Mercedes-Benz 560 SEL (W126) im Fahrbericht

Die Farbe des Gelbes - S-Klasse mal anders

So ein Mercedes-Benz 560 SEL in vollem Ornat und mit 300 PS ist ja schon aufregend genug. Doch in der Fehlfarbe Quietschgelb, gepaart mit jägergrünem Velours, mutiert er plötzlich vom Top-Manager zum Pop-Star, und alle wollen ein Autogramm.

Mercedes-Benz 560 SEL, Baujahr 1986 Foto: Frank Herzog 24 Bilder

Es war die Farbe, nur die Farbe! Dieser belebende gelbe Farbtupfer in der uniformen Menge businessgekleideter Blauschwarz-Metallicer, vornehmer Dunkelblau-Neunnullvierer und unauffälliger Rauchsilberfüchse. Die Farbe des Mercedes 560 SEL heißt Gelb, einfach nur Gelb, gut, wenn es sein muss Gelb 624, aber kein Ahorngelb, kein Weizengelb, kein Heliosgelb.

Auffälliges Understatement

In Gelb nimmt sich selbst ein Mercedes 560 SEL nicht so wichtig, da fragt niemand, ob er gepanzert ist oder welch bedeutende Person der Zeitgeschichte ihn vorher gefahren hat. In Gelb könnte ihn 1986 auch Drafi Deutscher bestellt haben oder Otto Waalkes. Roy Black besaß auch einen Mercedes 560 SEL, aber in staatstragendem Schwarz. In Gelb sieht er aus wie ein 260 SE. Wäre er nicht gelb mit kongenialem grünen Velours, Klaus Leitmeier hätte ihn nicht gekauft. So wie er ist, mit über 270.000 Kilometern auf dem Tacho, kein Leder oder Amaretta, keine Klimaautomatik, keine Coupé-Sitzanlage. Ach ja, die hydropneumatische Federung war ihm als Extra wichtig, damit schließt der Mercedes 560 SEL wenigstens technologisch wieder zum Superlativ Mercedes 450 SEL 6.9 auf.

Den Starkult des Sechsneuner genießt der Mercedes 560 SEL bei weitem nicht. Sein Vorgänger war technisch und preislich im Vergleich zum üblichen 350 SE völlig abgehoben. Er spielte im Mercedes-Programm fünf Jahre lang die Hauptrolle. Das gelang selbst einem flüssigkeitsgefederten Mercedes 560 SEL trotz optimierter Effizienz nicht. Er ist bis heute „nur“ der größere, üppiger möblierte Fünfhunderter. 70.000 statt 7.000 Mal verkauft, also grob Faktor zehn zum exklusiven 6.9. Der Sechsneuner galt vielmehr als modernisierter 600, da oben im Bereich von sieben Liter Hubraum und 550 Newtonmeter Drehmoment wird die Luft schon ganz schön dünn. „Vierhundertfünfzig ES-E-EL Sechspunktneun“, das raunt man sich in Kennerkreisen respektvoll zu, spricht es aus wie eine Verheißung, ja wie eine Machtdemonstration. Sechsneun? Ach so, ja was denn sonst?

270.000 km fast spurlos vorübergegangen

Der moderne, zeitlose Mercedes 560 SEL wirkt neben dem rollenden Barockschloss fast schüchtern. So, als bedaure er sein Versehen, mit 300 PS stärker zu sein, besser zu beschleunigen und dem imposanten Sechsneuner auch jenseits von Tempo 230 das strömungsgünstige Heck zu zeigen. Von einem opulent bestückten Mercedes 500 SEL ist das Mercedes-Flaggschiff der Achtziger im Vorbeigehen nicht zu unterscheiden. Der 6.9 outete sich nur dem Kenner auf subtile Weise. Breitere 215er-Michelin-XWX-Reifen galten ausschließlich ihm, die zierlichen Wimpern der Scheinwerferwischer trug nur er aufpreisfrei wie die Kopfstützen im Fond. Metallic-Lack ging beim Mercedes 560 SEL aufs Haus, doch schon simple Alu-Räder ließen sich Daimlers extra bezahlen.

Warum so viel Sechsneuner-Bewältigung, wo es doch hier um einen ganz besonderen Mercedes 560 SEL geht? Ein Sechsneuner ist schließlich schuld, dass unser Mercedes 560 SEL im krassen Farbenrausch der siebziger Jahre dasteht. Ein Unternehmer der Luftfahrtbranche orderte ihn 1986 in exakt der gleichen Color-Kombination wie seinen Sechsneuner zuvor. In einem Gelb, das es offiziell längst nicht mehr gab, mit grünen Velourspolstern, das war Bedingung. Daimler-Benz erfüllt ihm diesen Wunsch.

Zusammen mit der kostspieligen Hydropneumatik, dem giftigen 300-PS-ECE-Motor „Entfall Abgasreinigungsanlage“ und ein paar anderen Kleinigkeiten standen am Ende 129.623 Mark für den Mercedes 560 SEL auf der Rechnung, Feuerlöscher inklusive. Gelb genug, kommen wir zu den wirklichen Essentials gerade dieses Mercedes 560 SEL. Klaus Leitmeier kennt sich mit Mercedes bestens aus, er kann ein Auto schon aus mittlerer Entfernung treffsicher taxieren. „Ich konnte es zunächst nicht fassen, dass der Wagen trotz seiner 270.000 Kilometer in einem so guten Zustand ist.“

Außen finden sich am Mercedes 560 SEL nur geringe Gebrauchsspuren, marginale Lackschäden, ein paar Kratzer an den Stoßfängern, sonst nichts. Türen auf, das Velours farbsatt wie einst, nicht verschlissen, nichts verschossen. Das Wurzelnussfurnier ohne die üblichen Risse. Die Technik des Mercedes 560 SEL einwandfrei, ein echtes Phänomen. „So etwas gibt es eben nur bei Mercedes.“ Leitmeiers Fünfsechzig ist vom Wartungsstau so weit entfernt wie ein marokkanischer Strichacht vom nächsten Ölwechsel. Das vollgestempelte Wartungsheft fährt im Mercedes 560 SEL buchstäblich mit, nicht nur im Handschuhfach. Es ist spürbar, beim Abrollen, beim Einlenken, beim Herausbeschleunigen aus engen Kurven, ein Jahreswagen könnte es nicht besser.

Wendekreis kleiner als beim Audi 80

Der kilometerträchtige Marathonläufer gleitet lautlos und kraftvoll dahin, kein Spiel in der Lenkung des Mercedes 560 SEL, die Schaltpunkte der Viergang-Automatik stets korrekt. Kickdown ohne Verzögerung, aber mit der ungestümen Kraft von 300 PS. Der Mercedes 560 SEL-Motor, sonst dezent säuselnd, faucht dabei bedrohlich. Jede Fahrt, auch eine solch banale von Olching nach Dachau, wird im Mercedes 560 SEL zur First-Class-all-inklusive-Reise. Man sitzt in einem Luxusabteil, wird verwöhnt von Quadrophonie-Klängen aus dem Becker Mexico, der Tempomat hält die Geschwindigkeit, die Mittelarmlehne vorn erzieht zur entspannten Körperhaltung, und die Klimaanlage weht eine kühle Brise aus den ins schön gemaserte Wurzelnussfurnier so wunderbar exakt eingepassten Lüftungsgittern. Locker umfasst der Fahrer das lederbezogene Airbag-Lenkrad des Mercedes 560 SEL. Es ist eine Spur zu groß und zu klobig, um ein feinfühliges Handling zu vermitteln. Doch die Rückmeldung des für die Größe erstaunlich handlichen Wagens kommt überraschend gut an. Der Wendekreis des Mercedes 560 SEL ist kleiner als beim Audi 80.

Leitmeiers Mercedes 560 SEL hat Charisma, gerade weil er lebt und kein verhätscheltes Sammlerstück ist. Die 277.000 stehen ihm einfach gut zu Gesicht; dieser Mercedes 560 SEL, inzwischen mit nachgerüstetem G-Kat, hätte das Zeug zu einem Auto fürs Leben, eins, mit dem man alt werden kann. Achtzylinder-Motor und Viergang-Automatik laufen bei einem einfühlsamen Fahrer stets im Schonwaschgang. 3.000 Umdrehungen bedeuten im Vierten schon 160. Die Solidität des Mercedes 560 SEL sucht heute ihresgleichen, die extrabreiten Fondtüren fallen mit sattem Schuss ins Schloss. Schalter und Hebel fassen sich satt und gut an. Das Raumgefühl ist von sensationeller Großzügigkeit, beim Blick nach hinten tun sich unendliche Weiten auf.

Gelb macht doch glücklich, alles im Mercedes 560 SEL wirkt so vertraut, wer vom 200er kommt, muss sich weder schämen noch neu eingewöhnen. Einst weltbewegende 129.000 Mark verdichten sich heute zu, sagen wir, durchaus habhaften 9.000 Euro. Knapp 15 Liter laufen selbst dann durch, wenn man gelassen cruist. Der Mercedes 560 SEL ist eben doch eher ein Auto für sonntags, sonst wüsste man das Besondere nicht mehr zu schätzen.