Citroën SM im Fahrbericht

Haute Future

Mit aerodynamischer Karosserie, Hydropneumatik und Maserati-Motor sollte der SM zum Trendsetter werden. Doch kleine Konstruktionsfehler und große politische Umwälzungen beendeten die Laufbahn des schnellsten Fronttrieblers seiner Zeit.

Motor Klassik 10/2011, Heftvorschau, mokla1011 Foto: Archiv 14 Bilder

„Merken Sie sich, dass ein Kunde, der über 35.000 Mark verfügt, um sich ein Fahrzeug zu kaufen, Motivationen untersteht, die nur schwer abzugrenzen sind“, riet Citroën in einer internen Anweisung den Händlern, die den Citroën SM unter die betuchte Kundschaft bringen sollten. Und gab ihnen auch gleich eine Liste der Konkurrenzfahrzeuge mit auf den Weg.


Die Aufzählung ist selbstbewusst: Alfa Romeo Montreal, BMW 3.0 CS, Fiat Dino 2400, Mercedes 350 SL oder Porsche 911 S sind in ihr zu finden. Dass sich in Deutschland in sechs Jahren nur 971 Käufer für einen neuen Citroën SM entschieden, lag vermutlich nicht am mangelnden Eifer der Verkäufer. Und auch nicht daran, dass sie die peniblen Vorschriften für Probefahrten nicht befolgt hätten: „Keine großen Lenkeinschläge machen, es könnte dem Kunden missfallen“. Und schon gar nicht an mangelnder Euphorie der Fachpresse.

Rund 20 Prozent teurer als ein Porsche 911

So reihte Reinhard Seiffert den neuen Citroën in der Motor Revue „unter die wenigen Autos der Welt ein, bei denen die Möglichkeiten der Automobiltechnik wirklich ausgenutzt werden“. Denn der neue, große Citroën SM war eine Sensation. Er lief 220 km/h schnell und war damit der schnellste Fronttriebler der Welt. Seine hydropneumatische Radaufhängung verwandelte übelste Landstraßen in Rennstrecken, die Lenkung erinnerte mit ihrer Direktheit eher an ein Formelauto als an ein Luxuscoupé, und seine Hochdruckbremse beeindruckte selbst abgebrühte Tester wie Seiffert: „Eine unsichtbare Faust scheint das Auto festzuhalten“, schrieb er.

Der Preis des Citroën SM war da schon eher für die spärliche Verbreitung verantwortlich: 31.000 Mark kostete er bei der Markteinführung, und war damit teurer als sämtliche deutschen und italienischen Konkurrenten. Ein Porsche 911 E mit Sportomatic etwa war schon für rund 26.000 Mark zu haben.

Obwohl Citroën mit Stolz auf den V6 von Maserati verwies, hat sich auch der Leichtmetallmotor nicht gerade verkaufsfördernd ausgewirkt. Reinhard Seiffert notierte: „Der von Maserati konstruierte Motor wird von Citroën als besonders wertvolles Merkmal des SM herausgestellt, aber beim Fahren kann man den Wunsch nicht ganz unterdrücken, Citroën hätte selbst eine größere oder kultiviertere Kraftquelle realisiert.“

Die Geschichte mit dem Motor

Warum das nicht geschah, warum der Motor für den Citroën SM in dieser Form geordert wurde, lässt sich auch nach über 30 Jahren nicht wirklich nachvollziehen. Die Quellen sind widersprüchlich. Fest steht nur, dass Citroën im März 1968 die Maserati-Aktienmehrheit von der Orsi-Familie erwarb. Fest steht auch, dass Maserati-Chefkonstrukteur Giulio Alfieri umgehend den Auftrag erhielt, einen Sechszylinder-Motor für das S-Projekt, einen Sportwagen auf Basis des DS, der schon seit den späten Fünfzigern die Citroën-Entwicklungsabteilung beschäftigte, zu konstruieren. Umstritten ist, warum es ein 90-Grad-V6 wurde – ein Motor also, dessen freie Massenmomente nicht gerade kultiviertes Laufverhalten versprachen.

Die Geschichte mit dem um zwei Zylinder gekürzten Indy-Motor kann man als Legende abhaken. Sie trifft allenfalls für die ersten Prototypen zu. Denn abgesehen vom Zylinderwinkel und dem Gussmaterial haben die Motoren kaum konstruktive Ähnlichkeiten. Tatsache ist, dass Citroën selbst mit V6-Motoren experimentierte. Auf der Rétromobile 2000 in Paris war ein Motor von 1965 zu sehen, mit zwei Liter Hubraum, zwei Nockenwellen mit Zahnriemenantrieb und 90 Grad Zylinderwinkel.

Was auch darauf hindeutet, dass Alfieri deswegen einen 90-Grad-V6 baute, weil es genau das war, was Citroën von ihm wollte. Der Zylinderwinkel macht bei genauer Betrachtung Sinn. Denn das Triebwerk sollte unter die flache Haube eines DS-Ablegers passen. Er durfte wegen der Citroën-typischen Bauweise mit dem Motor hinter Getriebe und Achsantrieb nicht zu lang sein und der Schwerpunkt nicht zu hoch liegen. Und in dem Zylinderwinkel sollte neben dem Ansaugtrakt auch der Antrieb für die Hydraulikpumpe Platz finden.

Alfieri hatte sechs Monate Zeit. Er baute einen Motor nach bester Maserati-Tradition: mit vier oben liegenden, von Ketten angetriebenen Nockenwellen und einem Motorblock samt Zylinderköpfen aus Alu-Druckguss.

Die Alfieri-Konstruktion hatte aber auch ihre Schattenseiten: So versäumte man – der Legende nach – dem englischen Kettenzulieferer mitzuteilen, dass die Zwischenwelle neben den beiden Nockenwellen noch die Hydraulikpumpe, die Lichtmaschine und den Klimakompressor antreiben sollte. Die Folge war ein unterdimensionierter Kettenspanner für die Hauptkette, der mit für den schlechten Ruf des Citroën SM verantwortlich wurde.

Überdirekte Lenkung und unscheinbarer Bremsknopf

Heute fällt es nicht schwer, Citroën und Maserati all ihre Sünden zu verzeihen. Zumal dann, wenn man in einem so perfekt erhaltenen Exemplar wie dem silbernen Einspritzer von Bruno Wellmann aus Köln Platz nehmen darf. Die ausführliche Anweisung von SM-Profi Dirk Müller aus Bonn wird aufmerksam zur Kenntnis genommen. Auch wenn die Fakten bekannt sind: Die Lenkung – von Citroën auf den schönen Namen DIRAVI (Direction a assistence hydraulique variable en fonction de la vitesse) getauft – ist überdirekt übersetzt, und als Bremspedal dient ein unscheinbarer Knopf.

Alles halb so wild. Den Knopf kennt man schon aus der DS, und die Auflösung des Kürzels sagt dem des Französischen Kundigen, dass es sich um eine Lenkung mit hydraulischer Unterstützung in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit handelt.

Das Citroën SM-Fahren ist ein Schweben

Der von Müller sorgfältig warm gefahrene Motor des Citroën SM nimmt die Arbeit so auf, wie man das von Maserati- und Ferrari-Motoren kennt, alle sechs Zylinder scheinen gleichzeitig zu zünden, und der Nachrüst-Edelstahl-Auspuffanlage entströmt ein Sound, der mehr an einen Maserati 250 F als an einen Citroën erinnert. Auch die schwergängige Kupplung und die metallisch exakte Schaltkulisse fühlen sich eher nach Modena als nach Paris an. Obwohl das Getriebe von Citroën stammt.

Zum richtigen Citroën wird der Citroën SM erst nach dem Losschweben. Schweben, denn fahren ist ein viel zu gewöhnliches Wort für dieses Auto. Es schwebt wirklich. Wie ein Luftkissenboot gleitet es über die übelsten Landstraßen der Eifel, minimalste Lenkeinschläge halten es in der Spur. Und bei niedrigen Drehzahlen brummt der Leichtmetall-V6 zufrieden wie ein Landpfarrer aus der Emilia Romana nach der zweiten Flasche Messwein.

Nach wenigen Kilometern hat man sich an die Lenkung des Citroën SM gewöhnt. Auch daran, dass die Lenkkräfte mit steigender Geschwindigkeit abnehmen. Der Motor zeigt sein zweites
Gesicht. Mit zunehmendem Druck aufs Gaspedal wird er lauter, brüllt ungenierter aus den zwei Endrohren und röchelt melodischer durch die Ansaugwege der Bosch D-Jetronic, die ab 1973 die drei Weber-Doppelvergaser ablöste.

Der Schalthebel klickt schneller durch die skurrile Kulisse, der majestätische Citroën SM neigt sich beim Einlenken heftiger nach außen. Keine Antriebseinflüsse stören den lenkenden Piloten, ohne die geringste Tendenz zum Untersteuern gleitet das Coupé durch die engen Biegungen in Richtung Radioteleskop Effelsberg. Nur wenn man es zu toll treibt, schiebt der SM mit dezentem Reifenquietschen über alle vier Räder. Frontantriebsautos mit über 180 PS, die reichlich über 200 laufen, gibt es heute zuhauf, die Neutralität des SM beeindruckt aber auch noch im Vergleich mit 30 Jahre jüngeren Rivalen.

Genau wie der Geradeauslauf. Auf der Rückfahrt nach Bonn darf der Citroën SM auf der Autobahn über 180 km/h laufen. Er geht wie ein TGV. Das Lenkrad braucht man nur als Fixpunkt für den linken Daumen, wenn mal wieder ein nachlässig pilotierter Turbodiesel-Kleinwagen die Spur zu wechseln droht und der linke Zeigefinger nach der Lichthupe tastet. Der vorbeihuschende Citroën SM erntet erstaunte Blicke. Aber Tieffliegen ist nach Schweben seine zweitliebste Gangart.

Nur 19.920 Citroën SM werden gebaut

Nach nur sechs Jahren und 12.920 Exemplaren kam das Aus für den Citroën SM. Die Energiekrise, der Verkauf von Citroën an Peugeot und das Desinteresse der neuen Herren an einer Motorenschmiede in Modena beendeten die Karriere des Autos. 1975 wurden die letzten Exemplare beim befreundeten Rennwagenbauer Ligier montiert, und viele standen noch Jahre später in den Schaufenstern.

In dieser Hinsicht blieb der Citroën SM trotz seines Maserati-Herzens ganz Franzose: Vernunftehen gab es nicht, nur Liebe auf den ersten Blick oder Gleichgültigkeit. Das stand auch schon in der Händler-Anweisung von Citroën zu lesen: „Manchmal ist Argumentieren nicht erforderlich, der Kunde möchte einen SM kaufen.“ Ob ich einen möchte? Ja, bitte!