VW Golf R im Supertest

Wie performt der Allrounder auf der Nordschleife?

Warum man einen VW Golf R kauft? Weil man einen Allrounder sucht. Während er das Thema Alltag schon immer gut konnte, hat der kompakte Allradler beim Thema Fahrdynamik noch mal einen großen Sprung hin zum perfekten Allrounder gemacht.

VW Golf R Foto: Hans-Dieter Seufert 23 Bilder

Sie sind ein Porsche-911-Turbo-Fan, verfügen aber nicht über das nötige Kleingeld für einen Neuwagen? Verständlich, mir geht es gerade ganz genauso, dass da nicht mindestens 194.650 Euro auf dem Konto ungenutzt rumdümpeln. Wir haben jetzt zusammen zwei Möglichkeiten. Variante 1: Wir suchen nach einem gebrauchten 911 Turbo, oder Variante 2: Wir suchen nach einem Neuwagen, der einen ähnlichen Charakter wie ein 911 Turbo mitbringt. Kein Witz – wie wäre es mit einem VW Golf R aus der aktuellen, achten Golf-Generation?

Kurzer Preis-Check. Für den Gegenwert von 66.530 Euro unseres Golf-R-Testwagens WOB GO 384 würde man auch einen gebrauchten 996 Turbo oder mit Glück einen 997.1 Turbo bekommen. Lassen wir die Diskussion um hohe Neuwagenpreise speziell im Kompaktsportler-Segment, für die man auch rassige Gebrauchtsportwagen von einst erwerben könnte. Ob Gebrauchtwagen oder Neuwagen – das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber wie um Himmels willen kann man einen Golf R mit einem 911 Turbo charakterlich auf eine Stufe setzen?

Denken Sie sich mal die Silhouette und das Prestige eines aktuellen 911 Turbo weg. Übrig bleibt die sehr gute Alltagstauglichkeit und das, was jetzt der Golf R beim Einbiegen in die Sabine-Schmitz-Kurve auf den ersten Nordschleifen-Metern serviert: Souveränität im Grenzbereich. Reinsetzen, losfahren und am Limit sofort wohlfühlen. Und ganz nebenbei auch noch schnell sein.

Allradheld mit Torque Splitter

VW Golf R Foto: Hans-Dieter Seufert
Auf der Nordschleife ist er mit einer Zeit von 8.02 min ganze 13 Sekunden schneller als sein Vorgängermodell.

Nach wenigen Warm-up-Runden hämmerst du mit dem Allrad-Golf so über die Schleife, als ob du dort noch nie etwas anderes gefahren wärst. Das "Hämmern" bezieht sich nicht ausnahmslos auf EA888 evo4. Hinter dem Codenamen versteckt sich der auf 320 PS erstarkte Vierzylinder-Turbo mit zwei Litern Hubraum, der aufgeweckt durch den Drehzahlbereich turnt. So erfrischend wie dieses Triebwerk geht, kauft man sich in Gedanken schon eine Jahreskarte für die Nürburgring-Touristenfahrten. Doch das beste Aggregat unter der Haube bringt dir nichts, wenn das Fahrwerk nicht stimmt. Auch das Golf-R-Fahrwerk ist der Hammer zum Hämmern.

Unter den Kompaktsportlern gibt es ja prinzipiell zwei Grundcharaktere in Sachen Fahrwerksabstimmung. Zum einen die wilden Hunde, die schon beim Anbremsen auf eine Kurve oder bei Lastwechseln agil mit dem Heck mitlenken, genauer gesagt quer stehen, um das Fahrzeug bereits vor der Kurve für den anschließenden Kurvenverlauf auszurichten und um bloß die Vorderachse vor dem Unwort "Untersteuern" zu bewahren. Nennen wir diesen Kompaktsportler einfach mal Typ 1.

Außerdem gibt es den Typ 2: die sehr neutralen Kompakttypen, die tendenziell lieber etwas mehr Untersteuern in Kauf nehmen, damit das Fahrverhalten stets von hoher Sicherheit geprägt ist.

Und wo sortiert sich der Golf R ein? Er ist auf keinen Fall Typ 1. Hier fliegt kein loses Heck beim Anbremsen heran, das der Fahrer sogar durch einen leichten Gegenlenkimpuls auf Kurs halten müsste. Die Bremsstabilität des Golf R im Grenzbereich ist beeindruckend. Auf der Bremse bringt der Allradler hohes Grundvertrauen entgegen, was auch an der gelungenen ABS-Abstimmung und der Standfestigkeit der Bremsanlag liegt. Übrigens: All denjenigen, die einem elektronischen Bremskraftverstärker per se ein synthetisches Pedalgefühl unterstellen, sei gesagt: Der Golf R tritt mit eBKV an – und überzeugt mit einem gut dosierbaren Pedalgefühl. Wenn man es nicht wüsste, dann würde man hinter dieser Bremse ein herkömmliches System vermuten. Also erst fahren, dann urteilen.

Agilität plus Fahrstabilität

VW Golf R Foto: Hans-Dieter Seufert
Reinsetzen, losfahren und sofort Wohlfühlen. Der Golf R überzeugt dank linearer Fahrzeugrückmeldung im Grenzbereich mit einfach beherrschbarer Fahrbarkeit.

Kompakt-Typ 1 zählt nicht nur auf der Bremse, sondern auch bei Lastwechseln zu den nervösen Fahrdynamikern. Auch hibbeliges Lastwechselgehabe ist dem Power-Golf völlig fremd. Allzu übertriebene Lastwechselanfälligkeiten nehmen dir beispielsweise auf der Nordschleife besonders in der Dreifach-Rechts "Miss-Hit-Miss" das blinde Vertrauen in ein Fahrzeug und dadurch schlussendlich auch den Speed. Besonders bei nervösen Fahrzeugrückmeldungen kann man in diesem Streckenabschnitt viel Zeit liegen lassen.

Ist der Golf R dann Fahrdynamik Typ 2? Nein, er ist keiner, der sich Fahrsicherheit durch ein festgetackertes Heck und notorisches Untersteuern erkauft. Der Golf R ist eher Typ 3, der sich das Beste aus beiden Welten von Typ 1 und 2 heraussucht und miteinander vereint. Kurz: Agilität, gepaart mit Fahrstabilität. Die Grundabstimmung des Golf R ist weitgehend neutral, was für eine schnelle Vertrauensbildung von Fahrer und Fahrzeug im Grenzbereich verantwortlich ist. Untersteuern? Während andere sich die Fahrsicherheit eben durch eine tendenziell schiebende Vorderachse erarbeiten wollen, folgt der Golf R erstaunlich lange dem vorgegebenen Lenkwinkel.

Oder anders: Die Reaktionen der Vorderachse sind passend auf die Reaktionen der Hinterachse abgestimmt. "Phasengleiches Ansprechverhalten" von Vorder- und Hinterachse nennen das die Fahrdynamikentwickler. Dank dieser Linearität bietet der VW Golf 8 R ein sehr vorhersehbares Fahrverhalten, ohne dass er sich eine künstliche Sicherheitsschwelle in Form einer untersteuernden Vorderachse erlauben müsste.

Fahrwerksseitig flossen zahlreiche Aspekte ein, die querdynamisch von Relevanz sind. Im Vergleich zum Vorgängermodell wurden die Federraten und Stabilisatorraten jeweils um 10 Prozent erhöht. Dementsprechend wurden auch die Kennlinien der optionalen DCC-Adaptivdämpfer angepasst. An der Vorderachse startet der Golf R mit vergrößertem Negativsturz durch. Ein steifigkeitsoptimierter Hilfsrahmen aus Aluminium senkt das Gewicht der Vorderachse um drei Kilo. An der Hinterachse kommen modifizierte Querlenkerlager und Radträger zum Einsatz.

Für die gewonnene Agilität ist nicht nur die modifizierte Fahrwerksabstimmung verantwortlich, sondern vor allem auch der offiziell "4Motion mit R-Performance Torque Vectoring" genannte Allradantrieb. Was die VW-Fahrwerksentwickler daran besonders feiern, ist der so genannte Torque Splitter. Letzteres ist keine VW-Neuerfindung, dieses Technikschmankerl hat bekanntermaßen auch anderen Kompakthelden bereits richtig Beine gemacht.

Ab sofort wird die Antriebskraft nicht nur variabel zwischen der Vorder- und Hinterachse verteilt, sondern dank eines neu entwickelten Hinterachsgetriebes mit zwei getrennten Kupplungen jetzt auch variabel zwischen dem linken und rechten Hinterrad. Laut VW können bis zu 100 Prozent der möglichen Kraft an das kurvenäußere Rad übertragen werden. Beim bisher bekannten 4Motion-Allradantrieb wurde die Kraft über eine Lamellenkupplung im Verhältnis 50 : 50 an die Hinterräder verteilt. Das Ziel des neuen, querverteilenden Antriebssystems ist klar: Durch den gezielten Kraftfluss an die Hinterräder kann das System zum einen agilisierend wirken (Erhöhung Antriebsmoment kurvenaußen) oder stabilisierend (Erhöhung Antriebsmoment kurveninnen).

Ähnlich wie bei den bisher im Supertest gefahrenen Torque-Splitter-Kandidaten gilt für den Golf R folgende Prämisse: Nicht zu spät in die Kurve reinbremsen, sondern lieber einen etwas früheren Bremspunkt setzen und dann den Schwung mit Schmackes durch die Kurve mitnehmen. Will man am Kurveneingang zu viel und bremst also sehr spät in die Kurve rein, verlagert sich logischerweise die Radlast durch die dynamische Radlastverteilung noch stärker gen Vorderachse. In diesem Fall kann die Allrad-Magie nicht mehr wie gewünscht zaubern, und man zwingt den Golf R ungewollt in ein leichtes Untersteuern.

Für Fans: Nordschleifen-Modus

VW Golf R Foto: Hans-Dieter Seufert

Pflichtoption für Fahrdynamiker: Neben den optionalen Semi-Slicks sollten Sportfahrer auch die Option „R-Performance-Paket“ wählen. Der R rockt dann nicht nur mit Vmax-Anhebung, größerem Dachkanten-Spoiler und den 19-Zöllern „Estoril“, sondern mit Drift- und Nürburgring-Modus.

Dass es die Fahrwerksentwickler auch besonders mit dem Thema Nürburgring-Nordschleife ernst meinen, zeigt sich bereits bei der Einstellung der Fahrprogramme. Für Nordschleifen-Fans ist das optionale R-Performance-Paket definitiv ein Pflichtpunkt in der Sonderausstattungsliste. Durch das R-Performance-Paket wird nicht nur die Vmax von 250 auf 270 km/h angehoben, sondern man findet neben den serienmäßigen Fahrprogrammen "Comfort", "Sport", "Race" und "Individual" noch die Modi "Special" und "Drift" vor. Dass dieser Golf R im Drift-Programm richtig quer fahren kann, ist ein weiterer Punkt auf der Fahrspaßfaktorskala. Jetzt interessiert aber der Special-Modus, dessen App im Displaymenü auch mit einem Nürburgring-Schriftzug und Nordschleifen-Logo hinterlegt ist.

Und in diesem Modus jagen wir natürlich über die Nordschleife. Wie schon beim Supertest des GTI Clubsport 45, der ebenfalls mit dem Nürburgring-Modus angreift, funktioniert der spezielle Modus auch im Golf R sehr gut. Sämtliche Fahrdynamik-relevanten Systeme sind nun auf die Nordschleife fokussiert.

Das Adaptivfahrwerk wirkt jetzt wie maßgeschneidert für den Eifel-Ritt. So wird der Golf R beispielsweise auch auf den typischen Nordschleifen-Bodenwellen nicht nervös und schluckt selbst Curbs sehr gut. Daumen hoch für diese Fahrstabilität.

Und das Siebengang-DSG? Auch das wurde im Special-Modus exakt für die Nordschleife appliziert. Dabei trifft es im automatischen Getriebeprogramm nicht nur die Hochschaltungen perfekt, sondern auch die Rückschaltungen unfassbar punktgenau. Wenn das Hirn beim Anbremsen auf die Kurve denkt: "Jetzt Schaltwippe ziehen", schaltet das Getriebe bereits autonom runter.

Mit diesem genauen Runterschalten beim Anbremsvorgang auf der Rennstrecke erinnert das Siebengang-DSG fast ein bisschen an die Präzision des Porsche-PDK. Ideal wäre es noch, wenn dieser dynamische Rennstrecken-Automatikmodus nicht nur auf der Nordschleife, sondern auch auf anderen Rennstrecken funktionieren würde. In Hockenheim gelingt die schnellste Runde beispielsweise "nur" mit Schaltwippen-Eingriffen.

VW Golf R Foto: Hans-Dieter Seufert
Hinter dem Lenkrad finden sich große Schaltwippen. Auf der Nordschleife schaltet der Golf R im Nordschleifen-Modus aber auch schon automatisch sehr gut.

Und wie sieht’s eigentlich mit der Lenkung aus? Die serienmäßige Progressivlenkung mit progressivem Übersetzungsverhältnis ist für mich ein guter Kompromiss, den man auch so von einem Golf R erwartet hat. Im Alltag nervt die Lenkung dich nicht, sondern verhält sich im Comfort-Modus unauffällig. Auf der Rennstrecke bringt sie ein kernigeres Handmoment mit ins Querdynamikspiel (Lenkungsmodus Sport). Noch wichtiger: Die Rückmeldung aus der Mittellage bringt keine Hektik in die Nordschleifen-Choreografie. Alles in allem keine Lenkung, in die ich mich Hals über Kopf verliebe, aber sie bedient alle Schnittmengen der Kundschaft gut.

Das Thema Lenkung ist immer eine persönliche Geschmackssache, das die Entwickler vor ein schwieriges Unterfangen stellt. Machst du die Lenkung zu spitz um die Mittellage, kommt ein Großteil der Otto-Normal-Fahrer schon auf der Autobahn, geschweige denn auf der Landstraße damit nicht mehr klar. Und Lenkungen, die grandios auf der Landstraße funktionieren, müssen nicht immer das Gelbe vom Ei für die Rennstrecke – speziell Nordschleife – sein.

Und seien wir mal ehrlich: Zu der dezenten Optik und dem Charakter eines Golf R passt keine wilde Rabaukenlenkung eines verflügelten Honda Civic Type R oder Renault Mégane R.S. Trophy-R. Die Kunden eines Golf R kaufen einen Golf R, eben weil er genau so ist, wie er ist. Ähnlich wie ein Porsche-911-Turbo-Kunde sich bewusst für einen Turbo entscheidet und gegen den wilderen GT3 RS.

Schneller als der GTI Clubsport 45

VW Golf R Foto: Hans-Dieter Seufert
Den GP-Kurs am Hockenheimring umrundete der Golf R in 2.00,7 min. Somit ist er sowohl in Hockenheim als auch auf der Nordschleife schneller als der GTI Clubsport 45.

Und wie sieht’s reifenseitig aus? Der optionale Semi-Slick Michelin Pilot Sport Cup 2 N0 erinnert mit seiner Kennung schwer an Porsche. Speziell in Hockenheim war der Reifen mit gutem Gripniveau und hoher Lenkpräzision das Sahnehäubchen auf der R-Fahrdynamik.

Und auf der Nordschleife? Nun ja, die Supertest-Runde am Ring ist immer eine Momentaufnahme. Anders als bei Entwicklungs- und Rekordrunden der Hersteller werden hier nicht unzählige Runden abgespult, bis die eine optimale Runde passt. Supertest bedeutet weiterhin: wenige Aufwärmrunden, um sich mit dem Probanden vertraut zu machen, anschließend eine Abschlussrunde auf Zeit.

Während der Michelin-Cupreifen bei den Aufwärmrunden mit sehr gutem Gripniveau punktete, wurde für die Zeitrunde nochmals auf einen flammneuen Radsatz gewechselt. Und dieser Reifensatz bildete nicht das gleiche Gripniveau ab wie der vermeintlich identische Reifen während der Aufwärmrunden. Bereits zum Beginn der Abschlussrunde schmierten die Reifen im Grenzbereich leicht, was sich im zweiten Teil der 20,6 Kilometer langen Nordschleife weiter verstärkte.

Auch wenn Michelin für sein hohes Qualitätsniveau bekannt ist, kann eine nicht ganz so optimale Reifen-Charge nie ganz ausgeschlossen werden. Es kann aber auch an der Vorkonditionierung des Reifens liegen. Vorkonditionierung bedeutet, dass manch neuer Pneu (nicht alle) erst ein optimales Gripniveau entfaltet, wenn er einmal richtig auf Arbeitstemperatur war und anschließend eine längere Kühlphase durchlebt hat. Während der Einrollrunden am Vormittag verlief diese Vorkonditionierung optimal. Auf die schnelle Runde am Nachmittag ging es mit einer Einrollrunde hinter dem Safety Car und dann unvermittelt auf die schnelle Zeitrunde.

Oder hat sich der Grip der Strecke von den Aufwärmrunden am Vormittag zur Abschlussrunde am Nachmittag verändert? Keine Seltenheit auf der Nordschleife. Schlussendlich können wir es nicht klären.

Jammern auf sehr hohem Niveau: Der Golf R fährt locker an die in diesem Segment magische Acht-Minuten-Schallmauer ran. Unter optimalen Bedingungen wäre sicherlich auch eine Rundenzeit mit einer Sieben vorne möglich gewesen. Ganz so abwegig war der eingangs erwähnte Porsche-Turbo-Vergleich nicht. Mit "nur" 320 PS bewegt sich der aktuelle Golf R auf Augenhöhe mit dem 420 PS starken 996 Turbo, der die Nordschleife seinerzeit im Supertest in 7.56 Minuten umrundete.

Fazit

59

Für mich ist der Golf R einer der besten Allrounder in seinem Segment. Das Fahrverhalten ist sowohl im Alltag als auch auf der Rennstrecke von hoher Souveränität geprägt. Souveränität ist das Stichwort: Was mich aber auch am Golf R und insgesamt am Golf VIII nervt? Die Bedienung der undurchsichtigen Menüführung des Infotainment-Systems, das zuweilen sehr langsam reagiert. Die Digitalisierung mit ihren ganzen Touchflächen wirkt hier nicht souverän.