Gemballa Avalanche im Fahrbericht

395 PS starke Lawine im Anmarsch

Der Gemballa Avalanche ist der radikalste Porsche-Umbau aus den Achtzigern. Sein riesiger Heckflügel half ihm, die unbändige Kraft von 395 PS zu bändigen.

Gemballa Avalanche, Baujahr 1988 Foto: Dino Eisele 16 Bilder

Sein Name ist Programm. Dieser Breitumbau eines Porsche 911 Turbo heißt Avalanche, auf Deutsch: Lawine. Tatsächlich wirkt der gigantische Heckspoiler im Verbund mit den geschwungenen Luftleitprofilen auf dem Fastback wie die Ausläufer einer talwärts donnernden Lawine, aus der gerade ein nur schwer erkennbarer 911er herausschießt. Der Turbomotor des Gemballa Avalanche grummelt dumpf und heiser aus Endrohren in Form von zwei Drillingsläufen.

Unglaubliche Verwandlung eines schüchternen Porsche Turbo

Diese Skulptur schuf 1985 der damals 30-jährige Porsche-Veredler Uwe Gemballa aus Leonberg bei Stuttgart und schenkte uns autobegeisterten Schöngeistern ein Kunstwerk, dessen einstiger Wert wieder entdeckt wird. Wer zum ersten Mal den glutroten Gemballa Avalanche vor Augen hat, der geht zunächst einige Schritte zurück, um das ganze Ausmaß dieser unglaublichen Verwandlung eines serienmäßigen Porsche Turbo in einen Gemballa Avalanche zu überblicken: Wie der riesige Heckspoiler an den Wagenflanken nach vorn verlängert ist und wie die zeittypischen Testarossa-Rippen die Luftströme in die Hinterradschächte kanalisieren. Die Testarossa-Rippen waren ja in den Achtzigern das weit verbreitete, optische Testosteron der Tuner, das jeden Breitspur-Umbau vom Jaguar XJS bis zum Opel Astra wie ein üppiges Playboy-Centerfold zierte.

Nach einem kleinen Rundgang um den Gemballa Avalanche mit Besichtigung der vergleichsweise schlicht gehaltenen Flachschnauzer-Front - eine ebenfalls zeittypische, auch vom Porsche-Werk angebotene Nasenkorrektur -, muss man den Avalanche unweigerlich anfassen, um zu überprüfen, ob das alles wirklich wahr ist. Kalt fühlen sich die aus Blech geformten Kotflügelrundungen an, unter denen sich Reifen fast schon im damaligen Formel 1-Format drehen, vorn 245/50 R 15 und hinten 345/35 R 15. Zum Vergleich: Der Serien-Turbo brachte es gerade mal auf 205/55 R 16 vorn und 245/45 R 16 hinten.

Auch die Verbreiterung der beiden Gemballa Avalanche-Türen ist aus Blech geformt, die darin montierten Rippen bestehen aus Aluminium. Nur Front- und Heckspoiler sowie die darüber angebrachten, frei schwebend wirkenden Windleitprofile schufen die Techniker aus Glasfaser verstärktem Kunststoff (GFK). Die auch heute noch ansehnliche Originallackierung nimmt zum Wagenheck hin kontinuierlich an Helligkeit ab. Die ganze Karosserie bis zu den sich völlig synchron und ruckfrei öffnenden Klappscheinwerfern besticht durch ihren soliden Langzeitcharakter.

Der Avalanche-Motor stammt von Alois Ruf

Uwe Gemballa sagte zu seinem Umbau: "Wer bereit war, für einen Avalanche je nach Ausstattung bis zu 500.000 Mark auszugeben, der war auch ein sehr kritischer Kunde und hat erste Qualität erwartet." Der Aufbau eines Standard-Avalanche ohne Sonderwünsche wie Bar- und Safe-Einheit anstelle der Rücksitze oder eines Video-Systems anstelle von Rück- und Außenspiegel dauerte mindestens drei Monate.

Zum Standard-Package gehört ein von Alois Ruf getunter Turbomotor. Der Hubraum wuchs von 3.298 auf 3.366 cm³; hinzu kamen ein größerer Turbolader und Ladeluftkühler, schärfere Nockenwellen und bearbeitete Ansaugkanäle. Damit stieg die Motorleistung von 300 auf stramme 395 PS. Die Sechsrohr-Auspuffanlage stammt von Gemballa und erfreut Avalanche-Fahrer und -Bewunderer mit ihrem dunklen, heiseren Rennsport-Sound.

Unser Foto-Avalanche aus dem Jahr 1988 besitzt bis auf die pingelig genau arbeitende Ladedruckanzeige und eine Leiste mit Fächern für die Lieblings-Musikkassetten, in denen einst Milli Vanilli, Falco und Modern Talking auf ihren Auftritt warteten, die Serienausstattung des normalen Porsche Turbo. Dazu zählt das mit langen Wegen arbeitende Serien-Schaltgetriebe. Während des Probegalopps rund um Leonberg muss jedoch häufig der zweite und sogar erste Gang bemüht werden, um zügig aus Ortschaften herauszubeschleunigen. Zum einen ist der erste Gang ziemlich lang übersetzt und zum anderen das Turboloch so groß wie ein Vulkankrater, aus dem es erst ab etwa 3.500/min, dann aber umso heftiger, brodelt.

Der Gemballa Avalanche spurtet derart vehement und beflissen nach vorn, als wolle er die verlorene Zeit wieder einholen. Damit die versprochenen Fahrleistungen Realität werden, muss der Motor in den einzelnen Gängen gut bei Drehzahl-Laune gehalten werden: Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 4,9 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 295 km/h.

Komfortable Abstimmung des Fahrwerk

Dank des tiefer gelegten Fahrwerks und der breiten Reifen scheint der rote Gemballa Avalanche regelrecht auf der Straße zu kleben. Die 911-typische Heckmotor- Eigenart des leichtfüßigen Einlenkens in Kurven und das stämmige Asphalt-Festbeißen des Hecks beim Herausbeschleunigen tritt im Avalanche noch intensiver in Erscheinung. Ebenso gut taugt der Gemballa Avalanche zum gemütlichen Flanieren, damit man auch sieht, ob man gesehen wird. Die Abstimmung des Fahrwerks ist an heutigen Maßstäben gemessen fast schon komfortabel: ein profaner Ford Focus federt nicht wesentlich weicher.

Auch der Motor des Gemballa Avalanche steckt Bummelfahrten bei niedrigen Drehzahlen brav und ruckfrei weg. Damit anschließend die Lawine wieder ins Rollen kommt, muss aber zuerst ein oder zwei Gänge heruntergeschaltet werden. Unser Foto-Avalanche verweilt in Leonberg nur auf der Durchreise. Er wurde für ein aktuelles Gemballa-Modell in Zahlung gegeben. Dann geht es ab nach Thailand, wo der neue Besitzer bereits auf den heiß begehrten Youngtimer wartet. "Weil wir seit 2005 wieder einen aktuellen Avalanche auf Basis des Porsche 997 im Programm haben, ist das Interesse an den ersten Autos dieses Typs gestiegen", sagte Uwe Gemballa.

Zudem sind nur 28 Stück entstanden. Wer also zu Hause noch einen Gemballa Avalanche ungenutzt in seiner Garage stehen hat, der sollte nett zu ihm sein, ihn mal waschen und gelegentlich spazieren fahren. Seine Zeit ist wieder gekommen als Fahrzeug aus einer Epoche, in der sportliche Autos noch real in Blech modellierte Träume sein durften.