Talbot-Matra Rancho

Hüttenzauber im Crossover-Pionier

Der Name Talbot-Matra Rancho trifft. Wer immer sich die Bezeichnung Rancho (spanisch für Hütte) für den neuen Matra-Simca erfand, muss über prophetische Gaben verfügt haben. Denn die meisten verendeten ziemlich bald als ausgebeinte, rostige Baracken auf den Schrottplätzen. Doch heute fällt es nicht schwer, dem Zauber eines überlebenden Rancho zu erliegen.

Talbot Madtra Rancho Foto: Hersteller 30 Bilder

Nein, wir wollen ihm nicht Unrecht tun, dem Talbot-Matra Rancho, der zu Beginn seines automobilen Lebens noch ein Simca sein durfte, dann unschuldig in die Wirren der Übernahme durch den PSA-Konzern und Chrysler geriet und als Spross der Kunstmarke Talbot zusammen mit seinen Leidensgenossen Horizon, Solara und Tagora aus der kollektiven Erinnerung der Autoszene verschwand.

Missverstanden als Möchtegern

Anders als diese hinterließ der Talbot-Matra Rancho jedoch Spuren. Spuren, die erst jetzt richtig sichtbar werden, wenn einem angesichts der vielen so genannten Sport Utility Vans und Crossover eine fast verblasste Erinnerung durchs Hirn blitzt. Ja, da gab es schon mal einen, der eine ähnliche Wertewelt transportieren wollte. Aber die Zeit war noch nicht reif für den Matra-Simca Rancho. Er wurde missverstanden – als Möchtegern verschrien und belächelt. Nach nur sechs Jahren und rund 57.000 Exemplaren endete seine Karriere. Der PSA-Konzern verkannte das Potenzial des Talbot-Matra Rancho-Entwurfs so gründlich, dass sie das als Rancho-Nachfolger gedachte Projekt P18 abschossen.

Auch hier führt die Spur des Talbot-Matra Rancho weiter. Matra bot den P18 dem PSA-Hauptkonkurrenten Renault an. Dort überlegte man nicht lange, ersetzte die Citroën-Technik des Prototypen durch die des R18/R21 und nannte das Auto Espace. Womit sich erklärt, wieso aufmerksame Espace-Fahrer der ersten Stunde in der Herstellerrubrik ihrer Fahrzeugbriefe den Namen Matra vorfanden. Im Matra-Werk Romorantin, das übrigens entgegen oft aufgestellter Behauptungen nicht zu Renault gehört, wurde der Espace bis zu seiner jüngsten Generation auch gebaut. Später lief dort – wenn man so will als letzter Rancho-Nachfolger – der futuristische Avantime vom Band.

Die Geschichte hat es also nicht gut gemeint mit dem Talbot-Matra Rancho. Sie ließ ihn auf eine Kundschaft los, die noch gar nicht erkennen konnte, dass sie nur wenige Jahre später genau so ein Auto haben wollen würde. Und sie belastete den Talbot-Matra Rancho auch noch mit dem technischen und ideellen Erbe des Simca-Konzerns, der, hin und her geworfen zwischen Fiat, Ford, Rootes, Chrysler und Peugeot, nie zu einer eigenen Identität fand. Als sei das noch nicht genug, gab sie dem Talbot-Matra Rancho noch die Produktqualität der Simca und Talbot dieser Ära mit auf den Weg, die zwischen Beinahe-Pleiten, Besitzerwechseln und Arbeitskämpfen irgendwie aus der Spur geraten war.

Katastophaler Ruf der Talbot-Matra Familie

In den TÜV-Autoreports der frühen Achtziger taucht der Talbot-Matra Rancho mangels Stückzahl zwar nicht auf, aber der Horizon und die 1307/1308-Baureihe sind fast immer an prominenter Stelle der Horrorlisten vertreten. Es kursierten Geschichten, wonach in Talbot-Matra Rancho fahrenden Familien morgens immer ein Kaffee zusätzlich aufgebrüht wurde – für den ADAC-Pannenhelfer, falls das Auto wieder mal streikt. Das macht es nicht einfacher, heute einem Talbot-Matra Rancho unbefangen gegenüberzutreten. Auch wenn es ein so – vergleichsweise – gut erhaltenes Exemplar wie der Talbot-Matra Rancho X auf diesen Seiten ist. Es hatte das Glück, gleich bei der Auslieferung in die Hände eines Sammlers zu gelangen, dessen Leidenschaft zwar britische Motorräder waren, der den Talbot-Matra Rancho dennoch 20 Jahre lang liebevoll pflegte.

So gut trafen es nur wenige seiner Artgenossen. Denn diejenigen, die wirklich vom Talbot-Matra Rancho träumten, konnten ihn sich als Neuwagen kaum leisten. Rund 18.000 Mark waren 1978 für den Matra-Kombi fällig, und das war eindeutig zu viel für die fernreiselustigen Studenten und Oberstufenschüler, denen ein VW-Bus Typ 1 zu lahm und ein Peugeot 504 Kombi zu wenig wüstentauglich waren. Also erwarb den Talbot-Matra Rancho die Klientel, die sich zwar keinen Range Rover oder Chevrolet Blazer leisten konnte, vielleicht aber gerade deswegen einen trendigen Offroader fahren wollte. Die Preise für gebrauchte Talbot-Matra Rancho verfielen rasch. Aus den Vorstadtgaragen der enttäuschten Erstkäufer kamen sie in die Hände von Häuslebauern oder Schrebergärtnern, wo sie nicht mehr als billige Lastesel waren.

Der TÜV beendete viele Talbot-Matra Ranch-Leben

Der TÜV beendete meist schon nach wenigen Jahren durch mit dem Schraubenzieher stochernde, gestrenge Prüfer dieses traurige Daseindes Talbot-Matra Rancho. Ein Dasein übrigens, das dem des entfernt artverwandten Lada Niva verblüffend nahe kommt. Unserem Talbot-Matra Rancho blieb das erspart. Er empfängt den erwartungsvollen Redakteur mit einem tristem Ambiente aus großen Kunststoffflächen, einem Lenkrad, das noch nicht einmal in einem Simca 1100-Kastenwagen stilvoll gewirkt hätte und mit hellbraunen Veloursbezügen, die ebenso wie die in Bronze gehaltenen Scheiben und der goldbraune Metalliclack vergeblich versuchen, einen Hauch von dem Siebziger-Jahre-Luxus zu verbreiten, der mehr an die Partykeller eines Reihenhauses als an Abenteuerautos erinnert.

Man ist geneigt, Mitleid mit dem Talbot-Matra Rancho zu haben. Mitleid mit diesen ein wenig rührenden Versuchen, aber auch mit den drei kleinen, dünnen Schlüsseln aus gestanztem Blech, die besser zu einem Fahrradschloss vom Wühltisch zu passen scheinen. Überraschenderweise lässt sich mit einem davon der Motor des Talbot-Matra Rancho starten. Er rumort munter vor sich hin und hat trotz der grimmigen Minusgrade genug Zeit, sich ein wenig warm zu laufen, bis der Talbot-Matra Rancho-Neuling mit dem langen Hebel einen Weg in den ersten Gang gefunden hat. An die labbrige Führung des Schalthebels gewöhnt man sich rasch. Nicht so an die müden Fahrleistungen.

Müde Fahrleistungen, hoher Verbrauch

Denn der Simca-Vierzylinder im Talbot-Matra Rancho scheint einen großen Teil der zwölf Liter Super, die er sich je 100 Kilometer genehmigt, in Geräusch und Vibrationen und nur einen kleinen in Vortrieb umzusetzen. Auf der Autobahn ist im Talbot-Matra Rancho bei 150 km/h Schluss, und selbst sanfteste Anstiege oder ein Hauch von Gegenwind bremsen den hoch bauenden Talbot-Matra Rancho deutlich ab. Die 80 PS des 1308-Triebwerks haben immerhin 1.200 Kilogramm Leergewicht zu schleppen. Fahrer und Beifahrerin kommen auf zusätzliche 150 Kilogramm. Kein Wunder also, dass die 117 Newtonmeter Drehmoment keine Bäume ausreißen. Gut, dass der Pferdeanhänger nur zum Fotografieren des Talbot-Matra Rancho gebraucht wird. Denn ein handelsüblicher Hänger mit Tandemachse wiegt allemal 700 Kilogramm und ein handelsübliches Pferd nochmal deren 500. Dafür ist der Talbot-Matra Rancho aber auch nicht gedacht. Nur 850 Kilogramm darf ein gebremster Hänger laut Fahrzeugschein wiegen. Und man wagt kaum, sich auszumalen, wie er denn mit diesem Gewicht an der serienmäßig vorhandenen Anhängekupplung fahren mag.

Durch den langen, hohen Aufbau geriet der frontgetriebene Talbot-Matra Rancho ohnehin etwas hecklastig. Eine Tendenz, die sich schon bei milder Zuladung verstärkt und den Rancho in engen Biegungen hilflos mit dem kurveninneren Vorderrad scharren lässt. So sind auch der Traktion auf losem Untergrund enge Grenzen gesteckt. Mit Sommerreifen im 14-Zoll-Format kann schon eine Wiese im Morgentau dem Talbot-Matra Rancho-Piloten zum Verhängnis werden. Besser gelang das dann immerhin dem Sondermodell Talbot-Matra Rancho Grand Raid mit seinem zu 30 Prozent selbst hemmenden Differenzial. Es kam 1980 auf den Markt, als der Rancho bereits Talbot hieß, und enthielt für den Preis von 21.680 Mark neben dem Differenzial noch so nützliche Zutaten wie zwei Reserveräder (von denen eines dekorativ auf dem Dach liegen durfte), eine Seilwinde, grobstollige Reifen, einen Suchscheinwerfer und eine Rutschplatte unter der Antriebseinheit.

Clauspeter Becker testete den Talbot-Matra Rancho Grand Raid in auto motor und sport 15 von 1980. Er lobte den Fahrkomfort auf Schotterstraßen, zog aber eine nüchterne Bilanz: „So gesehen ist das französische Automobil mit dem langen Namen also durchaus dazu geeignet, den großen Streifzug auf Sahara-Pisten anzutreten. Man könnte dazu aber auch einen Talbot-Kastenwagen nehmen. Der ist fast genau so geräumig, aber schon für 9.750 Mark zu haben.“ Heute verklärt der Charme des gescheiterten Genies die schlechten Fahrleistungen, den durstigen, raubeinigen Motor, die nachlässige Detailarbeit und den sich dezent ankündigenden Verfall des Talbot-Matra Rancho. Das und die Gewissheit, dass selbst eine kleine Hütte allerlei Raum für ersprießliche Verrichtungen zu bieten hat.