Citröen DS im Fahrbericht

Schwebezustand - das wirklich andere Auto

Ihr außergewöhnliches Design und die Hydropneumatik mit sensationellem Federungskomfort machen die DS von Citroën zu einem Idol der Autohistorie – auch 55 Jahre nach ihrem Erscheinen. In Ulrich Bethscheider-Kieser weckt sie Erinnerungen ganz persönlicher Art.

Citröen DS - Frontansicht Foto: Mutschler 10 Bilder

Es ist das Zischen. Dieses unverwechselbare Zischen, das doch vertraut klingt und sofort Erinnerungen wachruft. Pfffft tönt es irgendwo aus den Tiefen der Lenksäule, sobald nur ein klein wenig am Lenkrad gedreht wird. Und wieder Pfffft, wenn das Steuer anschließend in seine Mittelposition zurückgeht.

Alles, außer gewöhnlich

Zehn Jahre ist die letzte Fahrt in einem Citroën DS her, mehr als 20 die erste. Und mit dem ersten Pffft ist das Gefühl wieder da, in einem der außergewöhnlichsten Autos unterwegs zu sein, das jeden Kilometer zum Erlebnis macht. Gewiss, solche Superlative gedeihen meist auf dem Nährboden des Egoismus, lassen sich fast immer beliebig austauschen und sind in Wahrheit mehr Wunsch als Wirklichkeit. Doch wenn überhaupt ein Serienauto – das millionenfach produziert wurde – außergewöhnlich ist, dann ist es der Citroën DS. Oder kurz die DS, wie das extravagante Fahrzeug von seinen Liebhabern genannt wird – vielleicht, weil in Frankreich Autos grundsätzlich weiblich sind. Und weil das Kürzel DS wie die französische Vokabel Déesse, zu deutsch die Göttin, klingt. Gut, also weiblich. Und auch ein bisschen göttlich.

Pfffft klingt es wieder bei der nächsten Lenkbewegung, geschlechtsneutral, weder männlich noch weiblich. Mit jedem Zischen erzählt die DS ihrem Fahrer von ihrem wundersamen technischen Innenleben, das die Ingenieure bei Citroën vor 50 Jahren Hydropneumatik nannten – ein hydraulisches Hochdruck-System, das bis auf den Motor fast alle wesentlichen Baugruppen unterstützt.

Hochdruckbremse und merkwürdige Kugeln

Eine DS eines guten Freundes war es, die kurz nach bestandenem Führerschein als eines der ersten Fahrobjekte herhalten durfte. Auf das Pffft in der Lenkung hatte mich jener Freund damals nicht hingewiesen, wohl aber auf die Bremse. Als Exemplar der späten DS-Generation besaß seine Göttin zwar schon ein konventionelles Bremspedal, doch die Hochdruckbremse erlaubt nur einen minimalen, kaum wahrnehmbaren Pedalweg. Wie stark gebremst wird, hängt eben nicht vom Pedalweg, sondern allein vom Druck auf das Pedal ab.

Ungewöhnlich, ja, aber auch zum schnellen Gewöhnen. Selbst der Führerschein- Neuling fand sich damals in der DS rasch zurecht. Außergewöhnlich ist in diesem Auto wirklich vieles, und der 1966er DS 19 Pallas, der zum Jubiläums-Fototermin bereitsteht, macht dies erneut deutlich: die merkwürdig aufrechte Sitzposition, die riesige Motorhaube, die sich vor der Windschutzscheibe der nächsten Kurve entgegenstreckt, die Lenkradschaltung und die elegant geschwungene Instrumententafel.

Und, natürlich, der Fahrkomfort. Mit geradezu arroganter Ignoranz saugt das Fahrwerk der DS lästige Bodenwellen in sich auf, lässt sie kaum bis zu den Insassen vordringen und beantwortet selbst ein gemeines Schlagloch nicht mit einem aufschreckenden Hüpfer, sondern lediglich mit einem akustisch vernehmbaren Schlag aus den Tiefen des Fahrwerks. Die Karosserie einer DS bleibt derweil in solchen Lagen stoisch im Gleichgewicht.

Damit dies gelingt, haben die Citroën-Konstrukteure vor einem halben Jahrhundert der konventionellen Fahrwerkskonstruktion Adieu gesagt. Unkomfortabel waren speziell die Autos aus Frankreich schon vorher nicht gewesen. Doch die DS setzte einen neuen Maßstab. Statt Schrauben oder Blattfedern und Stoßdämpfer kamen in diesem Wagen erstmals merkwürdige Kugeln zum Einsatz. In den Kugeln trennt eine Membran ein Gas von der Ölbefüllung. Über einen Kolben und Hydraulikleitungen sorgt das, gemeinsam mit den Längslenkern der Räder, für den Bewegungsspielraum beim Einfedern.

Schalthebel startet den Motor

Mit hydraulischem Druck werden nicht nur die Federung und Lenkung unterstützt, sondern auch die Bremsanlage und sogar die Schaltung. Das erfordert manches Umdenken in der Bedienung. Beispielsweise beim Starten. Die Zündung wird im DS 19 noch über einen Schlüssel aktiviert, mehr aber auch nicht. Um den Motor zu starten, braucht man den Schalthebel – und der ragt wie ein schlanker Füllfederhalter aus der blechernen Konsole, die die Lenksäule ummantelt.

Wird dieses Hebelchen nach links gedrückt, startet der Anlasser, anschließend erfolgen über denselben Hebel die Gangwechsel. Allerdings ebenfalls nicht wie gewöhnlich, denn Kuppeln und Einlegen der Gänge erfolgen hydraulisch. Für jeden Gangwechsel braucht das kleine Stöckchen, verbunden mit kurzem Gaswegnehmen, nur ein paar Millimeter weiter bewegt zu werden, und schon rastet der nächste Gang ein. Selbst bei der Handhabung steht der Komfort im Mittelpunkt: Man kann bequem mit zwei Fingern die Stufen wechseln, ohne dabei die Hand vom Lenkrad zu nehmen.

Fahren wie auf Wolken

Nicht nur vorn freuen sich Fahrer und Beifahrer über weiche und bequeme Sitze, der beste Platz ist im Fond: Die Beinfreiheit hinten ist schlicht großartig. Und wenn, wie in der luxuriösen Pallas-Version, besonders weiche Teppiche auf dem Boden verlegt sind, fühlen sich die Mitreisenden schon beim Einsteigen wie auf Wolken. Dabei kommt der unvergleichliche Komfort der DS durchaus nicht nur den Insassen zugute, wie ich von meinem Onkel Willi weiß. Der besuchte die Familie in den sechziger Jahren häufig, und als Autofahrer lieferte er den Stoff für seine eigene Geschichte, wie sie die Drehbücher dieser Welt kaum schöner schreiben können.

Onkel Willi war nämlich Handelsvertreter. Für Porzellanwaren – und deshalb fuhr Onkel Willi eine DS. Die Hydropneumatik wird sicher manchen Scherbenhaufen im Kofferraum verhindert haben, ganz zu schweigen vom Komfort für den viel fahrenden Handelsvertreter. Onkel Willi, der Porzellanhändler, und seine DS sind ein Beispiel, wie Autos Bestandteil von Geschichten werden, die über Jahrzehnte weitergegeben werden und Assoziationen schaffen. Jenseits des privaten Lebens gibt es zahllose Beispiele: Was wäre die legendäre Fantomas-Krimireihe aus dem Fernsehen ohne die DS, mit der Louis de Funès als Kommissar Juve Verfolgungsjagden nach dem Ganoven Fantomas startete? Und wo einmal der DS sogar Flügel verliehen wurden, damit sich die Göttin wirkungsvoll in die Lüfte erheben sollte?

Blender par excellence wird zum Prachtexemplar

Beim Fototermin am Westfälischen Industriemuseum Heinrichshütte in Hattingen soll die DS jedoch sicher am Boden bleiben. Das in hellem Blau-Grau lackierte Exemplar präsentiert sich makellos. So, als käme es gerade aus dem Schaufenster eines Citroën- Händlers. Doch das ist schon 39 Jahre her, und als Jan Dersch den DS 19 Pallas Anfang der neunziger Jahre kaufte, war die Realität eine andere.

Auf Empfehlung per Telefon gekauft, entpuppte sich die Limousine als Blender par excellence. Eigentlich hätte die damals schwarze Limousine kaum zum Ausschlachten getaugt. Doch aus der Ernüchterung erwächst bisweilen ungeahnter Tatendrang.„Ich hatte lange nach genau so einem Exemplar gesucht“, erinnert sich Dersch – und wollte nicht aufgeben. Das Besondere: Die Limousine von November 1966 gehört zu einer Serie der DS 19, die zwar mit klassischer Frontpartie mit einfachen Scheinwerfern, aber der neueren Generation der Hydropneumatik mit grüner Hydraulikflüssigkeit ausgestattet ist.

Preis der Perfektion: Zehn Jahre Arbeit

Gemeinsam mit einem Bekannten machte sich Dersch ans Restaurieren. Es war der Beginn einer Odyssee, die zehn Jahre dauerte und manch anderen zur Verzweifelung gebracht hätte. Nicht so den DS-Eigner, der den DS 19 mit höchster Akribie originalgetreu restaurierte. Selbst die Hinterachse ist in genau der Farbe lackiert, wie es seinerzeit in der Produktionshalle von Citroën am Quai de Javel im Westen von Paris geschah.

Dass dieser DS während der Restaurierung ein Mehrfaches des eigentlichen Marktwerts verschlang, lässt sich wahrscheinlich nur dann ertragen, wenn man den Doppelwinkel so in die Stirn gebrannt hat wie Jan Dersch. Schon als Kind wurde er vom Papa im DS transportiert.

Präsentation vor den Chefs von Renault, Peugeot und Panhard

Und die DS war kein Auto wie die anderen – wie sich bereits bei der Premiere vor 50 Jahren zeigte. Damals hatte Frankreich die Erprobungsflüge der Caravelle, dem ersten Passagier-Jet der Grande Nation, erlebt. Ebenso hatten die Politiker in Paris die Grundsatzentscheidung für die Einführung einer Autobahnmaut gefällt. Citroën hatte es verstanden, das neue Modell bis kurz vor dem Pariser Salon Anfang Oktober 1955 geheim zu halten. Drei Tage vor dem Salon holten die Verantwortlichen sogar zu einem psychologischen K.O.-Schlag besonderer Güteklasse aus. Sie luden die hohen Herren der geschätzten Konkurrenz zu einer Präsentation im kleinen, exklusiven Kreis.

Jean-Pierre Peugeot war dabei, Paul Panhard und Pierre Lefaucheux, der damalige Renault-Chef. Was die drei Herren damals zum jüngsten Coup von Citroën gesagt haben, ist leider nicht überliefert. Das mag daran liegen, dass es ihnen einfach die Sprache verschlagen hatte.

12.000 Bestellungen am Tag der Präsentation

Anschließend wurde die DS den Händlern vorgestellt – mit vehementen Reaktionen. Ein Verkäufer aus Dreux sammelte, einzig mit einem Prospekt bewaffnet, noch am selben Abend innerhalb von fünf Stunden 50 Kaufverträge bei seinen Kunden ein. Als am 6. Oktober 1955 der Pariser Salon seine Tore öffnete, gingen noch an diesem Tag 12.000 Bestellungen ein, am Ende der Ausstellung waren es 80.000 – welches Auto hat jemals bei seiner Premiere einen so fulminanten Start hingelegt?

Es folgte eine 20-jährige Produktionszeit, die den Charakter der DS nicht veränderte, die Konkurrenz aber moderner werden ließ. 30 Jahre danach bleibt die DS ein Erlebnis, das viele Erinnerungen weckt. Schön, dass sie vor 50 Jahren dieses Auto geschaffen haben, mit seinem charakteristischen Zischen in der Lenkung, drolligem Gummipilz am Boden und einzigartigem Federungskomfort, der nicht nur Porzellanhändler wie Onkel Willi glücklich machte.