Der VW Scirocco II im Fahrbericht

Der VW-Popstar der Achtziger Jahre

Sie hießen White Cat, Scala oder Tropic und waren aufgestylt wie Disco-Queens im Neonlicht. Damals in den Achtzigern hatte der Scirocco II seine große Zeit - sie war nur kurz.

VW Scirocco II Foto: Frank Herzog 9 Bilder

Die Lederkrawatte hängt immer noch im Schrank. Das Schicksal, im Caritas-Kleidersack zu landen, blieb ihr erspart. Als wehmütige Erinnerung an die schöne, unbeschwerte Zeit einer Jugend in den Achtzigern hat sie ihren festen Platz. Drüben, hinter den grob karierten Hemden, die nur noch zum Autowaschen getragen werden. Sie heute umzubinden, wäre peinlich. Ist sie doch auf ewig out, so wie Popper-Frisur oder Karottenjeans. Selbst am Rosenmontag würden sie dich mit solch einem schmalen weißen Ding auslachen. Gibt es den Lederkrawatteneffekt auch bei Autos? Motto: gestrig, peinlich, geht nicht. Wir wollen die achtziger Jahre als Horrortrip erfahren, am besten im weißen VW Scirocco II. Der Selbstversuch reizt.

Motor Klassik wagt den Selbstversuch
 
Wir probieren es aus. Fahren mit einem im Stil fragwürdigen Youngtimer Freitagnachmittag an eine belebte Tankstelle in der Ausfallstraße einer Großstadt. Das volle Programm läuft ab: 50 Liter Super einfüllen, Ölstand kontrollieren, waschen, saugen, Kasten Mineralwasser fassen. Das Ganze eine halbe Stunde lang - 100 Leute um einen herum, die tanken, waschen, saugen und Getränkekisten stemmen. Im Autoradio dudeln abwechselnd Boy George, Paul Young und Limahl - nicht laut, aber wahrnehmbar. Fast hast du vergessen, dass du im weißen Scirocco II sitzt, Sondermodell Scala, Baujahr 1987, mit weiß verzierten 6J x 14-Leichtmetallrädern von Avus, weißen Stoßfängern, weißem Kamei-X1-Spoilersatz (serienmäßig ab Werk) und weißen Außenspiegeln. Sogar die Sitze und die Rückleuchten sind weiß eingefärbt. Spätestens jetzt wissen wir, warum Gespenster weiß sind.

Der schneeweiße Scirocco feiert sein Comeback
 
Nein, wir tun dem hübschen Coupé Unrecht. Der Scirocco Scala wirkt so unschuldig und zart feminin wie eine Nymphe von Weichzeichner David Hamilton, die das erste Mal in eine Disco geht und noch Spitzensöckchen zu ihren High Heels trägt. Auch der gewagte Selbstversuch an der Tankstelle erntet kein Kopfschütteln. Und wenn jemand lächelt, dann eher zustimmend statt mitleidig. Die anonymen Blicke scheinen dir Mut zuzusprechen. Anders als die Lederkrawatte ist der schneeweiße Scirocco dabei, sein Comeback zu feiern. Könnte gut sein, dass in zwei Jahren ein junger Typ mit umgedrehter Baseballcap sagt: "Cool".
 
Volkswagen gelang es mit der zweiten Auflage des Scirocco, den weißen, blitzsauberen Disco-Look der achtziger Jahre perfekt auf ein Automobil zu übertragen. Vorreiter war das Sondermodell White Cat von 1985, der dem hier gezeigten Scala bis in die weiß schraffierten Gläser der Rückleuchten zum Verwechseln ähnlich sieht. Nur hatte der Stahlfelgen, Sportsitze vorn und trug anfangs die provokante kurze Dachantenne über der Heckklappe - ein Detail, das später wie ein Statussymbol den 16-V-Modellen vorbehalten war. Den Scala gab es übrigens nicht nur in Weiß, seine Innenausstattung passte jedoch stets Ton in Ton zur Außenfarbe. Das Sondermodell Tropic kam im gleichen Jahr wie der Scala und war wie dieser ein Paradiesvogel, so ganz nach dem Lebensgefühl der Achtziger.

Sie wünschen? - Madisontürkis oder Kiwibraun?
 
Ein Sportcoupé wie aus der Bacardi-Werbung - hübsches Gesicht, gute Figur, heiter und so unbeschwert zu fahren wie Beachvolleyball spielen. Die Farben, entweder Madisontürkis oder Kiwibraun, beide in schrillem Metallic, wirken wie aus der Karibik importiert, dazu grün getöntes Glas. Fehlt nur noch, dass VW eine Cassette von Kid Creole and the Coconuts fürs Autoradio Gamma beigelegt hätte. Sehr bunte doppelseitige Anzeigen priesen die Scirocco-Sondermodelle White Cat, Scala und Tropic unter der Überschrift "Die neueste Idee von Volkswagen". Sie zeigten, wie gut es den Wolfsburgern gelang, mit diesen Spezialeditionen den Geschmack der Massen zu treffen - weit besser als Opel und Ford, die dies in den Siebzigern auch schon gut verstanden. Anders als der erste VW Scirocco aus dieser Ära, dem Ital-Design-Chef Giorgio Giugiaro so prägnante Ecken und Kanten verlieh, war die Neuauflage für die Achtziger ein Gewächs der hauseigenen Styling-Abteilung unter Design-Direktor Herbert Schäfer.
 
Das nun vor allem im Heckbereich rundlich modellierte Sportcoupé basierte technisch immer noch auf dem Golf I, der Radstand verrät es, hatte aber einen besseren cW-Wert von 0,38. Die frühen LS- und GLS-Modelle, damals noch mit großem Scirocco-Schriftzug als stilistischem Gag im unteren Glasabteil der Heckklappe, wirkten in ihrer schmalspurigen Schlichtheit rein und unscheinbar. Darum sah sich der Konzern schon 1983 genötigt, dem zierlichen Sportcoupé optisch auf die Sprünge zu helfen. Der Kamei-X1-Anbausatzz wurde kurzerhand für die Sondermodelle als Rundum-Verspoilerung adaptiert und vorzugsweise in Wagenfarbe lackiert. Breite 14-Zoll-Felgen sorgten nun für die passende Schuhgröße. Aus dem beflissenen Chorknaben Scirocco wurde so doch noch ein Pop-Star der Achtziger, mit jenem Hauch von Glamour und optischem Tuning, für das ihn seine Fans lieben.

960 Kilogramm leicht und 90 PS
 
Markus Geiselmann aus Biberach ist einer von ihnen, wenn auch mit 37 Jahren ein spät Berufener. "Früher fand ich den Zweier-Scirocco nur peinlich. Jetzt, wo er im Originalzustand so selten geworden ist, ist er für mich ein Blickfang und Sympathieträger." Geiselmann steckt den Schlüssel ins Zündschloss und setzt sich demonstrativ auf den Beifahrersitz. Scirocco fahren ist so selbstverständlich, wie einen Golf II zu lenken. Obwohl man nie so ein Auto hatte, wirkt alles vertraut. Nur die tiefe Sitzposition in den straffen, angenehm konturierten Polstern hinter dem steilen, immerhin mit echtem Leder bezogenen Lenkrad macht ihn noch sympathischer. Die Schaltung, immerhin fünf Gänge, könnte noch eine Spur exakter sein - Tribut eben an Frontantrieb und Quermotor. Der 1,8-Liter-"Langpleuelmotor", wie er im VW-Jargon hieß, sorgt für guten Durchzug im unteren Drehzahlbereich.
 
Der nur 960 Kilogramm leichte Scirocco lässt sich mit 90 PS ausgesprochen zügig bewegen, wenn auch der Biss des GTI und erst recht der 16V-Modelle fehlt. Kurven folgt er willig. Nur vor Lastwechseln muss man sich ein wenig in Acht nehmen, der kurze Radstand ist schuld. Doch es ist weniger die agile Fahrdynamik, die einen letztlich für den Scirocco II begeistert. Die kleine weiße Zeitmaschine nimmt einen mit auf die Reise, zurück in die Jugend. Damals, als man aus fanatischer Überzeugung ausrangierte Opa-Autos fuhr wie Audi 100, Ford Taunus oder VW K70, den Scirocco II White Cat laut vor Freunden als stillos beschimpfte, am liebsten jedoch mit ihm, dem strahlend weißen Neuwagen, zur nächsten Dorfdisco gefahren wäre. Die Lederkrawatte für solche Spritztouren hing schon im Schrank. Und der Beifahrersitz wäre wohl auch nicht lange leer geblieben.