Saab 900 Turbo DeLuxe im Fahrbericht

Troll-Wut - Bekenntnis zum Anderssein

Der Saab 900 Turbo DeLuxe im Fahrbericht. Saab liegt derzeit im Koma, weil GM die trotzige Marke gegen den Strich bürsten wollte, dann Holländer ihre Chance sahen allerdings der Geldbeutel nicht gut genug gefüllt war und sich die Saab-Fahrzeuge schlecht verkauften. Dann kamen die Chinesen mit viel Geld und einer Vision vom Markteintritt in China.

Saab 900 Turbo DeLuxe, Baujahr 1984 Foto: Hardy Mutschler 20 Bilder

Doch immer noch vegetiert die einst so stolze Marke Saab dahin. Dabei haben die Schweden von Saab die Autowelt stets bereichert - wie zum Beispiel mit dem 900 Turbo, dem passenden Auto für Individualisten, Architekten und Künstler - so das Klischee.

Schön ist anders, so könnte der Wahlspruch des Saab 900 Turbo lauten. Liebe auf den ersten Blick, später. Ein Saab macht es einem nicht leicht. Vor allem wenn man von Mercedes, BMW oder Audi kommt und den Rückwärtsgang einlegen muss, bevor sich der Zündschlüssel abziehen lässt. Böse Zungen behaupten, dass man im Saab 900 freiwillig zwanzig Meter vor der Ampel stehenbleibt, um durch die steile, schmale Windschutzscheibe Rot zu sehen. Einen Saab-Fahrer stört das nicht, schließlich ist er Individualist und als solcher leidensfähig.

Avantgarde aus Schweden

Der Saab 900-Fahrer lebt mit einem dünnen Servicenetz, einer unpräzisen Schaltung und mit vielen Vorurteilen. Was der Saab 900 Turbo in den achtziger Jahren, war der Citroën DS in den Sechzigern. Das Bekenntnis zum Anderssein, das Kultivieren einer technischen wie auch formalen Avantgarde. Die geheime Mission der Intellektuellen unter den Auto-Liebhabern, die vielleicht noch zu Rover oder Ro 80 greifen würden. Saab ist eine sympathische Weltanschauung.

Statt breit und niedrig mag man es in Trollhättan lieber schmal und hoch, dazu lange Überhänge bei kurzem Radstand, steile, kleine Scheiben, 15-Zoll-Räder mit reichlich Bodenfreiheit. Es ist das schlichte Erbe des 1967 erschienenen Saab 99. Wirklich neu am 900 von 1978 sind allenfalls das spätere Combi-Coupé-Heck und ein um 4,4 Zentimeter verlängerter Vorderwagen. Selbst Architekten, eine beliebte Saab-Klientel, tun sich manchmal schwer mit seiner antiquierten Schrulligkeit. Denn vieles am Saab 900 wirkt unharmonisch und improvisiert, immerhin überrascht der günstige cW-Wert von nur 0,36. Saab kommt vom Flugzeugbau.

DeLuxe-Version als Schocktherapie für den Saab 900-Neuling

Seine steife Linie verrät die Schwermut langer, kalter Winterabende. Trotzdem schwärmen wir von ihm - weil er so wahrhaftig ist, eben kein Blender, einer fürs Leben, stark und solide. Finden ihn als 900 Turbo sogar richtig sexy. Fragt einmal die Frauen, die lieben ihn als Cabriolet besonders. Aber wahre Liebe braucht eben Zeit, vor allem bei einem Saab. Unser hochkonzentrierter Typ 900 Turbo De Luxe mit auffälligem ab Werk lieferbarem Airflow-Spoilerkit, Ronal-Alus im Minilite-Stil und wenig dezenter Zweifarbenlackierung gilt als Schocktherapie für den raschen Einstieg in die schöne, neue, die ganz andere Saab-Welt.

Auf den handgenähten schottischen Lederpolstern in vornehmem Sierrabraun sitzt es sich ganz vorzüglich. Saab hat sich schon immer um die Wellness seiner Passagiere gekümmert, bescherte uns Sitzheizung, orthopädisch vorbildliche Rückenlehnen und diese genial verstellbaren Kopfstützen. Wo andere modisch gestylt haben, hat Saab nachhaltig gedacht. Der Innenraum wirkt schmal, aber gemütlich, das Instrumentenbrett zieht sich flach bis unter die Windschutzscheibe zurück, seine komplette Uhrensammlung gefällt nicht nur dem Sportfahrer.

Die Drucktasten zum Steuern des Luftstroms funktionieren mit smartem Unterdruck, leise summen sie das Lied vom Qualitätsauto.Die vier hohen Portale fallen satt ins Schloss. Das steile Lenkrad liegt gut in der Hand. Warum ist es nicht lederbezogen, bei all dem schottischen Duft in der schmalen Kanzel?

Beeindruckend: das enorme Durchzugsvermögen

Ein Schlüsseldreh auf der Mittelkonsole, fauchend erwacht der frühe Zweiventil-Turbo ohne Ladeluftkühlung. Beim Fahren mutiert der Doppelrohrauspuff zur melodischen Basstrompete, die bei niedrigen Drehzahlen dumpf grummelt und über 4.000 Touren kräftig brüllt. So ein Gutmenschen-Saab darf sich auch nach 25 Jahren mit knapp 185.000 auf dem Tacho einmal tierisch gehen lassen, in knapp zehn Sekunden im zweiten Gang auf Tempo 100 beschleunigen und fast 190 km/h schnell sein.

Selbst die Schaltung ist präziser als ihr Ruf. Ein fünfter Gang wurde nachträglich angepasst. Doch beeindruckender als kraftvolle Sprints und mühelose hohe Reisegeschwindigkeiten ist beim Saab 900 Turbo das enorme Durchzugsvermögen. Bummelt man bei zweitausend Umdrehungen im dritten Gang eine Großstadt-Ausfallstraße entlang und gibt dann ordentlich Gas, dann schnellt der Saab imposant nach vorn und erschreckt seine Lieblingsfeinde, die Audi- und BMW-Fahrer. Dabei hat sich Saab dem sanften Turbo verschrieben. Ein früh einsetzender Lader, der mit wenig Ladedruck auskommt, statt heftigem Turbo-Bumms. Höhere Verdichtung, nämlich 8,5 : 1 statt der üblichen 7,0, als Maßnahme gegen das Turboloch untenherum und gegen das Saufen. Falls der Motor wegen schwankender Kraftstoffqualität klingelt, wird der Ladedruck automatisch zurückgenommen.

Saab nennt das APC - Automatic Performance Control - was fast eine Spur zu angeberisch klingt für den sonst so bescheidenen schwedischen Autohersteller, dem General Motors seine ökologische Nische weggenommen hat. Dabei hat die Philosophie von Saab - hohe technische Effizienz, Vierzylinder-Turbo statt Sechszylinder- Sauger und optimal balancierter Frontantrieb statt Allrad -, mehr denn je eine Zukunft. Selbst der weniger sperrige 9000 lag konsequent auf dieser Linie.

Konstruktion ist zukunftssicher für viele Jahrzehnte

Später, 1986, bekam der Vierzylinder-Turbomotor einen Ladeluftkühler, dann einen neuen Vierventil-Zylinderkopf mit der DI-Direktzündung, was eine separate Zündspule pro Kerze bedeutet. Schon der Basis-Saugmotor, eine Saab-Scania-Konstruktion von 1972, der mit Bosch D-Jetronic im Saab 99 EMS 110 PS leistete, bringt gute Voraussetzungen für eine Leistungssteigerung mit. Ein solider Kurbeltrieb mit groß dimensionierten Lagern und ein atmungsaktiver Querstrom- Zylinderkopf mit direkt über Tassenstößeln von der obenliegenden Nockenwelle betätigten Ventile machte ihn zukunftssicher für viele Jahrzehnte. Zuletzt leistete er 175 PS als Turbo-16V mit geregeltem Katalysator. Die Saab-Konstrukteure gehen nicht nur stilistisch, sondern auch technisch eigenwillige Wege. Diese hat für den Saab 900 längst der damals überraschend moderne Ur-Typ 99 vorgezeichnet.

Statt filigraner McPherson-Federbeine an der Vorderachse entschied man sich für solche, die von zwei soliden Dreiecksquerlenkern abgestützt werden. Hinten sorgt eine leichte, aber von Längslenkern und einem Panhardstab sorgfältig geführte Starrachse für die gewünschte Spur- und Sturzkonstanz. Der längs liegende, um 45 Grad geneigte Motor sitzt wegen guter Traktion und zum Vermeiden von allzu untersteuernder Kopflastigkeit direkt über der Vorderachse, das Getriebe darunter.

Dadurch entsteht ein komplizierter Kraftfluss, der von der Abtriebswelle der Kupplung über eine Dreifachkette eine Etage tiefer weiter an die Getriebehauptwelle läuft. Das Getriebegehäuse fällt deshalb sehr kompakt aus, um am oberen Teil der Motorölwanne Platz zu machen. Kein Wunder, dass sich bei diesem Bemühen um Balance der Saab 900 Turbo DeLuxe des Schweizer Saab-Enthusiasten Philipp Renz auch in schnell gefahrenen Kurven sehr neutral verhält. Er muss nicht wie andere leistungsstarke Fronttriebler arg in die Kurve hineingezwungen werden. Auch das Zerren des Antriebs in engen Kurven bleibt nicht zuletzt dank der vorzüglich exakten und dennoch gefühlvollen Servolenkung kaum spürbar. Dafür ist der 900 Turbo alles andere als eine Sänfte. Er rollt stets trocken ab.

Renz ist 25, Jura-Student im letzten Semester und wie alle Saab-Fahrer ein Überzeugungstäter. Dass sein auffälliger 900 Turbo DeLuxe mit Airflow-Spoilerpaket das Bild vom Understatement-Auto ein wenig konterkariert, stört ihn nicht: "Im Gegenteil. Ich habe das gute Gefühl, einen sehr seltenen Saab 900 zu besitzen, der bei meinen Kommilitonen cool wirkt. Zudem mag ich den urwüchsigen Steilschnauzer als ungezähmten Achtventiler lieber als die späteren, softeren Modelle." Sein Saab grummelt noch eine Weile im Leerlauf vor sich hin. Der Turbo muss sich erst abkühlen.