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Die Schlafenden Schönheiten

Die Geschichte der Sleeping Beauties

In den 80er Jahren sorgten Fotos einer geheimnisvollen Autosammlung in Frankreich für aufsehen, Herkunft und Verbleib wurden nie geklärt. In jahrelanger Recherche hat Autor Kay Hottendorff zusammen mit dem Holländer Ard op de Weegh und dessen Sohn Arnoud nun das Schicksal der "schlafenden Schönheiten“ herausgefunden.

Cord, Lotus, Unrestauriert Foto: Veloce Publishing 18 Bilder

Erwähnt man gegenüber Oldtimer-Enthusiasten die "Schlafenden Schönheiten", so ist meist schnell klar, wovon die Rede ist: nicht vom Märchen Dornröschen, sondern von einer berühmten Fotoserie aus dem Jahre 1983. Diese zeigt eine außergewöhnliche Sammlung klassischer Automobile, scheinbar vernachlässigt vom Eigentümer vor sich hinrostend, in einem verwilderten französischen Garten mit verfallenden Schuppen. Die Fotos wurden viele Male veröffentlicht - leider wurde dabei nie die wahre Geschichte hinter dieser Sammlung oder das spätere Schicksal der mehr als 50 Fahrzeuge erzählt.
 
Meine Leidenschaft für die Schlafenden Schönheiten hat ihren Ursprung im Jahr 1997, als meine spätere Frau mir ein riesiges Poster schenkte. Es zeigt einen staubbedeckten und halb verfallenen Bugatti zwischen anderen Klassikern der 30er. Schon als Kind hatte ich eine Schwäche für Oldtimer, aber dieses Foto faszinierte mich mehr als jedes andere zuvor.

Der Bildband "Schlafende Schönheiten" war die Ausgangsbasis

In den nächsten neun Jahren sammelte ich jede verfügbare Information über die Sammlung. Der Bildband "Schlafende Schönheiten“ von Herbert H. Hesselmann und Halwart Schrader aus dem Jahr 1986 enthielt eine Fotoserie der Sammlung sowie eine kurze Geschichte über den mysteriösen Besitzer namens "Pierre“, dessen Anwesen südlich von Paris und seinen eigensinnigen Lebensstil. Aber die Geschichte war unvollständig, widersprüchlich und endete eben schon 1983 mit der Entstehung der Fotos.
 
Bald fand ich auch den richtigen Namen des Eigentümers heraus und konnte seinen verwunschenen Garten lokalisieren: "Pierre“ hieß in Wirklichkeit Michel Dovaz und war einer der bekanntesten Weinkritiker Frankreichs. Seine Autos waren schon kurz nach der Veröffentlichung der Fotoserie "Schlafende Schönheiten" aus dem Garten entfernt worden. Einige Quellen sprachen sogar davon, alle seien verkauft worden.
 
Dann hätten aber mehr als nur eine Hand voll dieser einzigartigen Autos wieder auftauchen müssen. Zudem erfuhr ich von einem Museum in Frankreich, das um das Jahr 1990 kurzzeitig 26 der Schlafenden Schönheiten ausgestellt hatte. In diesem erstaunlichen Scheunenfund-Museum wurden die Autos damals völlig unrestauriert in fantasievollen Dioramen gezeigt. Diese reichten von einer Scheune mit zwei Bugatti über eine Werkstatt mit einem Aston Martin DB2 und einem Alfa Romeo 6C bis hin zu einem Clochard, dessen Lebensraum ein Rolls-Royce aus den 60ern bildete.

Die Recherche zu den "Sleeping Beauties" begann

Aber diese Informationen stellten mich längst nicht zufrieden. Was war die wahre Geschichte der Sammlung? Wohin waren all diese wundervollen Autos verschwunden? Ich machte mich in Internetforen auf die Suche nach einzelnen, besonders auffälligen Autos, um verlässliche Hinweise auf den Verbleib der Schlafenden Schönheiten zu finden.
 
Ende 2006 erregten meine Fragen in einem Alfa-Forum die Aufmerksamkeit eines jungen Mannes aus den Niederlanden. Arnoud op de Weegh recherchierte zusammen mit seinem Vater Ard ebenfalls seit 2002 an den Schlafenden Schönheiten. Ard hatte die Sammlung über seinen Kollegen Tristan Veneman und die gemeinsame Autoleidenschaft kennengelernt. Venemann hätte gern selbst nach den Schlafenden Schönheiten gesucht, erkrankte aber im Jahre 2002 unheilbar.
 
Nach Tristans Tod machte es sich Ard zur Aufgabe, die Autos zu finden. In den folgenden vier Jahren kamen Vater und Sohn op de Weegh im Wesentlichen zu denselben Schlussfolgerungen, die ich gezogen hatte. Sie wussten von Dovaz, dem Garten der Schlafenden Schönheiten, dem Scheunenfund-Museum und einigen restaurierten Autos.

Reise nach Frankreich - die erste heiße Spur

Arnoud hatte seinen Vater überzeugt, im Sommer 2006 mit ihm in die französische Stadt Sarlat zu reisen, um dort, wo sich 1990 das Scheunenfund-Museum befand, nach Spuren der schlafenden Schönheiten zu suchen. Sie sprachen mit vielen Leuten, aber niemand schien zu wissen, wo die Autos nach der Schließung des Museums abgeblieben waren. Endlich trafen sie einen Mann, der 16 Jahre zuvor mit einem Lkw-Fahrer über die Autos gesprochen hatte. Der Fahrer hatte damals erzählt, dass er seine Ladung Oldtimer an eine Adresse in einem kleinen Ort ganz in der Nähe liefern sollte.
 
In diesem Ort erzählte man Ard und Arnoud, dass es auf einem nahegelegenen Schloss vielleicht Oldtimer geben könnte - aber am Schloss angekommen, wurden die beiden deutlich aufgefordert, sofort wieder zu gehen. Ard und Arnoud waren sich sicher - endlich eine heiße Spur! Darüber hinaus stand Ard in Kontakt mit dem Fotografen der bekannten Fotoserie "Schlafende Schönheiten" und erhielt von ihm ein 16-minütiges Video, welches die Autos 1983 im Garten der Schlafenden Schönheiten zeigt.

Als Ard und Arnoud mich kurz nach Weihnachten 2006 in Norddeutschland besuchten, beschlossen wir schnell, unsere Recherche-Ergebnisse auszutauschen und zusammen das Rätsel der Schlafenden Schönheiten zu lösen.

Michel Dovaz blieb ein Phantom

Ard war das Kommunikations- und Sprachentalent in unserem neuen Team. Er hatte wiederholt vergeblich versucht, Michel Dovaz zu kontaktieren und spannte auch diverse Kontakte aus der internationalen Oldtimer- Szene ein. Aber nichts schien zu funktionieren. Dovaz blieb ein Phantom und wollte offensichtlich nicht von uns gefunden werden.
 
Ich selbst machte es neben der Internetrecherche zu meiner Aufgabe, alle neuen Ergebnisse zu analysieren und strukturiert zu archivieren. Unglücklicherweise erwies sich die Identifikation der Fahrzeuge in den früheren Veröffentlichungen der Fotos als äußerst fehlerhaft. Die einzige verlässliche Informationsquelle waren also die Fotos und das Video aus den 80ern. Aber das genügte uns. Im extremsten Fall konnten wir sogar einen britischen Sunbeam identifizieren, von dem es nur ein einziges Heckfoto gab, auf dem das Auto zudem noch teilweise von Büschen verdeckt war.
 
Arnoud war unser Spezialist für technische Details und begann Informationen über die Fahrzeugtypen zu sammeln. Arnouds und meine Recherchen förderten zudem kontinuierlich weitere Informationen über die Sammlung der schlafenden Schönheiten sowie den Verbleib einzelner Autos zu Tage.

Wo schlummern nur die Schönheiten?

Dennoch hatten wir zu dieser Zeit das Gefühl, dass es da noch mehr geben müsse. Einige restaurierte Autos waren aufgetaucht, aber zu viele blieben unauffindbar. Sollte ein Teil der Schlafenden Schönheiten noch immer in einem versteckten Winkel Frankreichs schlummern? Wir entschieden uns zunächst, unserer heißesten Spur zu folgen, dem Schloss in der Nähe von Sarlat.
 
Im Frühjahr 2007 aber entdeckte ich in einem Alfa-Forum den Bericht eines Mannes, der Dovaz 1988 auf einem Schloss in Südfrankreich besucht hatte. Das konnte nicht das Schloss nahe Sarlat sein, das lag viel zu weit nördlich. Wir mussten dieses neue Schloss finden! Der Bericht wurde geschrieben von einem Kanadier, der damals genau wie Dovaz einen Alfa Romeo 6C2500 Competizione besaß.
 
Es gelang mir, das Vertrauen dieses Mannes zu gewinnen, aber nach 19 Jahren erinnerte er sich leider nicht mehr an den Namen des Schlosses oder dessen genaue Lage. Glücklicherweise gelang es meinem kanadischen Kontakt einige Monate später doch noch, den Namen in seinen alten Unterlagen zu finden - ein Schloss in der Nähe der Stadt Montauban. Da mussten wir hin!

Eine zweite heiße Spur - wieder geht es nach Frankeich

In der Zwischenzeit hatte die Suche nach einzelnen Autos zu einem weiteren Fundort geführt: Über einen britischen Jowett Jupiter-Experten fand ich heraus, dass ein solches Fahrzeug aus der Dovaz-Sammlung einige Jahre zuvor in einem privaten Automuseum in Südfrankreich gesichtet worden war. Fotos aus diesem Museum legten den Schluss nahe, dass dort sogar noch mehr Schlafende Schönheiten sein könnten. Spätestens jetzt hatten wir zwei gute Gründe, um nach Frankreich zu reisen: das Schloss nahe Montauban, in dem wir wenigstens Teile der Sammlung vermuteten und das private Automuseum, ebenfalls untergebracht in einem Schloss.
 
Anfang Mai 2007 machten wir uns auf in Richtung Frankreich. Auf dem Weg nach Süden konnten wir nicht widerstehen und hielten am ehemaligen Anwesen von Dovaz nahe Paris, um Fotos vom berühmten Garten der Schlafenden Schönheiten zu machen, in dem die Autos bis 1984 standen. Alles sah noch genauso aus wie auf den Fotos von damals - nur in viel besserem Zustand und leider ohne Bugatti, Cord und Co. Dennoch lag an diesem besonderen Ort auch etwas Besonderes in der Luft.

Erfolgserlebnis - ein erster Teil der Schlafenden Schönheiten

Am Tag darauf erreichten wir das private Automuseum. Das kleine Schloss in der Nähe der südfranzösischen Stadt Pomport liegt traumhaft inmitten von Weinbergen und beherbergte neben dem Museum auch einen Winzerbetrieb. Der Schlossherr, ein freundlicher älterer Herr, hieß uns herzlich willkommen und führte uns in den Ausstellungsraum. Worauf wir in den zurückliegenden Wochen gehofft hatten, wurde schlagartig wahr: Das Museum beherbergte einige der Schlafenden Schönheiten in immer noch unrestauriertem Zustand! Zwischen etwa 25 weiteren unrestaurierten Klassikern entdeckten wir acht Autos, die wir von so vielen Fotos kannten - ein Bentley, beide Cord, der Jowett, ein Lincoln, ein Lotus, der Panhard & Levassor sowie ein Rolls-Royce. Obwohl unrestauriert, zeigten sich alle Autos in einem viel besseren Zustand, als wir aufgrund der 1983er Fotos vermutet hätten. In einem Seitengebäude fand sich zudem der Tatra 600 Tatraplan mit seiner markanten Heckfinne in Staub und Gerümpel als echter Scheunenfund.
 
Während unseres Besuches erfuhren wir vom Schlossherrn, einem Freund von Dovaz, eine ganze Reihe von Details über die Hintergründe der Sammlung. 1984 wurden die Autos tatsächlich auf das Schloss in der Nähe von Montauban gebracht. Die Publicity nach der ersten Veröffentlichung 1983 und die daraus resultierenden Anfeindungen waren damals zu viel für Dovaz. Er entschied sich, seine Sammlung 650 Kilometer nach Süden zu bringen, um seine Ruhe zurückzugewinnen. Einige Fahrzeuge wurden dann ab 1989 in dem schon erwähnten Scheunenfund-Museum in Sarlat ausgestellt, bevor die Sammlung der schlafenden Schönheiten im Jahr 1990 tatsächlich auseinandergerissen wurde. 

Die Geheimnisse lüfteten sich

Die meisten Autos wurden verkauft. Diese schwere Entscheidung hatte Dovaz genau hier getroffen, wo wir nun standen, im Speisezimmer des kleinen Schlosses nahe Pomport. Einige nicht verkaufte Autos brachte Dovaz 1990 in dem kleinen Automuseum seines Freundes unter, zehn davon bis zum heutigen Tage. Die beiden Cord gingen mittlerweile in den Besitz des Schlossherrn über, die anderen acht schlafenden Schönheiten gehören immer noch Michel Dovaz persönlich.
 
Auf unserem Heimweg machten wir noch einen kleinen Umweg zu dem Schloss nahe Montauban, dem Ziel des 1984er Umzuges. Wir fanden ein großes und eindrucksvolles Gebäude auf einem bewaldeten Hügel, eine kleine Scheune nahe der Straße und einen Betonkeller auf der Rückseite des Gebäudes. Das alles deckte sich exakt mit den Beschreibungen unseres Kontaktes aus Kanada, nur ohne schlafende Schönheiten. Ein weiteres Geheimnis war keines mehr.
 
Wenige Monate später, im Sommer 2007, kamen Ard und Arnoud in Kontakt mit dem heutigen Besitzer der berühmtesten Schlafenden Schönheit - dem 1935er Bugatti 57 Ventoux, der die Titelseite des Bildbandes von 1986 sowie das Poster aus meinem Wohnzimmer zierte. Aus privaten Gründen hatte ich diesmal keine Zeit, um Ard und Arnoud zu begleiten, als sie das inzwischen restaurierte Auto bei seinem Besitzer besuchten, einem Chirurgen in Nordfrankreich.
 
In der Zwischenzeit wuchs die Liste unserer Kontakte immer schneller, und unser Projekt sprach sich in der Fachwelt herum. Arnoud und mir fiel es immer leichter, weitere überlebende Fahrzeuge zu entdecken. Im Oktober 2007 erschien dann ein neuer Bildband mit dem Titel "Sleeping Beauties“ und den Fotos aus den 80er Jahren, der es mir erlaubte, die Liste der 55 Schlafenden Schönheiten zu vervollständigen und eine exakte Karte des Gartens im Jahr 1983 zu erstellen, inklusive der Platzierung der einzelnen Fahrzeuge.

Endlich - der erste Kontakt zu Michel Dovaz

Im selben Monat hatte Ard seinen größten Erfolg: Dovaz beantwortete endlich einen von Ards Briefen. Zeit für eine weitere Reise nach Frankreich. Im November 2007 trafen wir den 79-jährigen Michel Dovaz in seiner Wohnung mitten in Paris. Wir waren uns nicht sicher, was wir erwarten konnten, hatten wir doch die eher negative Beschreibung seiner Person aus vorangegangenen Publikationen im Hinterkopf.
 
Doch der Mann, den wir vorfanden, war völlig anders. Wir trafen einen höflichen, gastfreundlichen und selbstbewussten Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht. Der berühmte Weinkritiker Dovaz begrüsste uns mit einem Glas Champagner und unterhielt sich angeregt mit uns über seine ehemalige Sammlung der schlafenden Schönheiten und insbesondere die 21 (!) Bugatti, die er im Laufe seines Lebens besaß.
 
In mehr als dreieinhalb Stunden beantwortete er sehr offen alle unsere Fragen und füllte damit die letzten Lücken in unserer Story. Wir hatten es geschafft und die letzten Rätsel der Schlafenden Schönheiten gelöst.