Mercedes 280 GE Dakar im Fahrbericht

Jackie Ickx' Siegerwagen nachgebaut

Das Siegerauto von Jackie Ickx/Claude Brasseur bei der Rallye Paris-Dakar von 1983 gilt als verschollen, doch Rallye-Fan Jörg Sand hat den Mercedes 280 GE bis ins Detail perfekt nachgebaut.

Mercedes 280 GE Dakar, Geländefahrt Foto: Jörg Künstle 25 Bilder

Schon wieder diese Minis. Platz eins bis drei bei der diesjährigen Dakar. Eine Marke, die mit der Offroad-Welt so viel verbindet wie Volvo mit der Formel 1, dominiert wiederholt die härteste Rallye der Welt, die längst zu einem Sprintrennen für Prototypen mutiert ist. Aber das müssen wir dem weißen Mercedes 280 GE mit der Startnummer 142 ja nicht gleich auf die Nase binden.

Originalgetreuer Nachbau mit Segen von Mercedes-Benz

Tapfer steht der Mercedes 280 GE da auf seinen schmalen Wüstenreifen. Mit Sponsorenaufklebern verziert und mit Zusatzscheinwerfern vor dem Kühler scheint er nur auf den Start der nächsten Sonderprüfung zu warten. So wie im Jahr 1983, als der sechsfache Le Mans-Sieger Jacky Ickx und sein Beifahrer, der französische Schauspieler Claude Brasseur, während der fünften Ausgabe der Paris–Dakar der Konkurrenz keine Chance ließen: Nach 21 Tagen und rund 12.000 Kilometern überquert das G-Modell mit der Startnummer 142 als Erster die Ziellinie am Lac Rose nahe der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Es soll jedoch der erste und (bis heute) letzte Mercedes-Sieg bei dieser Wüstenrallye bleiben – und das G-Modell ist bis heute das einzige Serienfahrzeug, das je dieses große Abenteuer gewonnen hat.

Umso tragischer, dass das Siegerauto von einst nach einem weiteren, jedoch weniger erfolgreichen Dakar-Einsatz 1985 spurlos verschollen ist. Bei dem Fotomodell handelt es sich demnach „nur“ um eine Kopie. „Allerdings um eine, die den Segen von Mercedes trägt“, erklärt Besitzer Jörg Sand, Journalist, G-Modell-Spezialist und Veranstalter der German Off Road Masters (GORM). Der Mann, der die Dakar als Berichterstatter inzwischen zehnmal begleitet hat, kann sich der Faszination der älteren der dort eingesetzten Rallye-Fahrzeuge nicht entziehen: „Bereits 2004 habe ich in Zusammenarbeit mit VW aus einem zivilen Iltis eine originalgetreue Kopie des Dakar-Siegerautos von 1980 aufgebaut. Danach musste es einfach der G von Icks und Brasseur sein.“ Der Mercedes 280 GE habe ihn immer schon besonders gereizt.

Das Basisauto für den Neuaufbau, ein Mercedes 280 GE Station kurz, stammt – wie das Original – aus dem Jahr 1982. Jörg Sand ersteht es in der Schweiz, macht sich anhand von unzähligen Fotos sofort an die Arbeit, nutzt seine Kontakte. Bei Fragen stehen ihm sogar die Mercedes-Spezialisten Rede und Antwort, die damals mit vergleichsweise einfachen Mitteln aus einem Serien-GE das Rallye-Auto aufgebaut haben. Inzwischen sind neben Mercedes auch die ehemaligen Sponsoren Michelin, Texaco und Hella von der Idee einer originalgetreuen Replica begeistert und sichern ihre Unterstützung zu.

Nachgebauter Mercedes 280 GE mit rund 170 PS

Der GE von Jörg Sand muss – wie das Vorbild – zuerst kräftig abspecken. Das komplette Interieur inklusive der Heizungsanlage fliegt raus, Motorhaube, Kotflügel, Türen und die Seitenscheiben werden gegen entsprechende Teile aus Kunststoff getauscht, die Stoßstange sowie die Heckklappe gegen passenden Ersatz aus Aluminium. Doch während einige Teile nach wie vor im Zubehörhandel aufzutreiben sind, handelt es sich bei der ungewöhnlichen Aluminium-Heckverlängerung um eine Einzelanfertigung. Sie sollte einst auf den schnellen Wüstenetappen zusammen mit der Alu-Verkleidung rund um den Windschutzscheibenrahmen sowie am Dach den Topspeed erhöhen und zugleich den Verbrauch des 2,8-Liter-Sechszylinders senken.

Nach einem Jahr Arbeit ist der Mercedes 280 GE von Jörg Sand optisch nicht mehr vom Original-Dakar-Boliden zu unterscheiden. Sämtliche Aufkleber, das französische Kennzeichen, die Dauer-Staubleuchte am Heck, die Zusatzscheinwerfer von Hella oder selbst die kleinen Signallampen auf dem Dach – alles exakt so wie bei dem berühmten Vorbild. Ebenso das Fahrwerk: Das Sand'sche GE-Modell hat wie das Dakar-Original eine verstärkte Vorderachse, Spezialstoßdämpfer, stärkere Federn und spezielle Sandreifen von Michelin im Format 7,5 R 16 erhalten.

50 PS weniger als der Werks-Rallyewagen

Einen Kompromiss musste Jörg Sand einzig beim Motor des Mercedes 280 GE eingehen. Rund 220 PS leistete der M 110-Sechszylinder aus dem echten Dakar-Boliden, 64 PS mehr als in der Serienversion. Mercedes hatte das 2,8-Liter-Aggregat für den Einsatz in der Wüste in die Hände der hauseigenen Rennabteilung gegeben, wo man ihm einen aufwendig bearbeiteten Zylinderkopf, leichtere Pleuel und Kolben spendierte. Bei der Ansaug- und Abgasanlage handelte es sich zudem um leistungssteigernde Einzelanfertigungen aus Teilen des S-Klasse-Motors (W126).

Der Motor von Sands Mercedes 280 GE kommt dank kleinerer Tuning-Eingriffe auf rund 170 PS, röchelt aus seinen beiden Sidepipes unter der Beifahrertür jedoch bereits im Standgas so angriffslustig wie das große Vorbild. Immerhin verfüge sein Auto noch über einen kleinen Vorschalldämpfer, schmunzelt der Dakar-Fan.

Navigieren mit Karte und Kompass

Ich nehme am Steuer des Mercedes 280 GE Platz, zwänge mich in die Recaro-Sitzschale und schaue mich um. Mit einem Serien-GE hat dieses Interieur erwartungsgemäß kaum noch etwas gemein. Viel nacktes Blech, im Heck ein 150-Liter- Zusatztank aus Aluminium, darüber die Halterung für zwei Reserveräder. In einem Netz hinter den Sitzen baumeln zwei Helme, und während moderne Rallye-Boliden über ein Ostseefähren-taugliches Navigationszentrum im Cockpit verfügen, herrscht hier neben Tacho und Drehzahlmesser gähnende Leere. Ein Tripmaster, ein Kompass sowie das Roadbook mussten 1983 genügen, um aus Paris heraus und bis nach Dakar zu finden. Erstmals ging es mitten durch die Ténéré, die Wüste der Wüsten. Über 1.600 Kilometer ohne Versorgung – dagegen ist die Atacama in Chile ein Urlaubsparadies. Meine Hochachtung vor den damaligen Orientierungskünsten wächst ins Unermessliche.

Jörg Sand reicht mir einen Helm, dirigiert mich an den Rand einer Kiesgrube. Loser Grund, steile Hänge und viel Sand. Anders sieht's – mit ein wenig Fantasie – im Hoggar-Gebirge auch nicht aus, denke ich mir und lasse das Auto bergab fallen . Der Mercedes 280 GE wird es im Zweifel schon richten, auch ohne Bergabfahrhilfe landet er sicher und völlig undramatisch unten in der Grube.

Freie Fahrt. Der Mercedes 280 GE brüllt wie ein wildes Tier, seine durchdrehenden Räder zerfetzen die Piste, schleudern Dreckklumpen und loses Gestein meterweit nach hinten. Mühelos zieht das Auto auf dem losen Grund auf und davon, lässt sich weder von tiefen Rillen noch von ersten Sandpassagen aufhalten. Nur in schnellen Kurven oder in langen Drifts wirkt der Mercedes mit dem kurzen Radstand und dem recht hohen Schwerpunkt etwas kippelig. Gespräche im Cockpit? Ab Tempo 80 nur noch über die in den Helmen integrierte Gegensprechanlage möglich. Doch eigentlich gibt es in diesem herrlichen Moment auch nicht mehr viel zu sagen.