Fahrbericht Renault Alpine A 310 V6

Französisches Plastik-Spielzeug

Zeitlebens stand die Sechszylinder-Renault Alpine A310 im Schatten des Porsche 911. Die ewige Zweite ist zwar auch ein Individualist mit Charisma, wirkt jedoch improvisierter und stellt exotische Reize über technische Perfektion. Spaß machen sie beide.

Renault Alpine A 310 V6 Foto: Arturo Rivas 9 Bilder

Es heißt „die“ Alpine A 310,  und der kleine Unterschied in der Anrede sagt schon viel über ihren Charakter aus. Denn Autos sind im Deutschen männlich. „Der“ Porsche 911 möge als Paradebeispiel für diesen Umstand dienen. Denn seine Persönlichkeit verkörpert typisch männliche Tugenden: Er ist stark und verlässlich, im Ernstfall steckt er eine Menge weg. Seine Ultima Ratio heißt Perfektionismus, er fühlt sich in erster Linie Technik und Funktion verpflichtet und erst dann der Schönheit.

Renault Alpine A 310 becirct den Fahrer

Die Renault Alpine A 310 entspricht dagegen viel eher dem weiblichen Bild. Sie ist launisch und extravagant, exotisch und reizvoll. Sie becirct den Fahrer mit rassigem Aussehen und will bei forcierter Gangart erobert oder gar gezähmt werden. In anderen Momenten wiederum schätzt sie galante Manieren und zärtliche Behandlung. Subtile Erotik ist immer im Spiel.
 
Bei jedem Rendezvous erfolgt als Reverenz an ihre schlanke kurvenreiche Figur eine Verbeugung, denn die nur 1,15 Meter hohe Karosserie erfordert etwas Geschick beim Einsteigen. Die futuristisch geformten „Pilotsitze“ halten Fahrer und Beifahrer fest umklammert. Heute wirken sie vor allem mit dem auf Wunsch lieferbaren Wildlederbezug leicht skurril.

Haute Couture im Automobilbau

Schließlich stammt die Renault A 310 aus einer Zeit, als französische Coupés noch mit Avantgarde und Extravaganz kokettierten – wie Renault 17 TS, Citroën SM oder Matra Simca Bagheera anschaulich beweisen. Haute Couture im Automobilbau, nicht klassisch-gediegen wie bei den Italienern, sondern provokativ-exzentrisch, manchmal sogar bizarr wie die Siebziger-Jahre-Kollektionen eines Cardin oder Courrèges.
 
Schnell hat sich der Renault Alpine-Galan an die halb liegende Sitzposition hinter der schrägen Frontscheibe gewöhnt. Doch das ruckfreie Bedienen der stehenden Pedalerie will ein wenig geübt sein. Sie kennzeichnet die Heckmotorbauart, und ihre gefühlvolle Betätigung ist uns seit dem Schwinden des Käfers im Alltag abhanden gekommen. Das Rouge der zahlreichen Rundinstrumente ist zu dick aufgetragen. Generell wirkt das Board mit dem zufälligen, aber kompletten Uhren-Arrangement reichlich improvisiert – als stamme es aus einem Versuchswagen, oder, besser noch: aus einem Rallye-Auto. Doch verströmt gerade dies den typisch romanischen Charme, die lustvolle Antithese zu teutonischem Perfektionismus.

Renault Alpine A 310 Getriebe gibt Rückmeldung

Katzenhaft ist das leise Fauchen des kraftvollen Sechszylinders beim Drehen des Zündschlüssels. Der geschmeidige Rundlauf des aufwendig konstruierten V6 mit seinem ungewöhnlichen Zylinderwinkel von 90 Grad will erst von ein paar kurzen Gasstößen stabilisiert werden. Die recht zahme Devil-Auspuffanlage unseres Fotomodells, einst ein gefragtes Zubehör, legt den hell klingenden Sopran des Leichtmetall-Sechszylinders eine Nuance tiefer Richtung Alt.
 
Die Kupplung ist leichtgängig und hat einen angenehmen Druckpunkt, auch die Schaltung des schnöden Vierganggetriebes aus der ersten Serie gefällt durch kurze Wege. Anders als die teigigen Rührwerke mancher Heckmotorautos vermittelt das umgedrehte R 30-Getriebe eine intensive Rückmeldung vom Antriebsstrang.  Kurvenreiche Landstraßen sind die Domäne der Alpine A 310 V6. Sie ist ein fahraktives Auto, und als solches will sie vom Mann hinter dem kleinen Ledervolant auch begriffen werden. Fragt er nach einer Servolenkung, lacht sie ihn aus. Behandelt er sie gefühlvoll, wird sie nicht zickig oder gar hinterhältig.

Renault Alpine V6 ist nicht handzahm

Der Fahrer freut sich an dem durchzugskräftigen Motor und seiner stimulierenden Melodie. Trotz hoher Elastizität schaltet er oft, um stets die schönsten Passagen dieses Allegro zu hören. Schon nach zwanzig, dreißig Kilometern stellt sich eine hohe Vertrautheit mit dem Wagen ein, als führe man sensibler und bewusster. Ein Gefühl, als wenn vom Limousinenluxus längst verschüttete Reflexe wieder erwachten.
 
150 PS klingen heutzutage nominell so handzahm wie einst 75 im Ascona, sie sind es aber nicht. Den nur 980 Kilogramm Gewicht der Renault Alpine V6 verhelfen sie zu spielerischer Souveränität in allen Verkehrslagen. Glasfaserverstärktes Polyesterharz spart Gewicht und macht Kleinserien erst rentabel, weil teure Werkzeugkosten entfallen. Immerhin sorgen der Zentralrohrrahmen und der in die Karosserie eingearbeitete Überrollbügel aus Stahlblech für Verwindungssteifigkeit.

Wenn sie rumkommt, lässt sie sich nicht mehr einfangen

Der günstige cw-Wert von 0,34 macht die Renault Alpine A310 noch effizienter. Die attraktive, schnittige Form hilft ihr, das Reisewagentalent mit einem Schnitt von 160 km/h und hohem Aktionsradius zu krönen. Doch das Kurvengeschlängel behagt dem Fahrer weit mehr als Autobahn-Monotonie. Anders als moderne Fronttriebler legt sie sich willig hinein, bei völlig entspannter Lenkarbeit.
 
Der Grenzbereich ist noch ganz weit weg. Und laut Alpine-Fahrer Bernhard Leitner tut man gut daran, ihn nicht zu suchen. „Wenn sie wirklich herumkommt, lässt sie sich nicht mehr einfangen, dann ist der Dreher fällig oder der Ausritt in die Botanik“, warnt er mit dem verschmitzten Lächeln eines in verbotenen Dingen Erfahrenen. Er weiß, wovon er spricht. Schließlich besitzt er noch zwei Renault A 110 Berlinetten, die er für viel gutmütiger hält, weil kein großvolumiger Sechszylinder achtern für große Hebelwirkung sorgt, oder, anders ausgedrückt: für unerwünschtes Drehmoment.

Renault Alpina A310 sind rar geworden

Mehr Sicherheit bei hohem Tempo ist auch der Grund, weshalb so viele Alpine A 310 verkappten Gruppe 4-Rennwagen ähneln. Das Fahrertrio Breit, Tief und Laut hat den Ruf des Autos vom einst elitären Society-Spielzeug zum Straßenschreck degradiert und die Preise verdorben. Vor allem originale Autos der ersten Serie, wie Bernhard Leitner eines besitzt, sind rar geworden. Alpine-Experten geben der technisch ausgereiften zweiten Serie zwar den Vorzug, aber die unschuldige Grazie der frühen Modelle hat eben ihren Reiz. Angesichts ihrer Zeitlosigkeit ist es kaum zu glauben, dass die ersten Skizzen der A 310 schon 1968 entstanden.
 
Alpine-Mentor Jean Rédélé schielte auf den Porsche 911 und konzipierte einen geräumigeren, 2 plus 2-sitzigen Grand Tourisme mit ausgeprägter Tauglichkeit zum Reisewagen. Alpine-Stylist Yves Legal zeichnete mit der traumwandlerischen Sicherheit des großen Wurfs eine aufregende Karosserie. Sie entstand auf Basis einer modifizierten Renault A 110-Plattform, ausgerüstet mit dem Motor des Renault 16 TS und neu konstruiertem Fahrwerk mit Doppelquerlenker-Hinterachse sowie schräg gestellten Federbeinen.

Furore auf dem Genfer Autosalon

Das futuristische Design der neuen Alpine sorgte beim Debüt auf dem Genfer Salon für Furore. Die ersten Testberichte kritisierten jedoch die im Verhältnis zu Preis und Anspruch magere Motorisierung mit lediglich 115 PS. Erst 1976, Alpine war inzwischen eng mit Renault zusammengewachsen, lösten die Alpine-Techniker das Problem, indem sie den 2,7-Liter-Sechszylinder des Renault 30 einpflanzten. Er hielt in puncto Laufkultur, Leistung und Elastizität jene Souveränität, die ihre aufregende Karosserie versprach. Das Triebwerk zeigte sich konstruktiv wie thermisch auf Anhieb sehr gesund. Der vorn unter der Stoßstange direkt im Fahrwind platzierte Wasserkühler sorgt für niedrige Betriebstemperaturen.
 
Die Konzeption des Motors als leichter Alu-V6 mit zwei oben liegenden Nockenwellen und V-förmig hängenden Ventilen verrät hohen technischen Standard. Der Verzicht auf den damals obligatorischen Zahnriemen zu Gunsten einer Rollenkette zeugt vom Können der vielen beteiligten Ingenieure (Peugeot, Renault, Volvo). Mit der Wandlung zur Alpine A 310 V6 verschwand das brave durchgehende Leuchtenband mit den sechs Scheinwerfern in der Frontpartie, ein böser Blick war angesagt. Das Auto wäre emanzipiert gewesen, hätten nicht zahlreiche Detailänderungen und eine lässige Verarbeitung die Käufer bisweilen verärgert.

Renault Alpine A 310 war Playboy-Titelauto

Bernhard Leitner spricht stellvertretend für die damalige anspruchsvolle Kundschaft. „Ich verzeihe der Renault A 310 V6 all ihre Schwächen. Mangelnde Detailperfektion entschädigt sie mir mit reichlich Fahrspaß und mit ihrer eleganten Form, die heute noch Aufsehen erregt.“ Der Preis des schnellsten französischen Serienautomobils seiner Epoche, das auch die Gendarmerie als Dienstwagen schätzte, lag 1979 bei immerhin 36 275 Mark.

Ein Porsche 911 SC Coupé schlug mit 42.950 Mark zu Buche, womit ein Achtungsabstand verblieb. Doch gäbe es einen Erotik-Faktor für Autos, die Alpine A 310 läge gewiss vorn. Das fand 1980 auch die Zeitschrift „Playboy“, dessen Macher die Renault Alpine A 310 sogar für das Maiheft auf den Titel nahmen. Vorn drauf posierte verführerisch Brigitte Lohmeyer, die Playmate des Jahres. Sie erhielt die Renault Alpine A 310 als Geschenk.