VW Phaeton als Waittimer

Flüstergott oder brutales Katapult

Waittimer müssen eine Weile reifen, um Liebhaberstatus zu erlangen. Der charismatische VW Phaeton hat das Zeug dazu. Er ist selten, kompromisslos und noch ein wenig unverstanden.

VW Phaeton V10 TDI Motion, Frontansicht, Kühlergrill Foto: Jörg Künstle 9 Bilder

Grund für Missverständnisse liefert der VW Phaeton genug. So führt der wörtlich genommene Name „Volkswagen“ in die Irre, weil unser V10 TDI 4Motion ohne Extras einst 84.200 Euro kostete. Auch der Begriff Phaeton ist nicht ganz zutreffend. Dieser altehrwürdige Terminus aus dem Kutschenbau und der Frühzeit des Automobils bezeichnet einen offenen Viertürer.

VW Phaeton ist ein Meisterwerk schlichter Eleganz

Unser 2004er VW Phaeton V10 TDI 4 Motion in Lunablaumetallic-Perleffekt hat noch nicht einmal ein Schiebedach. Ausgerechnet der blecherne Bundeswehr-Jagdwagen VW 181 ist also bislang der einzig wahre VW Phaeton. Und drittens ist das vom damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piëch an der Grenze des Machbaren positionierte Topmodell nur ob seiner schieren Größe von der Passat Stufenheck-Limousine zu unterscheiden.

Understatement manifestiert sich in schlichter Eleganz. Ein souveränes Styling, das ohne Gags wie kuriose Radläufe à la Mercedes S-Klasse oder alberne Sicken wie die aus Versehen reingebügelten Falten beim 7er-BMW auskommt. VW-Chefdesigner Hartmut Warkuß hat mit dem VW Phaeton ein Meisterwerk von schlichter Eleganz geschaffen. Ein kürzerer vorderer Überhang – er wäre vollkommen.

Der VW Phaeton fordert die Phantasie des Kenners. Er gibt sich hochintellektuell und kokettiert damit, erklärungsbedürftig zu sein. Der große Luxuswagen bleibt schon wegen seines mythologischen Namens ein Mysterium und schafft seinen eigenen Mythos. Er entsteht aus den feinsten Zutaten von Material und Technik in Dresdens Gläserner Manufaktur, er wiegt 2,5 Tonnen, und der Fahrer spürt es nicht. Wenn der Phaeton will, leistet er als V10 TDI 313 PS und schiebt mit 750 Nm an. Aber man kann ihn so unambitioniert und gleichgültig fahren wie einen 1600er Golf, dann braucht er 8,5 Liter auf 100 km und kommt nicht über 2.000 Touren.

Phänomenaler und missverstandener Luxus-VW

Der VW Phaeton V10 TDI ist Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Vau-Zehn-Diesel klingt nach derbem Baustellen-Lastwagen, dabei ist der Biturbo-TDI ein Flüstergott, der nur dann zornig seine Stimme erhebt, wenn er wie ein Katapult nach vorn schießt. Dann klingt er bedrohlich wie ein Gewitter in den Bergen.

So viel charakterstarker Eigensinn führt geradewegs in die Hall of Fame der Waittimer. Dieser vor ein paar Jahren von auto motor und sport-Redakteur Klaus Westrup geprägte Begriff soll den „Youngtimer von morgen“ ersetzen. Der VW Phaeton setzt gleich zu Beginn der Serie einen Paukenschlag. Denn seine Botschaft kann jenseits der intellektuellen Überhöhung auch derb sein: Er ist billig, hat jede Menge Qualm, ist voll mit allem, die Nachbarn staunen, und der Tacho geht bis 320. Noch Fragen, Alter? Acht Jahre zählt unser Phaeton. Heute kostet er 13.900 Euro, inklusive Partikelfilter, den es inzwischen auch für den V10 TDI zum Nachrüsten gibt. Das Display zeigt 172.678 Kilometer. Er ist kein Jahreswagen mehr, offenbart ein paar Gebrauchsspuren an Lack und Fahrersitz. Sonst nichts.

Unzerstörbares Langzeitauto

Der VW Phaeton ist kraft seines Materials und seiner Verarbeitung ein unzerstörbares Langzeitauto. Seine Karosserie ist verzinkt, allein die massiven Aluminium-Druckguss-Scharniere der diskret wie ein stummer Diener funktionierenden Kofferraumklappe sind ein leiser Wink, mit welcher Kompromisslosigkeit dieses Auto gebaut wurde. Es lebt den Anspruch, den Mercedes früher hatte, er ist ein 600 der Neuzeit, den damals auch nur Kenner von einem 250 S unterscheiden konnten.

Gewicht macht Freude, suggeriert Qualität. Die schweren Türen, die üppigen Rolls-Royce-artigen Vordersitze aus prallem Nappaleder, die Instrumente noch einzeln in Chrom gefasst, und Cupholder, die sich sanft in die Mittelkonsole zurückziehen. Dezent bleiben auch die Eukalyptusholz-Paneele, die das Interieur wohnlich machen. Falls sich die für gewöhnlich zugfrei arbeitende Klimaautomatik des VW Phaeton einmal mehr anstrengen muss, heben sich die Eukalyptustafeln wie von Geisterhand, um zusätzlichen Ausströmern Platz zu machen. Phaeton bedeutet in der Philosophie des Automobilbaus, Nebensächlichkeiten für wichtig zu erklären.

Entdeckerfreuden und Fahrerlebnis

Es ist nicht nur die reine Fülle solcher Servo-Features, sondern auch die unaufdringliche und perfekte Weise wie sie funktionieren. Bereits vor dem Start, noch bevor der langhubige, vielzylindrige Diesel in einen stoischen und kaum hörbaren Leerlauf fällt, will man den VW Phaeton in jedem Detail entdecken. Am besten mit der Betriebsanleitung in der Hand. Denn die rein oberflächliche Symbolik der Drucktasten, Schalter und Fingerhebel lässt den gebotenen fürstlichen Bedienungskomfort nur erahnen.

Das Fahrerlebnis übertrifft diese Entdeckerfreude um Längen. Der VW Phaeton-Debütant hat zunächst noch einen Heidenrespekt vor der stattlichen Breite von 1,90 Meter und dem gewaltigen Potenzial von 313 PS, die der gewaltige V10-Motor ohne große Verzögerung bereit hält. Entspechend vorsichtig tastet sich der Fahrer an die atemberaubende Drehmomentkurve heran. Gasgeben mit imaginären Ballettschuhen ist hier angesagt, schon bei 2200/min liegen 750 Newtonmeter an, Kickdowns werden so im Großstadtverkehr schnell zur ernsten Herausforderung. Am besten unterlässt man sie, auch ein manuelles Eingreifen über die Tiptronic-Gasse der Wählhebelkulisse erübrigt sich, wenn nicht gerade Alpenpässe im Weg stehen und die Bremsen bergab Entlastung suchen.

Hohes Gewicht schafft guten Fahrkomfort

Sechs Gänge verteilen die immense Kraft gerecht über das enorm breite Geschwindigkeitsspektrum. Der Wandler muss beim VW Phaeton V10 TDI kein Drehmoment stemmen, er muss vielmehr mit seinem ganzen geschmeidigen Fluid die Leistungsspitzen ausgleichen und das 350 Kilo schwere Selbstzündermonster gewaltig im Zaum halten. Von dem 4Motion-Allradantrieb mit Torsendifferenzial merkt man beim Fahren wenig. Im Vergleich zu den Hecktrieblern in der Luxusklasse ist der Wendekreis ziemlich groß. Beim schnellem Kurvenfahren könnte das Rückstellmoment der sonst so präzisen und sensiblen Lenkung stärker sein.

Auch das Handling des VW Phaeton V10 TDI 4Motion kann nicht so leichtfüßig sein wie in einem gerade einmal halb so schweren Golf. Hohes Gewicht schafft guten Fahrkomfort auch bei konventionellen Stahlfedern. Die Luftfederung des Phaeton sorgt für nochmals eine neue Dimension des Schwebens über dem Asphalt. Phaeton forever also? Nein, er gehört nicht in den Alltag, vielleicht noch als V6. Als V10 und W12 muss er das Auto für besondere Gelegenheiten bleiben, für das Reisen erster Klasse. Er macht auch bei Tempo 130 Freude. Lass und schon mal ein Saisonkennzeichen holen!

VW Phaeton V10 TDI – Die Preisentwicklung

Ein vermeintliches Image-Problem und hohe Kosten für Unterhalt, Wartung und Reparatur beschleunigen den Preisverfall des VW Phaeton. Vor allem die heute nicht mehr produzierten Top-Modelle W12 (5998 cm3, 420 PS bei 6.000/min, 550 Nm bei 3.000/min) und V10 TDI verlieren weiter rasant an Wert. Trotzdem ist der Phaeton für VW als Leader und als Plattform-Spender des Bentley-Continental wichtig. 40.000 Phaeton in 10 Jahren sind kein Misserfolg.