Porsche Typ 64 Fahrbericht

Berlin-Rom-Wagen

Wer wagt, gewinnt: Ferdinand Porsches verschollen geglaubter zweiter Typ 64 für das Rennen Berlin – Rom 1939 ist wieder einsatzbereit. Motor Klassik konnte den Porsche Nr. 1 exklusiv fahren.

Porsche Typ 64 Foto: Arturo Rivas 26 Bilder

Für das zornige Geräusch gleich hinterm Deich gibt es an diesem kalten, klaren Dezembermorgen an der Elbe nur eine einzige Erklärung: Hier läuft ein Porsche warm. Die Nackenhaare salutieren, und eine vibrierende Spannung packt jeden, der bei dieser Ouvertüre zur Götterdämmerung dabei ist. Kaum zu glauben, dass nicht mehr als ein Liter Hubraum diese Sinfonie intoniert.

Unvergleichlicher Motoren-Sound

Diese Akkorde aus dem feinen Pfeifen des Lüfterrades, dem unterschwelligen Schwirren der Kühlrippen, diesem kehligen Einschlürfen der Ansaugluft durch die beiden Fallstromvergaser und schließlich jenem angriffslustigen Trompeten aus dem Kornett des leicht nach oben gerichteten Auspuffrohrs in Mittellage, so, wie es später der 550 Spyder ein paar Nummern kräftiger kultivierte – diesen unnachahmlichen Sound komponierte nur eine einzige Marke in Vollendung: Porsche.

Noch zwei Gasstöße, dann sorgt ein Dreh am Zündschlüssel für ein wenig Ruhe vor dem Sturm. Der Berlin – Rom-Wagen blinzelt vergnügt durch seine Verdunkelungsblenden, Thomas König und Oliver Schmidt, Gründer des Hamburger Automuseums Prototyp und damit Eigner der kleinen schwarzen Flunder, schälen sich aus der Stromlinien-Karosserie wie die lebendigen Inhalte eines einzigartigen Überraschungseies. Grinsend kommen die beiden Hanseaten auf den Delegierten von Motor Klassik zu:„ Jetzt bist du dran.“

Origami für Könner – Einsteigen in den Berlin-Rom-Wagen

Die weit bis ins Dach hineingeschnittenen Türen des Porsche Typ 64 öffnen sich zwar fast zu 90 Grad, aber ein bequemer Einstieg ist für Insassen jenseits der 1,80 Meter Körpergröße wie ein Origami-Spiel für Fortgeschrittene: Es will sich kompliziert gefaltet sein. Doch Leidenschaft ist ein hervorragender Schuhlöffel – hineingleiten und losfahren.

Gegenüber dem Piloten-Gestühl ist der Beifahrersitz im Porsche Typ 64 um mehr als eine Handbreit nach hinten versetzt, für noch passablen Fußraum trotz des ins Cockpit quellenden Riesentanks – und auch wegen der jetzt möglichen Überschneidung der Schulterpartien beider Insassen.

Mit der leichten Schwungscheibe, den verstärkten Ventilfedern und der mäßig erhöhten Verdichtung hat der Sechs-Volt-Anlasser keine Mühe. Eine Kurbelwellenumdrehung, und der nur 985 Kubikzentimeter große Boxermotor des Porsche Typ 64 läuft rund. Allein der Leerlauf kommt uns ein wenig erhöht vor, vielleicht der Gaszug. Die Einscheiben-Trockenkupplung öffnet einladend, der erste der vier Vorwärtsgänge im unsynchronisierten Getriebe rutscht satt und präzise hinein. „Zum Anfahren“, sagt der Beifahrer, „musst du schon ein bisschen Drehzahl geben. Beim Schalten bitte Zwischengas und Zwischenkuppeln.“ Mit allzu viel Anabolika hat Porsche damals, im 39er Jahr, den ursprünglich aus dem VW Käfer stammenden Vierzylinder nicht gedopt.

Kraftkur bringt den Porsche-Boxer auf 35 PS

Auf 31 Millimeter vergrößerte Einlassventile, etwas höhere Verdichtung (7:1), eine geänderte Nockenwelle sowie die beiden 26er-Fallstromvergaser von Solex mussten beim Porsche Typ 64 Berlin-Rom-Wagen reichen. Erst 32, dann 35 PS bei 3.600/min waren seinerzeit das Resultat der Kraftkur am Vierzylinder, der im Serientrimm zunächst nur bescheidene 22 PS lieferte. Immerhin gut 50 Prozent mehr Leistung, auch ohne den versuchsweise probierten Kompressor.

Mit seinen 35 Pferdchen trabt der Porsche Typ 64 munter los. Bei nur 535 Kilogramm Gewicht beschleunigt er verblüffend leichtfüssig. Viel zügiger als im Ur-Käfer geht es dahin, etwa so wie in frühen Exemplaren des Porsche 356. Nur die Schaltpausen dehnen die Zeit – die Porsche-Synchronisierung ist noch nicht erfunden.

Unkomfortabel ist das Leichtgewicht beileibe nicht

Um die Federung dem geringeren Gewicht des Stromlinien-Kreuzers mit dem Alu-Aufbau anzupassen, entfernte Porsche beim Typ 64 aus dem ursprünglich fünf Elemente enthaltenden Drehstabbündel der Vorderachse zwei Blätter, wodurch der Berlin-Rom-Wagen vorne nicht zu hoch liegt und erstaunlich brauchbar federt.

Wunderbar, wie der kleine Motor bei geschätzten 2.000/min Biss bekommt. Es ist, als sei ihm plötzlich eingefallen, wofür er denn gebaut worden ist: Als Erster in der 1100er-Klasse Rom zu erreichen, nach 1.680 atemlosen Kilometern, voller Staub auf der sanften Aluminiumwelle seiner Stromlinienkarosserie. Der frisch revidierte Vierzylinder des Porsche Typ 64 ist noch nicht eingefahren, und wir wollen es nicht übertreiben. Bei 80 oder 90 Kilometern pro Stunde lassen wir es gut sein, wohl fühlend, dass der Porsche Typ 64 noch ein gutes Stück schneller könnte. Mehr als 160 km/h hatte Porsche bei Probefahrten gemessen.

Motorradreifenbreite Diagonal-Pneus

Für eine Vollgasjagd über die kurvigen Bergetappen etwa vom Brenner hinab südwärts oder auch durch die Berge vor Florenz wäre Porsches Prototyp Typ 64 das Fahrwerk betreffend vermutlich nicht optimal ausgerüstet. Die originale Breite der 16-Zoll-Felge, drei Inches, wurde zwar zugunsten der nächst breiteren Version getauscht, aber ob die motorradreifenschmalen Diagonal-Pneus nun auf Felgen der Dimension 3.00 x 16 oder 3.25 x 16 sitzen, macht voraussichtlich nicht den wirklichen Unterschied.

Für die Sonderprüfungen auf der Autobahn, mehr als 500 Kilometer flat out von Michendorf nach München, bieten schmale Reifen natürlich Vorteile: weniger Roll- und weniger Luftwiderstand. Verzögert von vier sehr gleichmäßig ziehenden Trommelbremsen, kommt das kleine schwarze Juwel auf den Punkt genau zum Stehen. Knisternd kühlt der Motor ab.

Im Fetzenflieger steckt der Porsche Typ 64

Die Umstände, die zur Wiederauferstehung des Berlin-Rom-Wagens mit der Chassisnummer 38/42 führten, erzählen dabei eine Geschichte vom sagenhaften Glück. Anfangs der 90er Jahre kauften die späteren Museumsbetreiber König und Schmidt zwei Lastwagen voller Kartons mit Teilen aus dem Nachlass des rennfahrenden Ölhändlers Otto Mathé aus dem Zillertal, der auf seinem selbstgebauten Monoposto namens „Fetzenflieger“ in den Fünfzigern viele Siege feiern konnte. Den Fetzenflieger kauften die beiden Hamburger auch. Dessen Käfergetriebe hielt jedoch den 130 PS des montierten Fuhrmann-Rennmotors nicht stand, und als Schmidt und König das Getriebe reparieren mussten, fanden sie eine seltsame Gehäusenummer: 38/42.

Sowohl der Rahmen des Fetzenfliegers als auch dessen Vorderachse zeigten bei genauer Inspektion die gleiche Kennzahl. Damit war eine kleine Sensation der Porsche-Historie perfekt: Otto Mathé hatte seinen Eigenbau mit den Komponenten des zweiten von Porsche 1939 gefertigten Berlin-Rom-Wagens aufgebaut.

Unter Dutzenden alter Skibindungen ruhten auf dem Grund eines Wellpappe-Kartons aus dem Mathé-Nachlass zwei seltsam anmutende Aluminiumhaken – die Türklinken des Berlin-Rom-Wagens.

König: „Wir hatten einfach Glück, denn der Herr Mathé hat nie etwa weggeworfen. So tauchte Stück für Stück der Typ 64 wieder auf.“ Darunter sogar das originale Motorgehäuse, und so bilden Getriebe, Motor, Rahmen und Achsen, Lenkrad und Instrumente des Ur-Porsche die authentische Basis, auf der dann bei NostalgiCar in Korschenbroich bei Köln eine neue Aluminiumkarosserie entstand.

Moderner Leichtbau beim Vorkriegsporsche

Dieses sauber gerundete Blechkleid etwa sitzt auf dem typischen Porsche-Chassis: Nur das Zentralrohr und die Achsen bilden das Fahrgestell, die seitlich beim Käfer eingeschweißten Profilbleche fehlen. Statt dessen trägt ein Aluminium-Sandwichboden Karosserie und Sitze. Beide Alu-Böden sind durch genietete Winkelbleche verbunden. Die Vorteile: geringes Gewicht und verminderte Karosserie-Torsion.

Wenn die Sonne im richtigen Winkel steht, reflektiert der Nitro-Lack das Licht fast wie poliertes Silber. Mit diesem edlen Metall würde Motor Klassik gerne mal einen Tag auf der Autobahn verbringen und sich von Berlin nach Rom wagen.

Berlin-Rom – das Rennen, das nie stattfand

Geplant bereits für 1938 und dann verschoben auf den September 1939, wurde die Berlin – Rom-Fahrt fuür 250 Automobile (Sportwagen und serienmäßige Tourenwagen, Nenngeld 20 Mark) sowie 150 Motorräder (10 Mark) wegen Ausbruchs des 2. Weltkriegs nicht mehr gestartet.

Das Reglement orientierte sich an der 2000-Kilometer-Fahrt 1933 und 1934. Während die Automobile in Berlin auf die 1.680 Kilometer lange Strecke gehen sollten, kamen die Motorräder erst ab Nürnberg mit dazu (1.282 km). Die Etappen waren: Berlin, Avus, Potsdam, Michendorf (Start 1. Autobahnetappe, 523 km bis München), Leipzig, Bayreuth, Nürnberg, München, Starnberg, Partenkirchen, Mittenwald, Zirlerberg, Innsbruck, Brenner, Vipiteno, Fortezza, Bolzano, Trento, Riva, Brescia, Cremona, Fiurenzuola, Parma, Berceto, P. la Cisa, Aulla, Sarzana, Massa, Migliarino Pisano (Start 2. Autobahnetappe, 87 Kilometer bis Florenz), Siena, Viterbo, Roma.

Blaue Pfeile auf gelbem Grund sollten die Route markieren. Die Klasseneinteilung reichte von 750 Kubikzentimetern bis über 3,5 Liter Hubraum, gestempelt wird an den Zeitkontrollen. Jede Minute Differenz gibt einen „Schlechtpunkt“. Auf den Autobahnetappen darf dagegen geheizt werden: Jede Minute unter der Sollzeit bringt einen „Gutpunkt“.

Damit ist klar, dass die Fahrt auf der langen Autobahnetappe in Deutschland gewonnen wird – hier können die Schnellsten die meisten Gutpunkte holen. Stromlinien-Karosserien, die den Luftwiderstand senken und damit das Tempo erhöhen, werden so obligatorisch.