Jaguar XJ6 und Jaguar XJ-S 3.6. im Fahrbericht

Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Jaguar XJ 6 und Jagauar XJ-S - die zwei Gesichter einer Luxusmarke. Der eine ist ein Beau, verkörpert die schöne Limousine in idealen Proportionen. Der andere wirkt fast unheimlich mit dem irrem Blick des VW 411 und der Heckpartie eines Pick-up.

Jaguar XJ6, Jaguar XJ-S 3.6, Frontansicht Foto: Jörg Künstle 21 Bilder

Sie sind es leid, ständig an ihren Vorgängern gemessen zu werden. Bei jeder Gelegenheit müssen sie sich anhören, dass E-Type und Ur-XJ selbst im formalen Fading der dritten Serie die schöneren, begehrenswerteren Autos sind. Jaguar XJ-S? Längst kein smarter Sportwagen mehr, sondern ein übergewichtiger amerikanisierter Boulevard-Cruiser.

Kantiges Lego-Design und irrer Blick

Jaguar XJ 40? Ein kantiges Lego-Design, Scheinwerfer wie Glasbausteine, die sinnlichen Rundungen des Vorgängers einfach mit dem Lineal glattgestrichen, krudes Achtziger-Jahre-Design, total langweilig. Stand etwa ein Ford Granada Pate? Beim Jaguar XJ-S grassieren die Siebziger, Pop-Art statt Klassik, alles mit Gewalt anders, wie beim Porsche 928.

Irrer Blick aus seltsam-ovalen Cibié-Scheinwerfern, das Heckfenster eines Pick-up und innen eine japanisch gestylte Plastiklandschaft mit ein paar dürren Alibi-Holzleisten. Ist das noch ein Jaguar oder schon eine künftige Nissan Z-Studie mit V-12-Motor? Schluss mit der Diskriminierung des modernen Jaguar-Stils. Kenner haben das Potenzial der vermeintlichen Underdogs längst erkannt. Die immer noch sehr preiswerten Jaguar XJ-S und XJ 40 haben sich vor allen in der toleranten Youngtimer-Szene längst als eigenständige Charakterköpfe emanzipiert. Klassisch-schön kann eben auf Dauer auch langweilig wirken.

Denn nach drei Aufgüssen waren Jaguar E-Type und Ur-XJ formal erschöpft. Jaguar-Patriarch William Lyons und sein Chefdesigner Malcolm Sayer wollten den harten Schnitt, den das skurril-futuristische XJ-S Coupé 1975 zuerst vollzog. Die USA waren schon immer der wichtigste Markt für den Sport- und Luxuswagenhersteller aus Coventry. Der üppige Zweipluszwei-Gran-Turismo mit 287 PS starkem 5,3-Liter-V12 fand hier seine meisten Liebhaber. Die konservativen europäischen Märkte gaben dem eleganten Jaguar XJ 12-Coupé den Vorzug.

XJ-S sollte es eigentlich nur als Coupé geben

Der Jaguar XJ-S war anders als der E-Type zunächst nur als Coupé geplant. Roadster und Convertibles fielen bei den dortigen Sicherheitsfanatikern in Ungnade. Erst 1983 kam der XJ-SC mit Targadach, modernem Vierventil-Sechszylindermotor und Schaltgetriebe als "sportliche" Alternative zum schweren Zwölfzylinder-Straßenkreuzer . Genau so einen Jaguar XJ-S 5.3 HE wollten wir als größtmöglichen Kontrast zum sechszylindrigen samtpfötigen und naturschönen XJ 40 auch unbedingt haben.

Er hätte mit der sanften Gewalt seiner entfesselten 297 PS perfekt die Rolle des obskuren Mr. Hyde als Alter Ego zum supersanften und unerhört gentleman-liken Jaguar XJ 6 Sovereign 4.0 gespielt. Leider legte den mit mächtigem Schub zubeißenden 432 Newtonmeter High Effiency-Zwölfzylinder ein defektes Benzinpumpenrelais lahm. Auch das ist Jaguar. Formale Eleganz und Avantgarde, gekrönt von ästhetischer Technik, wird hinterrücks gemeuchelt von banalen Elektrikproblemen. Wartungsstau und lange Standzeiten sind nicht immer schuld. Manches ist billig gemacht.

Technik als Selbstzweck

Kleine Verarbeitungs-Schlampereien sind bei Jaguar systemimmanent. Vor allem die verspielte Lakritz-Klaviatur rund um das Lenkrad des Jaguar XJ 40 lässt den Rotstift der Kaufleute ahnen. Das Geld fürs linierte Wurzelholzfurnier musste irgendwo wieder reingeholt werden. Effizienz vertrug sich nicht mit dem konstruktiven Anspruch der Ingenieure aus der Browns Lane. L´Art pour L´Art, also Technik als Selbstzweck pflegten sie viel lieber.

Ein Attribut, das zum Jaguar-Credo gehört und die Fans der Marke so magisch anzieht wie der lehrbuchhafte XK-Doppelnockenwellen-Sechszylinder von Walter Hassan. Vor allem der Jaguar XJ-S ist unter seiner eigenwillig geformten Coupé-Karosserie noch ein Jaguar alter Schule - so fährt er sich auch. Sein Handling ist nicht so leichtfüßig wie das des XJ 40, er gibt einem trotz der sportlich tiefen Sitzposition den Habitus einer schweren Limousine.

Auch das Gefühl am lederbezogenen Lenkrad bleibt um die Mittellage seltsam indifferent. Autotestern war in schnell gefahrenen Kurven der Grenzbereich immer etwas unheimlich. Der Wechsel vom Unter- zum Übersteuern kommt beim Jaguar XJ-S ziemlich abrupt, auch da ist er eher Mr. Hyde als der stets kreuzbrav agierende Dr. Jekyll, will heißen XJ 40.

XJ-S-Hinterachse ist ein Erbe des Jaguar E-Type

Dabei stammt die komplex geführte Hinterachse des Jaguar XJ-S direkt vom E-Type ab. Zwei Schraubenfedern pro Rad, dazu ein üppiges Gestrüpp von Längs- und Querlenkern für exakte Radführung. Innenliegende Scheibenbremsen zur Verringerung der ungefederten Massen. Auch wenn zum profanen Wechsel der Bremsbeläge die Hinterachse ausgebaut werden muss. Ein Jaguar liebt es gern kompliziert und verlangt innige Zuneigung, das ist sein Wesen. Er gibt viel, aber er nimmt sehr gern. Auch in der gezähmten Form des viel effizienteren Jaguar XJ 40 verzeiht er gedankenlosen Umgang nie.

Ein Jaguar liebt es, wenn man vor dem Start die mächtige Haube geöffnet hat und nach seinen Flüssigkeiten schaut, ihm dabei den Wasserschlauch tätschelt und seine Zündkabel krault. Oft markiert er sein Revier mit ein paar Tröpfchen ATF oder 15 W 40. Ein alter Jaguar ist nie ganz dicht. Sein Partner sollte technisches Verständnis besitzen und Katastrophen von kleinen Unpässlichkeiten unterscheiden können.

Auch wenn wir den sanften Orkan des Zwölfzylinders im charismatischen Jaguar XJ-S vermisst haben, der Sechszylinder macht seine Sache erstaunlich gut. Vor allem in Verbindung mit dem exakt und leichtgängig zu schaltenden Getrag-Getriebe lassen sich je nach Laune des Fahrers sowohl die ausgeprägte Drehfreude als auch die beeindruckende Durchzugskraft des quadratisch ausgelegten Alu-Vierventilers abrufen. Kein Wandler gaukelt einem Drehmoment vor wo keines ist, kein Economy-Programm schaltet unnötig früh hoch und kastriert sein Temperament.

Schlüsseleiz von Jaguar-Youngtimern: Sie sind billig

Geben wir es zu, der Reiz eines Jaguar-Youngtimers liegt nicht nur im Empire-Stil seines Mobiliars, im mühelosen Dahingleiten, im sanften Abrollen und in der souveränen Kraftentfaltung seines brillanten Motors. Er ist ganz einfach billig. Man kriegt eine Menge Auto fürs Geld, 9.000 Euro kostet der seltenere, charakterstarke XJ-S und knapp 4.000 der fein möblierte, gediegene XJ 40. Nachbarn und Freunde schätzen beide auf locker 20.000, ein Jaguar macht eben eine gute Figur. Es ist diese Aura aus Kultiviertheit und Stil, die verhindert, dass wir in T-Shirt und kurzen Hosen einsteigen.

Der Jaguar XJ 40 hat eindeutig mehr Schlag bei den Frauen. Sie wollen ihn, den Everybodys Beau, viel lieber als den spröden XJ-S, der bibelfeste Auto-Philosophen anspricht und unerhört fasziniert. Der Neurologe, Filmemacher und Kunstsammler Professor Ottomar Domnick fuhr zuletzt einen XJ-S V12 und befand ihn euphorisch, immerhin nach einem 450 SEL 6.9, als "Das höchste der Gefühle".

XJ 40 ist der "Jedermann-Jaguar"

Ein XJ 40 bleibt der hübsche Jedermann-Jaguar - günstig, elegant und herrlich bequem mit lässig agierender ZF-Viergang-Automatik. Wenn die vertrackte Lucas-Bendix-Delco-Elektronik stillhält, kann einen nichts mehr erschüttern, wenn man mit Reisetempo 130 km/h bei 10,8 Liter Verbrauch und 2.500 Touren dahingleitet.

Manchmal gucken vernünftige Menschen aus ihren koreanischen SUVs oder cleveren Skodas verschämt rüber, beim Tanken. Bei einer alten S-Klasse würden sie es gewiss nicht tun, aber so ein Jaguar, das ist eben doch etwas Besonderes, und er kostet nicht die Welt.