Mercedes 260 E lang Fahrbericht

Nicht ohne meine Familie

Als Großfamilie auf den Fahrspaß eines Youngtimers verzichten? Für Patrick Kistenpfennig ist das undenkbar. Sein Auto für Alltag und Urlaub ist ein Mercedes 260 E der Baureihe 124 in Langversion.

Mercedes 260 E lang Foto: Jörg Künstle 18 Bilder

Natürlich fallen sie auf, ob sie nun auf Reisen sind oder rasch nur den Wochenendeinkauf erledigen. Wildfremde Menschen bleiben stehen und staunen, wenn Patrick und Sonja Kistenpfennig mit ihren vier Kindern aus ihrem sechstürigen Mercedes-Benz 260 E steigen oder sich in einem bisweilen minutenlangen Prozedere wieder zur Abfahrt bereit machen.

Charaktervolle Langversion statt Compact-Van oder Kleinbus

Ein Benz in der prestigeträchtigen Langversion für den harten Familieneinsatz – was für viele ungewöhnlich erscheinen mag, bietet der Familie aus Mainz den besten Kompromiss zwischen Fahrspaß, einem stilvollen Ambiente und Platz. Spätestens nach der Geburt seines vierten Kindes vor zwei Jahren musste Patrick Kistenpfennig beim Thema Fahrzeugwahl aus Platzgründen eine grundlegende Entscheidung treffen. Moderne Kleinbusse oder artverwandte Compact-Vans schieden bei dem 40-jährigen Unternehmer jedoch von vornherein aus. „Zu langweilig und zu charakterlos.“

Für Kistenpfennig wäre allenfalls noch ein VW Bus in Frage gekommen: „Aber nur ein T1 oder T2“, ergänzt der Familienvater mit Hang zu Mercedes-Modellen aus den 80er und 90er Jahren.

Bereits während der Studienzeit lösten ein Strich-8 sowie ein 123er nicht selten die Transportprobleme vieler Kommilitonen von Patrick Kistenpfennig: „Nicht gerade die fetzigsten Autos, aber trotzdem immer gut genug für andere, um bequem und zuverlässig von A nach B zu gelangen“, erinnert sich der Limousinen-Fan.

Am Ende kam für die Kistenpfennigs genau genommen nur ein Modell in Frage, um den Familienalltag so souverän wie möglich zu meistern: ein W 124 in der raren Langversion, die intern die Bezeichnung V 124 trägt, in diesem Fall ein Mercedes 260 E aus der Schweiz, Baujahr 1992.

Ideales Auto für die Großfamilie

Das Auto, schwärmt der Unternehmer, verfügt im Fond über zwei vollwertige Sitzreihen, die – anders als bei den langen Vorgängermodellen – jeweils durch eigene Türen zu erreichen sind. „Sicherheit und Zugänglichkeit haben bei der Kaufentscheidung natürlich eine wichtige Rolle gespielt“, erklärt Ehefrau Sonja, und verweist darauf, dass jedes Kind selbstverständlich in einem Kindersitz Platz nimmt.

Wer einmal erfahren habe, mit wie viel Körpereinsatz so ein Anschnallprozedere von vier gut gelaunten Kindern verbunden ist, wird den großzügigen Einstieg zu den beiden Reihen im Fond sowie das besonders Raumgefühl der um 80 Zentimeter gestreckten Limousine endgültig zu schätzen wissen.

Gewöhnungsbedürftig: Wendekreis von 14 Metern

Nach inzwischen mehr als 20.000 gefahrenen Kilometern in dem achtsitzigen Mercedes 260 weiß die Gattin, wovon sie redet. „Wir mussten uns anfangs eigentlich nur an die Länge des Fahrzeugs sowie an dessen enormen Wendekreis von 14 Metern gewöhnen“, ergänzt Ehemann Patrick, wohl wissend, dass sein Mercedes alles andere als ein praktisches Stadtmobil ist. „Aber irgendwie scheint es niemand diesem Modell übel zu nehmen, wenn es aus Platzgründen kurz mal in der zweiten Reihe parkt.“

Tatsächlich preist der schwäbische Automobilhersteller seine 1989 präsentierte Langversion der W 124-Baureihe im hauseigenen Prospekt als „Taxi, Shuttle-Car oder Fahrzeug für die Großfamilie“ an – vier Jahre nach Einstellung des langen W 123-Vorgängermodells, welches von 1977 bis 1985 produziert wurde. Doch im Vergleich zum über 20.300 Mal gebauten 123er wird die neue sechstürige Variante mit insgesamt nur 2.363 ausgelieferten Fahrzeugen in sechs Jahren ein Exot auf deutschen Straßen bleiben – weder Fuhrunternehmen noch Familien zeigen zu Beginn der Neunziger Interesse am Sechstürer, der in Zusammenarbeit mit der Firma Binz entwickelt wurde.

Mercedes-Langversion mit serienmäßiger Niveauregulierung

Die Zeit der großen Chauffeurlimousinen – ganz offensichtlich aus und vorbei. An den Ausstattungsmerkmalen dürfte die schwache Nachfrage kaum gelegen haben. Servolenkung, Klimaanlage, Niveau-Regulierung und elektrische Fensterheber rundum sind ebenso Standard wie die bewährte Raumlenker Hinterachse oder die Optionen, den Innenraum im Fond den persönlichen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten.

So kann die mittlere Sitzbank wahlweise gegen die Fahrtrichtung montiert oder sogar gegen zwei Einzelsitze oder einen Solo-Sessel getauscht werden. Und eine Trennwand schottet bei Bedarf den Innenraum vom Cockpit ab – ein Extra, welches bei allen Eltern während einer längeren Reise garantiert schon mal klammheimlich ganz oben auf der Wunschliste gestanden hat.

Zurück ins Hier und Jetzt. Die sechs Kistenpfennigs sind auf dem Sprung. Ein kurzer Abstecher zu einem nahe gelegenen Spielplatz steht auf dem Programm – nach drei verregneten Tagen ein dringend erforderliches Manöver gegen den Budenkoller. Emma (8 Jahre), Anne (6), Max (4) und die zweijährige Evi erstürmen ihre Stammplätze.

Streit um den besten, sprich: aussichtsreichsten Platz? „Gibt es in diesem Auto nicht“, erklärt Patrick Kistenpfennig. Alle Plätze sind gleichwertig, und jedes Kind hat zudem sein eigenes Fenster. Sechs Türen für sechs Personen – wer die Kistenpfennigs beim Losfahren beobachtet, begreift, welchen Luxus dieses Auto einer Großfamilie bietet.

Applaus für die Langversion-Besatzung

Auf anderen Luxus wird hingegen komplett verzichtet. Selbst bei längeren Fahrten oder Reisen – wie nach Holland, in die Schweiz oder erst kürzlich nach England – kommen die Kinder der Kistenpfennigs ohne mediale Berieselung aus. „Wir hängen bewusst keine DVD-Spieler an die Kopfstützen, sondern vertreiben uns die Zeit an Bord mit vielerlei Spielen“, erklärt Sonja Kistenpfennig, die auch schon mal hinten zwischen ihren Kindern sitzt.

„Am unterhaltsamsten sind jedoch Begegnungen unterwegs“, erklärt der Familienvater. Und erinnert sich an einen Ausflug an die Mosel, wo eine holländische Reisegruppe erst die Ankunft der Kistenpfennigs genauestens beobachtet und, nachdem alle sechs ausgestiegen waren, vor Begeisterung schließlich applaudiert hat. Ein anderes Mal durfte der lange Mercedes sogar direkt in der Hotelauffahrt stehen bleiben. „Dieser Anblick gefiel nicht nur der Direktion“, schwärmt Patrick Kistenpfennig. In einen modernen Compact-Van umsteigen? Davon ist die Familie weiter denn je entfernt.

Der Kurzfilm über den Mercedes 260 lang

Anlässlich des 125. Geburtstags des Automobils ließ Mercedes-Benz von den beiden US-Filmemachern Austin Lynch und Jason S. im vergangenen Jahr 30 filmische Kurzporträts über ausgewählte Mercedes-Besitzer und deren besondere Verbindung zu ihrem Auto produzieren. Ein Beitrag der sehr emotionalen „Mercedes-Benz-Interviews“ befasst sich mit den Kistenpfennigs, zu sehen im Internet unter www.youtube.de, Stichwort Mercedes-Benz Interviews. Hier ist der Direktlink.