Abarth 205 GT Berlinetta

Dreieinhalb Meter Grandezza

Karl, der Erste: Von Carlo Abarths erstem eigenen Wagen wurden drei Exemplare gebaut. Hier lesen Sie das Abarth 205-Dossier des Abarth-Experte Klaus Zerhusen.

Abarth 205 - 102 - Der erste Abarth Foto: Hans-Dieter Seufert 12 Bilder

Nachkrieg, Italien, Motorsport - Zeitreise in ein Labyrinth technischen und stilistischen Wagemuts. Wie umtriebig die italienischen Kreativen aus dem Zusammenbruch durchgestartet waren, davon hatten biedere Autokäufer im Deutschland des Wirtschaftswunders kaum eine Ahnung. Fiat lag ja am Neckar, und Karmann Dschia - das war Sportwagen genug.

Carlo Abarths Erstling und das Glück der Wiedergeburt

Wer wusste noch Anfang der 60er Jahre Genaueres über Carlo Abarth? Es gab Aufkleber und Schaltknäufe mit dem Skorpion, auch herrlich verbotene Auspuffanlagen, die einen Käfer röhren ließen, als hätte er Leistung. Zufällig begegnete man vielleicht einem dieser Rätsel auf Rädern namens Abarth, einem nie gesehenen Rennei mit mysteriösem Buckeldach - Double Bubble???

Die Flundern, in die kein Mensch hineinpasste, wirkten wie Mordinstrumente im Maßstab 1:2. Sie nährten faszinierte Horrorträume, wer sowas zu fahren wagte, musste extraterrestrischen Ursprungs sein: 200 Spitze, unfassbar. Stanguellini, Cisitalia, Siata, Osca - die Namenskenntnis reichte für ein vages Bild exotischer Giftzwerge, kaum für präzisere Unterscheidung. Und heute? Insider-Nebel umhüllt die verwirrend vielen Prototypen, Einzel- und Sondermodelle des damaligen Neubeginns nach wie vor. Man ahnt ihren historischen Rang, aber den Glamour haben die fetteren Labels gepachtet. Relativitätslehre des Klassiker-Sammlers - Qualität macht noch keinen Star, aber über Stars weiß jeder alles. Bei einem standardexklusiven Ferrari jedenfalls wäre eine Entdeckungs-Geschichte wie diese kaum noch denkbar: das "Rinascimento" (für Teutonen: Wiedergeburt) eines der ersten 3 Autos mit Namen Abarth. Mit Kennerblick seinem Schicksal als verbasteltes Rallyerelikt entrissen, und mit viel Glück und Akribie zu "former glory" gebracht.

Karl Abarth - Vom Bianchi-Distributor zum Chef der Cisitalia-Rennabteilung

Abarth 205 - so heißt das Kind zweier Väter, Geburtsjahr 1949: halb adoptiert, halb umgetauft. Papa Nr. 1 heisst Piero Dusio, Inhaber von Cisitalia in Turin. 1947 erschien dort der ältere Bruder des Abarth-Erstlings, der Cisitalia 202, in einem Jahr, das nachhaltig Weichen stellte. Pinin Farina schuf mit dem Coupé Gran Sport auf Cisitalias Gitterrohrahmen den Meilenstein funktionalen Autodesigns: kompakter Body, in schnörkelloser Längslinie gestreckt, mit zwischen den Kotflügeln abgesenkter Motorhaube. Das Modell wurde stilistischer Trendsetter für zahllose Traumwagen aus prominenteren Häusern. Schließlich war es sogar das erste Auto, welches das New Yorker Museum of Modern Art wegen seines epochalen Designs in seinen Bestand aufnahm. Überdies beendete eine nach ihrem Fahrer "Nuvolari Spider" genannte Rennversion sensationell die '47 er Mille Miglia als Zweiter hinter einem Alfa 8C 2900 (!). Den Gesamtsieg verhinderten nur 20 Pannenminuten. Der Cisitalia 202: spektakulärer David in einer noch von Vorkriegs-Goliaths geprägten Szene.

1947 trat auch Papa Nr. 2 Karl Abarth ins autohistorische Spiel, gebürtiger Wiener, als Italiener nur angelernt. Er hatte sich früh Meriten als Motorrad-Rennfahrer erworben, während des Krieges seine Heimat verlassen, war zeitweise Distributor von Bianchi-Motorrädern in Zagreb und fungierte 1946 als Italien-Repräsentant für das Konstruktionsbüro Porsche. Dusio nahm Kontakt zu ihm auf, weil er in seinem Ehrgeiz, einen revolutionären Grand-Prix-Rennwagen zu bauen, auf Porsches Mittelmotor-Konzept für Auto-Union neugierig geworden war. Da half vermutlich sein Starfahrer Tazio Nuvolari sanft nach, hatte er doch auf dem legendären Auto-Union D den letzten Vorkriegs-Grand Prix gewonnen. Die Gespräche führten 1947 zum Verkauf eines Porsche-Rennwagenentwurfs an Cisitalia: Allradantrieb, V12-Mittelmotor, 1,5L Hubraum - High Tech, zum Fürchten schön und diffizil. Nebeneffekt: "Carlo" Abarth wurde ins Cisitalia-Direktorium berufen und in der Folgezeit Chef der Renn-Abteilung.

Das Ende von Cisitalia und der Beginn von Abarth

Man munkelt, mit dem hochkomplizierten Renn-Projekt 360 habe Piero Dusio sich wirtschaftlich verhoben. Wie auch immer, der Erlös half Ferry Porsche, seinen Vater Ferdinand aus französischer Haft freizukaufen, alldieweil Dusio sich 1949 unter Hinterlassung eines Finanz-Scherbenhaufens nach Argentinien absetzen musste. Juan Perons persönlichem Lockruf folgten aber dort kaum pekuniäre Taten, so dass eine Neuetablierung letztlich scheiterte. Der unausgereifte Typ 360 landete als museales Einzelstück ohne Rennpraxis bei Porsche. Cisitalia in Turin vegetierte glanzlos nach Insolvenz und Weiterverkauf noch bis in die 60er Jahre. Möglicherweise liess der Porsche-Einfluss den grossen Nachbarn Fiat ein wenig eifersüchteln. Man lieferte immerhin die 1100 ccm-Basisaggregate, Fahrwerksteile und hochlegiertes Rohmaterial, übriggeblieben aus militärischem Flugzeugbau, das Cisitalia diskret zum Basteln abholen durfte. Vielleicht agierte auch der Einsteiger Abarth etwas zu forsch. Jedenfalls räumten noch 1947 zwei Fiat-Ingenieure, die für Dusio arbeiteten, dem neuen Mann das Feld.

Dante Giacosa, Schöpfer des Topolino, kehrte ins wieder Fahrt aufnehmende Konzernschiff zurück, der wesentlich an der Schöpfung des 202 beteiligte Giovanni Savonuzzi wirkte später bei Ghia und Chrysler. Carlo Abarth selbst, der 1949 den Sprung in die Selbständigkeit wagte, profitierte entscheidend von jenem Furore machenden Cisitalia 202 und den Beziehungen seines enteilenden Patrons. Er nahm 3 Cisitalia 204 mit, von ihm selbst weiter entwickelte 202er, und 2 Rennprojekt-Chassis mit Antrieb, ausserdem eine Rennmaschine und einige tüchtige Mitarbeiter. Zur Erbfolge gehörte auch, dass Armando Scagliarini sein neues Unternehmen finanzierte. Dessen Söhne Carlo und Guido waren, nicht immer zum Wohlgefallen der Bankiersfamilie, erfolgreiche Rennfahrer im Cisitalia-Team unter Abarths Regie. Schliesslich fanden sich Giovanni Michelotti und Alfredo Vignale, der schon mehrere 202 karossiert hatte, bereit, für Abarths erste Autos ein noch rassigeres Kleid zu zeichnen und zu bauen.

Michelotti setzt Pininfarinas Entwurf noch einen Hauch Grandezza auf

Technisch führte Abarth schon als Cisitalia-Rennleiter Neuerungen ein, so dass der Übergang vom 202 über den 204 zum Abarth-Erstling 205 fliessend ist - ob es je einen Typ 204A gab, und ob er noch Cisitalia oder schon Abarth hiess, darüber hat die Historie das Dunkel der Spekulation gelegt. Die beim Cisitalia aus Fiat-Teilen konstruierte Vorderachse bekam bei Abarth nach Porsche-Muster Längslenker und Torsionsstäbe, der neue (Plattform-) Rahmen wurde steifer, leichter und kürzer.

Vor weiteren Innovationen sorgte der Existenzgründer Abarth indes erstmal dafür, dass die vorhandene Mitgift auf die Strasse und ins werbliche Licht der Öffentlichkeit kam. Aus neuen Fakten erschließt sich inzwischen, dass zunächst aus beiden Rohchassis 2 Coupés fertiggestellt wurden, die in der Rennsaison 1950, vor allem bei der Mille Miglia, keine spektakulären Erfolge einheimsten. Das erste Renncoupé, Nr. 205-101, wurde, mit angenieteten Bug- und Heckbürzeln für lange Gerade, sozusagen kampffrisch auf dem Turiner Autosalon '50 präsentiert. Das zweite, Nr. 205-102, wurde noch 1950 verkauft. Für Abarths eigenen Gebrauch wurde dann Coupé Nr. 205-103 als eleganter GT aufgebaut, das den Firmenstand auf dem Turiner Salon '51 zierte. So nutzt man Ressourcen.

Im Urteil der Öffentlichkeit erwies sich, dass Michelotti dem legendären Pininfarina-Entwurf noch einen Hauch Grandezza aufsetzen konnte: vorne saß statt des ovoiden 202-"Mauls" ein breiterer, flacherer Kühlergrill mit teilintegrierten Zusatzscheinwerfern - eine sportlich erwachsenere und zudem windschlüpfrigere Front. Die Seiten liefen mit durchgehender oberer Sickenlinie glatt bis zum Fastback, die vorher plastisch ausgeformten hinteren Kotflügel entfielen; das pummelige Heck kam ganz ohne Heckspiegel aus. Resultat: faszinierender Purismus und eine rassige Kompaktheit, schon im Stand ein Kraftprotz. In der Strenge der Dachkontur lief eine große Heckscheibe mit, die sichelförmig an die Basis der Seitenfenster heranreichte. Ein wahrlich nobles, hufescharrendes Rennpferd - man mochte dem Wagen seine 3,5 m Länge, gar 2,2 m Radstand kaum glauben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Karl Abarth mit seinen kleinen Vierzylindern den Ferrari des Commendatore Paroli bietet, wie der "Fischer Green Star" mehr als 130 Siege holt und von dem großen Glück, dass der Abarth 205-102 in die richtigen Hände gerät.