Sicherheitssystem sorgt für Unsicherheit

EU-Tempolimit-Warner ISA versagt in Tests

Das ab Juli für alle Neuwagen verpflichtende Sicherheitssystem ISA bringt nach Tests von auto motor und sport erhebliche Risiken, weil die Schildererkennung, auf der es basiert, äußerst unzuverlässig arbeitet.

ISA Tempolimit-Warner Foto: Volvo 7 Bilder

Bereits 2019 beschloss die EU im Rahmen der schrittweisen, verpflichtenden Einführung diverser Assistenzsysteme, dass ab Juli 2024 jeder Neuwagen mit der so genannten Intelligent Speed Adaption (ISA) ausgestattet sein muss. Das System muss bereits seit Juli 2022 in allen seither neu homologierten Fahrzeuge verbaut sein. ISA warnt nicht nur optisch durch ein blinkendes Geschwindigkeits-Limit-Verkehrszeichen bei jeder Übertretung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der gerade befahrenen Strecke, sondern auch akustisch.

ISA zählt zu einem Maßnahmen-Katalog der EU, der vom Europäischen Verkehrssicherheitsrat ESTC begrüßt wird, um die Zahl der Verkehrstoten weiter zu reduzieren. Tatsächlich eine gute Idee, daran besteht kein Zweifel – und das sieht natürlich auch auto motor und sport so.

Tests von auto motor und sport decken Mängel von ISA auf

Allerdings fußt ISA auf einer durchweg fehlerhaften Technologie: der Verkehrszeichenerkennung. Bereits 2021 startete auto motor und sport erste Versuche, dieses System im Rahmen jedes Einzel- und Vergleichstests zu überprüfen. Dazu wurde eine 40 Kilometer lange Teststrecke definiert, die über öffentliche Straßen führt. Sie beinhaltet sowohl variable Geschwindigkeitslimit-Anzeigen als auch statische, platziert an ein- und mehrspurigen Fahrbahnen, inklusive Abbiegespur-, Tunnel- und Ortsdurchfahrt-Szenarien. An definierten Wegpunkten wird die Funktionalität der Verkehrszeichenerkennung protokolliert, dafür werden acht von insgesamt 10 Punkten vergeben. Folgende Kriterien werden dabei abgeprüft:

  • Erkennt das System die Sonderfunktionen eines Verkehrsschildes, z.B. zeitabhängige oder wetterabhängige Begrenzungen? (max. 4 Punkte)
  • Erkennt das System Schilder für Nebenfahrspuren (Abbiege- und/ oder Parallelstraßen) richtig? (max. 4 Punkte)
  • Hat das ACC eine automatische Geschwindigkeitsübernahme der angezeigten Begrenzung? (max. 2 Punkte)
  • Besteht die Möglichkeit eine Geschwindigkeitstoleranz einzugeben? (max. 1 Punkt)
  • Zeigen sich gravierende Fehlfunktionen während der Fahrt (falsche Geschwindigkeitsangaben, drastische Geschwindigkeitsveränderungen durch Fehlinterpretation, etc.) (minus 5 Punkte)

Zwei Punkte können für die subjektive Funktionalität vergeben werden, also wenn nach Meinung der verschiedenen Fahrer eines Testfahrzeugs die Verkehrszeichenerkennung außerhalb der Prüfstrecke gute oder schlechte Informationen lieferte. Im Zuge der Umstellung auf das 1.000 Punkte-Testschema im Januar 2023 wurde die Maximalpunktzahl für die Verkehrszeichenerkennung von fünf auf 10 Punkte erhöht.

Die meisten Testkandidaten erreichen 0 Punkte

Eine Auswertung der im so im vergangenen Jahr bewerteten 146 Fahrzeuge ergab, dass nur knapp 18 Prozent der Autos überhaupt Punkte auf der Prüfstrecke bekamen – maximal vier. Diese Punktzahl erreichten nur drei Fahrzeuge. In den meisten Fällen verlieren die Fahrzeuge gewonnene Punkte der oben genannten Themen (ja – volle Punktzahl/ nein – null Punkte/ teilweise halbe Punkte) über Fehlfunktionen der Geschwindigkeitsangaben. Ein ernüchterndes Ergebnis. Bemerkenswert: Die Schwäche erstreckt sich über alle Fahrzeughersteller hinweg. Einzig BMW erzielt regelmäßig Punkte, wenngleich nur einmal die aktuelle Höchstwertung von vier Punkten. Die kann Mercedes zweimal für sich verbuchen, allerdings nur bei zwei extrem kostspieligen EQS-Varianten. Die Funktionalität der Technik unterliegt keiner Gesetzmäßigkeit, denn es kommt durchaus vor, dass unterschiedliche Testwagen einer Baureihe unterschiedliche Ergebnisse produzieren, obwohl die Technik dahinter identisch sein müsste.

Gefährliche Konsequenzen schlechter Schildererkennung

Schon heute verlassen sich viele Fahrer auf die Geschwindigkeitsanzeige im Fahrzeug, obwohl sie ja lediglich ein Assistenzsystem darstellt, die Verantwortung also weiterhin beim Fahrer liegt. Bremst der oder der mit der Verkehrszeichenerkennung gekoppelte Abstandsregeltempomat das Fahrzeug ab, kann das zu gefährlichen Situationen führen. Derzeit erlaubt der Gesetzgeber eine problemlose Übersteuerung von ISA und dessen Abschaltbarkeit. Wissend um die Unzuverlässigkeit der Technik bieten bereits einige Hersteller so genannte Shortcuts zur Deaktivierung, beispielsweise durch einen Fingertipp auf das Verkehrszeichensymbol im Infotainmentsystem, das lange Drücken der Stumm- oder der Set-Taste der Geschwindigkeitsregelung oder bieten gar eine eigene Taste zum Abschalten aller Warntöne. ISA muss aber bei jedem Neustart des Fahrzeugs wieder aktiv sein.

Kommt der Gaspedal-Eingriff der unzuverlässigen Technik?

Noch greift ISA nicht in den Vortrieb ein, doch die EU behält sich weitere Schritte vor. So kann in der nächsten Stufe die Gasannahme erschwert, in einer weiteren gar völlig unterbunden werden, indem die Leistung des Antriebs innerhalb einer Tempolimit-Zone entsprechend gedrosselt wird. Das wäre fatal, denn eine höhere Genauigkeit der Verkehrszeichenerkennung ist derzeit unwahrscheinlich. Dabei trifft die Technik selbst nur eine Teilschuld.

Kameras sind nicht das Problem

So funktionieren die Kamerasysteme nach Recherchen von auto motor und sport recht zuverlässig. Da aber meist auch ein Abgleich mit den im elektronischen Kartenmaterial des Navis abgelegten Daten stattfindet, kommt es an dieser Schnittstelle oft zu einer falschen Ausgabe. Das wiederum liegt an nicht aktuellen Daten, beispielsweise, wenn Kommunen baustellenbedingte Geschwindigkeitslimits nicht melden. Ein weiterer Grund für die Fehlfunktion: Nicht korrekt aufgestellte Schilder und Störungen in der Anzeige von variablen Tempolimits. Klar ist: Schon heute stellt ISA eher ein Sicherheitsrisiko als ein potenziell lebensrettendes System dar.