Mercedes EQE 350+

Die wahre E-Klasse

Mit dem neuen EQE elektrisiert Mercedes nun auch die Businessklasse. Wir klären im Fahrbericht, ob der 215 kW starke EQE 350+ nun Mercedes echte, neue E-Klasse ist.

Mercedes EQE Foto: Mercedes-Benz AG 17 Bilder

Eigentlich ist so ein Wechsel zum E-Auto wie Von-Daheim-in-eine-große-fremde-Stadt-Ziehen. All die guten Gründe dafür ergänzt du mit unbedarftem Enthusiasmus. Sicher wirst du die Entscheidung, deinen Mut mal bereuen, etwa wenn du den Weg nach Hause suchen musst (was einer nächtlichen Suche nach einer Ladesäule entspräche). Aber kennst du dich mal aus, ist das Heimweh vorbei. Und was du zurückgelassen hast, erscheint dir überkommener, mit jedem Schritt, den vorankommst.

So wirkt genau jetzt ein Mercedes E 300, gerade wegen der Perfektion, zu der er in seiner Weise findet, auf einmal so – sorry – ungemein alt. Denn nun kurvt der EQE auf die Bühne, leise, abgaslos und wegen der Allradlenkung mit bis zu zehn Grad Lenkwinkel hinten zunächst überrumpelnd behände. Er ist das zweite von zunächst vier Modellen, die auf der neuen Elektrobasis entstehen. Also rollt er – wie zwei folgende SUV – auf dem gleichen Skateboard-Fundament wie der EQS, allerdings im Radstand und damit auch in der Akkukapazität gekürzt. Denn hier passen zwischen die Achsen nur zehn statt zwölf Module des Lithium-Ionen-Akkus, der es so auf 90,56 kWh (Komma fünf-sechs, sie mögen es gern exakt bei Mercedes) bringt. Das soll laut WLTP für 462 bis 654 km Reichweite genügen. Da sich die Batterie mit maximal 170 kW Gleichstrom binnen 32 Minuten von zehn auf 80 Prozent aufladen lässt, muss man schon ein Permanent-mit-enormem-Zeitdruck-Langstreckenfahrer sein, um sich damit nicht arrangieren zu können. Ansonsten lässt sich der EQE gern auch an einer 22-kW-Wallbox frisch beladen, da zieht er den Strom dann auch gleich dreiphasig. Und wenn wir gerade beim Laden sind: Für unterwegs bietet Mercedes nun einen neuen Ladetarif mit festen Preisen pro Kilowattstunden an – egal bei welchem Anbieter man denn nun gerade nachlädt, allerdings kommt eine monatliche Grundgebühr dazu.

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Bei 170 kW Gleichstrom wächst der Ladestand in 32 Minuten von zehn auf 80 Prozent.

Fährt mit Macht, spart nicht mit Pracht

Zum Start elektrisiert sich der EQE in zwei Versionen: Als 350+ mit einem 215 kW/565 Nm starkem permanenterregten Synchronmotor im Heck oder als 43 4Matic mit einer Synchronmaschine auch vorn mit 350 kW/858 Nm an Gesamtimmensität. Dabei checkt das System die Momentenverteilung an die Räder 10.000 Mal pro Minute und regelt die Stromverteilung zwischen den beiden Motoren immer so, dass der Wagen bei bester Traktion stets am effizientesten fährt. Weil aber eben auch der vordere ein Synchronmotor ist, lässt er sich nicht wie ein Asynchronmotor einfach abschalten. Dann nämlich liefe er gegen den hinteren Motor an. Deswegen wird auch der vordere Motor immer bestromt. Und klar, schon deswegen liegt der Energieverbrauch des 4Matic höher als der des rein hinterradgetriebenen 350+, der bei gleicher Batteriegröße mit einer Vollladung 105 bis 119 km weiterkommen soll.

Wir fahren auch diese Basisversion, was eine ebenso bescheidene wie fehlleitende Bezeichnung für ein Modell ist, in dessen Preisrahmen die 70.626 Euro erst die Unterkante bilden. Und mit dem es so souverän vorangeht. Dazu auch wegen der hervorragenden Dämmung des Antriebs so leise, dass einem in der Stille gar das leise Windzischen in den Ohren dröhnt. Das lässt sich bei aller Brillanz der Aerodynamik nicht ganz vermeiden – trotz versenkter Türgriffe, weitem Abstand von Rückspiegel und Verbundglas-Seitenfenster, abgedecktem Unterboden, Abrisskanten-Flügel und den zwei "Bananen" genannten Luftleitelementen seitlich an der Frontscheibe. All das drückt den cw-Wert auf 0,22 und streckt die Reichweite.

Auf der ersten Fahrt erreicht die ohne große Zurückhaltung in Fragen der Eile eine Größenordnung von 500 Kilometern. Und sie lässt sich in all ihrer Weite und in ganzer Pracht auskosten. Drinnen möbliert sich der EQE auf unwesentlich weniger ausufernden Üppigkeit fast ebenso luxuriös wie der EQS. Alles da, das volle Programm von Massagesitzen bis Infotainment. Das lässt auf dem 141 cm weiten Hyperscreen über das ganze Cockpit ausbreiten, was aber 8568 Euro kostet und der ohnehin immensen Funktionsfülle kaum Wesentliches zufügt. Wobei sie schon sehr stolz sind bei Mercedes auf den bei 650 Grad Celsius gebogenen Glasbildschirm, der die drei einzelnen Monitore überdeckt: Das Instrumentendisplay vor dem Fahrer, den großen Zentralbereich sowie die Anzeige für der Beifahrerseite. Dort lassen sich auch Filme abspielen. Ja, hier ist das erlaubt, weil die Innenkamera erkennt, falls der Fahrer von seiner Seite aus auch auf die Glotze linst und dann genau seinen Sichtbereich ausblenden lässt.

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Den 1,41 m breiten Hyperscreen gibt es erst nur im EQE 43. Auch so reichlich Displaymenge/-größe.

Auf dem Weg zu höchster Effizienz

Von durchaus größerer Erheblichkeit dürften aber die weiteren Funktionen des Infotainments sein. So kann das Navi die cleversten, effizientesten Routen samt der besten und günstigsten Ladestopps ausknobeln. Dabei berücksichtigt es neben der Länge auch die Topografie (für die zu erwartenden Energien, die zum Erklimmen von Bergen gebraucht, und jene, die beim Herunterfahren durch Rekuperation wieder eingespeist werden) und die aktuelle Temperatur auf der Strecke. Denn je weniger Energie für die Temperierung der Batterie gefordert wird, umso mehr steht für den Vortrieb zur Verfügung.

Über fortgeschrittenste Cleverness verfügt auch der Antrieb, der im intelligenten Rekuperations-Modus automatisch von freiem Rollen bis starker Verzögerung. Ja, der EQE rekuperationsbremst sich selbst im ganz normalen Verkehr weich bis zum Stillstand. Auch voran geht es im EQE grandios. Er flauscht luftgefedert (2083 Euro) über herbe Unebenheiten, federt selbst im Sport-Modus besonnen. Mit der Hinterradlenkung verbindet er sensationelle Wendigkeit mit hochsouveräner Fahrsicherheit und gar leicht aufmüpfigem Handling: ein entschlossener Tritt aufs Fahrpedal im Scheitelpunkt, schon drängelt das Heck nach vorn. Also jetzt nicht so richtig wild, sondern nur so, dass du dir einbilden kannst, dein Gegenlenken finge es wieder ein. Dabei hat das die Elektronik schon erledigt, bevor du die Idee dazu selbst überhaupt zusammensynapst bekommst.

Mercedes EQE Foto: Mercedes-Benz AG
Lässt sogar eine aktuelle E-Klasse gewissermaßen alt aussehen: der neue EQE von Mercedes.

Klangeweile

Na, wie klingt das? Etwa noch nicht kultiviert genug für Freunde der musikalischen Harmonielehre? Nun, dann knipsen wir uns für die noch schnell durch die serienmäßigen Klangvariationen des Autos. Die Kompositionen tragen die Titel "Vivid Flux" und "Silver Waves" und entstanden durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Physikern, Sounddesignern, Mediengestaltern und Mechatronikern mit besonderer Berücksichtigung der musikalischen Harmonielehre.

Was natürlich passt bei einem Auto, mit dem Mercedes nicht nur mit bei der Musik ist, sondern gar den Takt vorgeben könnte. Oder so: Für alle, die Ausziehen, das Stromern zu lernen, ist der neue EQE nicht einfach eine fremde Stadt. Er eröffnet eine neue Welt.