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VW Golf GTI Edition 35 im Supertest

Ringprobe des Jubiläumsmodells

Im gesetzten Alter von 35 Jahren wird es Zeit, die Ziele für die Zukunft neu zu definieren: Hin zu mehr Sportlichkeit oder Festhalten an gesellschaftlichen Konventionen? Ein VW Golf GTI muss Prioritäten setzen. Welche Rolle das 235 PS starke Jubiläumsmodell "Edition 35" übernimmt, klärt der Supertest.

VW Golf GTI Edition 35 Foto: Rossen Gargolov 30 Bilder

Man achte auf den Konjunktiv: „Um das wahre Potenzial der GTI-Maschine auszuloten, müsste jeder Besitzer des neuen Golf VW GTI Edition 35 eigentlich mindestens einmal - mit dem notwendigen Respekt - die Nürburgring Nordschleife erkunden.“ Die im VW-Pressetext vermerkte Empfehlung spricht uns nicht nur deshalb aus der Seele, weil sich darin der hehre Anspruch wiederfindet, die Leistungsfähigkeit sportlicher Autos im gesunden Kontext und im richtigen Umfeld zu betrachten – besonders im Supertest.
 
Bemerkenswert ist auch die Zuversicht, die man diesen Worten hinsichtlich einer Eignung entnehmen kann, die über Generationen keine maßgebliche Rolle im VW Golf GTI Lastenheft gespielt hat: Nämlich dahingehend, auch auf dem Ring, ergo: auf abgesperrter Strecke jenes begeisternde Maß an Souveränität und Leistungswillen nachvollziehen zu können, für die die GTI-Modelle aller sechs Generationen - mal mehr, mal weniger - verehrt wurden. Endlich wieder angekommen, ließe sich angesichts der eingangs formulierten Expertise meinen und zugleich achtungsvoll rekapitulieren, dass sich der VW Golf GTI just in diesen Wochen der Produktionsschallmauer von zwei Millionen Exemplaren nähert. So falsch kann die GTI Modellpolitik in den letzten Jahrzehnten also wohl doch nicht gewesen sein, wenn man einmal davon absieht, dass es immer wieder die Redaktion sport auto war, die den Finger in die VW-intern sehr wohl gefühlte Wunde gelegt hat.

Im Fazit des letzten VW Golf GTI-Supertests 11/2005 hieß es: „So, wie der Spross der fünften Generation konditioniert ist, könnte er zum Beispiel auch GLI heißen. Dann wäre er unterm Strich nicht nur ein überaus reizvolles, sondern auch ein in sich schlüssiges Angebot.“ Dreh- und Angelpunkt der Kritik war fortan stets das spürbar behinderte Dynamik-Talent des GTI - ausgerechnet. Eine grobe Bevormundung des ESP durch selektive Bremseneingriffe hielt den GTI an einer beschämend kurzen Leine - selbst in vermeintlich abgeschaltetem Zustand.

VW Golf GTI Edition 35 an der langen Leine

Auch wenn von einer radikalen gedanklichen Kehrtwendung nicht die Rede sein kann: Der neue VW Golf GTI Edition 35 läuft - um im Bild zu bleiben - jetzt an einer deutlich längeren Leine. Das per Knopfdruck offiziell deaktivierbare ESP greift tatsächlich nur noch dann ein, wenn beim Ausloten des möglichen Kurveneingangstempos der Fuß noch auf der Bremse weilt. In die Biegung mit Verve hineinzubremsen - so, wie es bei der Rundenzeitmessung im Supertest gemeinhin praktiziert wird, wird seitens des ESP also noch immer als grenzwertiges Manöver gewertet: Es wähnt den Fahrer dann in Nöten.
 
Immerhin: Die dann folgenden Bremseingriffe verlaufen deutlich eleganter. Die Regelgüte hat aktuell erstmals einen Stand erreicht, der seitens des Fahrers nicht mehr unbedingt als grobe Verletzung seiner ungeteilen Regentschaft gewertet werden muss. Selbiges gilt für die gleichfalls serienmäßig installierte, elektronische Differenzialsperre. Auch wenn die aus gutem Grund einzig und allein auf mechanische Sperren vertrauenden Hardcore-Sportler an dieser Stelle schon wieder enttäuscht abwinken: Die Funktionserweiterung des ESP erfüllt insofern seine Aufgabe zur Zufriedenheit, als auch das künstliche Abbremsen des zum Schlupf neigenden, entlasteten Rades auf der Kurveninnenseite fast unmerklich geschieht. Die Linie wird nicht gestört. Auch drängt der VW Golf GTI im Supertest bei dem Versuch, das Tempo sanft durch Zugabe von Drehmoment zu erhöhen, nicht nach außen. Von Antriebseinflüssen in der Lenkung ebenfalls keine Spur.
 
In Anbetracht der hinsichtlich Fahrbarkeit und Fahrsicherheit erneut vorbildlichen Vorstellung des VW Golf GTI gibt es seitens der Verantwortlichen bei Volkswagen also absolut keinen Grund mehr, nicht auch die letzte noch verbleibende ESP-Hürde zu reißen. Vielleicht können sich die Bedenkenträger in Wolfsburg ja für den Vorschlag erwärmen, ein komplettes Abschalten des ESP mit einem speziellen, roten Schlüssel zu erlauben. Das wäre nicht nur originell, sondern würde das Vorhaben, den GTI „pur“, also in seiner ganzen technischen Fahrwerkskompetenz genießen zu wollen, auch entsprechend bedeutungsvoll machen - gemäß der Einsicht, dass das bewusste Erkunden des Grenzbereichs ohne Netz und doppelten Boden einer gewissen gedanklichen und fahrerischen Vorbereitung bedarf.

Das VW Golf GTI-Jubiläumsmodell soll auf den Ring

Der wohlmeinenden Empfehlung, das VW Golf GTI-Jubiläumsmodell mindestens einmal um die Nordschleife zu treiben, um das Potenzial seiner Maschine richtig ausloten zu können, haben wir im Supertest selbstredend freizügig entsprochen. Zumindest im Rahmen des von den Reifen vorgegebenen Zeitfensters. Die Erkenntnis, dass sich - Nordschleifen-Routine vorausgesetzt - die Rundenzeiten nach mehr als zwei Umläufen trotz des möglichen zusätzlichen Lernerfolgs generell kaum mehr verbessern lassen, hat auch im Fall dieses VW Golf GTI dazu geführt, dass die erste von zwei als beste Zeitrunde registriert wurde: 8.38 Minuten. Der damit festgestellte fahrdynamische Fortschritt ist beträchtlich: Der Vorgänger war noch mit Mühe in der Lage, ungeachtet seines als Zeitgewinn- Instruments betrachteten Doppelkupplungsgetriebes (DSG) eine Rundenzeit von 8.53 Minuten zu realisieren.
 
Mit der Nachhaltigkeit der nunmehr entfesselten Fahrdynamik-Talente dürfte es aller Voraussicht aber nicht so weit her sein wie erhofft. Die Verzögerungsleistungen der Bremsanlage gestalten sich im „warmen“ Betriebszustand nicht unbedingt so, dass sie den dauerhaften Sporteinsatz goutieren würden. Zwar zeichnen sich laut des standardisierten Supertest-Messprogramms in Hockenheim bei der Vollbremsung aus 200 km/h noch keine Verluste in der Bremsleistung ab. Aber die zehn Vollbremsungen aus 100 km/h gehen auch am VW Golf GTI Edition 35, dem für „pure Fahrdynamik“ gerühmten Jubilar, nicht spurlos vorbei.

Bremsen schwächeln beim Supertest

Die Verzögerungsleistung des VW Golf GTI Edition 35 sackt im Supertest auf einen für sportlich ambitionierte Fahrzeuge wenig ruhmreichen Wert von 9,8 m/s² ab. Selbst in der harten Anbremszone vor der Ameisenkurve in Hockenheim, dem Ort, an dem wegen guter Reibwerte nicht selten Verzögerungsleistungen von über 12 m/s² erzielt werden, bringt es der Zweitürer auf gerade mal knapp über 10 m/s². Von beispielhaft, dem für fast alle anderen Kriterien durchaus angebrachten Attribut, kann in diesem speziellen Fall also nicht die Rede sein.
 
Der von den Herstellern latent apostrophierte Sparzwang hat, abgesehen von dieser betrüblichen Ausnahme, darüber hinaus glücklicherweise keine Auswirkungen gezeitigt: Die rundum sicht- und spürbare Solidität bis ins kleinste Detail ist nach wie vor von weit klassenübergreifender Qualität. Der seit Jahrzehnten gerühmte Fahrspaß im VW Golf GTI ist einer Funktionalität zu verdanken, wie sie sinnhafter und logischer kaum sein kann. Das fängt beim Sitzverstellungsmechanismus an und hört bei der Bedienfreundlichkeit des Infotainment-Systems (Aufpreis: 2.225 Euro) auf.
 
Wie bei allen Vorläufer-Modellen ist es im aktuellen VW Golf GTI selbstverständlich erneut der Motor, der die spontane Zuneigung mit nachhaltig überzeugenden Eigenschaften untermauert. Bei dem von einem Mono-Turbo aufgeladenen Benzin-Direkteinspritzer handelt es sich im Prinzip um jenes Vierzylinder-Aggregat, das auch im VW Golf R sowie im Scirocco R der guten Laune zuträglich ist. Die Leistung ist allerdings via Motormanagement reduziert, damit der Abstand zu den R-Modellen gewahrt bleibt. Mit 235 PS - 25 mehr als im Standard- GTI, jedoch 35 beziehungsweise 30 PS weniger als im Golf R respektive Scirocco R -, leidet der Fahrer des GTI-Editionsmodells in puncto Leistung gewiss keine Not.
 
Der kräftige Schub im VW Golf GTI Edition 35 erzeugt dank Turboaufladung jenes Gefühl der Souveränität, das auch angesichts stärkerer Konkurrenten sehr gelassen macht. Mit dem Drehmoment von 300 Newtonmeter ab 2.000/min unterm Gasfuß bietet sich eine auf Verbrauchsoptimierung zielende, schaltfaule Fahrweise förmlich an. Gemächlich unterwegs ist man deswegen noch lange nicht. In Sachen Verbrauchsoptimierung sind die Potenziale - anders als von den Werken apostrophiert, siehe Normverbrauch von 8,1 Liter auf 100 Kilometer -, aber doch eher überschaubar.
 
Ausgehend davon, dass während der Supertests in etwa dieselben Distanzen unter vergleichbaren Bedingungen und von denselben Fahrern zurückgelegt werden, zeigt sich ein recht ernüchternder Spareffekt. Aber wir wollen nicht undankbar sein: Mit einem Durchschnittsverbrauch von 12,4 Liter Superkraftstoff auf 100 Kilometer liegt die aktuelle VW Golf GTI-Variante im Verbrauch um gut einen Liter unterhalb des Supertest-Modells des Jahrgangs 2005. Jenes war im Schnitt noch mit 13,7 Liter auf 100 Kilometern vorstellig geworden.

VW Golf GTI hat abgespeckt

Dass der stärkste aller VW Golf GTI gegenüber dem 200 PS starken Vorgänger entgegen des Trends gewichtsmäßig nicht zugelegt hat, sondern - im Gegenteil - mit 1.390 Kilogramm fahrfertigem Gewicht deutlich leichter daherkommt, darf nur auf den ersten Blick als Indiz für ein ehrliches Kommitment hinsichtlich des Themas Leichtbau gewertet werden. Immerhin sind es in der Summe 31 Kilogramm, die trotz des gewiss nicht geringeren Ausstattungsumfangs eingespart werden konnten. Der Grund liegt aber nicht etwa in der stählernen Struktur verborgen: Es handelt sich mehrheitlich schlicht um die Gewichtsdifferenz zwischen Doppelkupplungs- und Schaltgetriebe.
 
Der positive Einfluss auf die Fahrleistungen ist dennoch beträchtlich, auch wenn der Vorsprung gegenüber dem 200 PS starken Vorgänger im Standardsprint bis 100 km/h mit zwei Zehntelsekunden zunächst gering ausfällt. Die im Test erzielten 6,6 Sekunden entsprechen exakt der Werksangabe. Das Delta wird jedoch umso größer, je höher die Tempi sind. Bis 200 km/h nimmt die aktuelle VW Golf GTI-Variante ihrem direkten Ahnen fast zehn Sekunden ab 24,5 Sekunden zu 34,3 Sekunden. Im Durchzug wirken sich die ungleichen Kräfteverhältnisse subjektiv noch deutlich aus. Von 80 auf 160 km/h im sechsten Gang veranschlagt die Edition 35 17,5 Sekunden, während der Vorgänger hierfür noch 23,2 Sekunden benötigte.
 
Dass die sportlich Ader des aktuellen VW Golf GTI deutlich mehr zu Tage tritt, hat auch etwas mit der besonderen Leistungscharakteristik des Vierzylinder- Direkteinspritzers zu tun. Obwohl er bärige Turbo-Merkmale in die Waagschale wirft, legt er parallel dazu die Turbountypische Drehfreude eines Saugmotors an den Tag. Mit dieser ambivalenten Art beide Charaktere zu verschmelzen, fährt der kompakte Antrieb eine Menge Sympathien ein. Hinzu kommt ein von einem Soundaktuator modifizierter Motor- und Auspuffklang, der einerseits als typischer VW Golf GTI-Sound zu erkennen ist, andererseits keinen Anlass gibt, der Besatzung auf den Wecker zu gehen.
 
Das hinsichtlich der Handhabung im Supertest vorzügliche, manuelle Sechsganggetriebe lässt es angesichts der Summe seiner Vorteile nicht zu, der DSG-Alternative in irgendeiner Form nachzutrauern. Erstens belastet es das Gewichtskonto deutlich weniger - siehe Gesamtgewicht -, und zweitens erweist sich die Allianz mit dem selbstverständlich von einem animierten Golfball gekrönten Schaltstock als sehr konstruktiv: Hier rasten die Gänge exakt und genau an der Stelle ein, an der es der Fahrer für richtig hält. Kurzum: Es macht einen Heidenspaß, die extrem kultiviert dargereichte Leistung des Motors mit Hilfe des exakt zu schaltenden und passend übersetzten Getriebes in launigen Vortrieb umzusetzen.
 
Das agile W Golf GTI-Fahrwerk, in diesem speziellen Fall mit der adaptiven Fahrwerksregelung aufgerüstet, bietet normalerweise gleichfalls Anlass für lobende Kommentare - sofern auf die alternative „Sport“-Einstellung verzichtet wird. Die generelle Tieferlegung um 15 Millimeter und die verkürzten Federwege sorgen im Verbund mit der in dieser Einstellung deutlich strafferen Dämpferkennlinie für wenig elegante, vertikale Bewegungsmuster, die schon optisch nicht zum souveränen Auftritt des GTI passen wollen. Vom Fahrkomfort ganz zu schweigen ... Unbedingt schneller ist man damit ohnehin nicht, weshalb auf das teure Extra getrost verzichtet werden kann. Bei dem stattlichen Preis des VW Golf GTI-Sondermodells Edition 35 erfreut ein solcher Verzicht ohnehin.

Fazit

44

Es versetzt immer wieder in Erstaunen, welche Sympathien ein VW Golf GTI freisetzen kann - sowohl bei einem selbst als auch in der Umgebung. Im Supertest kann die um 25 PS stärkere Edition 35 fast alles noch ein wenig besser als die Basisversion. Kein Wunder: Der Motor stammt eins zu eins aus den R-Versionen, was ihn in die Lage versetzt, sowohl leistungsmäßig als auch hinsichtlich des Klangs in diesem Umfeld gleichfalls groß aufzuspielen. Das Fahrwerk offenbart in seiner unverändert narrensicheren Art eine spürbare Hinwendung in Richtung Sportlichkeit. Die Regeleingriffe seitens des ESP sind, obgleich im ausgeschalteten Zustand im Hintergrund weiterhin aktiv, weniger destruktiv. Die fahr-dynamischen Fortschritte sind damit unübersehbar. Einzig die Bremsanlage ist leistungsmäßig nicht in der Lage, den für normale Durchschnittsautos geltenden Status Quo zu übertreffen. In der Verarbeitung und seiner Detailverliebtheit zeigt der VW Golf GTI klassenübergreifende Qualität - was nicht anders zu erwarten war.