Corvette C1 im Fahrbericht

Golden Arrow

Die Corvette, Amerikas einzige Sportwagen-Legende feiert ihren 60. Geburtstag. Eine goldene C1-Corvette von 1962 verrät uns die Geheimnisse ihres großen Erfolgs.

Corvette C1, Frontansicht Foto: Jörg Künstle 19 Bilder

Der erste zweisitzige amerikanische Großserien-Sportwagen im Stil eines britischen Roadsters erwies sich zunächst als grandioser Flop. Mehr als die miserablen Corvette-Verkaufszahlen seit Produktionsbeginn im Jahr 1953 zeigen dies die Fotos des einstigen VIP-Fotografen Edward Quinn aus den späten Fünfzigern. Darauf präsentieren sich internationale Filmstars und Promis ohne Scheu in den angesagten Sportwagen wie Alfa Romeo, Austin-Healey, Ferrari, Jaguar, Mercedes-Benz und mehr. Eine Corvette taucht nirgends auf.

Merkwürdige Optik und zu wenig Power

Dafür erfreute sich der direkte, ab 1955 angebotene Konkurrent Ford Thunderbird großer Beliebtheit. Audrey Hepburn, Liz Taylor, Aristoteles Onassis und noch andere VIPs waren in dem sportlichen Ford-Zweisitzer mit seinem kräftigem V8-Motor unterwegs. Die Corvette der frühen Tage hatte dagegen zu wenig Power - nur 150 SAE-PS - und eine merkwürdige Optik. Sie wirkt bis heute mit ihren hochformatigen, vergitterten Rallye-Scheinwerfern und den wurstförmigen Heckflossen wie das Nischenprodukt eines vom Untergang bedrohten Kleinherstellers.

Ganz anders das goldene Fotomodell aus dem Jahr 1962, an dem auch die internationalen Filmstars von Cannes und Nizza ihre Freude gehabt hätten. Dieses gegenüber dem Corvette-Urmodell inzwischen mehrmals komplett überarbeitete, aber immer noch der ersten C1-Generation zugerechnete Exemplar vereint nämlich in vorbildlicher Weise die Qualitäten, die Amerikas einzigen echten Sportwagen bis heute mehr oder weniger stark auszeichnen: dynamisches Frontmotor-Design mit betont individuellen Zügen, verspielte Karosserie-Details, kräftige V8-Motoren, ein riesiges Ausstattungs-Spektrum und den garantiert großen Auftritt vor Hotels, Straßen-Cafés und sogar vor der Oper.

Letzteres verdanken wir dem einheitlichen Champagner-Farbton (Fawn Beige Metallic) unseres Corvette C1-Cabrios, der sich mit dem reichen Chromschmuck ideal verbindet - und dem dynamisch geformten Hardtop. Dessen schlanke, nach vorn geneigte Fensterstege verleihen dem Cabrio zusammen mit den schräg gestellten seitlichen Entlüftungsschlitzen pfeilartige Züge. Die muskulösen Hüftschwünge über den Hinterrädern und die beutelüstern blickenden Doppelscheinwerfer unterstreichen den Eindruck eines ernst zu nehmenden Sportlers – trotz Automatikgetriebe, Radio, elektrischer Fensterheber und Weißwandreifen.

Cockpit als Miniatur-Architektur

Auch das Corvette-Cockpit, in das der Fahrer sich dank großzügig ausgeschnittener
Türen relativ mühelos einfädeln kann, geizt nicht mit sportlichen Attributen und erinnert zum Teil sogar an Rennsportwagen aus dieser Epoche. So sind die beiden Einzelsitze bereits seit dem Urmodell von 1953 durch einen Karosserie-Steg voneinander getrennt. Ein zentral angeordneter Drehzahlmesser und der kurze, vermeintliche Mittelschalthebel mit hellem Kugelknauf sind ebenfalls typische Sport-Accessoires. Weniger die biedere Zweigang-Automatik. Dass sie dennoch ausreicht, werden wir gleich erleben.

Doch zunächst bewundern wir den typisch amerikanischen, wie miniaturisierte Architektur aufgebauten Instrumententräger der Corvette. Vier Zusatzanzeigen und der dazwischen platzierte Drehzahlmesser werden von dem dominierenden Halbrund des Tachometers überragt. Für Rechtslenker-Fahrzeuge kann das gesamte Modul, das wie die Karosserie aus Kunststoff geformt ist, in die Aussparung vor dem Beifahrer verpflanzt werden. Unsere Corvette sieht innen sehr kühl, modern und spacig aus.

Corvette gab's für eine Hand voll Dollar

Der 5,4-Liter-V8 leistet 300 SAE-PS, exakt doppelt so viel wie die Corvette C1 von 1953 mit Sechszylinder. Serienmäßig kam die 62er Corvette mit 250 SAEPS. Die 50 Mehr-PS kosteten nur 53,80 Dollar, sechs Dollar weniger als die elektrischen Fensterheber. Chevrolet spendierte hierfür dem V8 einen größeren Vergaser und hob die Nenndrehzahl von 4400 auf 5.000/min an. Durch zwei unsichtbare, seitlich unter dem Wagenheck montierte Auspuffendrohre produziert der V8 gerade mal ein sanftes Brummen.

Wir schieben jetzt den Automatikwählhebel über "R" und "N" nach vorn auf "D", gehen von der Bremse, und der Wagen rollt bereits. Mit erstaunlich wenig Druck auf das Gaspedal zieht der drehmomentstarke 5,4-Liter-V8 dank Wandler-Automatik schon kräftig los. Zum Einfädeln in den Verkehr vom Händler-Parkplatz aus ist jedoch ein 180-Grad-Turn angesagt, der beinahe im Straßengraben endet. So mühelos der laufruhige V8 die Corvette beschleunigt, so gewaltig ist der Kraftaufwand für die Lenkung. Im Stand geht fast gar nichts - man sorgt sich beim Reißen und Ziehen um die Haltbarkeit des hübsch gestalteten Volants mit seinen fast messerscharfen Lochspeichen.

Fast alles im zweiten Gang

Insofern ist die zeittypische Nähe zum Lenkrad, die ein Fahren mit stark angewinkelten Armen erfordert, absolut notwendig. Zum Glück gibt es in der Corvette auch mit geschlossenen Seitenscheiben und aufgesetztem Hardtop für Arme, Beine und Gasfuß genügend Platz. Wer will, der kann auch in Badelatschen das Tempo vorgeben. Die Panorama-Windschutzscheibe bietet außerdem nicht nur eine hervorragende Rundumsicht auf Straße und Motorhaube, sondern wölbt sich Platz schaffend nach vorn.

So ist das Fahren von einer souveränen Lässigkeit geprägt, die sich im Normalbetrieb zwischen 1.500 und 2.500/min abspielt - fast ausschließlich im zweiten (Schnell)-Gang, den die Automatik schon ab Moped-Tempo einwirft. Rasch gewöhnt man sich an die einigermaßen präzise arbeitende Lenkung und an die standfesten Bremsen, weshalb wir nach nur wenigen Kilometern im Alltagsverkehr forsch und stressfrei mitschwimmen. Gäbe es nicht dieses helle, luftige und sehr eigenartig geformte Cockpit mit den kühlen, champagnerfarbenen, mattsilbernen und glanzverchromten Flächen, könnte man fast vergessen, in einem über 50 Jahre alten Sportwagen unterwegs zu sein.

Nach der ersten Proberunde kehren wir zu unserem Startpunkt zurück, entriegeln mit wenigen Handgriffen das Hardtop und stellen es an den Rand der Händler-Werkstatt. Die Corvette zeigt jetzt das für die C1-Generation typische Design-Glanzlicht: einen sich zwischen den beiden Sitzen nach vorn in das Cockpit absenkenden Karosserie-Steg. Dadurch schmiegt sich die Karosserie um die Schulterpartien der beiden Insassen. Kein Serien-Roadster aus Europa bot damals diesen Gimmick. Und noch ein dickes Plus: Das Stoffverdeck verbirgt sich unter einem Klappdeckel.

Überlegenes Losballern

Aller Design- und Komfort-Schwärmerei zum Trotz - die Corvette kann auch hart am Wind segeln. Dazu muss man nur das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrücken - sofort springt die Drehzahlmesser-Nadel auf 4.000/min, wo sie stehenbleibt. Nach vielleicht einer Zehntelsekunde setzt dann, untermalt vom basslastigen Wummern, der Schub einer Saturn-Rakete ein, presst den Fahrer in seinen Sitz und zwingt die beiden Hinterreifen zu einem schrillen Aufschrei.

Ab etwa 30 Meilen geht die Drehzahl zügig weiter nach oben, das Tempo auch. Die 60 Meilen (98 km/h)-Marke wird bereits im zweiten Gang nach etwas über acht Sekunden erreicht, der einzige Gangwechsel erfolgt ohne Schubunterbrechung bei 5.000/min. Auch jetzt wandert die Tachonadel der Corvette zügig weiter in Richtung 100 Meilen pro Stunde, sprich rund 160 km/h.

Mit der Corvette konnte kein 300 SL und kein E-Type mithalten

Deutlich schneller ginge es mit dem 360 SAE-PS-Einspritz-V8 und mit Viergang-Schaltgetriebe voran. Damit würde unsere goldene 62er Corvette C1 den Sprint auf 100 km/h in sechs Sekunden schaffen, ihr Topspeed läge bei 240 km/h. Da konnten kein Mercedes 300 SL Roadster, kein Jaguar E-Type und auch viele Ferrari nicht mithalten.

Dieses überlegene Losballern ist neben dem großen optischen Auftritt und einem gewissen Maß an Komfort (mit hoher Alltagstauglichkeit) eines der Wesensmerkmale aller Corvette - und vieler anderer klassischer Amerikaner. Doch nur ein Hersteller hat es bisher geschafft, das Ganze in einen attraktiven, kompakten Sportwagen zu packen: Chevrolet. Und das seit 60 Jahren. Inzwischen hat die Corvette ihr Leistungs-Jammertal von 1975 mit 165 PS längst durchschritten und machte zuletzt als ZR1 mit 647 PS wieder Jagd auf Ferrari & Co. Wie heißt es doch so treffend: They ever come back.

Fazit zur Corvette C1

Motor Klassik-Redakteur Franz-Peter Hudek: Dass die späten V8-Corvette der C1-Baureihe auch in Europa beliebte Klassiker sind, ist gut nachvollziehbar. Sie sind leicht zu fahren, haben ordentlich Dampf, bieten vergleichsweise viel Platz und zünden ein Feuerwerk an knalligen Design-Ideen. Weil es die Corvette noch heute gibt, macht dies den Typ noch  wertiger.