XPeng G9

So fährt der große China-Elektro-SUV

Mit dem G9 bringt XPeng ein neues SUV-Top-Modell mit modernster Soft- und Hardware. Der elektrisch angetriebene G9 ist auf eine internationale Karriere aus. In Europa startet er ab 2024. Wir konnten den G9 bereits fahren.

XPeng G9 Fahrbericht Carl Nowak Foto: XPeng/Olaf Gallas 18 Bilder

Der chinesische Autobauer XPeng strebt ganz klar internationale Erfolge an. In den USA ist man schon mit einer Niederlassung vertreten und mit der Präsenz in Norwegen hat man schon einen Fuß in der Tür zum europäischen Markt. Was auf die internationalen Märkte zurollt, zeigte erstmals der im November 2021 in China auf der Guangzhou Autoshow vorgestellte Riesen-SUV G9. Der wurde als erstes Modelle der Marke von Anfang an sowohl für den chinesischen als auch für den internationalen Markt konzipiert und entwickelt.

Große Ansagen

Und mit dem G9 will XPeng nicht nur mitspielen, die Chinesen wollen Maßstäbe setzen. Entsprechend rüsten sie den XPeng G9 mit allem auf, was sie im Angebot haben. Basis für den G9 ist die neue Architektur X-EEA 3.0, die mit dem fortschrittlichen Fahrerassistenzsystem XPilot 4.0 und dem neuen XPower 3.0-Antriebs- und Aufladesystem kombiniert wird. In Sachen Sicherheit reklamiert XPeng für den G9 ein Fünf-Sterne-Niveau nach asiatischen und europäischen NCAP-Standards. Zudem bleibt auch der Punkt Nachhaltigkeit nicht unberücksichtigt. 95 Prozent aller Teile des G9 sollen recycelbar sein. Große Ansagen auf breiter Front.

Zurückhaltendes Design

Mit breiter Brust stellt sich auch das Design des XPeng G9 der etablierten Konkurrenz. Die Linienführung des 4,89 Meter langen, 1,94 Meter breiten und 1,68 Meter hohen G9 entspricht dem, was Wettbewerber wie Audi, Mercedes, BMW oder Volvo in dieser Klasse vorgeben. Chinesische Extravaganzen sind nicht auszumachen. Der G9 präsentiert sich aus einem Guss. Viele Rundungen sollen dem wuchtigen SUV optisch etwas Größe nehmen, ohne an Stattlichkeit einzubüßen. Die hoch angesetzte Gürtellinie trennt das filigrane Greenhouse vom wuchtigen Unterbau. Vorne fällt der Überhang kurz, hinten lang aus. Der Radstand des Fünfsitzers wird mit 2.998 Millimeter angegeben. In den Radhäusern stecken 21 Zoll große, aerodynamisch optimierte Leichtmetallfelgen.

Die glattflächige Front charakterisieren ein durchgehendes schmales LED-Tagfahrlichtband direkt unter der Haubenkante sowie die darunter liegenden LED-Hauptscheinwerfereinheiten, die auch die Lidar-Sensorik beherbergen. Der einzige Kühlluftschacht sitzt ganz unten in der Frontschürze. Am Heck ziehen sich die schmalen LED-Leuchten um die Flanken. Ein quer über die Heckklappe laufendes Leuchtenband verbindet sie. Dunkel gehaltene B- und C-Säulen suggerieren eine große Glasfläche. Im Dachbereich gibt es die tatsächlich, flankiert von einer integrierten Reling. Das Kofferraumvolumen liegt zwischen 660 und 1.576 Liter, wenn die Rücksitze umgelegt werden.

5 Minuten laden, 200 km fahren

Das XPilot 4.0-Bordsystem bietet eine Rechenleistung von 508 TOPS, integriert Kamerasysteme an der Front und in den Flanken, verschiedene Lidar-Systeme und einen 5G-Transmitter für eine schnelle Datenanbindung. Damit soll der G9 teilautonome Fahrten vom Start bis zum Einparkvorgang unterstützen. Die Chinesen sehen sich aber auch für spätere vollautonome Anwendungen gerüstet. Zukunftsfähig ist auch die Elektronik-Architektur X-EEA 3.0 aufgestellt. Die setzt auf eine zentrale Super-Recheneinheit und verschiedene lokale Steuerungsmodule mit ultraschneller Vernetzung. Updates für sämtliche Systeme erfolgen Over-the-Air – und zwar bei laufendem Betrieb.

Bis zu 405 kW, auch mit Allradantrieb

Der elektrische Antrieb setzt auf eine Plattform mit 800-Volt-Technik und Zwei-Kammer-Luftfederung, die Akkus lassen sich mit bis zu 480 kW laden und können so in fünf Minuten Strom für 200 Kilometer Reichweite bunkern. In nur 15 Minuten füllt sich der Akku so von zehn auf 80 Prozent. In China startet der G9 in insgesamt sechs Versionen. Dies sind die hinterradgetriebenen Modelle RWD 570G, RWD 570E und RWD 702E sowie die Allradvarianten 650E und 650X inklusive der Launch Edition 650X. Die Zahlen in den Modellbezeichnungen beziehen sich dabei jeweils auf die maximale Reichweite in Kilometern – allerdings nach dem chinesischen CLTC-Zyklus. Umgerechnet auf WLTP ergeben sich Reichweiten zwischen 460 und 570 Kilometer. Die Modelle mit Hinterradantrieb tragen an der Hinterachse einen 230 kW und 430 Nm starken E-Motor, der den SUV in 6,4 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigt. In den Allradmodellen kommt an der Vorderachse ein 175 kW und 287 Nm starker zweiter Motor hinzu – die Systemleistung steigt auf 405 kW und 717 Nm Drehmoment. Genug Power, um den SUV in 3,9 Sekunden auf 100 km/h zu wuppen. Die Höchstgeschwindigkeit wird in allen Fällen bei abgeregelten 200 km/h erreicht. Sieben wählbare Fahrmodi erlauben eine breite Anpassung der fahrdynamischen Eigenschaften.

Zu den chinesischen Kunden rollt der XPeng G9 seit Oktober 2022. Die Preise reichen auf dem Heimatmarkt von umgerechnet rund 44.200 bis hin zu etwa 67.000 Euro. In Dänemark, Norwegen, den Niederlanden und Schweden kann der SUV seit Anfang Februar 2023 zu Preisen zwischen rund 40.000 und 54.000 Euro bestellt werden.

So fährt der große China-SUV

Steht man dann tatsächlich vor dem G9, wirkt er trotz stattlicher Abmessungen gar nicht mal so wuchtig. Wir schnappen uns für eine erste Probefahrt über den Feldberg nahe Frankfurt den Reichweitenkönig aus dem Line-up, einen RWD Long Range mit einem Heckmotor und 313 PS und 570 Kilometer WLTP-Versprechen. Hier kommt statt der 78,2-kWh-LFP-Batterie (75,8 kWh netto) der Basisversion die große 98-kWh-NMC-Batterie (netto: 93,1 kWh) zum Einsatz. Wenig überraschend schubsen die 230 kW den 2,2 Tonnen schweren G9 mühelos den Einfädelstreifen der Autobahn hinunter gen Richtgeschwindigkeit. Dabei arbeitet der Antriebsstrang leise, ohne präsentes Sirren. Die Strompedalabstimmung ist angenehm linear – nicht selbstverständlich, wenn wir an die Fahrten und Tests mit anderen chinesischen Produkten zurückdenken. So ganz aus den typischen China-Problemen kommt aber auch der XPeng nicht hinaus. Zwar sorgen fünf Radarsysteme, zwölf Ultraschallsensoren, vier 360-Grad-Kameras und sieben normale Kameras für eine permanente Umfeldüberwachung, dennoch führt die ganze Hardware nicht zum gewünschten Ergebnis.

Den Abstandstempomaten aktiviert man wie bei Tesla oder Volvos neuem EX30 über den Getriebewahlhebel rechts hinter dem Lenkrad. Ab da sollte man sich von seinem angepeilten Reiseschnitt verabschieden, nicht nur, weil das System nur bis 130 km/h funktioniert, sondern auch, weil es schon herausfordernd ist, dieses Tempo mit Tempomat zu fahren. Warum? Das System bremst ständig selbsttätig ab – unabhängig davon, ob man auf ein vorausfahrendes Fahrzeug aufläuft oder einfach freie Straße vor sich hat. Immer wieder verlangsamt das System den Wagen ohne erkennbaren Grund. Gerade nach einem Spurwechsel nach links zum Überholen kann das ziemlich Nerven kosten. Auch die restliche Assistenzarmada bekleckert sich nicht mit Ruhm. Der verpflichtende Tempolimitwarner bekommt zahlreiche Falschinformationen der Verkehrszeichenerkennung zugespielt – ein bekanntes Problem aller, nicht nur chinesischer Hersteller. Zur Deaktivierung muss man ins Untermenü oder in ein Drop-Down-Shortcut-Menü. Das letzte Kapitel im Trauerspiel der Fahrassistenz ist der Spurhalteassistent, der scheinbar wahllos in der Lenkung herumfuhrwerkt. Andere Male kann man ungerührt ohne Eingriff über die Mittellinie rollen. Neben der fragwürdigen Regelkonsistenz ist es auch die Art der Eingriffe, die für Schweißperlen sorgen kann. Statt den großen Wagen in einer sauberen Bewegung zurück in die Mitte der Spur zu lenken, hält das System das Lenkrad fest, piept, und lässt es in leicht zuckenden Bewegungen den Wagen irgendwohin fahren, selten jedoch zurück in die Mitte der Spur. Dazu hören das Gepiepe und das Festbetonieren der Lenkung teilweise für zehn bis 15 Sekunden nicht mehr auf und es braucht schon etwas Kraft, um das Lenkrad aus dem eisernen Griff der Elektronik zu befreien.

Rundes Fahren? Geht, nur eben ohne Assistenz

Das ist schade, da der G9 hardwareseitig ansonsten einen ziemlich ausgereiften Eindruck macht. Das Fahrwerk spricht zwar etwas trocken an, federt grobe Unebenheiten aber sauber ohne allzu ausgeprägte Aufbaubewegungen aus der Fahrbahnoberfläche. Das ist zwar nicht das Niveau eines BMW iX oder Mercedes EQS SUV, aber keineswegs schlecht. Die leichtgängige Lenkung feedbackt zwar kaum, baut aber zart und nachvollziehbar Haltekräfte in Kurven auf, und ist so linear übersetzt, dass man ihr eine positive Unauffälligkeit zuschreiben kann. Auch das Geräuschniveau ist angenehm niedrig, wenn bei Richtgeschwindigkeit ein hörbares Zischeln aus dem Bereich der A-Säule und des Außenspiegels nach innen dringt. Klar, ein Kurvenskalpell wird aus dem G9 nicht, aber auch die Kehren am Feldberg handelt der 2,2-Tonner souverän und fahrsicher ab. Ausgeprägten Fahrspaß sollte man trotz des Sport-Modus mit spontanerer Leistungsabgabe nicht erwarten. Ebenso wenig einen Einpedalmodus, auch wenn Xpeng neben den drei Rekuperationsstufen noch einen weiteren namens XPedal offeriert, der jedoch nie ganz bis zum Stillstand verzögert, sondern einfach nur eine weitere, stärkere Rekuperation darstellt.

Kunstlederkokon und gute Software

Innen empfängt ein Kunstlederkokon mit hübschen Ziermaterialien aus Aluminium, drei XXL-Displays und eine sehr saubere Verarbeitung. Die Kunstledersitze können bei verbautem Premium-Paket massieren, nicht nur in Reihe eins, sondern auch auf den Fondplätzen. Vorn sitzt man bequem auf gut stützenden, vielfach einstellbaren Sesseln, die zwar nicht viel Seitenhalt bieten, dank der vierfach verstellbaren Lendenwirbelstütze aber rückenfreundlich ausfallen. Die Bedienung läuft zum größten Teil über den 14,96-Zoll-Screen, während fahrrelevante Infos auf einem 10,25 Zoll Tachodisplay etwas ungeordnet und kleinteilig, aber sehr scharf aufgelöst präsentiert werden. Ein Head-up-Display gibt es nicht. Die Bedienung des Touchscreens läuft erstmal einfach, da der Startbildschirm recht klar gegliedert ist und das System mit Nvidia Orin-X Prozessor blitzschnell läuft. In manchen Menüs muss etwas viel gescrollt werden, was beim Fahren stark ablenkt, in anderen Bereichen fallen etwas eigenartige Übersetzungen auf. Mit "Hey XPeng" aktiviert sich eine schnelle Sprachsteuerung, die zackig Befehle umsetzt. Klasse und ungewöhnlich für ein chinesisches Elektroauto in Europa-Spezifikation: Alle Apps samt YouTube, Tiktok, Instagram, Apple Music, Prime Video, Disney Plus und mehr funktionieren. Noch besser: der G9 bietet eine brauchbare Laderoutenplanung, die auf langen Strecken klar aufzeigt, wie weit man kommt, und welche Ladestationen auf dem Weg liegen. Die muss man zwar manuell hinzufügen, hat aber stets eine gute Übersicht über Art und Anbieter der Ladesäule, sowie über den jeweiligen Rest-SOC bei Ankunft an Säule oder Ziel. Zusammen mit der großen Batterie und den mächtigen Ladeleistungen des XPeng ergibt sich eine hohe Reisetauglichkeit.

Auch im Fond sitzt man äußerst bequem, hat viel Platz an Kopf und Knien und kann sich sogar die Sitzlehnenneigung und mit Premium-Paket die Länge der Oberschenkelauflage einstellen. Ebenfalls Teil des Premium-Pakets für 3.960 Euro ist ein Dynaudio Soundsystem mit 2.160 Watt Leistung. Im Kofferraum findet sich reichlich Platz (660 bis 1.576 Liter), aber nicht genug für einen Spitzenplatz unter den Fünf-Meter-SUV. Dafür bietet der Kofferraum ein praktisches Unterflurfach, eine 12V-Steckdose und ein Netz für Kleinkram. Die Ladekabel kann man alternativ auch in den recht geräumigen Frunk unter der Fronthaube packen. Das größere Limit beim Transport ist die mickrige Zuladung von nur 425 bis 470 kg je nach Version.

Viel günstiger als die deutsche Konkurrenz

Preislich positioniert Xpeng den BMW iX-Rivalen offensiv. Die Standard-Range Variante startet bei 57.600 Euro, die 61.600 Euro sollte einem aber der Long Range wert sein, da die zwanzig zusätzlichen Kilowattstunden die Reichweite deutlich erhöhen. Wer Allradantrieb haben möchte, braucht den 550 PS-starken AWD Performance mit großer Batterie und zusätzlichem Asynchronmotor an der Vorderachse für 69.600 Euro. An die elektronisch ausfahrbare Anhängerkupplung können bis zu 1.500 kg angehängt werden.