Die Sonnental-Drifter

Quer ist mehr

Eine eingeschworene Gemeinde an der Mosel pfeift auf die Stoppuhr. Die Rallye-Truppe des Sonnental-Hotels im Moselörtchen Schleich frönt mit liebevoll gepflegten Dreier-BMW dem Powerslide.

Dreier-BMW, Seitenansicht Foto: Daniel Roeseler 10 Bilder

Schuld ist der Röhrl, auch wenn das hier nur hinter vorgehaltener Hand gesagt wird. Mit seiner sturen Ideallinien-Fahrerei revolutionierte der Bayer vor 30 Jahren das Rallye fahren. Das liebevolle Anpendeln, der lang gezogene Drift, der einst Hunderttausende zum Staunen in walisische oder finnische Wälder trieb, kam aus der Mode. Selbst der letzte finnische Weltmeister Markus Grönholm sang das Hohelied der Effizienz: "Driften kostet nur Zeit."

Fiat 126 Bambino war ein frühes Opfer

Alex Hermann und Thomas Dräger hatten im Sommer 2004 Zeit, und so ritten sie auf groben Stollen mit ihren KTM-Enduros zur Deutschland-Rallye und langweilten sich alsbald - keine rauchenden Hinterräder, keine schwingenden Heckpartien. Doch dann kamen im Hinterfeld die BMW des 318is-Cup. Hier wurde noch am Handbremshebel gerissen und dem Powerslide gefrönt. Hermann fuhr nach Hause und hatte einen Plan.

Es hörte fast auf, bevor es begonnen hatte. Beim ersten Fahrversuch steckte das Auto in der zweiten Kurve im festgefrorenen Acker. In weiser Voraussicht hatten Dräger und Hermann aber gleich zwei BMW E30 besorgt. Man stieg um und übte weiter. Ein armer Fiat 126 Bambino sah sich unschuldig zum Ableben verurteilt. Auf Winterreifen wollte der untermotorisierte Zwerg nicht richtig rutschen. Nach dem Umrüsten auf Sommerreifen steckte er nach fünf Kilometern frontal in einer Mauer.

"Uwe, wir brauchen quer."

Das dynamische Duo kam zum Schluss, dass man professionellen Rat in Anspruch nehmen sollte. Es folgte ein Anruf bei Ex-Profi Uwe Nittel, der im hohen Norden eine Rallye-Fahrschule betreibt. Originalton des Notrufes: "Uwe, wir brauchen quer." In einem Escort BDA von Ari Vatanen tobten die Retro-Pioniere durch den Schnee, in einem Allrad-Mitsubishi schliefen ihnen sogleich wieder die Gesichter ein.

Die Kampfzone wurde alsbald ausgeweitet. Beim 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife wurde man mit nur 120 PS ständig in Scharmützel der Schnelleren verwickelt, ein Ausflug in die deutsche Slalom-Meisterschaft endete nach dem ersten Durchgang mit der roten Karte. "Die Zuschauer tobten, und die Streckenposten sprangen davon", erinnert sich Hermann.

Die Idee fand schnell Freunde, der Fuhrpark wuchs auf sechs Autos. Von den ursprünglichen 318 is steht allerdings nur noch einer auf dem Hof. Jeder Novize musste mal auf diesem E30 seine ersten Sporen verdienen. Das betagte Stück ist ein Plädoyer für den Erfolg der Apparate-Medizin. Insgesamt sieben Motoren ackerten unter der Haube, zwei Mal lag er schon auf dem Dach, sechs Mal lautete die Diagnose: Totalschaden.

Kofferraumschäden werden lieber repariert als Frontal-Geknautsche

Wie alle religiösen Splittergruppen zeigt auch die Sonnental-Truppe Ansätze zum Fundamentalismus. Hier gilt eine eiserne Regel: Wer die Quertreiberei übertreibt und das Heck abrasiert, ist tapfer und ohne Schuld. Wer dagegen vorn einschlägt, hat gesündigt, muss Buße tun und blechen. Die ehrenamtliche Mechanikertruppe repariert lieber Kofferraumschäden. Hier gilt die gleiche Rückwärtsgewandtheit wie in den Cockpits. Das schwerste Geschütz des modernen Kfz-Mechatronikers ist das Diagnosegerät zum Auslesen des Fehlerspeichers. „Unsere Jungs sind vom alten Schlag. Die sind glücklich, wenn sie mal einen Hammer in die Hand nehmen dürfen“, sagt Hermann. Zum Dank für den unermüdlichen Einsatz dürfen die Schrauber auch mal selbst fahren. Drei von ihnen sind ständig aktiv.

Die E30 sind bis auf das eine Mahnmal auf Rädern längst ausgemustert. Man wollte nicht den bewunderten Vorbildern aus dem 318 is-Cup die Rohkarossen und zunehmend rare Ersatzteile streitig machen. Der Preis für BBS-Felgen stieg in wenigen Jahren von 10 auf 30 Euro. Stattdessen wurde eine stattliche Flotte von acht E36 angeschafft, die gegen ein paar Kisten Bier liebevoll zum Driftmobil umgerüstet werden. Ein tauglicher 325i kostet als Basisauto um die 1.500 Euro. Victor Smoltzki muss lachen: "In der VLN habe ich für einen gebrauchten M3 mal 50.000 Euro gezahlt." Man kauft vorzugsweise ausgemusterte Wettbewerbsautos aus anderen Kategorien wie Slalom. Da ist das Gröbste wie Käfigeinbau oder Fahrwerk schon getan. Manches Auto, das für den Aufbau gedacht war, endet zerpflückt als Ersatzteilträger.

Wachsende Powerslide-Sekte

52 Gläubige zählt die Powerslide-Sekte mittlerweile, und auch Prominente, Sponsoren und Mäzene sind dabei. Matthias Herrde ist früher selbst gefahren und hat im Norden einen Betrieb für Kunststoffschweißmaschinen. Er reist nicht selten 700 Kilometer an, um sich am Fahrstil der Sonnentaler zu wärmen. "Wenn du das siehst, regt sich das alte Herz", schwärmt er. Dr. Alexander Berstein ist eigentlich Zahnarzt, vertreibt im Internet-Portal Dr. Z Zahnersatz zum Nulltarif, die Aufkleber prangen auf den Flanken der Autos. Bei seinem Hobby Rallyesport glaubt Berstein fest an konservative Heilmethoden, den "klassisch, finnischen Ansatz".

Das Hotel Sonnental, das der Bewegung ihren Namen gab, ist indes eher ideeller Unterstützer und das Hauptquartier. "Man musste ja auf die Autos irgendwas draufschreiben. Das Hotel gehört meiner Mama", erklärt Hermann, der mittlerweile selbst zum Mäzen geworden ist. Die Kicker des SV Pölich bestreiten ihre Heimspiele in der Kreisliga A längst in Orange. Es ergibt sich zwangsläufig, dass auch eine Fan-Gemeinde in Holland existiert.

Für Victor Smoltzki ist die Fahrerei im BMW Entspannung. Hier kann er mal die Finger schonen und mit den Füßen arbeiten. Smoltzki ist Leadgitarrist der Hardrock-Gruppe Rage. Der Weißrusse hat eine Kart-Karriere hinter sich, fuhr viele Jahre im Langstreckenpokal, bis ihm der zu professionell wurde und der Fahrstil zu sauber. "Da habe ich den Alex angerufen."

Armin Schwarz findet das geil

Bekanntester Bekenner zur antiken Driftkultur ist der langjährige deutsche Rallyestar Armin Schwarz, der zum Tag der offenen Tür des Hotels angereist ist. Hermann steht am Schwenkgrill, Schwarz schwingt den Kuli und schreibt Autogramme. Der Franke war mit seinem raumgreifenden Fahrstil anderthalb Jahrzehnte Publikumsliebling in der Rallye-WM und betont: "Ich finde das geil, dass die hier den Sport pflegen, wie er mal war."

Im Winter flog ein Teil der Sonnental-Mannschaft nach Kalifornien, um im Baja-Buggy von Schwarz durch die Wüste zu toben. Man will ja auch das Weitspringen richtig beherrschen.

Mittlerweile hat die Drift-Bürgerwehr von der Mosel gar einen Fanclub. Zur Deutschland-Rallye haben die Freunde aus dem Erzgebirge ein Transparent mitgebracht. "Quer erziehbar" steht auf dem zweckentfremdeten Bettlaken zu lesen.

Die Quer-erziehbaren werden oft beschimpft

Die Sonnentaler haben nicht nur Freunde. "Wir werden oft beschimpft, dass wir hier nur eine Zirkusnummer abziehen", sagt Hermann. Tatsächlich klappen längst nicht alle Anstellmanöver, haben die Gasfüße den Schlupf nicht immer perfekt im Griff. Am Ende greift aber die Hase-und-Igel-Taktik. "Egal, in welcher Kurve du stehst, wenigstens ein orangefarbenes Auto steht immer quer."

Das kann die sonnigen Gemüter im Hotel Sonnental nicht bremsen. Bei mehr als der Hälfte der Veranstaltungen, bei denen die Agenten in Orange antreten, sind sie vom Veranstalter als Publikumsmagneten eingeladen worden. Selbst beim deutschen WM-Lauf drifteten einige vor der Porta Nigra in Trier zum Aufheizen der Menge. Initiator Hermann ist ohnehin weit mehr als nur der kritisierte Clown. Als der Motorsportverband DMSB 2010 in der deutschen RallyeMeisterschaft eine eigene Wertung für die Division sieben ins Leben rief, holte der gelernte Einkäufer eines Textilkonzerns den Titel. Dennoch schaut er kaum auf die Ergebnislisten.

Beim Driften entscheidet die Reifenwahl

Voraussetzung für die große Driftkunst ist natürlich die Reifenwahl. Der Quadrac-Winterreifen von Vredestein ist auf sommerlichen Asphaltstrecken perfekt. Sind die Gummis erst einmal richtig heiß, sind 200 PS auf der Hinterachse plötzlich eine Menge Leistung. Zudem schont die mangelhafte Traktion auch die Kraftübertragung. Die Getriebe sind schließlich serienmäßig.

Es soll zwar alles gut vorbereitet sein, aber wenig kosten. Immerhin gibt es neuerdings hydraulische Handbremsen. Die alte Technik Runterschalten und Kupplung fliegen lassen, um die Hinterräder zum Stehen zu bringen, ging zu sehr aufs Material.

Spaßverderber Röhrl schulte einst seinen Rallye-Fahrstil durch Ausflüge auf die Rundstrecke, Alex Hermann predigt den umgekehrten Ansatz: Die Rallye-Fahrerei erweitere eher die RennstreckenFähigkeiten. "Wenn das Brünnchen quer geht, ist alles in Ordnung."

Neben begeisterten Senioren wie Rechtsanwalt und Notar Rainer Wicke, mit 62 der Alterspräsident der Truppe, gibt es auch Nachwuchs. Volker Sticher, 22 Jahre jung, gilt im Sonnental als "Riesentalent". Woran man das erkennt? Alex Hermann rechnet stolz vor: "Vier Rallyes, drei Totalschäden."