125 Jahre Automobil - Technik

Auf Achse - die Entwicklung des Fahrwerks

Schon damals hatten die Pferdekutschen starre Achsen und Vollblattfedern. Doch beim Auto hielt dieses simple Rezept nicht lange durch. Auch heute noch gelten bei der Entwicklung von  modernen Fahrwerken hohe Ansprüche an Radführung, Federung und Dämpfung.

Daimler-Werk, Untertürkheim, 1904, Autobau Foto: Archiv 13 Bilder

Die Fahrwerkstechnik entwickelte sich in den 125 Jahren des Automobils parallel mit der rasanten Leistungssteigerung der Motoren. Schließlich musste die Kraft sicher und komfortabel auf den Boden gebracht werden. Geprägt wurde sie von der Abkehr vom Fahrgestell, vom Siegeszug des Frontantriebs und vom Streben nach möglichst hoher aktiver Sicherheit, die der Vermeidung von Unfällen dient.

Mercedes Simplex und Citroën Traction Avant als Vorreiter

Schon kurze Zeit nach der Geburtsstunde des Automobils setzte der Mercedes Simplex wichtige Standards. Bald nach der Jahrhundertwende zeichnete sich mit diesem ersten Mercedes aus den Daimler Motorenwerken der Urtypus des modernen Kraftfahrzeugs ab. Wilhelm Maybachs wahrhaft epochale Konstruktion von 1901 negierte die Kutschen-Keimzelle. Der Simplex besaß bereits einen niedrigen Stahlblechprofilrahmen mit zwei starren blattgefederten Achsen, einen Vierzylinder-Reihenmotor vorn unter der langen Haube mit dem wirksamen Röhren-Kühler stramm im Fahrtwind. Es fehlten nur noch Kardanwelle und Differenzial, dann wäre das erste richtige Auto ein wahrhaft zeitloses Vorbild.

Lange Zeit dominierten starre Achsen den noch jungen Automobilbau. Ein Leiter- oder Kastenrahmen bildete das stabile Rückgrat, Lastwagen und Pkw unterschieden sich konstruktiv kaum voneinander. Obwohl bessere Lösungen wie die de Dion-Achse und die Einzelradaufhängung längst erfunden waren, verlangten die schlechten Straßen nach robuster Bauart. Die ewige Starrachse. Doch die Götterdämmerung der starren Achsen und der separaten Fahrgestelle zog mit dem revolutionären Lancia Lambda von 1922 allmählich herauf. Der elegante Phaeton ließ mit seinem Tiefbett-Plattformrahmen die selbsttragende Karosserie langsam Gestalt annehmen.

Der Lancia Lambda fungiert als Trendsetter

Hydraulische Vierradbremsen und eine vordere Einzelradaufhängung, eine frühe Vorstufe des McPherson-Federbeins, machten den Lambda endgültig zum Trendsetter. Gut zehn Jahre später folgt mit dem Citroën 7 CV, alias Traction Avant der nächste revolutionäre Innovationsschub in der Fahrwerkstechnik. Adieu Chassis, der neue breitspurige und ungewöhnlich niedrig bauende Citroën entsteht mit Hilfe riesiger Presswerkzeuge komplett aus selbsttragendem Stahlblech. Ein vorderer Fahrschemel nimmt die kompakte Antriebseinheit samt Vorderachse auf. Sie gilt damals, 1934, als hypermoderne Dreiecksquerlenker-Konstruktion mit längs liegenden Drehstäben, hinten kommt eine leichte, ebenfalls torsionsgefederte Starrachse zum Einsatz. Doch auch bei den vorherrschenden Wagen mit konventionellem Antrieb steht die vordere Starrachse einer hohen Lenkpräzision und sensiblem Ansprechverhalten sperrig im Weg.

Starrachse vs. De-Dion-Achse

Der 51er Ford Buckel-Taunus war der letzte deutsche Personenwagen mit starrer Vorderachse, wenn man vom Mercedes  G einmal absieht. Der Ford  Capri hielt gar bis 1985 als letztes Modell mit starrer, blattgefederter Hinterachse durch. Hinten ist die Starrachse vor allem bei Fronttrieblern selbst heute noch gar nicht so verkehrt. Hier darf sie leicht sein, wird nur geschleppt, kann sich deshalb verwinden. Mit einem drehbar gelagerten Längslenker pro Rad, abgestützt von Federbeinen, wird sie zur Verbundlenkerachse à la VW Golf. Sie nennt sich dann halbstarr, weil das eine Rad nicht mehr in der Luft hängt, wenn das andere in ein Loch fällt. Die stoische Spur- und Sturzkonstanz überzeugt noch heute. Der Nachteil liegt in ihrer großen ungefederten Masse, sie neigt bei konventionell angetriebenen Autos zum Trampeln und zum Versetzen, so ein Differenzial samt Antriebswellen wiegt eben schwer.

Ideallösung De Dion. Da bringt sich die de Dion-Achse als Problemlösung erfolgreich ins Spiel, früh kam sie schon bei den Mercedes-Silberpfeilen und beim Alfetta-Rennwagen zum Einsatz, auch Maserati mochte sie. Das schwere Differenzial ist am Wagenboden geschraubt, die Räder können an den Doppelgelenk-Halbwellen den Unebenheiten der Straße frei folgen. Ein zusätzliches starres Achsrohr hält Spur und Sturz im Zaum, Längslenker oder Blattfedern führen exakt. Rover 2000 P6, Glas V8, Maserati Quattroporte, die Opel KAD-Reihe ab 1969, die zivile Alfetta und der sonst so biedere Volvo 343 kamen in den verschwenderischen Genuss dieser royalen Radaufhängung. Alfa Romeo, BMW, Fiat, Simca und Volvo, später sogar Opel (Tristabil-Fahrwerk im Rekord) und Ford (Fünflenkerachse im Taunus 76) domestizierten die bockige Starrachse erfolgreich mit Schraubenfedern und einer ausgeklügelten Kinematik von Längslenkern, Querlenkern und Schubstreben. Dazu gesellt sich noch der diagonale Panhardstab. Peugeot gelang es sogar, sie im 404 komfortabel zu machen. Doch die Starrachse galt schon in der technischen Sturm- und Drangzeit der Dreißiger vor allem bei den Nobelmarken als zweitklassig.

Hans Niebel und die Pendelachse

Hans Nibel, Chefkonstrukteur von Daimler-Benz, tritt 1931 mit einem echten Vollschwingachser als Erster die Flucht nach vorn in eine komfortablere und fahrsichere Zukunft. Der Typ 170, ein populäres Mittelklassemodell mit kleinem Sechszylinder, setzt vorn auf eine noch recht primitive Querlenkerachse, hinten kommt eine Zweigelenk- Pendelachse mit tiefem Drehpunkt und zwei Schraubenfedern zum Einsatz. Mercedes hielt der Pendelachse jahrzehntelang die Treue. Sie verschwand erst 1972 als optimierte Eingelenkachse mit stabilisierenden Längslenkern und Schubstreben. Ihr labiles Eigenlenkverhalten wurde am Ende von einer hydropneumatischen Ausgleichsfeder kontrolliert. Danach ergab man sich bei Daimler-Benz der überlegenen Schräglenkerachse, die den BMW-Modellen schon seit zehn Jahren ein überlegenes Fahrverhalten bescherte.

Die Pendelachse kommt in Mode

Die komfortable und kostengünstige Pendelachse passte wunderbar zu kleinen Heckmotorwagen. Der VW Käfer machte es vor, dessen raffinierte Fahrwerkskonstruktion mit vorderer Kurbellenkerachse und eleganter Drehstabfederung rundum war im Auto Union Formelwagen rennerprobt und später Porsche tauglich. Wer fahren konnte, hatte die ausgeprägte Übersteuerneigung bestens im Griff. Schräglenker an der Hinterachse nach dem Vorbild von Porsche 911 und VW 411 milderten sie später deutlich, doch der Mexiko-Käfer pendelte ausgleichsgefedert bis zum Schluss.

Der Siegeszug der McPherson-Vorderachse

Vor dem Siegeszug der McPherson-Vorderachse in den Siebzigern regierte in der Fahrwerkstechnik die robuste und effektive Doppelquerlenkerachse. Eine sehr ausgewogene, ebenso komfortable wie fahrstabile Konstruktion, bei der zwei unterschiedlich lange Querlenker in Dreiecksform übereinanderliegen. Schraubenfedern und Teleskopdämpfer ließen sich leicht unterbringen.Mc Pherson ganz weit vorn. Schon der Mercedes-Benz 380 von 1933 präsentierte diese rundum überzeugende Aufhängung. Ergänzt von einem Fahrschemel und mit zeitgemäßen, wartungsfreien Gelenken ausgestattet, blieb sie in dieser Form bis zum Ende des Strichacht 1976 gültig. Als Hinterachse war die ausgesprochen fahrstabile Konstruktion zunächst aus Kostengründen ein Exot. Lotus und Jaguar übernahmen sie beim Elan und beim E-Type direkt vom Rennsport in die Serienproduktion.

In den achtziger Jahren gelang den hinteren Querlenkern der Durchbruch. Die Weissach-Achse im Porsche 928 von 1977 war ein Vorbote des Trends, später folgte bei Mercedes die Raumlenkerachse, ein komplexes Fünflenkergebilde pro Rad. Selbst anspruchsvolle Fronttriebler wie der Alfa Romeo 164 finden in hinteren Querlenkern die Idealform einer leichten, wirkungsvollen Einzelradaufhängung. Die McPherson-Vorderachse ersann ein Ford-Ingenieur zunächst aus Kostengründen. Schraubenfeder, Stoßdämpfer und Lenkhebel bilden eine kompakte mit dem Achsschenkel verbundene Einheit. Ein unterer Dreiecksquerlenker nimmt die Seitenkräfte auf. Doch erwies sich die Konstruktion nicht nur als preiswert, sondern auch als enorm effizient. Für Fronttriebler wie NSU Ro 80, Audi 100 oder VW Golf ist die Platz sparende McPherson-Achse wie geschaffen. Selbst BWM setzte trotz Hinterradantrieb bereits seit 1962 mit der Neuen Klasse auf die Mc-Pherson-Federbeine. Sie harmonierten bestens mit der lange Zeit als fahrphysikalisches Optimum empfundenen Schräglenkerachse, die später sogar Federbeine spendiert bekam. So hielt sie sich auch bis in die neunziger Jahre hinein – bis sie zur zeitgemäßen Alleskönner-Mehrlenkerachse mutierte.