Mercedes-Benz 130, 150 Sportroadster, 170 H

Heck lass nach - drei Heckmotor-Mercedes

Die drei Mercedes-Benz mit Heckmotor, die wir in den USA fuhren, gehören zu einer ganz seltenen und vernachlässigten Spezies. Bereits elf Jahre vor dem Volkswagen baute Mercedes ab 1934 ein Serienmodell mit Heckmotor. Motor Klassik fuhr den Typ 130 und die Nachfolger zur Probe und besuchte dabei das Mercedes-Benz Classic Center USA.

Mercedes-Benz 130, Mercedes-Benz 150 Sportroadster, Mercedes-Benz 170 H Foto: Dieter Rebmann 30 Bilder

Wir starten mit den Heckmotor-Mercedes in Laguna Beach, einer Stadt mit etwas mehr als 25.000 Einwohnern und am Pazifik zwischen den Metropolen Los Angeles und San Diego gelegen. Sie besteht primär aus einer vierspurigen Küstenstraße, die zwischen dem tiefer gelegenen Sandstrand und dem steil ansteigenden, wüstenhaft trockenen Hinterland hindurchführt. Dort oben und auch links und rechts der Straße stehen viele meist einstöckige Holzhäuser mit einladenden Veranden.

Kurze und wenig erfolgreiche Heckmotor-Ära von Mercedes

Westernheld Clint Eastwood könnte hier seinen wohlverdienten Ruhestand verbringen. Alles wirkt entspannt und friedlich, auch der von Ampeln geregelte Verkehr auf dem South Coast Highway, wo viele neue, japanische Edelautos von Lexus und Co. unterwegs sind. Dazwischen ragen einige Monster-SUVs, Trucks und Pickups in den blauen Himmel. Die Fahrzeuge rollen so gleichmäßig und maschinenhaft über den Asphalt wie in einem PC-Spiel aus den Neunzigern. Bis jetzt. Denn plötzlich taucht auf der rechten Spur ein Tross automobiler Aliens auf, die das übliche Marschtempo nicht einhalten und so den einen oder anderen Truck zum Überholen nötigen. Deren Fahrer blicken entgeistert auf die beiden rundlichen, offenen Winzlinge und das kleine, rote Cabrio mit dem Alligator-Schwanz herab: Mein Gott, was sind das für verrückte Autos. Das sind wir, unterwegs von Laguna Beach nach Irvine, in drei sensationellen Mercedes-Oldtimern mit Heckmotor.

Mercedes-Benz Classic hat eine kleine Schar Journalisten in die Staaten eingeladen, um dort unter der kalifornischen Sonne die drei Heckmotor-Mercedes 130, 170 H und den Sportroadster 150 zu präsentieren. Damit wollte Mercedes den Restaurierungs-Kollegen des Classic Center USA die Ehre überlassen, die in nur vier Monaten neu aufgebauten Oldtimer der Presse vorzustellen. In Stuttgart fehlte hierfür die Zeit und wohl auch etwas die Motivation, weil man bisher die kurze, wenig erfolgreiche Heckmotor-Ära nicht großartig an die Historien-Glocke hängen wollte. Das hat sich seit dem Superjob der Amis geändert: Die drei Heckmotor- Mercedes sind hoch interessante Meilensteine der Automobilgeschichte und machen sogar richtig Spaß.

Vorteil Heckmotorkonstruktion: Geräumiger Innenraum, kompakte Außenmaße

Unterwegs im weiß-grauen Heckmotor-Mercedes 130 von 1935. Zuerst müssen die Fahrerbeine durch einen schmalen Ausschnitt zwischen Vordersitz und Karosserie gefädelt werden. Ist die traditionell hinten angeschlagene Tür erst einmal geschlossen, kommt mit Blick aufs adrette Interieur richtig Freude auf: Türverkleidungen im gleichen, eleganten Streifenstoff wie die Sitze, dunkle Holzblenden als Fensterrahmen, eine komplette Instrumentierung und sogar etwas Luxus durch einige aufpreisfrei gelieferte Dinge, die damals nicht die Regel waren – doppelter elektrischer Scheibenwischer, Kartenleselampe, elektrischer Zigarrenanzünder mit Aschenbecher und eine Frischluftheizung, die wir hier und heute nicht brauchen.

Fahrer und Beifahrer berühren dank des fehlenden Frontmotors mit ihren Fußspitzen beinahe die beiden vorn quer übereinander eingebauten Blattfedern des Mercedes 130, sitzen aber dennoch nicht zu dicht hinter der Windschutzscheibe, die ebenfalls nach vorn wanderte. Das Heckmotor-Konzept ermöglichte einen geräumigen Innenraum bei kompakten Außenmaßen. Im Mercedes-Prospekt von 1934 erfahren wir zudem: „Weil der Platz für alle vier Passagiere zwischen die Achsen verlegt wurde, gewinnt das Fahren beträchtlich an Annehmlichkeit.“ Das galt besonders für die Hinterbänkler, die in einem konventionellen Automobil praktisch auf der Hinterachse und nicht wie im Heckmotor-Mercedes 130 davor Platz nehmen durften.

Kurvenfahren neu erlernen

Das klingt alles sehr viel versprechend, sodass wir erwartungsvoll den Starterknopf des Mercedes 130 drücken. Nach einem kurzen Heulen springt der 1,3-Liter-Vierzylinder im Heck an und wartet mit einem dezenten Brabbeln auf die Gasfußbefehle des Fahrers. Die lauten, so viel wird auf den ersten 500 Metern bereits klar, alles oder nichts. Die 26 PS haben ziemlich Mühe, die immerhin eine knappe Tonne schwere, mit zwei ausgewachsenen Mitteleuropäern besetzte Cabrio-Limousine in Bewegung zu bringen. Die Gangwechsel sollten deshalb, um das Tempo zu halten, möglichst schell erfolgen, was jedoch das Getriebe mit langem Hebel und ungewöhnlichem Schaltschema – erster Gang halblinks hinten – etwas erschwert.

Mit viel Übung, Zwischenkuppeln und Zwischengas geht es jedoch im Mercedes 130 flott voran, und wir kommen in den Genuss der leichtgängigen, angenehm präzise arbeitenden Lenkung und des komfortabel abgestimmten Fahrwerks. Die Motorgeräusche des Heckmotor-Mercedes halten sich in Grenzen, allerdings dringen beim Hochrehen Vibrationen nach vorn, die sich am Lenkrad bemerkbar machen. Andererseits potenziert das geöffnete Dach das Raumgefühl ins Unermessliche – einfach schön. In gut gelaunt gefahrenen Kurven oder beim schwungvollen Abbiegen kommt jedoch Bewegung in die Fuhre. Der Mercedes 130 schlingert, droht mit dem Heck auszukeilen, weshalb man gern das Tempo zurücknimmt.

Auch die heldenhaften Auto-Tester von damals registrierten das Eigenleben der Mercedes 130er-Hinterachse des Heckmotor-Mercedes: „Man muss in gewissem Sinne umlernen, insbesondere was das Kurvenfahren betrifft“, schrieb Stephan von Szénasy 1934 in Ausgabe 14 von „Motor und Sport“. Seine dennoch positiven Erfahrungen nach 67 Kilometer Überlandfahrt in nur einer Stunde: „Man erreicht mit dem Mercedes 130 Fahrdurchschnitte, die an die des hervorragenden Typs 170 herankommen.“ Und das, obwohl „eine um 400 ccm kleinere Maschine die Kraftquelle ist.“ Auch das komfortabel und sogar sicher abgestimmte Fahrwerk wird gelobt, „wenn man sich nur einigermaßen an die Eigenarten des Wagens gewöhnt hat“.

Keine Frage – dem neuen, handlichen Heckmotor-Mercedes begegnete die Fachpresse mit großem, meist wohlwollendem Interesse. Immerhin präsentierte die berühmte Traditionsmarke mit dem 130 ihren ersten Vierzylinder-Mittelklassewagen, in dem viel moderne Technik steckte: Reihenmotor, Getriebe, Differenzial und Hinterachse bilden eine kompakte Einheit – ein Prinzip, das 30 Jahre später ganz Europa bewegt, zunächst im Heck, dann im Bug kompakter Familienautos von Fiat, Renault, Volkswagen und vielen anderen.

Rassiger Sportwagen mit Erfolg im Motorsport

Der Mercedes 130 bewies auch während der Fernfahrt „2000 km durch Deutschland“ im Jahr 1934 seine Qualitäten: Von sechs gestarteten Heckmotor-Mercedes-Limousinen kamen drei ins Ziel und erhielten jeweils eine Gold-, Silber- und Bronzemedaille. Unter den damals rund 650 teilnehmenden Automobilen befanden sich zudem viele große Mercedes-Sportmodelle wie SSK und 500 K sowie sechs Mercedes 150er Sport-Limousinen mit Mittelmotor und Stromlinien-Karosserien. Der Verbleib dieser sechs revolutionären Mittelmotor-Coupés ist ungeklärt.

Deren „Käfer“-Optik erhielten 1936 jene 30 VW-Prototypen, die damals bei Daimler-Benz in Sindelfingen entstanden. Mercedes nahm dagegen den Mittelmotor-Antrieb mit neuem OHV-1,5-Liter-Vierzylinder als offenen Mercedes 150 Sportroadster ins Programm. Im Prospekt war das 55-PS-Leichtgewicht ein „rassiger Sportwagen“: „Ein PS ist mit nur 19 kg belastet! Hier liegt die Erklärung dafür, dass der Mercedes Typ 150 einen Anzug hat, der dem eines Kompressorwagens kaum nachsteht.“

Tatsächlich gefällt während des Proberitts das 980 Kilo leichte Spitzheck-Cabrio durch flotte Fahrleistungen und sogar ein reaktionsfreudiges Handling – wenn nicht diese kuriose, weit nach vorn gerückte Sitzposition wäre. So viel optische Avantgarde, die man allenfalls von Citroën erwarten durfte, schien in Deutschland nicht erwünscht zu sein. Die Produktionszahlen des Mercedes 150 – sie liegen wohl zwischen 20 und zwei Exemplaren – verlieren sich im Halbdunkel. Unser roter Heckmotor-Mercedes-Roadster ist der einzige Überlebende.

Der Bestseller unter den Heckmotor-Mercedes: Der 130

Mehr Erfolg hatte dagegen die viersitzige Heckmotor-Limousine 130, von der 4.297 Stück entstanden. Mercedes löste daher 1936 den 130 durch den verbesserten Nachfolger 170 H ab. Er erhielt einen von 26 auf 38 PS erstarkten Motor, mehr Radstand und eine breitere Spur, was wir auf der Fahrt zum Mercedes-Benz Classic Center feststellen konnten: In seinem ganzen Auftritt nahm der 170 H die fünfziger Jahre vorweg und wirkte im Vergleich zum kompakteren 130 wie ein richtiges Familienauto. Dennoch wurde ihm das moderne Design mit knapp geschnittenen Kotflügeln, rundlichem Fahrzeugbug und fehlenden Trittbrettern ebenfalls zum Verhängnis, zumal Mercedes mit dem 170 V eine in jeder Hinsicht konventionelle und preisgünstigere Variante im Programm hatte. Ende 1939 wurde die Produktion des 170 H eingestellt.

Uns bringt der Mercedes 170 H jedoch problemlos zum Classic Center in Irvine, wo uns dessen aus Deutschland stammender Leiter willkommen heißt. Michael Kunz und sein 19-köpfiges Team bieten einen kompletten Rundum-Service: Verkauf, Wartung, Teile, Restaurierungen. Zu den Kunden zählen auch Film-und TV-Größen wie Jay Leno, Patrick Dempsey und Clint Eastwood. Der würde sich sogar persönlich um seinen Oldtimer kümmern und „deshalb auch öfters bei uns anrufen“, sagt Kunz.

Eastwood, ganz der alte Westernheld, fährt übrigens einen etwas potenteren Mercedes als unsere drei rüstigen Vierzylinder-Vorkriegsveteranen – einen Mercedes 300 SE 6.3 mit US-typischem V8.