VW Golf Variant Alltrack Dauertest

Der schlechteste Golf seit 24 Jahren?

Selten verlief ein 100.000-km-Dauerlauf so hürdenreich wie der des VW Golf Variant Alltrack. Der strahlt zwar mit alten Tugenden, war aber Dauergast in der Werkstatt. Wie? Was? Warum? Das berichtet die umfangreiche Werkstattakte.

Dauertester VW Golf Alltrack Foto: Peter Wolkenstein 17 Bilder

Auf jedem Personalführungsseminar lernen Sie: Erst loben, dann Kritik üben und mit einer Bestärkung das Gespräch beenden. Also, bitte Platz nehmen, WOB-GO 102 – das jährliche Feedback-Gespräch steht an, und in der Werkstattakte hat sich einiges angehäuft.

Dabei war der Golf bei den Kollegen sofort beliebt, als er mit einem Kilometerstand von 3.209 im November 2021 in der auto motor und sport-Redaktion anfing. Klar, seine Referenzen haben uns beeindruckt, schließlich eilt der Golf-Familie der Ruf als automobiles Schweizer Taschenmesser voraus: praktisch, einfach bedienbar und zuverlässig. Nur leider bestätigte sich nicht alles.

Doch der Reihe nach: Günstig zu haben war der Golf als Variant Alltrack nicht. Mit dem Zweiliter-TDI samt Doppelkupplungsgetriebe und Allradantrieb kostete er bei Teststart 55.351 Euro – zuletzt waren es über 60.000 Euro. In der Bewerbung von damals überzeugten uns vor allem diese Eckdaten: Der Variant streckt sich auf eine Länge von 4,64 Metern, wiegt rund 1,6 Tonnen, außerdem mobilisiert sein Zweiliter-Vierzylinder-Diesel 200 PS sowie 400 Newtonmeter maximales Drehmoment. Eine ebenso klassische wie tolle Kombination in Verbindung mit dem Doppelkupplungsgetriebe, das abhängig vom Modus effizient oder schnell schaltet. Zwar zögert der Golf, wie alle seine TDI-Kollegen, beim Anfahren, zudem wirft die Start-Stopp-Automatik den Motor nur mit leichter Verzögerung wieder an. Doch ist der Limoncello-farbene Kombi einmal in Schwung, bremst ihn so schnell nichts. Dabei läuft der Selbstzünder stets ruhig und wirkt in fast allen Lebens- und Drehzahllagen kraftvoll. Selbst bei voller Beladung bügelt er mit einem Schulterzucken bergige Autobahnetappen platt. Traktionsprobleme kennt der Hang-on-Allradler inklusive Offroad-Fahrprogramm mit nahezu vollständig deaktivierbarem ESP samt Traktionskontrolle nicht. So lassen sich nicht nur unbefestigte Alpenpässe queren, sondern auch Sandpisten.

Wenig Verbrauch, viel Raum

Trotz dieser Ausflüge und diverser Zugfahrzeug-Einsätze reichen dem Golf im Mittel 6,7 Liter Diesel auf 100 km. Einige Kollegen dokumentieren im Fahrtenbuch oft sogar Langstreckenwerte mit einer Fünf vor dem Komma. Mit dem 55-Liter-Tank lässt sich die Republik so von Ost nach West ohne einen Tankstopp durchqueren.

Ja, der Golf ist viel rumgekommen: von Skagen im rauen Norden Dänemarks über die verschneiten Alpen bis in den warmen Süden Italiens. Andersherum dieselt der VW selbst mit einem Anhänger am ausschwenkenden Haken, ohne dass der Verbrauch ins Zweistellige eskaliert. Zumal er während der langen Reisen im Schnitt nur rund einen Liter AdBlue auf 1.000 km benötigte und über die gesamte Testdistanz lediglich 3,5 Liter Öl nachgefüllt werden mussten.

Weniger knausrig ist der Variant beim Platzangebot: Insassen haben selbst in Reihe zwei viel Bewegungsfreiheit und genießen eine eigene Klimazone. Der Zustieg in den Fond gelingt genauso leicht wie das Anschnallen der Jüngsten im Kindersitz dank großzügiger Türausschnitte sowie gut zugänglicher Isofix-Bügel. Ins Kombiheck passen stattliche 611 bis 1.642 Liter; damit spielt der Kompakte fast in der Großkombi-Liga. Und auch sonst ist der Golf gut sortiert: vom höhenverstellbaren Ladeboden und der 230-Volt-Steckdose über fernentriegelt umklappende Sitze sowie Gepäckrollo samt Trennnetz bis hin zu zahlreichen großen Ablagen in allen Türen. USB-C-Anschlüsse und Sitzheizung auf allen Plätzen steigern den Reisekomfort zusätzlich.

Dauertester VW Golf Alltrack Foto: ams

Störungen, Wartung und Reparaturen des Dauertestfahrzeugs VW Golf Variant Alltrack.

Die Basis für den hohen Komfort bildet das optionale DCC-Adaptivfahrwerk. Es schluckt entspannt nahezu jede Bodenwelle ohne störende Aufbaubewegungen. Im Gegenteil: Trotz seiner Offroad-artigen Alltrack-Aufmachung ist der Golf ein echter Kurvenjäger.

Bei Halbzeit ausgebremst

Das bekamen vor allem die Vorderreifen zu spüren. Die waren zum Testende auf der Außenseite stärker abgefahren und mussten im Falle der Winterreifen ersetzt werden. Auch die Bremsanlage wies Verschleiß auf: Einer der vier vorderen Beläge war bereits nach 52.000 km abgenutzt, doch eine Warnung gab es vom Golf nicht. Der Grund: Der einzige Verschleißsensor befindet sich nicht in diesem verschlissenen Belag. An der Hinterachse fielen dagegen wummernde Geräusche auf. Zudem verursachten festgebackene Beläge Spuren auf den Scheiben. Also: alle Bremsscheiben und alle Beläge neu!

Okay, das sind Verschleißteile. Doch leider musste auch einiges getauscht werden, was nicht vorgesehen war. So gab’s gleich zu Beginn was auf die Ohren: Ohne Vorwarnung dröhnte das Harman-Kardon-System einmal mit unerträglich lauten Geräuschen aus allen Lautsprechern. Der Klangterror endete dabei ebenso unvermittelt, wie er begonnen hatte, tauchte auch nicht wieder auf – vielleicht weil Volkswagen im Rahmen der ersten Inspektion mit einem Update nachhalf. Vor allem im Infotainment steckte von Beginn an der digitale Wurm. Unbeleuchtete Slider, lange Boot-Prozesse und der reaktionsträge Touchscreen waren dabei nicht einmal das größte Übel. Eher schon die ständigen Abstürze des kompletten Systems – mitunter ohne Rehabilitation nach dem Neustart.

Ähnlich ging es Teilen der Fahrassistenz, die in diesem vernetzten Umfeld nur sporadisch unterstützend eingreifen kann. Klimaanlage und Heizung setzten von Beginn an ebenfalls immer wieder aus oder führten ein Eigenleben im Automatikmodus. Und das alles trotz brav absolvierter Update-Sessions: over the Air auf der Straße und in der Werkstatt.

Neues Lenkrad und Rechner

Kurz nach der ersten Halbzeit implantierte der hiesige VW-Händler einen neuen Rechner (intern H58) mit flotterem Prozessor und einer laut Presseverlautbarung dreifach schnelleren Grafikkarte; die alte Hardware (H56) verweigerte weitere Software-Updates. Dennoch berichten die Kollegen über Fehlermeldungen wie "Front Assist, Travel Assist und Emergency Assist zurzeit nicht verfügbar" – trotz geputzter Sensoren und blitzblanker Frontscheibe.

Zumindest bestand nun kurz Anlass zur Hoffnung, denn das Problem konnte lokalisiert werden: Das kapazitive Multifunktionslenkrad verursachte die Aussetzer. Ganz egal, ob mit aktivierten Heizdrähten oder ohne. Ein Problem, das in den VW-Foren schon länger heiß diskutiert wird. Und tatsächlich war nach dem Tausch kurzzeitig Ruhe im gut ablesbaren und individuell konfigurierbaren Digital-Cockpit. Leider, Sie ahnen es, währte die Freude nur kurz. Denn im weiteren Testverlauf löste die Alarmanlage grundlos aus, und der Warnmeldungs-Tannenbaum strahlte pünktlich zum Weihnachtsfest immer wieder in allen Farben.

Wieder einmal half nur ein außerplanmäßiger Werkstattaufenthalt, samt Auslesen der Fehlermeldungen und – na? Richtig: Software-Update! Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass der Golf dreimal ganz regulär zu Inspektionen antrat und sich die Kosten inklusive Material zwischen moderaten 488 und eher happigen 942 Euro bewegten.

Dennoch hat sich der Alltrack einige dunkle Flecken auf die weiße VW-Weste gekleckert. Dafür allerdings sieht der ein wenig Hartplastik-lastige, aber doch sehr solide gefertigte Innenraum zum Schluss fast noch so gut aus wie am ersten Tag. Selbst die linke Fahrersitzwange gibt unnachgiebig Halt. Und nachts helfen flexible Matrix-LED-Scheinwerfer, den Durchblick zu behalten. So viel Lob muss am Ende sein.

Kaum Mängel, doch der Fehlerspeicher ist randvoll

Selten zuvor haben wir GTÜ-Prüfer Struck sprachlos erlebt: Eine fünf DIN-A4-Seiten umfassende Liste mit Fehlermeldungen ist dem gestandenen Prüfingenieur jedenfalls noch nicht untergekommen. Neben Kleinigkeiten geben ihm ein paar gravierende Meldungen zu Airbag- und ABS-Fehlfunktionen zu denken. Dafür gibt’s auf der Bühne keine Überraschungen: Spaltmaße, Licht, Fahrwerk, Unterboden und Antriebstechnik – alles top. Etwas Flugrost an der ausschwenkbaren Hängerkupplung ist kaum der Rede wert. Nicht relevant (im Gutachten), aber auffällig: Die grauen Alltrack-Anbauteile aus Plastik wirken stumpfer als der strahlende Lack. Nach 100.000 Kilometern hat der Golf mit 29.375 Euro rund die Hälfte an Wert verloren. Fragt sich nur: Wer soll das Pannenmobil kaufen?

Erfahrungen der Leser

"Ui, da lief wohl manches schief! Denn bei der Software-Entwicklerei waren wohl auch Störenfriede dabei. Es piepst, es wechselt – wie ein Aufzug fährt die Anzeige rauf und runter. Die Verbindung von Auto, App und Internet ist alles andere als munter. Und über Monate hinweg war die mittlere Anzeige keineswegs bunt. Nein – sie zeigte nur einen schwarzen Balken auf schwarzem Grund. So ließen sich weder Heizung, Radio noch sonst was verstellen – will VW mit diesem GTE seine Kunden verprellen? Das wäre schade, denn fahren – das tut er toll! Bequem, komfortabel, und bei Bedarf geht die Kurve voll. Genug Platz, nix scheppert, die Haptik ist gut. Schade, dass VW mit seinem Mut, ein digitales Netzwerk auf Rädern zu bauen, es sich mit den nun mal analogen Menschen hat verhauen. So bleiben halt jedes Mal, wenn ich einsteige, eine Sorge und das blöde Gefühl: Kommt wieder ein Absturz, oder welche Sprache empfängt mich beim Hochfahren auf dem sehr bequemen Gestühl?" Martin Zill aus 44575 Castrop-Rauxel.

"Fährt superschön, braucht wenig Sprit (wenn man vernünftig und nach StVO fährt), ist erstaunlich komfortabel – aber das bescheuerte Bedienkonzept vergrault einen ziemlich. Leider lässt sich der Schaltknauf nach oben abziehen (laut Händler ein bekannter Schaden beim Golf VIII). Jetzt zickt auch noch das Lenkrad (Funktionen lassen sich nicht immer nutzen) und wird ausgetauscht. Bei 13.500 km kein Ruhmesblatt." Peter Müller-Wechsler aus 91522 Ansbach.

"Unzuverlässig zu jeder Zeit und in jeder Situation, das ist die zusammenfassende Bewertung nach 30 Monaten des Fahrens mit dem Golf VIII." Hugo Holzinger aus 14612 Falkensee.