Maserati Khamsin im Fahrbericht

Maserati mit Aussicht

Der Maserati Khamsin fällt besonders von hinten auf. Der markante Heckabschluss aus Glas mit scheinbar frei schwebenden Rückleuchten kennzeichnet den Maserati Khamsin. Ist das V8-Sportcoupé mehr als ein nettes Design-Spielzeug?

Maserati Khamsin, Heckansicht Foto: Arturo Rivas 28 Bilder

Es ist kaum zu glauben, dass der Lamborghini Countach und der Maserati Khamsin von ein und demselben Designer zu Papier gebracht wurden: Marcello Gandini. Beide Bertone-Supersportler hatten außerdem ihren Produktionsstart fast im gleichen Jahr - der Countach 1974, der Khamsin 1973. Und dennoch unterscheiden sie sich wie die Comic-Figuren Hulk und Spiderman, wie der zügellose Haudrauf vom luftigen Fassaden-Flitzer.

Zeitloser Maserati-Keil von Marcello Gandini

Gandini schuf im Auftrag von Maserati eine relativ sachliche, zeitlos-dynamisch gestaltete Keilform. Kennzeichen sind die flache, spitz zulaufende Front und eine kontinuierlich ansteigende Schulterlinie. Ein filigran ausgeführter Fastback-Dachaufbau schafft Raum für die Passagiere. Den Abschluss bildet der Verbund von Dach und Wagenkörper in Form eines kantig ausgeführten Abrisshecks.

Lancia Stratos und Lamborghini Urraco (beides Gandini-Schöpfungen) pflegen diesen Stil ebenso wie der Maserati Khamsin. Doch der Khamsin fährt einen mächtigen Doppelnockenwellen-V8 unter seiner Fronthaube spazieren, während Urraco (V8) und Stratos (V6) ihre etwas kleiner dimensionierten Maschinen im wuchtig ausgeformten Heck vor der Hinterachse verstaut haben. Um die charakteristische Keilform des Khamsin im Einklang mit der für Maserati typischen Standardbauweise zu erzielen, waren einige konstruktive Klimmzüge notwendig, die eigentlich noch mehr Beachtung verdienen als das Wagenheck aus Glas.

Dieses nahezu einmalige Designmerkmal des Khamsin und die damit deutlich zur Schau gestellte Transparenz und Leichtigkeit bilden den stärksten Kontrast zum Heck des Countach, das so verschlossen wie ein Panzerwagen auftritt. Khamsin-Fahrer würden sich manchmal eine ähnliche Optik für ihren Sportler wünschen, wenn sie wertvolle Vuitton-Koffer voller Gucci-Mode transportieren - und ihren Maserati unter einer Laterne parken müssen. Aber einem Wagen, der immerhin 85.000 Mark gekostet hat, tut man so etwas nicht an.

Maserati-V8 mit Racing-Genen

Zurück zum grandiosen Maserati-V8-Motor, der aus 4,9 Liter Hubraum mühelos bei nur 5.500/min stramme 320 PS auf die Kurbelwelle presst und sich dabei mit zwölf Liter Öl aus der Trockensumpfschmierung verwöhnen lässt. Er darf als direkter Nachkomme des legendären Maserati 5000 GT betrachtet werden, dessen Maschine wiederum eine gezähmte Straßenversion des V8 aus dem Rennsportwagen 450 S (Tipo 54 von 1955/56) darstellt.

Über diesen Vier-Nockenwellen-Motor wird berichtet, dass der nur bis 400 PS ausgelegte Leistungsprüfstand in Modena an sein Limit geraten sei: Die 400 PS standen nämlich bereits bei 6.800/min an, und 7.200/min machte der Maserati-Motor locker mit.

Es war damals der stärkste Sportwagen-Motor überhaupt, wurde aber nach glücklosen Renneinsätzen zunächst als Sportboot-Motor (580 PS aus 6,6 Liter Hubraum) eingesetzt und schließlich zum standfesten Serienmotor domestiziert. Seine Straßen-Premiere feierte er 1959 im 290 km/h schnellen Maserati 5000 GT- nun mit Ketten- anstatt des hart laufenden Stirnradantriebs seiner vier Nockenwellen -, von dem insgesamt nur 35 Exemplare entstanden.

Dank Citroën-Know-How passt der große V8 in den Keil

Größere Stückzahlen erreichte der Leichtmetall-V8 ab 1963 im Maserati Quattroporte. Der Ventilwinkel reduzierte sich jedoch von 40 auf 30 Grad, der Hubraum von 4.941 auf 4.136 Kubikzentimeter. Auch die beiden Khamsin-Vorgänger Ghibli und Indy, die bis 1973 beziehungsweise 1974 praktisch parallel produziert wurden, erhielten den DOHC-V8 mit 4,2, dann 4,7 und schließlich 4,9 Liter Hubraum.

Dass dieser kurze, aber relativ hoch bauende Motor unter die flache Khamsin-Haube passt, verdankte Maserati-Techniker Giulio Alfieri vor allem seinem neuen Arbeitgeber aus Frankreich: Citroën. Von 1968 bis 1975 gehörte Maserati zu Citroën, und es erfolgte ein tief greifender Technik-Transfer. Maserati lieferte bekanntermaßen einen DOHC-V6 für den SM und Citroën sein hydropneumatisches Brems- und Lenkungssystem, das mitsamt einer Servounterstützung für die Kupplung im Bora und Khamsin Verwendung fand.

Dazu zählt auch ein deutlich oberhalb der (gedachten) Radachse verlaufendes Lenkgetriebe, das wie im Citroën SM hellgrün lackiert ist. So entstand zusätzlicher Raum für den im Maserati Khamsin im Vergleich zum Ghibli etwas nach hinten gerückten Motor - und Gandini konnte sein wohl elegantestes Keil-Coupé trotz Front-V8 mühelos realisieren.

Ideale Ergonomie im edlen Innenraum

Mühelos erfolgt auch der Einstieg in den hellen, lichtdurchfluteten Innenraum des Maserati Khamsin. Sitz, Pedale, Lenkung und Schalthebel sind geradezu ideal positioniert. Trotzdem warnt Khamsin-Besitzer Koni Lutziger vor dem Start zur Probefahrt: "Die Lenkung ist sehr direkt, und die Bremsen sind nur schwer zu dosieren. Sie packen unvermittelt und ziemlich hart zu."

Die leichten Sorgen von Lutziger, der in Rudolfstetten bei Zürich mit erlesenen Sportwagen-Klassikern, Rennwagen und Motorrädern handelt, um den top restaurierten Wagen sind berechtigt. "Die Restaurierung kostete mehr als 200.000 Franken", erklärt der einstige Motorrad-Rennmechaniker, "hier hat sich ein Maserati-Liebhaber einen Traum verwirklicht."

481 Newtonmeter machen schon bei Standgas Spaß

Tatsächlich trösten die Qualität des Materials und dessen Verarbeitung über das von Bertone etwas lieblos gestaltete Cockpit hinweg. Und natürlich der kernige, tief grollende V8-Sound - als hätte man einen Bären aus dem Winterschlaf gerissen.
Mit kaum mehr als Standgas rollt der Khamsin ohne Ruckeln bei 1.000/min an. Im Mofa-Tempo gehen wir in den zweiten Gang des leicht und präzise zu schaltenden Fünfganggetriebes.

Der V8 steckt Bummelfahrten weg wie ein Sieben-Liter-Cadillac. Umso besser, konzentrieren wir uns auf Lenkung und Bremsen, vor denen auch auto motor und sport gewarnt hat: Beide wären zu direkt und aggressiv ausgelegt, es entstünden "unerwünscht hektische Reaktionen".

Maserati Khamsin ist ein Handling-Wunder

Heute empfindet man das vielleicht etwas anders. Nach dem Umsteigen aus einem aktuellen Dienstwagen in den Maserati Khamsin fährt sich dieser so modern wie sonst nur wenige Klassiker aus den frühen Siebzigern. Zumindest dann, wenn das handlich wirkende Coupé über schmale Landstraßen im unaufgeregten Reise-Tempo bewegt wird.

Man fühlt sich im Maserati Khamsin sofort sicher und komfortabel aufgehoben und ist von Anfang an Herr der Lage. Lenkung, Bremsen und der wie ein Ochsengespann ziehende Motor gehorchen dem Fahrer so ergeben wie die Clienti ihrem Paten Don Corleone. Der Tritt auf die Bremse wird ebenso spontan in Aktion umgesetzt wie jener auf das Gaspedal. Das V8-Fanfaren-Fortissimo aus vier Endrohren gibt es als Gratis-Beigabe.

Beim Vergleichstest in auto motor und sport (Ausgabe 9/1978, "Die schnellsten Autos der Welt") machte der Maserati Khamsin im Kreis von Aston Martin Vantage, Countach, Ferrari BB 512 und Porsche Turbo trotz seiner bissigen Bremsen eine sehr gute Figur und konnte in allen Fahrdisziplinen locker mithalten: zum Beispiel mit 272,7 km/h Topspeed. Trotzdem ist er inzwischen beinahe in Vergessenheit geraten - vollkommen zu Unrecht, wie wir mit großem Genuss feststellten