Gatsonides Ford Mercury im Fahrbericht

Gatsos Liège-Rome-Liège-Rennwagen

Für die mörderische Liège-Rome-Liège 1939 baute der Niederländer Maurice Gatsonides ein Rallyeauto auf Basis eines Ford Mercury V8. Das Auto befindet sich nach wie vor im Originalzustand - und seit langem auch im Besitz der Familie des Rallye-Monte Carlo-Siegers von 1953.

Gatsonides Ford Mercury, Frontansicht Foto: Hans-Dieter Seufert 15 Bilder

Na, sind Sie in letzter Zeit mal wieder mit schwerem Gasfuß geblitzt worden? Ärgerlich, nicht wahr? Und wissen Sie auch, wem die Gesetzeshüter im Grunde die Technik zur exakten Geschwindigkeitsüberwachung zu verdanken haben? Dem niederländischen Renn- und Rallyefahrer Maurice Gatsonides, unter anderem Sieger der Rallye Monte Carlo 1953. Tatsächlich hat es die Sportfahrergemeinde immer ein wenig befremdet, dass ausgerechnet einer der ihren die Ordnungsmacht mit immer besseren Instrumenten zur Verkehrsüberwachung ausrüstet. Doch in Gatsonides' eigenem Denkuniversum war dies nur eine logische Entwicklung.

Gatsonides entdeckt die Lücke im Reglement

"Mein Vater war sicher kein einfacher Mensch", meint Tom Gatsonides, während wir unter einem Dach auf dem Gelände des Vredestein-Werks in Enschede darauf warten, dass der sintflutartige Regen ein wenig nachlässt. Draußen steht "Kwik", das Auto, das Maurice Gastonides unter anderem für die Rallye Liège-Rome-Liège 1939 gebaut hat. "Der Wagen basiert auf dem ersten Ford Mercury V8, der nach Holland ausgeliefert wurde, und Kwik ist der holländische Ausdruck für Mercury, Quecksilber also", erläutert Huibert Adolfs, ein langjähriger Freund des 1998 verstorbenen Rallyefahrers, der den Wagen immer wieder zu Werbezwecken für Vredestein einsetzt.

Dass Maurice Gatsonides - "Maus" für seine niederländischen, "Gatso" für seine ausländischen Freunde - überhaupt auf die Idee kam, ein eigenes Auto auf die Räder zu stellen, passte ebenfalls zu seinem konsequenten Denken. Am 14. Februar 1911 auf dem damals zu Niederländisch-Ostindien gehörenden Java als Sohn des Vizegouverneurs geboren, zeichnete sich Maurice Gatsonides bald durch einen scharfen Verstand aus, der Situationen stets genau analysierte und kompromisslos seine Ziele verfolgte. 1930 beispielsweise nahm er an einem Slalomrennen im holländischen Doorn teil, das Reglement war simpel: Wer die schnellste Zeit auf einem durch Ölkannen abgesteckten Kurs fuhr, hatte gewonnen; für jede umgefahrene Ölkanne gab es eine Strafzeit, die addiert wurde.

Gatsonides bat, als Letzter starten zu dürfen, gab Vollgas bis ins Ziel und fuhr alle Ölkannen um. Gewonnen hatte er trotzdem, weil die Strafzeiten für umgefahrene Kannen zu gering berechnet waren - eine Lücke im Reglement, die der 19-Jährige sofort erkannt hatte und direkt umsetzte.

"Gutes Essen ist wichtig" - auch während eines Rennens

Auch in seiner späteren Rallyekarriere verbrachte er Stunden mit dem Studium des Reglements, der Vorbereitung des Einsatzgefährts und der Taktik, um sich jeden noch so kleinen Vorteil zu sichern, der am Ende oft entscheidend ist.

Dazu gehörte auch, dass er bei Langstreckenrallyes genau errechnete, an welchen Orten etwa durch Zeitkontrollen ein kurzer Aufenthalt zu erwarten war. In den dortigen Restaurants bestellte er dann Essen für sich und seinen Beifahrer vor und verbrachte die Wartezeit zur Verblüffung seiner Konkurrenten bei einem opulenten Menü. "Gutes Essen ist wichtig", pflegte der dennoch spindeldürre Gatsonides zu sagen.

Ursprünglich wollte er übrigens Kampfpilot werden, dummerweise fehlte ihm das letzte Glied seines rechten Zeigefingers, seit er als Achtjähriger zu Experimentalzwecken in die Fahrradkette seines Vaters gefasst hatte. Die Mediziner verweigerten ihm daher die Flugerlaubnis, stattdessen heuerte Gatsonides 1931 bei der Fluglinie KLM als Technik-Auszubildender an. In der Freizeit nahm er mit allem, was nicht niet- und nagelfest war, auf zwei, drei und vier Rädern an zahllosen Wettbewerben teil, verschliss unter anderem zwei Bugatti, drei Lancia und einen Delahaye, und feilte an seinen Fähigkeiten.

1935 nahm die Rallyekarriere dann richtig Fahrt auf: Nach einigen Flugunfällen entschieden Gatsonides' Großeltern, die ihn finanziell unterstützten, dass der Job bei KLM zu gefährlich sei, also eröffnete er in Heemstede einen Autohandel. Hier sollten eigentlich Hillman und Skoda verkauft werden, tatsächlich ging ein guter Teil der Zeit in der Werkstatt für die Vorbereitung von Rennen und Rallyes drauf.

23 Starts bei der Rallye Monte Carlo

1936 nahm Gatsonides erstmals an der Rallye Monte Carlo teil, es war neben seiner Ehefrau Ciska die Liebe seines Lebens: Weitere unglaubliche 22 Starts bei dieser Mutter aller Winterrallyes sollten folgen, die letzte 1970. 1936 crashte er zwar in Sichtweite des Ziels mit einem Hillman Minx, im Jahr darauf aber wurde er 20. im Gesamtklassement – obwohl er die gesamte, 3.800 Kilometer lange Anfahrt aus dem nordschwedischen Umea alleine hinter dem Steuer saß, weil sich sein Beifahrer als untauglich erwies.

1937 startete Gatso auch erstmals bei der Liège-Rome-Liège, einem nach heutigen Maßstäben ebenso mörderischen wie wahnsinnigen Unterfangen: Vier Tage und Nächte Vollgas und ohne Pause von Lüttich über die Alpen nach Rom und zurück. Wer überhaupt das Ziel erreichte, zählte schon zu den Glücklichen, Gatsonides war mit seinem Riley Kestrel Sprite unter den sieben von 34 Teilnehmern, die in Lüttich ankamen, und feierte den vierten Platz.

Speziell für solche Herausforderungen hatte Gatsonides Kwik gebaut, der immer noch im niederländischen Starkregen steht, weshalb wir das Auto kurzerhand in einer der Reifenhallen fotografieren. "Wichtig war meinem Vater unter anderem möglichst viel Raum für Ersatzteile und Gepäck", erklärt Tom Gatsonides und öffnet den in der Tat vergleichsweise großen Gepäckraum. Ebenso viel Wert legte Gatso auch darauf, dass die mit weichem Conolly-Leder bezogenen Sitze umklappbar waren, damit der jeweilige Beifahrer ein wenig schlafen konnte.

Cartoonist zeichnete die Karosserie des Mercury Kwik

Bei der Karosserie ließ er sich von den Wanderer-Stromlinienwagen der Auto Union von 1938 inspirieren, die endgültige Form zeichnete ein Freund, der Journalist und Cartoonist Jan Apetz. Den Bau der Karosserie mit den tief liegenden Scheinwerfern zur besseren Ausleuchtung nächtlicher Rallyepfade übernahm Schutter & Van Bakel in Amsterdam. Als Basis diente, wie erwähnt, ein Ford Mercury, der Grund ist simpel: 1938 hatte Gatsonides seine Firma schließen müssen und beim niederländischen Ford-Importeur angeheuert.

Von Beginn an war Kwik auch für Rundstrecken konzipiert, und so fand die Premiere am 3. Juni 1939 in Zandvoort statt - und endete mit einem kapitalen Motorschaden des 3,9-Liter-V8-Seitenventilers, der dank Aluminium-Köpfen immerhin 95 PS bereitstellte. Mit neuem Motor nahmen Gatso und sein Beifahrer Lex Beels dann am 16. August die Liège-Rome-Liège in Angriff. Zunächst lief alles gut, doch dann wählten die beiden eine falsche Route, kamen in Zeitverzug, verloren die Orientierung und errreichten schließlich als 14. das Ziel.

Im Krieg war der Mercury vergraben

Dann kam der Krieg, und Gatsonides hob kurzerhand auf seinem Grundstück eine Grube aus, setzte Kwik und seinen Rallye-Hillman hinein und verbuddelte alles zum Schutz vor den Besatzern. Nach 1945 versuchte sich Gatso als Autobauer und fertigte einige faszinierende Wagen auf Ford-Basis mit charakteristischem mittleren Scheinwerfer, geriet jedoch 1950 in Schwierigkeiten und musste Kwik verkaufen. Das Auto durchlief mehrere Sammlerhände, wurde nie restauriert und gelangte schließlich zurück zu Tom Gatsonides, der damit 2005 am Winter Trial teilnahm.

"Fährt eigentlich ganz normal", meint er und öffnet einladend die Fahrertür. Der V8 grummelt auf Knopfdruck los und entwickelt, typisch Seitenventiler, schon früh richtig Kraft. Das Getriebe verlangt Doppelkuppeln und Zwischengas, schaltet aber weich, bald ist man im letzten Gang. Die Straßenlage des Starrachsers ist gar nicht schlecht, einzig die Zielgenauigkeit der Lenkung lässt zu wünschen übrig - bei hohen Geschwindigkeiten muss man oft korrigieren. Meine Hochachtung vor den Männern, die damit in 92 Stunden 4.670 Kilometer zurückgelegt haben.

Gatsos Firma baut Verkehsüberwachungsanlagen

Heute muss dieses wunderbar charismatische Auto solche Gewalttouren nicht mehr absolvieren, wird aber von Tom Gatsonides regelmäßig eingesetzt. Der 70-jährige hat sich längst aus dem Berufsalltag zurückgezogen und die Leitung der Firma Gatsometer - wo nach wie vor Verkehrsüberwachungen gebaut werden - an seine Söhne weitergegeben.

Diese Geschwindigkeitsmesser hatte Maurice Gatsonides übrigens nur entwickelt, weil er einst wegen zu schnellen Fahrens angehalten wurde und nachweisen konnte, dass die Messstrecke der Polizisten nicht 100, sondern nur 87 Meter lang und er somit gar nicht zu schnell gewesen war. Wenn Sie also künftig geblitzt werden, nehmen Sie es sportlich und als Erinnerung an eine der größten und faszinierendsten Persönlichkeiten im Motorsport.

Rennkarriere von Maurice Gatsonides

Was 1930 mit einem kleinen Slalomrennen begann, summierte sich bis zu seinem Tod 1998 zu rund 2 Millionen Kilometern auf Renn- und Rallyepisten. Die meisten sammelte er auf 140 Rallyes, dazu kamen 60 Rundstreckenrennen und 20 Bergrennen. Von 1936 bis 1970 nahm der Niederländer 23 Mal an der Rallye Monte Carlo teil; 1953 gewann er zusammen mit Peter Worledge auf einem Ford Zephyr.

9 Mal fuhr Gatsonides die Liège-Rome-Liège, 7 Mal die Tulip-Rallye, die er miterfunden hat, 4 mal die 24 Stunden von Le Mans. Und obwohl ihm gelegentlich die Straße ausging - auch "Kwik" zerknitterte er 1940 zwischen einem Lkw und einer Straßenbahn - wurde er bei allen Rennabenteuern nie ernsthaft verletzt.