Original-Test: Alfa Giulia TI (1963)

Eher skurril als hübsch

Als Nachfolger der Giulietta bringt Alfa Romeo die Giulia auf den Markt, die vor allem ambitionierte Fahrer begeistert. Der von Reinhard Seiffert verfasste Artikel erschien in Heft 5/1963.

75 Jahre ams 28.1. Alfa Romeo Giulia Foto: Julius Weitmann 6 Bilder

Ab und zu tauchen in der Reihe der Testwagen Fahrzeuge auf, die ungewöhnlich und faszinierend sind. Zu ihnen gehört die Giulia TI von Alfa Romeo. Mit ihrer kurzen, abfallenden Schnauze und dem sonderbar abgeschnittenen Heck sieht sie eher skurril als hübsch aus, und wie die Innenausstattung wirkt auch die Verarbeitung etwas billig. Die Türen schließen ungenau, das Blech des Tankdeckels ist arg dünn, die Hauben schließen schwer und mit blechernem Ton, und zum Klappern und Vibrieren kommen starke Windgeräusche bei schnellem Fahren.

Doch dafür ist die Giulia etwas, das es sonst nur äußerst selten gibt: ein Sportfahrzeug im braven Alltagsgewand, mit vier Türen und Sitzplätzen, großem Kofferraum und durchaus für den Alltagsgebrauch passen- den Eigenschaften. Man kann mit dem Alfa Giulia schneller beschleunigen als mit einem Porsche 356 Super, man kann ihn leichter und sicherer lenken als die meisten Sportwagen, und man kann ihn sogar im vierten Gang anfahren, wenn es sein muss.

75 Jahre ams 28.1. Alfa Romeo Giulia Foto: Julius Weitmann
Bei ihrem Debüt 1962 flirtete die Giulia in Details durchaus mit dem Zeitgeist, und die hintere Starrachse sowie Trommelbremsen rundum waren nicht gerade up to date.

Durchzug aus der Tiefe

Das Herzstück der Limousine ist natürlich der neue Vierzylinder, der konstruktiv Züge eines Rennmotors aufweist. So ermöglichen die zwei Nockenwellen nicht nur eine weitgehende Freizügigkeit in der Anordnung, Bemessung und Auslegung der Ventile und des Ventiltriebs, sondern auch bei niedrigen Drehzahlen eine gute "Atmung" des Motors und damit viel Drehmoment. Schon bei weniger als 1000/min läuft der 1,6-Liter rund, selbst im dritten und vierten Gang kann man aus dieser Drehzahl heraus noch sanft beschleunigen, und das Spurtvermögen nimmt dann progressiv bis zur Höchstdrehzahl von 7000/min zu.

Aber auch die effektive Leistung ist enorm. In der Beschleunigung liegt der Alfa Romeo zwischen den beiden schnellen 356-Modellen, und in der Höchstgeschwindigkeit ist er nur wenig schlechter. Unsere gemessenen 165 km/h entsprechen der Werksangabe, sie werden bei der Nenndrehzahl von 6000/min im fünften Gang erreicht. Oberhalb davon fällt die Leistung aber zunächst keinesfalls ab, denn der höchste ist kein schwachatmiger Schongang, sondern ermöglicht eine volle Ausnutzung der Motorleistung.

75 Jahre ams 28.1. Alfa Romeo Giulia Foto: Julius Weitmann
Zweifarbiger Innenraum mit den Platzverhältnissen eines normalen Mittelklassewagens.

Ebenso charakterbildend ist die ungewöhnliche Handlichkeit und Leichtigkeit, mit der sich die Giulia dirigieren lässt. Dank der unbehinderten Sitzposition kann man mit der nicht sonderlich direkten Lenkung jede Kurskorrektur schnell und sicher ausführen. Zusammen mit der sportwagenmäßigen Beschleunigung ergibt dies eine Überlegenheit, die man nur mit Maßen ausnutzen darf, wenn man nicht die übrigen Verkehrsteilnehmer ängstigen oder verärgern will.

Man muss freilich schon ein bisschen umgehen können mit diesem Wagen, denn die Grenzen der Straßenlage sind zwar weiter gezogen als bei den meisten anderen Autos, aber durchaus vorhanden. Schon wenn man auf nicht ganz guten Straßen sehr schnell durch Kurven fährt, fühlt er sich spürbar "leicht" an. Dann mischt sich unter das sonst sehr neutrale Fahrverhalten ein leichtes Weggehen der Hinterräder, das man kaum als Übersteuern bezeichnen kann, weil es nicht zu Schwenkbewegungen des Hecks führt und es sich mit kleinen Lenkradausschlägen korrigieren lässt.

75 Jahre ams 28.1. Alfa Romeo Giulia Foto: Alfa Romeo
Das abgeschnittene Heck soll für ein einwandfreies Abreißen der Strömung sorgen und so den Luftwiderstand verringern.

Kein Freund des Winters

Unter winterlichen Bedingungen bereitet eher die geringe Hinterachsbelastung Probleme, denn auf glatten, verschneiten Steigungen ist die Traktion schon am Ende, wo andere Autos – besonders Heckmotorwagen – noch mühelos hinaufkommen. Zudem sprang die Giulia nach Frostnächten unter minus zehn Grad im Freien nicht mehr an, weil es der Batterie (selbst wenn sie ausgebaut und über Nacht im warmen Zimmer aufbewahrt wurde) nicht gelang, den Anlasser in ausreichend schnelle Umdrehungen zu versetzen.

Und obwohl die Kühlwassertemperatur sehr schnell auf etwa 80 Grad (mit abgedecktem Kühler, ohne Abdeckung auf etwa 70) kam, beförderte die Heizung nur eiskalte Außenluft in den Innenraum, weil offenbar der Flüssigkeitsumlauf nicht in Gang kam. Das änderte sich erst, wenn man den Wagen längere Zeit mit warm gefahrenem Motor stehen ließ. Die Heizung taute dann vermutlich von selbst auf und funktionierte. War sie erst einmal in Gang gekommen, dann reichte die Heizwirkung selbst bei kaltem Wetter völlig aus – der Fehler scheint ausschließlich in der Wasserzuführung zu liegen.

Das Anspringen selbst bereitete, wenn nur die Anlassdrehzahl hoch genug lag, keinerlei Schwierigkeiten. Erstaunlich war die Drehfreudigkeit des Triebwerks in kaltem Zustand. Von früheren Alfa-Motoren waren wir es gewohnt, dass sie bei Frosttemperaturen stets zäh und unwillig liefen, weit entfernt von ihrem sonstigen Temperament. Das war hier nicht der Fall, man musste sich im Gegenteil vorsehen, den kalten Motor nicht zu hochzudrehen. Als sehr angenehm empfanden wir wieder einmal den Handgaszug.

75 Jahre ams 28.1. Alfa Romeo Giulia Foto: Julius Weitmann
Nach klassischen Maßstäben ist die Giulia nicht schön, aber eigenwillig und charakterstark.

Gleiches gilt für das serienmäßige Fünfganggetriebe, weil man damit nie in die Verlegenheit kommt, für eine bestimmte Situation keine passende Übersetzung zur Verfügung zu haben. Es hat aber den Nachteil, dass man mehr schalten muss. Schließlich fährt man nicht in den unteren Gängen, wenn es nicht unbedingt nötig ist. So muss man nach jeder Verlangsamung wieder hochschalten, wobei die Lenkradschaltung nicht gerade als Ideallösung gelten kann.

Denn während der Schalthebel leicht vom fünften in den vierten Gang gleitet, muss man ihn von dort aus schon ziemlich bewusst in den dritten oder fünften Gang führen. Ein Verschalten ist also nicht ganz ausgeschlossen, doch im Übrigen sind die Schaltwege kurz, und die aufzuwendende Kraft ist nicht unzumutbar groß. Trotzdem erscheint uns bei diesem sehr sportlichen Auto ein Mittelschalthebel sinnvoller.

Konservatives Denken waltete auch bei den Bremsen, denn die Giulia gehört zu den wenigen schnellen Wagen, die noch an allen Rädern Trommelbremsen haben. Allerdings ließen sie weder in der Wirksamkeit noch in der Gleichmäßigkeit zu wünschen übrig, selbst aus höchsten Geschwindigkeiten heraus war ihre Standfestigkeit ausgezeichnet. Der notwendige Pedaldruck hält sich auch bei vollem Bremsen in normalen Grenzen.

75 Jahre ams 28.1. Alfa Romeo Giulia Foto: ams
Unser Test in Heft 5/1963 fand unter winterlichen Bedingungen statt.

Wenig Komfort, viel Wind

Der Fahrkomfort gehört weder zu den besten noch zu den schlechtesten Seiten des Wagens. Lange und kurze Stöße schluckt die Federung gleichmäßig gut, erst starke Bodenwellen führen zu fühlbaren Vertikalbewegungen des Aufbaus. Der Federungskomfort ist durchaus noch der eines Tourenwagens; ein wiegend-weiches Fahren wird freilich niemand von diesem sportlichen Fahrzeug verlangen können. Harte Stöße spürt man noch am ehesten in der Lenksäule, die besonders bei schnellem Fahren auf nicht völlig ebener Autobahn leicht ins Zittern gerät.

Als noch stärkere Beeinträchtigung empfanden wir das starke Windgeräusch an beiden Vordertüren, das bei Geschwindigkeiten über 120 km/h das Sprechen im Wagen sehr erschwerte. Die ausgezeichnete Sitzposition lobten wir schon, und auch die Sitzbänke selbst sind recht gut, obwohl wir vordere Einzelsitze vorziehen würden. Außerdem sollten die Türarmlehnen etwas höher platziert und die Griffe handlicher gestaltet sein.

So wie die klemmenden, schwer schließenden Türschlösser offenbarten auch ein abgefallener Fensterkurbelgriff und die gesprungene Kunststoffverkleidung des großen, vor dem Handschuhkasten angebrachten Haltegriffs, dass es mit der Qualität noch nicht zum Besten steht. Und wie die ganze Innenausstattung ist das Armaturenbrett mit dem Bandtachometer und dem kleinen Drehzahlmesser bemerkenswert unsportlich, aber gut ablesbar. Zudem sind Öldruckmesser, Wasserthermometer und Benzinuhr sowie diverse Anzeigeleuchten vorhanden.

75 Jahre ams 28.1. Alfa Romeo Giulia Foto: ams
Die technischen Daten zur Alfa Romeo Giulia TI von 1963.

Neben der recht beträchtliche Luftmengen fördernden Heizungs- und Belüftungsanlage gibt es noch zwei Kaltluftöffnungen zur Fußraumbelüftung. Gut gefiel uns das wohlklingende und trotzdem wirksame Doppeltonhorn. Die fußbediente Scheibenwaschanlage ist mit den Wischern kombiniert. Ein Heckscheibengebläse ist serienmäßig eingebaut, aber nicht sehr wirksam. Immerhin ließ sich die Frontscheibe, wenn die Heizung arbeitete, gut frei halten.

Im täglichen Gebrauch erwies sich die Giulia TI als relativ anspruchsloses und – abgesehen von der Winterempfindlichkeit – weitgehend zuverlässiges Fahrzeug. Über ihre Dauer- bewährung lässt sich heute natürlich noch nichts sagen, doch ähnlich wie bei früheren Modellen dürften bei guter Gesamtzuverlässigkeit kleinere Überraschungen nicht ausbleiben.

Sparsam mit Öl und Benzin

Im Benzinverbrauch war der Testwagen vorbildlich sparsam; der ermittelte Wert wäre sicher noch niedriger ausgefallen, wenn wir nicht unter so ungünstigen Bedingungen gefahren wären. Gering war auch der Ölverbrauch, in dieser Hinsicht scheint sich in den letzten Jahren bei den Alfa-Motoren einiges gebessert zu haben. Ein Gesamturteil über die Giulia TI ist leicht zu fällen, denn dieser Wagen lässt einen über seine Qualitäten und Schwächen nicht im Zweifel.