Jaguar XJS Cabrio im Fahrbericht

Auf der Sonnenseite

Klaus Westrup erinnert sich an das erste Jaguar XJS Cabrio. Im Frühling 1988 stellte Jaguar das Cabriolet in Juan-les-Pins an der Côte d’Azur, nur einen Katzensprung von Nizza entfernt, vor. 

Motor Klassik 02/2013, Heftvorschau, mokla 0213 Foto: Motor Klassik 6 Bilder

13 Jahre nach dem Coupé kommt das XJS Cabriolet

Schwulstige Hotel-Paläste, Palmen, die sich aus Vorgärten recken, schroffe Felsen und eine tiefblaue See – Jaguar hat die passende Kulisse gewählt, um genau 13 Jahre nach dem Debüt des XJS Coupés das Cabrio zu präsentieren. Der Vorgänger mit den herausnehmbaren Dachhälften hatte nur den Vorzug großer Originalität – als echtes Cabriolet ist er nie wahrgenommen worden.

Die Luft ist lind bei unserer ersten Kontaktnahme, das inwendig fein gefütterte Verdeck funktioniert per Knopfdruck elektrohydraulisch, allein das Auftragen der Persenning verlangt nach etwas Handarbeit und erinnert an alte Cabrio-Zeiten, als die Autos mühsam, aber auch mit geweckter Funktionslust ihrer Fahrer für die Offen-Tour präpariert wurden. Der 5,3 Liter große Zwölfzylinder ist angesprungen, arbeitet unhörbar im Leerlauf. Die Automatikgetriebe der einstigen Nobel-Klasse haben noch nicht so viele Gänge wie ein Mountain-Bike, drei Fahrstufen genügen dem Jag.

5 Meter lang, 2 Tonnen schwer

Sanft setzt sich das Jaguar XJS Cabrio in Richtung Küstenstraße in Bewegung. Let's call it a day, würden die Amerikaner sagen – schönes Wetter, die bezaubernde Landschaft der Côte, mittendrin der offene Jaguar. Man ist wer in diesem fast 5 Meter langen und 2 Tonnen schweren Convertible – auch wenn an einem solch prächtigen Morgen schon ein braves Golf Cabrio Erfüllung bringen könnte.

Starke Motoren mit ihren Herkuleskräften sind gerade in offenen Autos eher entbehrlich, doch der Zwölfzylinder des Jaguar XJS Cabrio entpuppt sich trotz seiner fast 300 PS als ideale Antriebsquelle für die kultivierte offene Fahrt bar jeglicher Tempoverpflichtung. Er wirkt wie ein gutgefülltes Konto, von dem man nur wenig herunternimmt, sozusagen für den täglichen Bedarf oder weil man in der motorischen Opulenz einfach Demut walten lässt. Man könnte ja jederzeit, aber man will gerade nicht.

„Turbo-May“ überarbeitet Zylinderkopf des Jaguar XJS

Schon seit den mittleren Achtzigern hört der V 12 auf die Zusatzbezeichnung H. E. wie High Efficiency. Ein diplomierter deutscher Maschinenbauer namens Michael May, zuvor bekannt geworden durch turbogeladene Ford-Sechszylinder, hat in Jaguar-Diensten den Zylinderkopf umkonstruiert. May verlegt die Brennräume in die Kolben (Heron-Prinzip), erhöht – ganz im Sinne der angestrebten Verbrauchsminderung – das Verdichtungsverhältnis auf kühne 12,5:1, bekommt als Resultat ein paar Zusatz-PS und auch den angestrebten geringeren Verbrauch. Zuvor ist der Zwölfzylinder selbst bei behutsamem Gasfuß praktisch nie unter 20 Liter pro 100 Kilometer zu bringen. Nun, beim späteren aktuellen Jaguar XJS Cabrio-Testwagen, sind es im Mittel 18 Liter, das Minimum liegt sogar bei knapp 14.

Jetzt, auf der Küstenstraße, ist das alles nicht so wichtig. Wir cruisen im Jaguar XJS Cabrio mit Tempo 90, der V 12 dreht in der letzten seiner drei Fahrstufen mit nicht einmal 2.000 Touren. Ein Druck aufs Gaspedal, und es entsteht eine Art Seilwinden-Effekt. Der Motor bleibt fast stumm, eine unsichtbare Faust schiebt den luftigen Zweitonner mit Verve nach vorn, bei späteren Beschleunigungsmessungen werden sich acht Sekunden auf Tempo 100 ergeben und eine respektable Höchstgeschwindigkeit von fast 240 km/h.

Offen fahren als purer Luxus

Die opulenten Sitze des Jaguar XJS Cabrio duften nach dem narbenfreien Leder von Conolly, und wer sie genau abzählt, kommt nach dem Facelift 1993 auf die zunächst verblüffende Anzahl von vier. Im Gegensatz auch zum Klappdach-Vorgänger namens SC, der hinter den Front-Fauteuils nur zwei große verschließbare Ablagefächer hat, bietet das richtige Jaguar-Cabrio ab diesem Jahrgang zwei richtige Sitze, auf denen aber niemand richtig sitzen kann. Sie sind allenfalls für Kinder geeignet, tragen aber große Dreipunktgurte. Es ist gut aussehendes Mobiliar für den Notfall – den XJS besetzt mit vier Personen möchte man sich besser nicht vorstellen, offen schon gar nicht. Denn im Fond kämpfen ab Tempo 100 Fall- und Scherwinde gegeneinander, machen unschickliche Frisuren und zerstreuen die ganze kostbare Côte-d’Azur-Atmosphäre.

Das Zeitalter der hässlichen Windschotts hat noch nicht begonnen, und so ist auch vorn mit einem kräftigen, aber nicht unangenehmen Luftdurchsatz zu rechnen. Mit geschlossenem Verdeck sind Windgeräusche erst jenseits von 160 km/h störend, in den bevorzugten Bereichen darunter bleibt das himmlische Kind akustisch im Hintergrund, ganz der Noblesse dieses Jaguar XJS Cabrio angemessen. Im Verbund mit dem sehr guten Federungskomfort verkörpert das XJS Cabrio beispielhaft den Prototyp des klassischen offenen Gran Turismo, wobei die große Reise nicht durch allzu viele Gepäckstücke belastet sein sollte.

Kein Nachfolger für den E-Type

Im Kofferraum befinden sich auch Verdeckkasten, Reserverad, Batterie und Dachhydraulik. Es bleibt eine kleine Grotte mit bescheidenem Schluckvermögen – auch hier ein klares Signal, dass bei den Automobilen des Jetset Raumökonomie keine Rolle spielt, als etwas Kleinliches und Armseliges eingestuft wird. Die Verschwendung von Raum, Gewicht und, trotz optimierter Brennräume, von Benzin hat hier etwas Selbstverständliches. Auch deshalb ist das Jaguar XJS Cabrio trotz seines monumentalen Triebwerks alles andere als ein Sportwagen und erst recht kein Nachfolger für den legendären E-Type.

Er hat den durstigen und geschmeidigen V 12 schon in den siebziger Jahren erlebt, aber berühmt wird er mit seinem Reihen-Sechszylinder. Auch der offene XJS lässt sich mit einem solchen Motor downsizen, Kenner ziehen ihn sogar dem Zwölfzylinder vor. Der Blick unter die Motorhaube auf diese Skulptur britischen Maschinenbaus ist erhebender, der Wartungsaufwand bescheidener, der Verbrauch geringer.

Der Vierliter mit seinen 233 PS ist in diesem Nobel- Cabriolet zu einer Art Geheimtipp geworden, gerne auch mit dem für den V 12 nicht lieferbaren Fünfganggetriebe. Die Preise haben bereits angezogen, sinken werden sie wohl nicht mehr – ein offener Jag womöglich als Investment? Für die Neuwagen-Käufer von 1993 klingt das wie Hohn. Sie haben 150.000 Mark bezahlt und drei Viertel verloren.