Honeyball-Rallye im VW Passat LS

Mit Kermit auf großer Fahrt durch die Alpen

Mit dem frisch gekauften Garagenfund auf eine 2000 Kilometer lange Oldtimerrallye. Kann das gut gehen? Ein Test mit einem VW Passat LS. Und mit zwei Techniklaien an Bord. Ein Erlebnisbericht von Motor Klassik.

Honeyball-Rallye im VW Passat LS Foto: Hans Neubert 12 Bilder

Mann ist der seltsam. Die Farbe allein ist total schrill, man sollte den Wagen nur mit Sonnenbrille ansehen. Am besten schaut man ihn aber gar nicht so genau an. Dann merkt man auch nichts von den peinlich dünnen Reifen. Und von dem dicken Hintern mit den riesigen Rückleuchten. Dann sieht man auch nicht die belanglose Front mit dem dicken Chrom, der wie ein Goldrand an einem Kragen wirkt. Und die trostlose Holzimitatfolie im Cockpit! Ikea würde sowas nicht mal in seine Fundgrube stellen, aber hier soll man als Fahrer permanent draufglotzen? Was für ein seltsames Auto.

Passat heißt das Ding, wie ein Wind. Ehrlich: So, wie er hier steht, ist er eher ein Heißluftfön. Egal, wir brauchen den Wagen ja nicht zum Liebhaben. Wir brauchen ihn zum Wegrocken. "Honeyball" nennt sich die Rallye, für Autos ab 30 Jahre. Die Strecke: 50 Alpenpässe in 5 Tagen, über 2.000 Kilometer. Die muss er packen. Danach darf der Passat auseinanderfallen, sich schämen oder den Dornröschenschlaf fortsetzen.

Die Honeyball-Rallye ist brutal

Nein, Honeyball ist keine gepflegte Gleichmäßigkeitsfahrt mit Uhrensponsor und Lunchpaketen. Honeyball ist brutal: Fünf harte Tagesetappen, nur zu schaffen, wenn man täglich ein paar Pinkelpausen weglässt und auch solchen Quatsch wie "Schau mal, das Panorama, da müssen wir ein Foto machen!". Andererseits: Honeyball ist auch kein Wettrennen oder Chaoten-Festival. Es ist eher ein Dauerlauf auf den härtesten Straßen Europas, eine verflucht lange Ausfahrt mit anderen Verrückten, die nichts dagegen haben, den ganzen Tag im Auto zu hocken und einmal quer durch die Alpen zu dengeln. Viele Honeyballer sind schon das dritte oder vierte Mal dabei. Wir auch. Und weil wir dabei über die Jahre schlauer, vor allem aber auch ärmer geworden sind, nehmen wir dieses Jahr keinen teuren Mercedes oder Porsche. Sondern ein banales Jedermannauto mit dem Charme des 70er.

Samstagmittag. Noch acht Tage bis Honeyball, wir sind spät dran mit unserer Autosuche. Jetzt stehen wir hier mitten in Niederbayern. Vor dem schrillen Kermit. Baujahr 76. 80.081 Kilometer. 85 PS. Etwas Rost. Seit Opa ins Altenheim gezogen ist, stand der Passat in der Scheune. Sieben Jahre schon. Motor läuft nicht. Sonst aber guter Eindruck. Im Kofferraum ein Buch "Jetzt helfe ich mir selbst". Es fängt an zu regnen. Also nicht lange fackeln, 1.000 Euro auf den Tisch und das Teil auf den Hänger schieben. Der Schrauber in München ist bereit, er hat wenig Lust, aber er braucht Geld. Selber machen können wir nichts - höchstens noch kaputter machen.

Zwei Medienleute ohne einen Plan von Technik

Wir, das sind: Ein Medienmanager und ein Werbekreativer, beide ohne Technikverstand. Wir haben Führerscheine, das ist alles. Also handeln wir nach der Devise: If you have a problem, throw money on it. Der Schrauber kriegt Geld und tut alles, was er für nötig hält: Öl, Wasser und Filterwechsel, Hauptuntersuchung, H-Kennzeichen. Ach ja, und der Motor müsste vielleicht wieder laufen. Dass er es momentan nicht tut, liegt angeblich nur an seinem verstellten Register- Fallstomvergaser, Typ Solex 2B2. Sonst was? Nö. Zahnriemen? Ist noch nie gewechselt worden. Ist bestimmt so alt wie das bunte Blech, so alt wie die zerfieselte Pappe der Hutablage. Der Schrauber meint: Wir lassen ihn trotzdem drin. Irgendeiner, den er kennt, hat von einem anderen gehört, dass bei diesem Motor der Zahnriemen ruhig reißen kann, ohne dass der Motor kaputtgeht - weil Kupplung und Kurbelwelle sich nicht berühren können. Oder waren es Ventile und Kolben?

Auch egal. Wir wollen nur ankommen. Der VW Passat tut uns nicht leid, wir werden ihn benutzen und dann wegwerfen. Und dabei meistens Sonnenbrillen aufhaben. Wegen des Grüns, das man leider auch von innen sieht. Und wegen des Holzimitats. Aber auch schon deshalb, weil uns dann keiner erkennt, weil keiner danach sagen kann: "Hey, ihr Trottel, ich hab euch doch in diesem komischen Passat gesehen!" Freitagabend. Noch zwei Tage bis zum Start in der Schweiz. Wir holen den Grünen vom Schrauber. Vollabnahme? Bestanden. H-Kennzeichen? Dran. Motor? Läuft. Wir zahlen, mit schönem Trinkgeld obendrauf. Und dann schnell nach Hause, Koffer packen.

Nach 15 Kilometern geht der des VW Passat Motor aus

Blöd: Nach 15 Kilometern geht der Motor aus. Und springt nicht mehr an. Mitten im Berufsverkehr auf dem Mittleren Ring in München. Wir schieben, fluchen, warten. Nach zehn Minuten läuft er wieder, einfach so. Wir fahren ein Stück. Dann wieder Motor aus. Verdammt. Sonntagabend müssen wir in der Schweiz sein. Wer kann jetzt helfen? Der Schrauber hat längst Feierabend. Bernd ist verreist. Wir rufen Christian an, der meint, Gudrun kennt jemand. Gudrun sagt, wir sollen Wolf anrufen. Samstagvormittag. Treffen mit Wolf am Wagen. Er baut den Vergaser aus, zerlegt ihn am Küchentisch. Die Hauptdichtung ist verrottet. "Kein Wunder, so kann’s ja nicht gehen". Wir telefonieren VW-Partner und Boschdienste ab. Die meisten haben Samstag zu. Und die, die geöffnet haben, haben nicht die richtige Dichtung auf Lager. Kein Wunder, wer legt sich heutzutage schon Vorräte mit 33 Jahre alten Vergaserdichtungen an? Wolf murmelt: "Dichtmasse." Wir besorgen Dichtmasse, und Wolf klebt die beiden Vergaserhälften damit zusammen. Aber hält das wirklich? Kommt irgendwo vielleicht doch noch Luft rein? Oder ist in eines dieser kleinen Löcher jetzt vielleicht Dichtmasse reingelaufen? Wir wissen es nicht, Wolf auch nicht. Immerhin: Der Wagen läuft. Danke, Wolf.

Sonntagabend, Autobahn, auf dem Weg zum Startpunkt in der Schweiz. Es wird laut hier drin ab 90, unsere Schädel dröhnen. Und ab 120 wird es heiß, da vorn irgendwo. Der Zeiger steht jedenfalls plötzlich kurz vor rot. Verdammt. Das macht nervös. Wir sehen uns an, sagen nichts. Gehen vom Gas. Die Nadel sinkt langsam. Na gut, dann fahren wir eben nur 100. Stunden später sind wir entspannter, in der Schweiz, vor dem Hotel in Maienfeld. Der Passat hat uns echt hergebracht, er steht da auf dem Parkplatz und tickt. Zwischen Porsche 911, Triumph TR6 und Alfa Bertone. Sehr grün sieht er aus, aber auch ein bisschen stolz. Nach sieben Jahren Scheune darf er plötzlich auf große Fahrt. Und wird auch noch bewundert: Unsere Mitfahrer stehen um ihn herum. Fassen ihn an. Wollen sich reinsetzen. Kennen den Name der unfassbaren Farbe - Viperngrünmetallic. Holen alte Geschichten raus. Von früher, als sie klein waren. Und irgendeiner sagt: Jeder dritte Deutsche ist in einem Passat groß geworden. Unser quietschgrünes Ungetüm – ist es etwa ein Kultauto?

Der VW Passat eiert den Berg rauf

Montagmorgen, Rallyestart. Es geht gleich hart los: Splügenpass, Passo di Monte Ceneri, Passo die Lucomagno. An der ersten Steigung: blankes Entsetzen. Unsere gefühlte Geschwindigkeit geht auf 5 km/h zurück. Wir schalten in den Dauervollgas-Modus, den rechten Fuß permanent durchgedrückt. Vielleicht hätte der Schrauber gleich noch eine Spaxschraube durchs Gaspedal in den Unterboden jagen sollen. Wir treten es über die Berge, das grüne Dings. Ohne schlechtes Gewissen, der Passat ist selbst schuld. Er hat zu wenig PS und zu wenig Drehmoment. Zwar ist er leicht, aber dafür vollgepackt. 900 Kilo Leergewicht + uns zwei + Reisetaschen gegen 85 PS. Da geht nicht viel. Sind es überhaupt 85 PS? Oder nur noch 60, nach all den Jahren? Wer weiß. Klar, der Passat bewegt sich, irgendwie. Aber er macht nie wumms! Er eiert so angestrengt den Berg rauf, man will manchmal raushüpfen und schieben.

Runter ist es auch nicht besser. Die Bremsen? Kalt okay. Aber wehe, sie werden warm. Dann kommt das Vibrieren und Quietschen. Um sie zu schonen, haben wir schon bald einen fiesen Trick raus. Wir bremsen nicht mehr mit dem Pedal, sondern mit dem Lenkrad. Das geht so: Zu schnell in die Kurve rein, zu stark einlenken, Wagen über die Vorderräder rubbeln lassen. Funktioniert gut. Die alte Tremola am St. Gotthard hinauf hat es der Passat anscheinend plötzlich begriffen. Er gibt von selbst Dauervollgas. Unangenehm. Was kann das sein? Der reparierte Vergaser? Eine weggeschimmelte Drosselklappe? Eine vergessene Scheunen-Maus, die am Gaszug zieht? Na, wahrscheinlich ist der Teppich schuld. Klemmt irgendwo das Gaspedal fest. Wir zupfen unter den Schuhen herum. Dann läuft alles wieder normal. Aber das Problem kommt zurück, immer wieder und unvorhersehbar. Auch wenn wir noch so sehr am Teppich zerren. Für uns Techniklaien eine klare Sache: Das Problem liegt tiefer, wahrscheinlich am Pedal selbst!

Der VW Passat gibt nur Vollgas

Abends im Hotel leihen wir uns Werkzeug von den Kollegen aus dem Citroën DS. Und zerlegen den halben Wagen: Unter dem Instrumentenbrett muss alles raus, die Pedalanlage wird freigelegt. Hier muss der Fehler sein. Wir können ihn nur nicht finden, keine Spur von Rost. Wir ölen trotzdem alles durch. Und uns selbst auch: Mit verschmierten Pfoten kippen wir zum Feierabend ein paar verdiente Biere rein. Dienstag. Mit frisch geschmiertem Gaspedal geht’s weiter. Dem Passat ist das egal: Zwischen Grimselpass und Furka entscheidet er sich schon wieder für Vollgas. Verdammt! Wir hätten doch besser einen Porsche oder Benz nehmen sollen. Rechts ran. Motorhaube auf. Wo bewegt sich hier eigentlich was, wenn man Gas gibt? Ah, da! Das muss der Gaszug sein. Aber warum bleibt er fast bei jeder Bewegung an diesem dünnen schwarzen Schlauch hängen? Problem gefunden! Muss wohl beim Vergasereinbau passiert sein. Da hätten wir auch etwas früher draufkommen können. Etwas Klebeband, schon ist die Sache bereinigt.

Wir sind stolz: Unsere erste Autoreparatur! Schnell weiter, die Etappe ist noch lang. Col de la Forclaz, Col des Saises und dann der Col d’Iseran. Der Passat gibt alles. Er ist ein armes Schwein, denn wir schonen ihn nicht. Um nicht zu sagen: Wir nehmen ihn hart ran. Quietschende Reifen und heulender Motor als Dauerprogramm. Unser verzweifelter Versuch, halbwegs mit Triumph Spitfire und Porsche 914 mitzuhalten. Keine Chance. Allein bleiben wir zurück. Grün und lahm. Mittwoch. Col d’Izoard. Ist da ein Geräusch? Kommt es vielleicht vom MGB V8 vor uns? Es wird lauter. Schippschipp macht es. Hinten links. Nur beim Bremsen? Nur in Kurven? Unklar. Schippschipp. Dann ist es wieder weg. Wir kriegen es mit der Angst zu tun: Was, wenn gleich irgendwas abfällt? Oder plötzlich was blockiert, während wir an einem 400 Meter tiefen Abgrund vorbeirasen? Das Geräusch begleitet uns, über den Col de Sampeyere, den Colle Valcavera, den Colle Bandia. Immer wieder ist es da. Schippschipp. Fast schon verlässlich. Gehört es vielleicht einfach dazu? Wir diskutieren. Fachsimpeln. Krumme Nockenwellen? Ein Kolbenfresser am Bremsbelag? Schabt die Kupplung an den Ventilfedern?

Hilf dir einfach selbst

Unser Fachwissen hat sich drastisch erhöht in den letzten Tagen. Aber es reicht nicht. Uns bleibt nichts übrig, als uns an das Geräusch zu gewöhnen. Abends sind wir beinahe schon wieder entspannt. Bis uns beim Essen das Team aus dem Borgward anspricht: "Bei euch schleift was!" Verdammt, das wissen wir selbst. Donnerstagmorgen. Wir halten bei einer französischen Werkstatt: "Monsieur, un problem!". Der Meister zeigt nach einer kurzen Probefahrt auf die Trommelbremse. Und stellt klar: Er hat keine Ersatzteile für so ein altes Auto. Einfach mal aufmachen und reingucken in die Bremse? Er schüttelt den Kopf: Wenn sie kaputt ist, schraubt er sie uns nicht mehr zusammen. Verantwortung, Verklagen, Versicherung und so. Wir ziehen ab, frustriert. Hunderte Kilometer weg von Zuhause. Alle anderen Teilnehmer über alle Berge.

Keiner hilft. Keine Ahnung von Trommelbremsen. Keine Ahnung? Moment mal. Lag da nicht das Buch im Kofferraum? Gepäck raus. Tatsache, es ist noch da. Jetzt helfen wir uns selbst! Kapitel Bremsen. Fieberhaft überfliegen wir die dürren Sätze. Und dann los: Wagenheber dran. Auto hoch. Rad ab. Bremse auf. Sieht gar nicht so kompliziert aus. Pling! Ein loses Teil fällt uns entgegen. Sieht aus wie ein Schutzblech? Wer weiß. Sicher das Ding, das Geräusche gemacht hat. Wir werfen es in die Büsche und schrauben alles wieder zu. Weiter geht’s. Col de la Lombarde und Col St. Martin. Das Geräusch ist weg, unser schlechtes Gefühl plötzlich auch. Auf Walter Röhrls Spuren bezwingen wir den berüchtigten Col de Turini - mit 86 PS und ohne einen einzigen Drift. Freitag. Nach vier Tagen Vollgas ist es anscheinend so weit: Der Passat ist endlich wach und topfit. Vielleicht ist er auch einfach nur eingefahren, nach sieben Jahren Nutzlosigkeit. Ohne jedes Gemecker und ohne doofe Geräusche schluckt er den Col de la Bonette zum Frühstück. Und dann gleich noch die restlichen: Col d’Allos, Col de Valberg, Col de Pinpinier, Col de Bleine, Col de Laval.

From Zero to Hero

Der lethargische Spaziergänger ist zum Langstreckenläufer geworden. Zum Siegertypen, der als Bezwinger von 50 Alpenpässen die Chromnase stolz durch den Fahrtwind schiebt. Ja, wir waren ungerecht. Haben ihn wegen seiner Form gedisst, wegen seiner Farbe. Ohne seine wahren Werte zu kennen. Das tut uns nun leid. Als er schließlich in St. Tropez am Yachthafen steht, haben wir sogar das Gefühl: Der sieht irgendwie gut aus. Markant. Ein Yul-Brynner-Typ. Ein Hero. Wir zwei Fahrer fühlen uns weniger heldenhaft: Eine Fischvergiftung sorgt zum Abschluss für Bauchweh, Magenkrämpfe und alles, was dazugehört. Giftiges Viperngrün- Metallic hat das nicht geschafft.