Fahrbericht: Mercedes 280 Binz-Umbau

Das Kranke wagen

Krankenwagen-Klassiker - der besondere Mercedes-Benz W123: Einen nicht mehr gesunden 123er-Krankenwagen von Binz zum voll alltagstauglichen Hundetransporter umzurüsten, hat Hundetrainer Massimo Marziano in zehn Monaten Umbauzeit bewältigt.

Mercedes VF123 E28 Binz KTW, Seitenansicht Foto: Hardy Mutschler 18 Bilder

Lupo hat die Schnauze voll. Er hasst es. Er kann das Gebrumme nicht leiden, das Schaukeln, die Richtungswechsel und dieses Kribbeln, das in alle Teile kriecht. Ihm wird schwindelig, ihm wird schlecht. Er beginnt zu sabbern und, ja, er bekommt es auch mit der Angst zu tun. Als endlich die große Heckklappe des ehemaligen Krankenwagens auf Mercedes-Benz W123-Basis vor ihm aufschwingt, ist er bedient, und er macht überhaupt keine Anstalten, das zu verbergen.

Schweizer Krankenwagen wird zum Hundetransporter

Sein Gesicht ist eine Anklage. "Was fällt dir eigentlich ein", spricht es aus den kleinen braunen Augen, "mich hier schon wieder reingestopft zu haben? Meinst du etwa, ich fände Auto fahren plötzlich toll, nur weil du dich beinahe um den Verstand geschraubt hast, um aus dieser ollen Schweizer Ambulanz einen originellen Hundetransporter zu basteln?"

Was, bitte, sollte man einem 20 Zentimeter hohen Pflegedackel auf solche Vorwürfe entgegnen? Noch dazu, wo der ja Recht hat. Der auf Mercedes 123-Basis aufgebaute Krankenwagen war als Ambulanz in der Schweiz im Einsatz und schließlich, auch wenn man es ihm nicht sofort ansah, schlimmer dran als alle Oberschenkelfrakturen, Herzinfarkte und Gehirnerschütterungen, die er in seiner langen Dienstzeit durch die Kantone Waadt und Wallis chauffierte.

Mittlerweile ist der Mercedes W123-Krankenwagen tatsächlich ein origineller Transporter, in dem bis zu acht Hunde komfortabel, artgerecht und sicher unterzubringen sind. Und obwohl Lupo mit seinen kurzen, krummen Beinen eigentlich dankbar sein müsste für jeden Meter, den er nicht selbst zu laufen braucht, wurden seine Vorbehalte gegen das Auto fahren auch dadurch nicht geschmälert, dass der Hundetrainer Massimo Marziano während der zehn Monate langen Umbauphase seines 123er-Krankenwagens vielleicht ein paar Mal zu oft gedacht hat, er werde bald noch selbst zum Dackel.

Prinzipiell hat ja der Umgang mit alten Autos und jungen Hunden durchaus Gemeinsamkeiten. Wer nicht weiß, wie er an welchen Schrauben zu drehen hat, sollte besser die Finger davon lassen. Wer sich nur halbherzig an die Sache macht, sollte sich später nicht erschrecken über den Schlamassel, den die anfänglichen Versäumnisse nach sich ziehen können. Wobei sich seltsame Aussetzer und durchgeknallte Kopfdichtungen an einem vernachlässigten Motor meist leichter handhaben und in Ordnung bringen lassen als etwa bei einem ausgewachsenen anatolischen Herdenschutzhund.

Und selbst bei bestem Wissen und größter Sorgfalt wird es immer wieder passieren, dass der Wagen auf vier Rädern, genau wie das Wesen auf vier Beinen, nicht so will, wie die Halter sich das vorstellen. Massimo Marziano sind solche Parallelen nicht fremd. Seit etwa fünf Jahren erzieht er mit einigem Erfolg den besten Freund des Menschen, was in der Mehrzahl der Fälle freilich heißt, den Menschen des Freundes zu erziehen. Und schon länger hielt er sich zum Transport der Hunde ein tadellos hergerichtetes Mercedes-Benz 123er-T-Modell.

Verheizte 123er-Krankenwagen

Um neben den eigenen - Kurzhaarcollie-Mischling Diego und der Wolfhund Wolf - möglichst viele Hunde von Kunden unterzubringen, war der Mercedes-Kombi allerdings oft zu klein. "Ich brauchte mehr Platz für eine spezielle Hundebox, wollte aber keins von diesen kastigen Nutzfahrzeugen, von denen man bitte nicht mehr erwartet, als dass sie schnöde ihren Zweck erfüllen. So kam ich auf einen alten Krankenwagen, natürlich auf Mercedes W-123-Basis. Der bot genau die richtige Basis für das, was ich vorhatte, lang genug und auch hoch genug."

Vor allem aber sind Mercedes 123er-Krankentransporter mittlerweile: selten. Zum einen richtete sich die Fahrweise im Notfall nach den Bedürfnissen der im Heck Liegenden und weniger nach denen der Mechanik. Im Klartext: kalter Motor, egal, Vollgas. Kalter Patient, nicht egal. Zum anderen wechselten einige Exemplare nach dem Tatütata ihres ersten Lebens in die Hände von Besitzern, die nicht kranke Wagen heilen, sondern nur auf dem nächsten Festival nicht bekifft im undichten Billigzelt durchsuppen wollten.

Die nackten Fahrgestellen mit Motor bekamen Sonderaufbauten

Besonders viele Krankenwagen auf Basis des Mercedes W 123 hat es ohnehin nicht gegeben. Streng genommen gar keinen. Anders nämlich als es auch der Fahrzeugschein mit dem Eintrag "280 TE lang" glauben machen will, war es nicht das T-Modell, auf dem die Sonderkarosserien der Krankenwagen aufbauten, sondern das Chassis der langen Limousine mit ihrem um 630 auf 3.425 Millimeter gestreckten Radstand, Typenkürzel VF 123. Mercedes lieferte das Fahrgestell samt Motor, Antrieb sowie einer bis zur B-Säule kompletten Karosserie und Innenaustattung an Firmen wie zum Beispiel Binz oder Miesen. Die komplettierten die Mercedes W123-Fahrgestelle mit ihren in Eigenregie entwickelten Spezialaufbauten und statteten sie für den jeweiligen Einsatzzweck aus.

Ein Vorgang, den dieser späte Mercedes 123er kürzlich ein zweites Mal über sich ergehen ließ. Kaum ein Teil, das Massimo Marziano und die beiden Mercedes-Experten Albert Becker und Wolfgang Martin vom AMB Autoservice in Ludwigsburg nicht getauscht, angepasst, repariert oder restauriert hätten, um aus dem Kranken- einen Hundetransporter zu machen. Isoliertes Dach, Standheizung, Wasserspender, ein Ventilator, der frische Luft hineinbläst und anders herum drehend feuchte nach draußen quirlt, abgeklebte Scheiben, geräumige, fest installierte und gepolsterte Boxen aus gefrästen Kunststoffplatten: Was andere Hunde sichtlich zu schätzen wissen, hilft dem Dackeljüngling Lupo nicht sonderlich weiter. Was ihm gegen seine Autophobie auf Dauer hilft, ist schlicht: Auto fahren. Und nach und nach merken, dass die Sache so schlimm nicht ist.

Richtungsänderungen brauchen Zeit

Schon gar nicht in diesem gut über fünf Meter langen und beinahe zwei Meter hohen Mercedes 123er-Krankenwagen, der ja nun kein leichtfüssiger Windhund ist, sondern sich, Dimension und Gewicht entsprechend, eher bewegt wie ein gut gefütterter Neufundländer. Richtungsänderungen sind möglich, sicher. Nur sollte man nicht davon ausgehen, dass sie spontan erfolgen. Das Auto lenkt sich so brav, wie Massimos Colli-Mischling Diego auf dem Hundeversteher-Logo guckt, folgt Kommandos aber mit deutlich mehr Verzögerung.

Es sind das Steuer mit seinem grosszügigen Spiel um die Mittellage und das Fahrwerk mit seinen weit voneinander entfernten Achsen, den hochwandigen 15-Zoll-Reifen und der niveauregulierten Gutmütigkeit, die den Bewegungen des Mercedes W123-Krankenwagen eigentlich alles beunruhigend Zackige nehmen. Aber wer weiß schon, wie ein kleiner Dackel das empfindet. Vielleicht so, als hätten wir, anstatt im geräumig lichten Fahrerabteil auf dem noch immer angenehm straff unterpolsterten, gelochten Kunstleder der 123er-Sitze Platz zu nehmen, mit dem Kopf voran in die beklemmende Enge eines düsteren Dachsbau zu kriechen? Würde es helfen, wenn man uns erzählte, es sei ein besonderer und extrem seltener Dachs, der uns dort erwartet?

Der Krankenwagenmotor hat schon rund 500.000 km runter

Lupo jedenfalls fängt nichts an mit der Information, dass er in einem ganz speziellen Einzelstück reist, wenn er bei Massimo Marziano zur Urlaubsbetreuung ist. Der Mercedes 123er-Krankenwagen rauchte in Deutschland als 240er- oder 300er-Diesel. Alternativ soff er als 250er-Benziner mit Vergaser. Der 2,8-Liter-Sechszylinder war dem Export nach Schweden und in die Schweiz vorbehalten. Er leistete im Krankenwagen ähnlich wie im G-Modell wegen planer Kolben und geringerer Verdichtung nur 160 statt 185 PS, lief etwas behäbiger, aber einen Tick weicher.

Dass der Motor des Hundetransporters auf Mercedes W123-Basis wieder volle Leistung bringt, hat damit zu tun, dass er nach der Umrüstung auf Gas, geregelter Kat inklusive, noch weniger als zuvor einen gleichmäßigen Leerlauf finden wollte. Schuld waren verschlissene Ventilführungen. Und wenn man schon mal dabei ist: originale Buckelkolben für höhere Verdichtung und neue Pleuellager. "So, wie die alten aussahen", sagt Massimo, "hat der Motor sicher schon an die 500.000 Kilometer runter.

Die nächsten geht es jetzt erst mal ganz piano, bis Lager, Kolben und Zylinder aufeinander eingelaufen sind." Lupo kann das nur recht sein, es verschafft ihm Galgenfrist zum geruhsamen Üben. Und weil Massimo sich auf sein Mercedes W123-Ex-Krankenwagen-und-nun-Hundetransporter nicht weniger versteht als auf die Hunde, die man ihm anvertraut, dürfte sein Dackelschützling demnächst ebenso vollgasfest sein wie der 123er, Diego und Wolf.