Prinzip um eine Hälfte des Formel-1-Reihenachtzylinders aus dem glücklosen Typ 251, den der ehemalige Alfa- und Ferrari-Ingenieur Gioacchino Colombo 1954 konstruiert hatte.

Dieser letzte Bugatti-Rennwagen trug den Motor ganz fortschrittlich vor der Hinterachse – leider beharrte Roland Bugatti bei der Vorderradaufhängung auf die traditionelle hohlgebohrte Starrachse, eine Halsstarrigkeit, die sein Vater schon beim Typ 57 an den Tag gelegt hatte. Im 251 führte das zu einem abenteuerlichen Fahrverhalten: Beim einzigen Einsatz im Grand Prix von Frankreich am 1. Juli 1956 in Reims stieg Maurice Trintignant nach 18 Runden aus und erklärte, er wolle sein Leben nicht weiter aufs Spiel setzen.

Ein Schatz im Museums-Archiv

120 PS leistet der DOHC-Motor im Typ 252 bei 7.000 Touren, die Zündung lässt sich bei Bedarf zur Doppelzündung umbauen, ein Überbleibsel aus dem Rennmotor. Zwei mächtige 42er- Doppelvergaser von Weber versorgen das Triebwerk, dessen Einstelldaten trotz Prototypendasein keine Rätsel aufgeben: „Wir besitzen alle Notiz- und Testtagebücher von 1956 bis 1963“, erklärt Brice Chalançon.

Die vergilbten Büchlein sind ein wahrer Schatz: „4.1.58 – Hauptdüse 135, etwas zu fett. 8.1.58 – Hauptdüse 130, perfekt“, steht da zum Beispiel, und man könnte sich stundenlang in der Lektüre verlieren. Stattdessen aber mahnt die Kühlwassertemperatur zum Aufbruch, also los.

Der Platz hinter dem großen Holzlenkrad ist äußerst schmal bemessen, die Knie sind stark angewinkelt – selbst ein Hobbit hätte in diesem Cockpit Platzprobleme. Auch der weit hinten aus dem Kardantunnel ragende Schalthebel fällt im Fach Ergonomie ziemlich negativ auf. Doch das sind Kleinigkeiten und dem Prototypendasein geschuldet, für die Serie hätte man den zwei Passagieren sicher mehr Platz eingeräumt.

Unbekannter Blechkünstler formt den Bugatti 252

„Die Aluminiumkarosserie des Bugatti 252 wurde von einem italienischen Karosseriekünstler, dessen Name leider nicht überliefert ist, direkt nach den Vorstellungen von Roland Bugatti geformt, es gab offenbar weder Zeichnungen noch Entwürfe“, erklärt Techniker Bertrand Heck. Dabei wurde die Leichtmetallhülle direkt über das Chassis geformt – der Tank ließe sich nur ausbauen, wenn man die Karosserie zerschneiden würde.

Ein interessantes Detail sind die schräg verlaufenden Leisten auf den Türen, die direkt an der Windschutzscheibe ansetzen. „Sie dienen als Ablaufrinne für das Wasser von der Frontscheibe; tatsächlich wird man während der Fahrt auch bei starkem Regen nicht nass“, meint Brice Chalançon.

Heute aber strahlt die Sonne von einem Bugatti-blauen Himmel, und wir biegen auf die Teststrecke ein. Hier begeistert der Motor mit einer Kraft und Drehfreude, die sofort die Sitzposition vergessen lassen. Der Vorwärtsdrang erinnert an einen Borgward RS oder Maserati 150S; mit kräftigem, aber nicht unangenehmem Sound, der nach weit mehr als 1,5 Litern klingt, dreht der Vierzylinder für die damalige Zeit blitzartig hoch.

Konkurrent für Alfa und Porsche?

Mit der typischen Sensibilität eines Rennmotors reagiert er auf kleinste Befehle des Gaspedals, holt bei Volllast gierig Luft und treibt den 870 Kilogramm leichten Zweisitzer ungestüm voran. Das gut abgestufte Vierganggetriebe unterstützt den Vorwärtsdrang mit kurzen Schaltwegen, angeblich stammt es aus einem BMW 507. Die Trommelbremsen sind den Fahrleistungen angemessen, allerdings sind die vorderen Duplex-Bremsen mit zwei auflaufenden Backen schon unter trockenen Bedingungen schwer zu dosieren. Bei Regen dürfte es spannend werden.

Beim Stahl-Leiterrahmen aus Rundrohren handelt es sich um eine konventionelle Konstruktion, an der Vorderachse hat sich leider Roland Bugatti erneut durchgesetzt und auf eine hohlgebohrte Starrachse mit Querblattfeder bestanden. Auf der Teststrecke in Mulhouse gibt es dabei nichts zu beanstanden, der Bugatti läuft sauber geradeaus, lenkt präzise ein und macht genau das, was der Fahrer will.

Allerdings ist die Strecke recht verwinkelt und kurz – bei hohem Tempo waren die Testfahrer damals nicht wirklich zufrieden. Neben der vorderen Starrachse bemängelten sie auch den Rahmen, der im Ernstfall zu instabil sei.

Was uns wieder zu der eingangs gestellten Frage bringt: Was wäre, wenn es der Bugatti 252 zur Serienreife gebracht hätte? Vorausgesetzt, es hätte nicht so lange gedauert – er war erst 1958 halbwegs fahrfertig – und Roland Bugatti hätte über größere Finanzmittel verfügt, dann hätte der Wagen durchaus eine Chance gehabt: mit vorderer Einzelradaufhängung, stabilerem Chassis und einem ergonomischeren Cockpit.

Der Motor jedenfalls hätte sich gut mit den damaligen Platzhirschen von Alfa, Porsche, Maserati und OSCA anlegen können – eine traumhafte Vorstellung.

Fazit zum Bugatti Typ 252

Vergleicht man den Bugatti 252 im Geiste mit einem Königswellen-Porsche, einem Maserati 150S oder einem OSCA, dann hätte er in der 1,5-Liter-Klasse durchaus Chancen gehabt – als sportlicher Zweisitzer, mit dem man bei Bedarf auch Rennen fahren kann. Das liegt vor allem an dem großartigen, in seinen Grundzügen von Colombo entworfenen Vierzylinder. Das Fahrwerk indes hätte größerer Modifikationen bedurft. Schade, dass der letzte Bugatti sein Potenzial nie unter Beweis stellen durfte.

Die Cité de l’Automobile in Mulhouse (Elsass)

Das Museum im französischen Mulhouse beherbergt beileibe nicht nur Bugatti, insgesamt warten rund 400 Automobile auf die Besucher. Das Museum ist außer am 25. Dezember jeden Tag geöffnet, zudem finden auf der neuen Teststrecke regelmäßig Demofahrten statt. Termine, Öffnungszeiten, Eintrittspreise und Anfahrtsskizze finden Sie unter www.citedelautomobile.com/de