VW Golf R im Supertest

Alltagsbegeleiter und Vollblutsportler

Die Topversionen des Golf, wie wir sie bisher kennengelernt haben: elegant, kompakt, solide, praktisch, wirtschaftlich und auch dynamisch. Kurzum: im Alltag kaum zu toppen. Aber sportlich im wahrsten Sinne des Wortes? Bisher eher nicht.

VW Golf R, Frontansicht Foto: Rossen Gargolov 35 Bilder

Die Weisheit der Altvorderen, wonach man im Leben nicht alles haben kann, sich also stets zwischen links oder rechts, oben oder unten, schwarz oder weiß entscheiden muss, um nicht irgendwo im diffusen Graubereich zu verschwinden, ist in ihrem Wahrheitsgehalt sichtbar angekratzt. Extreme schließen sich nicht mehr aus, wie das Beispiel Joschka Fischer – Straßenkämpfer und Außenminister a. D. in einer Person – beweist. Aktuell soll es auch schon vorgekommen sein, dass sich ehedem fanatische Petrolheads in begeisterte Car2go-Nutzer gewandelt haben.

VW Golf R auf Golf-VI-Basis

Und während sich früher nur die automobilen Extremisten, wie beispielsweise die von jeglichem Komfort befreiten, allein dem Sport verpflichteten Untersätze, Anerkennung verdienten, sind es heute mehrheitlich die Mittler zwischen den automobilen Welten, die den technischen Status quo definieren.

Die beiden sich früher abstoßenden Gegenpole auf der Skala automobiler Charaktere – sportlich das eine, komfortabel das andere Extrem – schließen sich heute keineswegs mehr aus. Der aktuelle VW Golf R ist ein treffliches Beispiel dafür. Dabei ist es gar nicht lange her, dass die sportlichen Talente des Spitzenmodells der Golf-Baureihe nur ansatzweise in Erscheinung traten.

Der namensgleiche Vorgänger auf VW-Golf-VI-Basis bekam im Fazit des Supertests (Heft 10/2010) folgenden Eintrag verpasst: "Die fraglos vorhandenen hohen fahrdynamischen Talente gehen zum Teil leider in einem sehr dominanten ESP-Programm unter, das ihn beziehungsweise den Fahrer – da nicht deaktivierbar – nicht wirklich von der Leine lässt."

Sinneswandel bei R GmbH

Die Kritik an den damals als rüpelhaft empfundenen Eingriffsmodalitäten hat gefruchtet und bei VW – oder besser: der R GmbH – einen Sinneswandel bewirkt: Die Auswahl der über das Touchscreen-Display wählbaren Fahrprofil-Programme im VW Golf R stellt neben den üblichen Modi wie Comfort, Normal und Sport nun erstmals auch einen gesonderten Race-Modus bereit, der sich unterhalb der Sport-Taste befindet.

Dass die Zug- und Druckstufendämpfung im VW Golf R in allen vier Modi dem Einsatzzweck entsprechend gestrafft und auch das Ansprechverhalten des Motors unter dieser vielversprechenden Überschrift noch einmal geschärft werden würde, war zu erwarten – nach dem Motto: So viel Sportlichkeit muss sein. Nicht aber der seitens VW erstmals so freizügige Umgang mit den bisher für unverzichtbar gehaltenen elektronischen Fußfesseln.

Die Eingriffsschwelle des ESP wird im Race-Modus erstmals so weit hochgesetzt, dass man ihrer selbst auf der Rennstrecke kaum mehr gewahr wird. Laut offizieller Verlautbarung heißt es sogar, dass das System im VW Golf R mit dem Drücken der entsprechenden Taste für den "professionellen Einsatz auf der Rennstrecke" komplett deaktiviert werden kann.

VW Golf R mit 300 PS

Die Eingriffsschwelle des ESP wird im Race-Modus erstmals so weit hochgesetzt, dass man ihrer selbst auf der Rennstrecke kaum mehr gewahr wird. Laut offizieller Verlautbarung heißt es sogar, dass das System im VW Golf R mit dem Drücken der entsprechenden Taste für den "professionellen Einsatz auf der Rennstrecke" komplett deaktiviert werden kann.

Der ausschließlich im R-Modell angebotene Programmpunkt bewirkt Erstaunliches: Der VW Golf R, mit all seinen sichtbaren und fühlbaren Vorzügen schon vorher ein höchst bemerkenswertes Angebot, eröffnet sich mit dieser Maßnahme ein neues, für ihn bislang unbekanntes Terrain. Das R im Namen, beim Vorgänger zuweilen noch als Abkürzung für Reise verballhornt, steht nun wirklich für das, was es traditionell signalisiert – Race.

Nun, auch wenn die angedeutete Nutzungsmöglichkeit auf der Rennstrecke noch keine Chancen auf echte Rennsiege birgt: Der wegen des möglichen Kurvenspeeds tunlichst auf abgeschlossenen Kursen anzuberaumende Prüfungstermin zum Thema Fahrdynamik könnte mit dem VW Golf R tatsächlich zum Saisonhighlight avancieren.

Selten, dass einem ein Auto unterkommt, das im Grenzbereich so umgänglich, willig und verzeihend agiert und dabei so viel Fahrspaß ohne Reue vermittelt wie dieser auf 300 PS erstarkte VW Golf R aus Wolfsburg.

Detailarbeit an Hard- und Software gibt Golf R neuen Schwung

Sich bei Querbeschleunigungen von bis zu 1,25 g zu vergegenwärtigen, dass man in einem VW Golf sitzt, der das Pensum des Alltags sommers wie winters souverän, solide, in Teilbereichen sogar luxuriös und damit locker als Klassenbester absolviert, lässt wenig Raum für Zweifel oder Kritik. Und das – wohlgemerkt – in der Preisklasse unterhalb von 50.000 Euro! In der nunmehr 17-jährigen Geschichte des Supertests ist es noch keiner Baureihe gelungen, einen solchen Sprung innerhalb nur eines Modellwechsels zu machen.

Beispiel Rundenzeit Nürburgring: Die prozentuale Verbesserung beträgt zwar nur 3,8 Prozent. Faktisch sind es aber nicht weniger als 19 Sekunden, die der neue VW Golf R seinem direkten Vorgänger auf dem Ring abknöpft. Der zeitliche Unterschied in Hockenheim ist auch nicht von Pappe – knapp zwei Sekunden: 1.16,0 Minuten gegenüber 1.17,9 Minuten.

Das sind Welten, die die beiden nahen Verwandten in fahrdynamischer Hinsicht trennen – besonders auf der Nordschleife. Und jetzt kommt's: Der neue VW Golf R macht das, ohne dass spürbare Einbußen im Federungskomfort, im Abrollverhalten oder bei den Abrollgeräuschen offenkundig werden. In dieser Hinsicht zeigte sich bekanntlich schon der Vorgänger aus dem Jahrgang 2010 gegenüber jeglicher Kritik erhaben.

Hinter diesem querdynamischen Glücksfall steckt kein reifentechnisches Zaubermittel, wie man spontan meinen könnte. Auch das Mindergewicht von knapp 50 Kilogramm gegenüber dem Vorgänger und der Leistungszuwachs von 30 PS machen den Kohl nicht wirklich fett.

Die fahrdynamische Aufholjagd ist in erster Linie der Detailarbeit an der Hard- und Software des adaptiven Fahrwerks, der neuen, direkter übersetzten Progressivlenkung sowie dem zusätzlichen R-Modus zuzuschreiben, der die Maßnahmen sinnvoll abrundet.

Durchschnittsverbrauch von 12,8 l auf 100 km

Auch wenn die Messungen die Werksversprechen nicht in jedem Punkt bestätigen: Mit 5,4 Sekunden (Werksangabe: 5,1 Sek.) für den Sprint aus dem Stand auf 100 km/h braucht man sich auch vor den Großen nicht verstecken. Mit dem automatisierten DSG soll der Standardwert laut Werk sogar schon nach 4,9 Sekunden erledigt sein – trotz des daraus resultierenden Gewichtszuwachses. Aber wie dem auch sei: Das im Testwagen applizierte manuelle Sechsganggetriebe ist in Funktion und Handhabung ebenso ein Glücksfall wie der Motor, der, vom Stamm der Vierzylinder, akustisch fast so tut, als wollte er seine Herkunft verschleiern.

Für einen Zweiliter-Turbo auf extrem dumpfer, sonorer Klangebene unterwegs, liefert der Vierzylinder im VW Golf R sämtliche Vorzüge seiner technischen Herkunft quasi frei Haus. So gut wie vibrationsfrei, sanft und seidig agierend, macht er sich mit durchweg schöner, später kernig anregender Stimme und geschickt vorgeführter Durchzugskraft daran, den großen Macker zu markieren.

Zwei Zylinder mehr, so wie sie der Vorvorgänger R32 in die Waagschale warf? Wozu, wenn das Ergebnis mit vier Zylindern so viel Unterhaltungspotenzial hat und zudem auch ein solch hohes Maß an Zufriedenheit schafft wie dieser mit 380 Newtonmetern aufwartende TSI-Motor.

Dass sich die Versprechungen hinsichtlich eines verbesserten Wirkungsgrads in der Praxis überzeugend nachvollziehen lassen – den Zahn haben wir uns allerdings schon lange ziehen lassen.

So liegt der Durchschnittsverbrauch des Golf-R-Modells mit 12,8 Litern auf 100 Kilometer zwar um einen halben Liter unter dem des 270 PS starken Vorgängers und um 0,1 Liter unterhalb des Ahnen R32 (der auf dem Ring noch mit 8.52 min unterwegs war). Vor diesem Hintergrund aber den Umwelt-Trumpf ausspielen zu wollen, hieße dann doch, die Realität bewusst auszublenden.

VW Golf R überzeugt mit gutem Gesamtsystem

Ungeachtet dessen lassen sich nur wenige Alternativen in der Autowelt finden, die ein solches Spektrum an Einsatzmöglichkeiten bieten. Der 4Motion-Allradantrieb des R-Modells zum Beispiel ist mit einer Haldex-Kupplung der fünften Generation ausgestattet. Bevor der Schlupf an den Rädern überhaupt auftritt, nutzt das System eine vom jeweiligen Fahrzustand abhängige Vorsteuerung.

Bei geringer Last oder im Schub erfolgt der Vortrieb primär über die Vorderachse. Mittels einer elektrohydraulischen Ölpumpe wird die Hinterachse per Haldex-Kupplung in Sekundenbruchteilen zugeschaltet.

Die Ansteuerung erfolgt in erster Linie in Abhängigkeit vom angeforderten Motordrehmoment. Parallel wertet eine Fahrzustandserkennung im Steuergerät Parameter wie Raddrehzahlen und Lenkwinkel aus.

Je nach Bedarf können damit fast 100 Prozent des Antriebsmoments an die Hinterachse geleitet werden. Die ins Stabilisierungsprogramm integrierten, rein elektronischen Differenzialsperren übernehmen überdies an beiden Achsen die Funktion einer Quersperre. Wenn wir es also nicht schon vorher im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leib erfahren hätten, wie gut das Gesamtsystem VW Golf R funktioniert – spätestens jetzt hätten wir es wirklich gewusst.

Fazit

63

Schon wieder ein Sport-Golf, der alles mitbringt, sich dynamisch gibt, aber nichts rausreißt? Mitnichten. Das aktuelle R-Modell ist ein 300 PS starker Vollblutsportler, der ganz nebenbei auch die Rolle des Alltagsbegleiters in perfekter Weise zu spielen vermag. Gottlob: Die verantwortliche Sportabteilung namens R GmbH hat sich endlich dazu entschließen können, die zuvor lästigen elektronischen Hemmschwellen aus dem Weg zu räumen. Was nicht heißen soll, dass mit den vollzählig vorhandenen Sicherheits-Features nicht ein perfektes Redundanzsystem an Bord wäre. Golf R: Das ist Golf-Sport, wie er begeistert – und zwar rundum.