Audi Cabriolet 2.0E Fahrbericht

Offene Beziehung

Das 1991 präsentierte Audi Cabriolet beendete die jahrzehntelange Abstinenz der Marke mit den vier Ringen von offenen Autos. Als Youngtimer scheiden sich an ihm die Geister. Zum Glück jedoch sind Geschmäcker verschieden.

Audi Cabriolet 2.0E Foto: Hardy Mutschler 11 Bilder

Eigentlich ist alles gut vorbereitet für unsere Ausfahrt. Ausgangspunkt war ein Streitgespräch mit einem Freund über das Audi Cabriolet. „Lass’ uns nicht lange diskutieren, probieren wir es einfach aus“, schlug ich vor. Das Auto stand schnell parat – Thomas Frank, Chef der Audi Tradition, stellte uns sein privates dunkelblaues Cabriolet mit dem Zweiliter-Vierzylinder zur Verfügung.

Vollverzinkung und Frontscheibenrahmen aus Aluminium

Gut, das Wetter war nicht ideal für die Probefahrt mit einem offenen Auto: feuchtkalt und vier Grad plus. Letztlich sitze ich allein im Audi Cabrio – mein Freund hat abgesagt. Als mir auf der Landstraße die nasse Kälte eisig über die Stirn bürstet und der morbidgraue Himmel die Sonnenstrahlen verdeckt, frage ich mich, ob das eine gute Entscheidung war.

Die wannige, vollverzinkte Karosserie des Audi Cabrio mit nach hinten ansteigender Gürtellinie und stark geneigter Frontscheibe erweist bei der klammen Luft besonders gute Dienste. In den Innenraum verirrt sich kaum ein Luftzug – wirklich angenehm. Aber gerade die vom Coupé der B3-Generation stammende Karosserieform ist heute ein Grund, warum sich am Audi die Geister scheiden.

Dabei galt das Design von Gerhard Pfefferle und Peter Schreyer bei der Markteinführung 1991 als elegant und schnörkellos. Der aus poliertem Aluminium gefertigte Rahmen für die Windschutzscheibe sorgte für einen Schuss Extravaganz. Wie die Audi Cabrio-Käufer so nahmen auch die Audi-Gestalter das Cabriolet des Mitbewerbers BMW aus der Dreier-Reihe (E30) als Maßstab. Die Münchener, die das bayerische Himmelblau schon in ihrem Markenzeichen tragen, hatten bis zum Audi sowie des höherklassigen Mercedes W 124 das Monopol auf ein viersitziges Mittelklasse-Cabrio aus Deutschland.

Audi zögerte mit der Markteinführung des Cabriolets

Auch als Youngtimer wirken das BMW 3er Cabrio und das Audi Cabrio heute wie zwei sich kabbelnde Brüder: Jeder nimmt für sich in Anspruch, der bessere offene Viersitzer zu sein – im Gegensatz zu der Mannschaft aus Ingolstadt setzte München auf den klassischen Heckantrieb und eine geradlinige Taille.

Doch das beschreibt nur die blanke Theorie. Diplom-Ingenieur Gert Hack nahm sich für auto, motor und sport 1991 beide offenen Bajuwaren in der Praxis vor und stellte beim ersten Vergleichstest nüchtern fest: „Das Dreier-Cabrio untersteuert stärker als das frontgetriebene Audi Cabrio und fährt sich auch eine Spur handlicher.“ Außerdem punktete der Audi mit seiner Servolenkung: „Sie spricht präzise an, lenkt zielgenau und zeigt nur geringe Antriebseinflüsse.“

Bei der Einführung des Audi Cabrios, das an die große Tradition von Open-Air-Modellen der Marke anknüpfen sollte, gingen die Entscheider fast zögerlich vor. Auf der IAA 1989 wurde zunächst eine Studie in Knallrot präsentiert – vier Jahre nach der Vorstellung des offenen BMW an gleicher Stelle. Dieses Schaumodell wirkte bereits so serienreif, dass viele Beobachter auf eine schnelle Markteinführung spekulierten. Tatsächlich sollte es aber anderthalb Jahre dauern, bis die Serienausführung auf dem Genfer Salon 1991 ihre Weltpremiere feierte.

Nach 71.510 Audi Cabrio war Schluss

60 Audi Cabrio sollten pro Arbeitstag in Ingolstadt gebaut werden, also 13.000 pro Jahr. Zwar sagten Experten Audi einen Verkaufserfolg voraus, wodurch die Nachfrage die geplante Stückzahl übersteigen würde. Doch als am 27. Juli 2000 die letzten Frischluft-Coupés die Fertigung verließen, endete der Produktionszähler bei 71.510 Cabrios. Damit blieb Audi pro Jahr im Schnitt um 3.000 Einheiten hinter den Erwartungen zurück.

Weil in Ingolstadt die Produktionskapazitäten im Stammwerk durch andere Modelle zu knapp geworden waren, verlagerte Audi die Fertigung des Cabrio zu Karmann nach Rheine: Ab Dezember 1997 kamen die Audi Cabrios aus Westfalen. Zuvor passten die Karosseriespezialisten Stoßstangen und Schürzen dem damals aktuellen A4 an, gestalteten die Vorderpartie kantiger und zogen die Blinkerleuchten weiter herum – die Erkennungszeichen für die bei Karmann gebauten Cabrios. Doch schon ab Mitte der 90er Jahre galt der offene Ingolstädter als zwar elegante, aber doch alternde Schönheit, die ab 1993 gegen den neuen offenen BMW aus der E36-Baureihe bestehen sollte.

Schon der Basis-Vierzylinder ist ausreichend

Der größte Malus des Audi Cabrio war sein Preis, der stets über dem vergleichbarer Modelle der Münchener Konkurrenz lag. Zwar war er besser ausgestattet, doch das schienen die Kunden nicht genügend zu würdigen. Als Youngtimer allerdings ist der Audi jetzt die günstigere Offerte: Für Autos in gutem Zustand ermittelt der Marktbeobachter Classic-Car-Tax einen um 1.300 Euro niedrigeren Preis als für einen offenen 318i der E30-Baureihe.

Dabei muss es nicht immer der klassische, 133 PS starke Audi-Fünfzylinder sein, mit fast 20.000 Einheiten das meistverkaufte Aggregat im Audi Cabrio. Mir genügt auch der Zweilitermotor, der mit 115 PS Leistung der schwächste Benziner für die erste Cabriolet-Familie ist. Damit ist der 1.350 Kilogramm schwere Wagen ausreichend, wenn auch nicht sportlich motorisiert. Der laufruhige Vierzylinder mit der von einer Bosch KE-Jetronic gesteuerten Einspritzung überzeugt mit einem moderaten Verbrauch.

Das hohe Gewicht ist den zahlreichen Versteifungen zum Beispiel an den Schwellern, der A-Säule und im Kofferraum geschuldet, die wegen des fehlenden festen Dachs erforderlich sind. Um nicht zu viele Kilos aufzusatteln, setzte Audi beim Cabrio auf Leichtbau: glasfaserverstärkter Kunststoff im Rahmen der Windschutzscheibe und stranggepresstes Aluminium für einen zusätzlichen Flankenschutz in den Türen.

Audi Cabrio-Verdeck wurde bei Porsche entwickelt

Viel Liebe zum Detail steckt im Verdeck des Audi Cabrio, das mit Hilfe von Porsche-Ingenieuren entwickelt wurde. Gelöst wird es über einen zentralen T-Hebel an der Oberkante des Windschutzscheibenrahmens, automatisch senken sich die Seitenscheiben ein Stück ab. Diese können zusätzlich über einen zentralen Knopf auf der Mittelkonsole wieder geschlossen werden. Ebenfalls auf Knopfdruck gehorcht das Verdeck, das elektronisch bewegt wird.

Das Audi Cabriolet macht sich mit leichter Bedienbarkeit sowie einen unauffälligen Charakter zum zuverlässigen Freund fürs Offenfahren. Je länger ich unterwegs bin, desto mehr lerne ich seine uneitle Art zu schätzen. Obwohl es mittlerweile dunkel geworden ist und es empfindlich kalt wird, möchte ich ihn nicht zurückbringen: Er würde mich bestimmt nie einfach sitzen lassen.

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