Silvretta Classic im Toyota Celica TA22

Bergwertung mit Blasmusik

Für die erste Oldtimer-Rallye wäre aufgrund der zahlreichen Gleichmäßigkeitsprüfungen ein Auto wünschenswert, das zu einer ruhigen Fahrweise animiert – also sicher nicht eine querdynamisch gedopte Toyota Celica TA22. Natürlich könnte man auch damit aufs Podest fahren. Doch dazu müsste man üben.

Silvretta Classic 2012, Tag 1, Hardy, mokla 0712 Foto: Hardy Mutschler 73 Bilder

Ohne Frühstück läuft überhaupt nichts. Erst recht keine längere Autofahrt, bei der zumindest die Mehrheit der Sinne versammelt sein sollte. Und hier in Österreich liefe ohne einen g’scheiden Kaffee ohnehin ein ganzes Land im Notprogramm. Ob jetzt nicht irgendwo weiter unten im Tal diese Übungs-Wertungsprüfung stattfände, frage ich meinen Oldtimer-Rallye-erprobten und blendend gelaunten, niedersächsischen Beifahrer.

"Oh ja, stimmt", erwidert Jürgen - und nippt an seiner Tasse. Auch Max, aus dessen Familien-Fuhrpark unser Einsatz-Fahrzeug stammt, verfällt nicht wirklich in übertriebene Hektik, dafür ist er viel zu sehr Oberfranke. Als wir in Richtung Auto schlurfen, keimt erstmals der Verdacht auf, dass es mit der Gleichmäßigkeit schwierig werden könnte. Nicht etwa, weil Lichtschranken in meiner automobilen Welt bislang vorwiegend verhindern sollten, dass hinterlistige Garagentore aufs Dach donnern. Oder Schläuche nur als Bindeglied zwischen einzelnen Aggregaten dienen.

Perfekt kopierte Ford-Mustang-Optik

Hier jedoch ist beides immanent wichtig für die Zeitnahme und die damit verbundene Fahrweise. Nein, vielmehr irritieren bei der Zuckerschoten-grünen Toyota Celica die tief über dem Asphalt kauernde Karosserie in perfekt kopierter Ford-Mustang-Optik, die 15 Zoll großen Minilite-Räder sowie die hindurch schimmernden Bremssättel. Was die Japaner schon alles drauf hatten, damals, 1974.

"Restauriert haben wir den Wagen nicht, aber optimiert", erklärt Max - und erst jetzt entdecke ich den nicht ganz unbescheidenen Edelstahl-Auspuff, eine Maßanfertigung. "Du kannst ihn ruhig bis fünfeinhalb drehen, aber denk daran, dass er keinen Begrenzer hat", sagt Max mit einem erstaunlich väterlichen Unterton für seine 22 Jahre. Kurzes Orgeln, einen Tapser Gas - und der charmanten Bedienung, die uns eben den Kaffee servierte, verrutscht schlagartig die Schleife ihres Dirndls.

Aus dem Coupé platzt ein Verbrennungs-Aufschrei, irgendwo zwischen Flügelhorn und Kettensäge, weckt die letzten Dorfbewohner. Spätestens jetzt ist klar, dass die inoffizielle Klang- und Proleten-Wertung weder an die Opel-Motorsport-Truppe, erst recht nicht an das Mercedes SL-Geschwader und auch nicht an die diversen, beeindruckend prächtigen Vorkriegs-Prügel geht - sondern an uns.

550 Kilometer in der zuckerschotengrünen Celica

Von der Übungs-WP war bei unserer Ankunft natürlich nichts mehr zu sehen, also hielten vier Laternenmasten einer Seitenstraße als Trainings-Lichtschranken her. Einige Proberunden und verstört dreinblickende Wanderer später, wähnen Jürgen und ich uns fit für den anstehenden Wettbewerb, die Celica sowieso. 550 Kilometer auf bis zu 2.037 Meter Höhe, 19 WPs, 15 Zeitkontrollen - das Programm für die nächsten drei Tage.

Um das eben abzuhaken: Unsere beste WP trafen wir auf 0,02 Sekunden, die schlechteste haben wir verdrängt und am Ende landeten wir auf Platz 47 von 180 Teilnehmern, immerhin. Dass es auch anders hätte laufen können, beweisen uns gleich am ersten Tag Sebastian und Heike Janssen, die eine Celica gleichen Typs bewegen, nur ohne Tuning. Sie fuhren unter die ersten 20 und mussten nicht mehr hinter uns (Nummer 130) starten, konnten sich so auf der nebligen Bergetappe am zweiten Tag allerdings auch nicht mehr an unserer Fanfare orientieren. Pech gehabt.

Mit dem Toyota Celica will man einfach Gas geben

Der Norweger Agnar Dalseg und sein britischer Beifahrer Alan John Waddoups im Ersthand-Mercedes 280 SE (herrlich in Englischrot, Stoff Dattel, ohne Leichtmetallfelgen, dafür mit Anhängerkupplung, nur so nebenbei) nahmen die akustische Hilfe dagegen gerne in Anspruch. Überhaupt lassen die beiden älteren Herren den wild sprotzenden und durch den Doppelvergaser drohend schlürfenden Toyota bei der erstbesten Gelegenheit nach dem Start passieren. "Kein Problem", sagt Angar, als ich mich für die forsche Fahrweise entschuldige, "ist doch klar, dass man damit Gas geben will".

Tatsächlich fühle ich mich wohl in den völlig konturlosen Sitzen mit milchkaffebraunen, konsequent atmungsinaktiven Stoffbezügen. Alle vier Seitenscheiben verschwinden nach jedem Regenschauer sofort in ihrer Versenkung, B-Säulen hielt Toyota erfreulicherweise für entbehrlich. Lenkung und Bremse ohne Servounterstützung ermöglichen kleine Trainingseinheiten während der Bergauf- und Bergabetappen, der Motor macht die Musik.

Der Vierzylinder plärrt wie ein hochgezüchtetes Renntriebwerk

Obwohl er plärrt wie ein hochgezüchtetes Renntriebwerk, lehnt der Kurzhuber hohe Drehzahlen ab. Stattdessen will der 1,6-Liter-Vierzylinder lieber ob seiner Elastizität geschätzt werden und verweist so gerne auf die oberen der fünf Gänge seines wunderbar leicht und exakt bedienbares Getriebes.

So weit, so entspannt. Doch aufgrund des ehrlichen Fahrwerks neigt sich das Coupé eigentlich nie zur Seite, durch das Sperrdifferenzial liegt die Traktion des Hecktrieblers auf dem Unerschütterlichkeitsgrad des Hybridglaubens der Japaner und die große Bremse vermittelt viel Sicherheit. Entspannung? Schnickschnack. Hatten wir heute beim Frühstück.  Stattdessen begreifen wir jede Kurve als Herausforderung, bremsen gezielt an, unnötigerweise, aber zur Freude einiger Zuschauer, immer mit Zwischengas, um mit anschwellendem Trompeten auf die nächste Kehre zuzufeuern.

Anerkennung vom Porsche 911-Fahrer

Thüringerberg, Dünserberg, Bartholomäberg undsoweiterundsofort - die Celica nimmt sie alle Volley. In Galtür bekommt Beifahrer Jürgen einen Durchfahrtskontroll-Stempel zuerst auf die Bordkarte, dann auf die hohe Stirn gedrückt, in Ischgl klopft mir ein Porsche 911-fahrender Teilnehmer anerkennend auf die Schulter. In Gaschurn schüttelt ein Bentley-Team konsterniert die Häupter. Die Celica lässt das kalt. Kein Zicken, keine Ausfälle, keine Pannen.

Wann hatte ich noch gleich zuletzt so viel Spaß in einem Toyota? Muss wohl um 2003 im finalen MR2 gewesen sein, kurz bevor die Japaner beschlossen, dass Fahrspaß nichts als überflüssiger Tand sei. Dabei hatten sie es wirklich drauf, damals, 1974, das steht nun fest - Tuning hin oder her. Über den Unterhaltungswert von Gleichmäßigkeitsprüfungen muss ich allerdings erst noch einmal nachdenken. Bei einer Tasse Kaffee vielleicht.