Shelby AC Cobra in Heft 11/1987

Der Biss der Cobra

In der 30-jährigen Geschichte von Motor Klassik gibt es einige Storys, die besonders tiefe Spuren hinterlassen haben - auch bei ihren Autoren. Bernd Woytal ist 30-Jahre jener Termin im Gedächtnis geblieben, als er auf dem Hockenheimring drei Cobras auf den Giftzahn fühlte.

Shelby AC Cobra Foto: MKL 12 Bilder

An diesem Tag drehte sich alles um Geschwindigkeit. Es war der 14. September 1987, und ich stieg in aller Frühe in meinen VW Scirocco GLI der ersten Serie, um Kurs auf den Hockenheimring zu nehmen.

"Der woy fährt Cobra"

Zwei oder drei Wochen zuvor hatte mich der damalige Motor Klassik-Chefredakteur Dirk-Michael Conradt mit der Nachricht überrascht: "Und fürs nächste Heft fährt der woy (das ist mein Autorenkürzel) Cobra." Das war so, als hätte er gesagt: "Im nächsten James-Bond-Film spielt der woy die Hauptrolle." Oder: "Nächste Woche trifft sich der woy mit dem Covergirl vom letzten 'Playboy'." Kurzum, mein Inneres schaltete um von Mozarts kleiner Nachtmusik auf "Speed King" von Deep Purple. Oder anders gesagt: Ich war aufgeregt.

Und diese Aufregung steigerte sich bei der Anfahrt zu diesem Termin minütlich. Es lagen 150 Kilometer vor mir, ich wollte natürlich pünktlich sein. Aber ausgerechnet jetzt trödelte eine Militärkolonne auf der Autobahn herum. Es dauerte ewig, bis sich die Millionen von Autos vor mir an der grünen Kolonne vorbeigekämpft hatten.

Dann endlich freie Bahn. Ich trat das Gaspedal bis zum Boden durch, im vierten Gang düste der Scirocco mit höchster Drehzahl Richtung Hockenheim. Doch plötzlich spürte ich einen kleinen Ruck, das Tempo verringerte sich, und 40 der 110 PS schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Ich fuhr auf den nächsten Parkplatz, und je langsamer ich wurde, desto unschönere Geräusche drangen aus dem Motorraum. Der GTI-Motor klang wie ein Diesel.

Aufregende Anreise

Was tun? Auf die Schnelle jemanden fragen, ging nicht, denn 1987 hatte noch keiner ein Handy. Ich auch nicht. Da der Motor noch lief und ich den Termin keinesfalls verpassen wollte, fuhr ich schließlich weiter. Tatsächlich hielt die Maschine durch, später diagnostizierte eine Werkstatt Kolbenkipper im vierten Zylinder. Jedenfalls erreichte ich trotz gezügelter Leistung mein Ziel rechtzeitig, allerdings innerlich sehr aufgewühlt, und das sollte sich tagsüber noch steigern.

Ich parkte auf dem Platz beim Restaurant am Hockenheimring. Schon kurze Zeit danach hörte ich jenes unartige Grollen und Brüllen, das ein kaum gedämpfter, großvolumiger V-Achtzylinder beim Gasstoß von sich gibt. Zwei der legendären Cobras schossen heran, später wurde noch eine dritte auf einem Anhänger gebracht.

Wie meine Redaktionskollegen hatte auch ich schon viel über diese übermotorisierten Roadster gelesen, die ihre Besitzer das Fürchten lehren, wenn man sie von der Leine lässt. Viele Legenden ranken sich um die Schnelligkeit dieser Autos, und genau deshalb entstand in der Redaktion die Idee, einmal zu testen, wie giftig diese Bestien wirklich sind.
Wir mussten zunächst nach Cobra-Bändigern suchen, die bereit waren, ihre Autos den Torturen einer Messung auszuliefern. Glücklicherweise fanden wir sie, mithilfe von Dr. Rolf Versen, dem damaligen Vorstand des AC Owners Club Deutschland. Er selbst brachte seine 289er-Renn-Cobra nach Hockenheim, dazu gesellten sich eine 289er-Straßenversion und eine übermächtige 427.

Messequipment von auto motor und sport

Das nötige Messequipment organisierte mein Kollege Hermann Ries aus der Redaktion von auto motor und sport, und Hermann war es auch, der mir bei der ganzen Aktion hilfreich zur Seite stand.

Die Messprotokolle von damals besitze ich heute noch. Aus ihnen geht hervor, dass das Wetter zwischen bedeckt und sonnig variierte und die Temperaturen zwischen 20 und 23 Grad Celsius betrugen. Und irgendwie scheinen sie noch ein wenig nach verbranntem Gummi und Öl zu duften.

Ich erinnere mich genau, wie damals mein Herz pochte und mir das Blut durch die Adern schoss, als die erste der drei Cobras am Anfang der langen Waldgeraden stand, bei jedem Gasstoß bis ins letzte Schräubchen vibrierte und einen ohren­betäubenden Lärm veranstaltete. Für die Messung wechselte ich auf den Beifahrersitz, denn die Besitzer kannten ihre Autos am besten. Außerdem hätte mich Conradt wahrscheinlich nur noch klassische Versehrtenfahrzeuge fahren lassen, wäre mir beim Gasgeben die Kupplung verraucht oder das Getriebe zerbröselt.

Unglaubliche Beschleunigung

Ich gab dem Fahrer das Zeichen zur Abfahrt, und die breiten Walzen der 427 drehten sich haltlos auf dem Asphalt, bevor die ganze Fuhre katapultartig nach vorn schoss. Was für ein Erlebnis. Wir flogen in fünf Sekunden auf 100, in 10,4 auf 160.

In Anbetracht des schlechten Grips, der Tatsache, dass der Besitzer kein geübter Testfahrer war und diese Cobra die längste Hinterachse besaß, klangen plötzlich die Legenden von Sprints in vier Sekunden auf 100 km/h völlig glaubhaft. Und dass 10,3 Sekunden für die Beschleunigung im großen Gang von 80 auf 160 noch einen aktuellen Porsche 911 Turbo S in Bedrängnis bringen, belegt die extreme Giftigkeit der Cobra.

Begeistert tippte ich später den Cobra-Bericht auf der Schreibmaschine - völlig fasziniert von diesen aus den 60er-Jahren stammenden Autos und ihrer Schnelligkeit. Als mir einige Zeit danach jemand am Telefon von einer Cobra-Replika vorschwärmte, brachte ihn mein nüchternes "Ach was" aus der Fassung. Er wusste nicht, was ich mit dem Original erlebt hatte.

Hier gibt es die Titelgeschichte aus Motor Klassik 11/1987 zum Nachlesen.